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Das Fischwunder

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Als Franziskus noch bettelnd und Lob und Liebe Gottes verkündend mit einem Häuflein brauner Brüder die schönen Lande Italiens durchzog, den Tieren in Wald und Feld predigte und dabei der Menschen nicht vergaß, vielmehr den Sündern in die Schöpfe fuhr, die Armen mit Fröhlichkeit tröstete und den Reichen unsanft an Wanst und Beutel pochte, weil dort ihr Gewissen saß, kam er eines Morgens an einen Fluß.

Es war ein stiller Herbsttag mit blauem Himmel und goldenem Laub. Auf allen Wegen kollerten Kastanien wie braune Kobolde und blinzelten mit blanken Augen unter ihren Stachelwimpern hervor nach den rosigen Fersen des Heiligen, der fröhlich dahinschritt. Libellen schössen gleich Blitzen aus Smaragd und Türkis übers Wasser-, das zwischen den Ufern lag wie ein Spiegel, darin man die Vögel nach den bunten Hügeln fliegen sah, bis jäh ein Fisch vom Grunde emporschnellte und den Trug in tausend glitzernde Scherben zerbrach.

Franziskus stimmte der Anblick über alle Maßen heiter und festlich, und er wunderte sich, daß ihm bis zur Stunde nicht eingefallen war, sein Preislied der Schöpfung audi den stillen Bewohnern der rauschenden Tiefen zu singen. Schon begann er im Herzen die Worte zu überlegen, mit denen er das Versäumte nachholen wollte, da hörte er es hinter einem roten Beerenstrauche gar lustig hervorpfeifen, und neugierig darauf zugehend entdeckte er einen Mann, der feine Hölzer in der Sonne zum Trocknen ausgelegt hatte und eifrig mit allerlei merkwürdigem Gerät hantierte.

Es war ein Fiedelschnitzer aus dem nahen Städtchen, den der leuchtende Tag aus seiner dumpfen Werkstatt gelockt hatte. Nun suchte er Vögeln, Wind und Wellen ein wenig von ihrem Geheimnis abzulauschen, um es ins tönende Holz zu bannen, daraus es später die Spielleute mit zartem und keckem Bogenstrich wieder hervorholten.

Franziskus, dem dies Handwerk wohlgefiel, hockte nach einem freundlich erwiderten Gruße neben dem kunstfertigen Gesellen nieder. Und da es sich gerade traf, daß auch der anderen den heiteren Frieden der Stunde nicht mit Geschwätz zu vertreiben liebte, so konnte er ungestört die Netze seiner Gedanken knüpfen.

Aber wie sehr er sich auch um die rechten Worte für seine Predigt mühte, es wollte ihm nicht gelingen, sie festzuhalten. Unruhig wie flinke Fische flitzten s,ie ihm durch den Sinn, und je dichter ihr Gewimmel wurde, desto ratloser, ward der Heilige in der Bedrängnis seines übervollen Herzens. Schon meinte er für diesmal dem Herrn die fromme Pflicht schuldig bleiben zu müssen, da kam ihm eine Erleuchtung. Was sollten ihm denn Worte vor den stummen Fischen? In ihrer Sprache wollte er singen! Und daß just ein Geigenmacher in seinen Weg geraten war, schien ihm ein Wink des Himmels.

„Bruder, willst du um Gottes Lohn mir eine Fiedel schnitzen, die stumm ist?“ fragte er.

Der Geselle lächelte nur, denn seit er das braune Mörichlein, von dem so viel Wunderliches und Ergreifendes im Munde der Leute umging, in einem nahegelegenen Marktflecken zum Volke reden gehört hatte, hing er ihm mit heimlicher Neigung an. „Warum nicht? Aber was willst du denn mit einer Fiedel, die nicht tönt?“

„Das wirst du schon sehen“, entgegnete Franziskus fast übermütig. „Beeil dich nur, ich will gleich drauf warten.“ Und er sprang auf und begann in freudiger Erregung am Ufer hin- und herzulaufen, daß ihm der Kuttenstrick gar leichtfertig um die hagern Hüften zu tanzen anhub, und dem Fiedel-schnitzer vor Neugier das Messer mit blitzender Behendigkeit durch die blanken Brettlein fuhr.

