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TAGANROG

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(7. Fortsetzung)

Den Fragen der Gattin, die wohl auf Iljas Wink das Zimmer betrat, wich Alexander aus, wie er ihr auch die beiden bestürzenden Vorfälle dieses Tages verschwieg. „Der großen Not", sagte er nur, „die sich seit langem anzeigte, kann ich nicht entrinnen; sie kommt von allen Seiten auf mich zu und wird mich auf jedem Wege wieder einholen. Wie dankbar bin ich dem Himmel, daß ich sie unter dem Dache auskämpfen soll, unter dem du lebst! Aber jetzt erst habe ich erfahren, auf welche furchtbare Weise das Geschick eines Volkes verbunden ist mit dem Seelengeschick seines Herrschers.“ Er bat sie um ihr Gebet und überließ sie der Gesellschaft Wolkonskys, der von den drohenden Gefahren mehr ahnen mochte, als er sagte „Ich fühle mitten im Glück etwas Furchtbares herankommen“, bemerkte die Zarin, sich auf Wolkonskys Arm lehnend, während sie durch den Garten schritten, dessen letzte schüchterne Blüten im Zwielicht hinwelkten; „aber ich fühle auch, wie Sie sich bereitmachen, es mit Alexander und mir zu tragen“. Indessen folgte der Zar mit einer gewissen Unschlüssigkeit einem Ansuchen Diebitschs, der um eine eingehende Besprechung gebeten hatte.

