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DAS FEST DER JUGEND

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Bald darauf wurde der Erwin zwanzig Jahre alt. Um diese Zeit bedrückt es ihn, daß er die Lösung des Geheimnisses vom

Leben nicht gefunden hatte, und um sie zu finden, beugte er sich tiefer und ängstlicher über seine Vergangenheit. Da wurde ihm vieles'klar. Er bekannte, gefehlt zu haben, indem er das Wunder des Lebens in etwas anderem als wie im ganzen Leben selbst gesucht hatte, im Leben, das immer gleich wundervoll ist, weil es sich selber gleich bleibt, da es morgen sein wird, wie es gestern war, weil es ja heute nicht anders ist. Darum auch, weil jedem sein Leben das einzige Wunder war, konnte keiner dem andern eine Offenbarung darüber geben, noch von einem andern eine Offenbarung darüber erlangen. Er hatte das Geheimnis mit der Gewähr für dessen Lösung verwechselt, als er diese Lösung aus den Menschen erwartete. In ihnen lag das Geheimnis, oder es lag vielmehr darin, daß alle Menschen, unerkannt und andere nicht erkennend, fremd durch die Rüstung ihrer täglich sterbenden Schönheit, vom Leben in den Tod gehn. Jetzt bekamen -“iefnfe- Erinn^f^gerti-oWen gesteigerten Wert für ihn;1 sie waren . früher rührend .gewesen','“' jetzt ^wurden sie ihm erhaben und kostbar. Sie waren ja sein einziges Erbteil, sie“ waren sein Leben und dieses Leben war die Quelle der Schönheit; denn die Menschen, deren Erinnerung ihn bewegte, bewegten ihn nur, weil er an ihnen gelebt hatte, und es bewegten ihn ebenso die Häuser, auf die sein Fenster ging, oder die Straßen, durch die er geschritten war.

Trotzdem ergriffen ihn die Lippen, die Augen und die Haare vieler Menschen, denen er begegnete; aber er sprach nicht mit ihnen und war meistens allein. Denn es schien ihm die königliche Verschwendung des Daseins und die unsagbare Erhabenheit der Seele in solchen Begeg-

nungen zu liegen; es war wunderschön, daß der einsame Tod, welcher das Leben ist, uns nicht verhindern kann, eine fremde Schönheit, die wir nicht verstehen, die sich uns nicht enthüllt und uns nichts geben wird, nur weil sie schön ist, zu bewundern; es war wunderschön, daß wir, obwohl Menschen, dennoch Künstler sind, Künstler wiederum darin, daß wir nicht einmal klagen, wenn uns die Schönheit entgleitet, sondern sie grüßen und über sie jubeln, weil uns ein Schauspiel mehr wie unser Schicksal ist.

„Das Fest des Lebens“, sagte er; es war wirklich ein Fest, dessen erlesenste Vornehmheit darin bestand, daß es keinen Zuschauer hatte; jenen Festen des siebzehnten Jahrhunderts glich es, in dunklen Winternächten, zwischen Spiegeln und Lichtern, jenen Festen, die so groß und feierlich waren, daß man darüber die Freude vergaß; jenen Festen, auf denen man einander nur einmal begegnete und mit manieriert verflochtenen Fingerspitzen langsam umeinander drehte und lächelnd einander in die Augen schaute und dann mit einer tiefen bewundernden Verbeugung weiterglitt. Manchmal freilich schien ihm darin noch immer nicht der Sinn des Lebens zu sein, und er dachte an andere Feste, an das Ende anderer Feste, an die großen Feste der maßlosen Freude, die heilig ist wie der Schmerz, an die Feste Alexanders des Großen zu Persepolis und zu Babylon.