So dauerte es nicht lange und Franziskui hielt eine artige kleine Fiedel in Händen. Noch wußte der Geselle nicht, ob es Scherz oder Ernst geben solle, als der Heilige auch schon zu ein paar vorspringenden Ufersteinen hinabkletterte und den zierlichen Bogen hob.

Da wurden die Wasser mit einem Male so klar wie Glas: Sand und Kiesel leuchteten golden vom Grund, wie Regenbogen ruhten dazwischen die sanfteh Schalen der Muscheln, und das Grün der Algen, die ihre zarten Schleier über die Tiefen spannen, schien geheimnisvoll aufzuglühen.

Doch kaum berührte der Bogen die Saiten, als eine Bewegung und ein Rauschen in den Fluten entstand und von überall Fische herbeizuströmen begannen. So zahlreich, wie die beiden sie ihr Lebtag nicht gesehen hatten. Und immer neue kamen hinzu, und bald glich der Fluß dem schuppigen Rücken eines einzigen riesigen Fisches.

Und so gewaltig war das allgemeine Drängen nach der Stelle, wo der seltsame. Spielmann stand, daß selbst die scheuen Krebse aufs Rückwärtsgehen vergaßen und aus ihren Verstecken hervorkamen, sich um seine Füße zu scharen, wobei sie sich so redlich mühten, ihre grimmen Scheren vor seinen bloßen Zehen zu verbergen, daß etliche vor Anstrengung ganz rot anliefen.

Sogar der räuberische Hecht kam angeschwänzelt wie ein zahmes Hündlein und rückte freundlich beiseite, einem dicken Karpfen Platz zu machen, der in dem Gedränge schon ein wenig ängstlich nach Luft schnappte.

Wie jubelte das Herz des Franziskus, als er das endlose Gewimmel überschaute und an den offenen Mäulern und verzückten Augen merkte, daß er die rechte Sprache gefunden hatte. Am ergriffensten schien der Hedit. Er hielt die Lider gesenkt und lächelte mit seinen spitzen Zähnen so sanftmütig und in einemfort, daß es beinahe schon einfältig aussah.

Und der Bogen sprang über die Fiedel, wie die Quellen aus dem Gestein und wie die Wellen, die selig unter den Blicken des Himmels nadi den ewigen Meeren hüpfen.

Und wiewohl der Geselle wußte, daß die Fiedel, die er so eilig geschnitzt hatte, nicht tönen konnte, so schien es ihm doch, als vernähme er eine Musik, wie er sie schöner und reiner zeit seines Lebens nicht gehört hatte. Ihm war, als liefen hundert helle Wasser der Freude durch seine Seele. Und er mußte all der guten, klaren Brunnen gedenken, die jemals seinen Durst gestillt und all des kühlen Labsals, das sommers seinen glühenden Leib erquickt hatte. Er meinte den blanken Regen niederrauschen zu hören, der die Erde so jung und fruchtbar machte und spürte den Wind, der die Wellen kräuselt. Die stolzen Schiffe und sanften Kähne sah er auf leuditenden Gewässern dahinziehen im Glänze der badenden Gestirne. Und aus den Tiefen drang der Schimmer blasser Perlen und die Röten der Korallenbäume, und in dem wundersamen Licht erkannte er eine solche Fülle und Schönheit verborgenen Lebens, daß er überwältigt in die Knie brach.

Und all die zahllosen Fische' erhoben ihre Köpfe und schnellten ihre wendigen Leiber aus dem Wasser, und einen Augenblick lang schien ein niegehörter Jubel der stummen Kreatur die Luft zu erfüllen.

Da hielt Franziskus 'verklärt inne mit seinem Spiel und aus der Stille, die folgte, trat feierlich der Engel des Herrn und rührte rings die Mittagsglocken im Land.