Der Wind trug vom Meere die Rufe eines Schiffes herüber, das vergeblich nach dem Hafen zu suchen schien; Fenster und Türen begannen zu zittern, während das Dunkel sich zusammenzog vor den Scheiben. Erschrocken gewahrte Diebitsch die Anzeichen einer fast krankhaften Erschöpfung auf den Zügen des Herrschers. Dennoch bestand der General darauf, daß die Regierung mit rascher, entschiedener Tatkraft zugreifen müsse, um die Verschwörung, die sich wie ein wucherndes Unkraut verbreitet hatte, samt ihren Wurzeln auszutilgen. Das Verhör Maiborodas hatte mehr Einblicke gewährt, als zu hoffen war; mit einer abgründigen Freude an der Zerstörung eines durch lange Jahre geförderten Unternehmens hatte der Hauptmann die geheimen Verbindungen ans Licht gezogen; doch war es deutlich zu merken, daß er seinen Enthüllungen Grenzen gesetzt hatte, die er nicht im mindesten überschritt. Aber auch das entschlossene Drängen Diebitschs vermochte Alexander nicht zur Tat zu bewegen. Wohl stimmte er zu, daß die Gouverneure Petersburgs und Moskaus zu äußerster Wachsamkeit anzuhalten seien; allein das Verfahren gegen die Beschuldigten wollte er noch nicht aufnehmen lassen. Vergeblich waren die Hinweise auf die Gefahr für Rußland, für die kaiserliche Familie, das Leben und den Wohlstand unzähliger Unschuldiger, auf geplante politische Unternehmungen, namentlich den Krieg mit den Türken, auf die Kostbarkeit der ablaufenden Zeit. „Ich müßte die Kraft finden, mit diesen Menschen zu sprechen; ich müßte stark genug sein, den Verschwörern entgegenzutreten und mit ihnen um ihre Seele zu ringen", erwiderte Alexander, immer wieder an die Stelle zurückkehrend, wo sein Widerstand sich eingewurzelt hatte. „Verstehen Sie denn nicht, daß solche Absichten nur auftauchen in einem kranken Volke? Sie sind die Symptome des Übels, das sehr tief sitzt. Mit Gefängnissen und Gerichten werden wir ihm nicht beikommen.“ — „Nein, aber sie sind die einzigen Mittel, den Schlag aufzuhalten, der uns treffen soll." Alexander blickte den General schwermütig an: „Diesen einen Schlag vielleicht, ja; aber doch nicht den nächsten oder den dritten.“ Er sprach flüsternd, wie vom Schauder eines Geheimnisses ergriffen: „Sie müssen doch auch fühlen, daß die Dämonen herein wollen in unser Leben, in unsere Geschichte. Sie haben eine Stelle gefunden, wo sie eindringen können. Eine Stelle ist krank.“ Diebitsch schien den Herrscher plötzlich zu verstehen: „Ich bitte Eure Majestät, sich diesen Gedanken nicht hinzugeben. Diese Gedanken sind vielleicht die einzige wirklich große Gefahr.“ In leidenschaftlich beschwörendem Ton fuhr er fort: „Lassen Sie den Thron nicht! Sie dürfen sich in Ihrem Innern nicht um einen Schritt von ihm entfernen, sonst geht die Kraft vom Throne nicht mehr aus, die wir alle brauchen, und auch die tüchtigsten unter Ihren Dienern werden schwach. Nehmen Sie täglich ohne Einschränkung den Thron in Anspruch, den Gott Ihnen gegeben hat." Aber gerade dieses Wort schien den Kaiser furchtbar zu treffen. „Sie sind ein sehr enger Freund des Generals Bennigsen und des Grafen Pahlen; Sie dürften mit Dr. Wylie über mancherlei Dinge gesprochen haben. Es müßte Ihnen klar sein, welch ein Frevel in Ihren Worten liegt. Der Thron wurde mir nicht gegeben, er wurde genommen.“ — „Wie können Eure Majestät an der Fügung zweifeln, die Sie auf den Thron rief?" fragte der General bestürzt „Es war keine Fügung, es war Gewalt. Als man mich auf den Thron rief, wurde mein Gewissen verletzt. Das ist die kranke Stelle, von der ich vorhin sprach. In einem tieferen Sinne ist alles, was seither geschah, vergeblich gewesen.“ Alexander sprach diese Worte sehr ruhig, wie von einem inneren Lichte berührt. „Eure Majestät haben keinen treueren Diener als Bennigsen und Pahlen. Niemand hat mehr für Rußland und — für Sie geopfert." — „Von Opfern müssen wir uns hüten zu sprechen; wir folgen einem Zwang oder einem Verlangen, die über uns hinauswachsen, und nennen das Opfer. Aber Opfer wäre doch nur das, was wir für Christus tun. Denn Er allein steht außen — all das andere ist vielleicht in uns selbst." — „Ich muß Eurer Majestät sagen, daß ich bewundere, was Bennnigsen und Pahlen getan haben." — „Vielleicht müssen Sie das sagen, weil Sie Bennigsens Freund sind. Aber Sie sollten sich doch in acht nehmen vor diesem Müssen, Sie können sonst mitschuldig werden. War denn das, was damals geschah, recht?" Alexander stellte diese Frage in leidenschaftlicher Spannung. „Es mußte sein", erwiderte Diebitsch, schwer aufatmend; „unter der Regierung Ihres kaiserlichen Vaters drohte Rußland der Untergang." Alexander ergriff Diebitschs Arm: „Wissen Sie das? Sind Sie Gott? Oder sind Sie ermächtigt, das Amt der Vorsehung zu verwalten? Und wenn es, wie Sie mit einem gewissen Pathos sagen, der ,Untergang gewesen wäre, wissen Sie denn, was dieser Untergang bedeutet hätte für Gottes Reich? Die Vorzeichen setzen nicht wir, die werden von oben gesetzt. Wir kennen den Wert der Ereignisse nicht; nur das, was wir im Augenblick tun sollen, das wissen wir. Es ist immer genau so viel Raum um uns, daß wir uns entschließen können — nicht vor der Zukunft, die wir. nicht kennen, sondern . vor Gott." Diese Worte drohten Diebitschs Festigkeit zu erschüttern; sobald aber sein Blick die Papiere streifte, die sich auf die Verschwörung bezogen, faßte er sich: „Jetzt ist wieder ein solcher Augenblick; auch jetzt sieht Gott auf uns.“ Alexander hob die Hand in das Licht der Lampe: „Ja; und wir können diesen Augenblick nur von jenem früheren her verstehen. Aber sehen Sie, diese Hand kann über Tod und Leben nicht mehr entscheiden; sie darf es nicht mehr; sie hat dieses Recht verwirkt." Diebitsch erbebte: „Ich bitte um ein Wort, um einen Befehl; nicht für mich — für Rußland, für Ihr Haus, für alles, was Ihnen und uns teuer ist!“ Alexander stand auf: „Nein; als Bennigsen jene grauenvolle Tat vollbrachte, die Sie bewundern, und meinen Vater ermorden ließ, da wurde ich zerbrochen. Es ist fünfundzwanzig Jahre her; heute sehen Sie, daß ich zerbrochen bin." — „Aber es muß doch etwas geschehen. Sie selbst sprachen von den dunklen Gewalten, die Rußland bedrohen. Sollen die herrschen?" — „Um Ihnen zu antworten, bedürfte ich einer Gewißheit, die ich noch nicht habe. Meinen Sie, mein Herz sei nicht mit den Dingen verwachsen, von denen es sich lösen will? Vielleicht sind wir der Stelle ganz nah, wo das Licht uns wieder erreicht. Aber ohne dieses Licht werde ich Ihnen keine Antwort geben.“ Der Zar hatte seine Haltung zurückgewonnen. So verließ er das Zimmer, in dem Diebitsch den Rest der Nacht in qualvoller Unruhe verbrachte.