Einmal im August stieg er auf einen hohen Berg; er ging den ganzen Tag und als der Abend nahe war, kam er auf eine Alm: weil es schon spät war, mußte er dort übernachten. Sehr bald ging er hinauf in die Dachkammer über dem Heu, wickelte sich in seinen Mantel und schlief ein. Aber nach einer halben Stunde wachte er auf. Es war sehr heiß, er ging ans Fenster und Öffnete es. Auf einmal war ihm, als habe er unten Schritte gehört, und gleichzeitig überkam ihn der Wahnsinn des Erlebnisses, den die heißen Nächte bringen. Er stieg die Leiter hinunter und ging übers Heu. Dort schliefen Senner und Führer; man sah von ihnen nur die lichten Flecken der Taschentücher, die sie über das Gesicht gelegt hatten, nur manchmal wälzte sich einer von ihnen um oder seufzte oder stöhnte ein Wort; unten aber brüllte das Vieh stoßweise und schmerzlich und lief voll Angst umher. Im Freien schaute er sich um. Die ebene Wiese, auf der die Hütte lag, stieg in langsamen Wellen, gesättigt von der Schönheit der körperlosen Linie, in die Spitzen der Berge über; nur zwei Farben waren auf ihr, das Gras, welches fast gelb, und die Bäume, welche fast schwarz waren; aber ihr zartester Reiz lag darin, daß weder die Ebene gelb noch die Bäume schwarz waren, nur aus ihrem Verhältnis ahnte man ihre Farben. Der flache Himmel war üppig blau, seine vielen Sterne zitterten wie Steine, die aus ihrer Fassung brechen wollen, und wie ein kostbares Kunstwerk, nichts weiter, starrte zwischen ihnen die Mondsichel. Aber die Luftl Es war eine Luft, die man fühlt, eine körperliche Welt zwischen den Welten von Himmel und Erde, eine Luft wie die Gestalten der Morgenträume, die uns nicht berühren und durch die wir dennoch sündigen. Lange blieb er stehen und wartete, doch es kam niemand und so ging er hinauf und legte sich wieder hin.

. Im September sollte er zu seiner Mutter nach Italien reisen; vorher ging er noch für eine Woche nach Wien und das freute ihn nicht; dennoch war er grundlos und maßlos gerührt, als ihm am ersten Morgen in einer häßlichen Straße der siebziger Jahre eine Schar von Gymnasiasten begegnete. Am selben Abend stand, als er um die Ecke zweier Gassen ging, der Fremde vor ihm, mit dem er, im Frühling, sehnsüchtig nach Erkenntnis, gegangen war; der Fremde grüßte ihn demütig; sein Gesicht und seine Gebärden waren so verschieden voneinander und so geheimnisvoll wie bei der ersten Begegnung, aber er sah ärmlicher aus, und die scheue Ruhe in seinem Blick war drohender: Und im Erwin vermengte sich die erwartungsvolle Neugier, mit welcher er zuerst ihn ansprach, mit der seltsamen Angst, die ihn vor der Stadt den Fremden verlassen hieß. Als dieser dann an ihm vorübergegangen war, wurde diese Angst nur banger durch seine Erwartung und durch seine Neugier. Was war es, das die Menschen trotz ihres einsamen Lebens dennoch verband, worin lag dieses lockende und drohende Geheimnis im Leben, welche Gewalt hatte, Macht über ihn, und warum kannte er sie nicht? Linter dem Eindruck dieser Begegnung veränderte sich dem Erwin in der folgenden Zeit die Stadt; ihre Vielfältigkeit, die ihn früher bewegte, verwirrte ihn jetzt und drohte ihm. An einem sehr heißen Tag fürchtete er. sich vor der Musik, die in allen Straßen war; es schien ihm, als sei die Stadt damit wie mit einem trügerischen Gift durchtränkt, das einen schläfrig und wehrlos machen solle. Den anderen Tag erschreckten ihn die Augen der Menschen: alle waren zu leuchtend, zu groß, und zu weit offen, und alle richteten sich auf ihn. Nur einmal vor seiner Abreise wurde er stark ergriffen. Das war auf einer kleinen Station in der Nähe von Wien; durch den Bahnhof fuhr ein Zug, aus dessen Fenstern junge Burschen herausschauten, die einrückten; ihre blassen Gesichter glänzten und sie sangen und hatten lichtes Laub auf ihren blauen Deutschmeisterkappen.

Aul ..Dfls Fett der Jugend“, in Neuauflage erschienen im Schmldt-Deng-ler-Verlag. Graz. Mit Genehmigung des NaclUßßwalters.

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