Als das Geläute wieder verstummt war, hob neuerdings ein großes Rauschen an und die glänzenden Scharen der Fische teilten sich und schwammen nach allen Seiten auseinander.

Der Geselle aber nahm die Fiedel aus den Händen des Heiligen, küßte sie ehrfürchtig und übergab sie den Wellen. „Sie ist Gottes“, sprach er, „und fürder will ich keine schnitzen, die nicht einzig seinem Lobe dient. Nimmst du mich auf unter die Brüder, so will ich hingehen und all mein Gut veräußern und nichts behalten als diesen Bogen zum Gedächtnis an diese Stunde.“

Da umarmte ihn Franziskus voll Freuden und dankte dem Herrn für das zwiefache Wunder. Und sie verabredeten Tag und Stunde, von da ab sie die Armut in Liebe teilen wollten, bis der Tod sie scheide...

Es lebte aber nicht weit von jener Stelle ein Fischer mit seinem kranken Weibe und sieben Kindern, denen die Not die kargen Krumen vom Tische las. Dem war der rätselhafte Zug der Fische, und daß sie sich stromaufwärts zu stauen begannen, nicht entgangen. Er hatte auch das geheimnisvolle Tönen vernommen, es aber, da er sich's nicht zu erklären vermochte, für einen Trug der Sinne gehalten. Gewohnt, allzeit das Nächstliegende zu tun, rief er sogleich seine Knaben herbei, die zu solchem Werke schon tüchtig waren, und gebot ihnen, eilends alle Netze auszuwerfen und nach den Reusen zu sehen.

Als nun die Fische nach dem Angelus zurückzuströmen begannen und ihm die Netze schier barsten von dem unerhörten Fange, so daß er nur die größten und edelsten der Fisdie auslas und den minderen die Freiheit gab, da meinte er nicht anders, als daß der Herr in grenzenlosem Erbarmen an ihm ein Wunder habe tun wollen und sparte nicht mit Lob und frommem Dank.

Und fröhlicher denn sieben Paare junger Fischerbeine mit Körben und Bütten zwischen Stadt und Hütte hin- und wiederliefen, weil gerade Markttag war, sprangen dem Alten die blanken Batzen in die grämlichen Falten seines Beutels, bis ihm die Backen feist zum Platzen wurden. Als es zuletzt auch in den Taschen der Kinder schon lustig klimperte, und immer noch Fische in den Reusen zappelten, ließ er sie unter die Armen verteilen, auf daß auch sie zu einem Feste kämen.

So begegnete Franziskus, als er am Nachmittag etliche Kranke in der Stadt mit Trost und Zuspruch heimsuchte, auf Markt und Gassen zum andern Male dem feuchten Glänzen von Flossen und Schuppen, das wenige Stunden zuvor sein Herz so lebendig erfreut hatte. In seiner Arglosigkeit ahnte er nicht, wie alles zusammenhing, und wollte schon seine Stimme erheben, die Menschen zu Mitleid und Erbarmen mit den armen Geschöpfen aufzurufen. Da sab er, wie zwei Bettler frohlockend einander die geschenkten Fische wiesen, und eine unbekannte Bangnis tchnfirte ihm jählings die Kehle zu, daß er traurig davonschlich.

Als er nun gegen Abend betrübt und müde dem Walde zuschritt, wo die Brüder hausten, stieg ihm schon von weitem der Duft gebratener Fische in die Nase. Da überfiel ihn eine fürchterliche Angst und Unruhe und trieb ihn, daß er atemlos und -keuchend bei den Brüdern anlangte.

Die saßen mit geröteten Wangen schmausend um das Feuer und drehten und schmorten an hölzernen Spießen die prallen Fische, daß das Fett zischend in die Flammen troff, und ihre Augen glommen vor heimlicher Lust.

„Ihr Teufel!“ schrie Franziskus und sprang mitten unter die Erschrockenen, indem erjnit .bloßen Füßen Jas Feuer aastrat. „S:iul Fraß i und Völlerei in euern sündigen Leib gefahren?“

Und alle Gesichter waren mit einem Male erloschen und fahl und Schatten krochen allenthalben unter hageren Knochen hervor. Und ein junger Bruder trat aus dem Kreise und sprach mit zuckendem Munde: „Was schiltst du uns so hart, Franziskus? Gott hat zur Mittagsstunde ein Wunder an dem armen Fischer getan und ihm reiche Beute beschert. So schickte er aus Dankbarkeit seinen Knaben, uns an dem Segen des Himmels teilhaben zu lassen. Was zürnst du? Ist es denn Unrecht, zu nehmen, was Christus selbst den Jüngern einst nicht wehrte und womit er die Fünflausend speiste, als sie hungerten?“

Die Frage schnitt Franziskus ins Herz. Und da er sie nicht noch mehr verstören wollte, indem er ihnen seinen Zorn erklärte, bat er sie um Vergebung für seinen Hochmut und hieß sie das Mahl fortsetzen und ihn für diese Nacht nicht mehr erwarten.

Damit verließ er sie und trug den Aufruhr seines Innern in eine kleine Höhle, die hinter dichtem Dorngestrüpp verborgen lag und wo er oft zu beten pflegte. Dort warf er sich auf die Knie, schlug seine Brust mit Fäusten und haderte bitter:

„Wie konntest du es zulassen, o Gott, daß ich also deine Kreatur in Tod und Verderben lockte? Narr, der ich mich der kurzen Stunde des Friedens vermaß, der nicht von dieser

Welt ist, wo rings die Not schon lauert, Sin zu verschlingen! Gabst du nicht selbst die Not als Schwester uns des Lebens und läßt ans dennoch sträflich werden durch sie? Führt keine andere Demut uns zu dir als ewig nur die Dienstbarkeit der Schuld? Und grenzt die Wachsamkeit so nah an das Ver Säumnis,- daß wir, indem wir lieben, schon verraten? Rührt nicht der Wille freventlich ans Werk, wenn wider deine Ordnung er das Lamm ans Herz des Wolfes legt und arglos deinen Namen sich borgt, die Schöpfung aus eigner Sehnsucht zu vollenden? Vergib uns diese Liebe ohne Maß, und lehre uns Geduld,' dich zu erleiden und deine Güte und Strenge gerechtermaßen zu wägen im weisen Widerspruch.“

Während er so um Antwort rang, zog sich ein jähes Gewitter zusammen und in Blitz und Donnerschlag trat unbemerkt die reine Torheit herein, ihm beizustehen. Da lösten sich in seinen Augen die Tränen und wuschen in heißem Strome Not und Zweifel von seinem Herzen. Und draußen weinte der Himmel mit ihm und entlud seinen Unmut, in einem kurzen, rauschenden Regen, der allmählich in ein sanftes Rieseln überging.

Bald lockte der linde Duft der feuchten Erde Franziskus ins Freie und mit neuer Lust begann er in den tropfenden Abend hineinzugehen. Schon lichtete sich vor ihm der Wald und plötzlich stand er wieder am Flusse, über dem eben die letzten Strahlen der scheidenden Sonne aus dem Gewölk hervorbrachen. Ergriffen schaute er in den stillen Glanz. Von ferne, wo hinter silbernen Weiden verborgen, die Hütte des Fischers lag, kam Kinderlied im leisen Wind vielstimmig hergeweht und ernst und tröstlich begannen die Vesperglocken über die Wasser hin zu reden.

Hoch über seinem Haupte aber wölbte sich wie ein Tor des Friedens und der Versöhnung ein Regenbogen, wie er keinen noch erblickt hatte, und da er ihm mit den Augen nach seinem Ursprung hin folgte, sah er, daß seine Farben inmitten des Flusses in sieben gewaltigen Strahlen aus den Mäulern von sieben riesigen Fischen emporsprangen.

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