Wenige Stunden nach der Unterredung mit Diebitsch, noch ehe es Tag wurde, fuhr Alexander in einem leichten, vielspännigen Wagen in westlicher Richtung am Meere hin. Das rastlose, dumpfe Aufschlagen der Hufe, das Fliegen der Mähnen und die leichten Schreie der Läufer, die auf den Pferden saßen, rührten kaum an die erhabene Ruhe der Nacht, die lautlos über dem dahinschießenden Wagen stand. Als die Wolken auseinandertraten, blinkte ein Komet von dem dunklen Himmer nieder; der Zar richtete sich auf und rührte an Iljas Schulter: „Siehst du den Irrstern? Das bedeutet Kummer und Unglück." — „Gottes Wille geschehe“, erwiderte Ilja, ohne sich umzuwenden. — Überraschend, mit den Anzeichen jener Rastlosigkeit, die den Ver trauten bekannt war, erschien der Zar in den Städten der Krim, da und dort als Herrscher sich zeigend und eine neue Hafenanlage, den Bau einer Kaserne oder einer Straße prüfend oder als Gast auf einem der prächtigen fürstlichen Felsenschlösser der südlichen Küste kurz verweilend; er sah dann in den Lichterglanz der Säle und den bunten Schimmer der heraufduftenden Gärten oder über das von grell verzucken- den Feuern erleuchtete Meer mit dem Ausdruck tiefer, gefaßter Schwermut, als habe er dies alles einmal besessen und den Verlust doch schon überwunden. Oft auch, im eiligen Weiterreiten, schien er wie betäubt vom Anblick fremdartiger Städte, die unter ungeheuren Massen würfelförmiger Felsen sich in engen Tälern bargen; er konnte halten zwischen den spitzen Hügeln von Wassermelonen, die auf den Plätzen aufgetürmt waren, und wie gebannt über das Gewimmel der schweren Karren schauen, die mit knirschenden, kreischenden Achsen sich vorüberquälten, während die Händler in ihren bunten Kleidern durcheinanderschrien und da und dort sogar die Frauen wagten, hinter den halboffenen Türen und Fenstern hervorzublicken. Noch einmal, in Sebastopol, hielt er eine Parade über die dort zusammengeballten Streitkräfte; in tiefer Nacht eilte er von der Kathedrale, wo er lange gebetet hatte, an den von Fackeln erleuchteten Strand; dann stob im grellen, bewegten Licht die Heeresmacht an ihm vorüber unter wildmelancholischen, fremdartigen Weisen, indessen ein Gewirre von Lichtern über das Meer zog. Aber er faßte plötzlich den Arm des neben ihm haltenden Generals und fragte diesen, warum er so viele Kranke dienen lasse; in jedem Glied sehe er Männer mit entzündeten oder erloschenen Augen. Dies sei, erwiderte der General verlegen, die Folge der befohlenen Hafenarbeiten; seitdem die Kalkfelsen abgetragen würden, bilde sich ein Staub, der die Augen der arbeitenden Soldaten zerstöre. Alexander erwiderte nichts; er brach die Truppenschau unvermittelt ab und sprengte, der Volksmenge ausweichend, auf einem Umwege in die Stadt zurück, die er bald darauf verließ.

An einem ungewöhnlich heißen Tage ritt er,- nur von Ilja und einem Tataren, der ihnen den Weg zeigte, begleitet, von Balaklava zu dem alten Felsenkloster St. Georgs hinauf. Spät erreichte er die kahle Höhe, von deren Klippen zerbrochene Türme auf das Meer und die am Eingang der Bucht tanzenden Boote und Zweimaster niederstarrten. Die Luft stand klar über der Weite. Obwohl der Tatar ihn warnte vor dem aufspringenden Ostwind, verließ er das Kloster erst spät, als der Wind ihnen schon heftig entgegenblies; er hüllte sich in den Mantel, warf diesen aber gleich wieder Ilja zu im Gefühl unerträglicher Hitze; doch bestand er auf seinem Vorsatz, in der Stadt ein Militärspital zu besuchen, das er vor kurzem hatte einrichten lassen. Er hatte den Saal durchschritten bis zu einer kahlen Kammer, in der ein Sterbender lag; es sei, bedeutete ihm der Arzt auf seine Frage, ein Invalide, der vor etwa fünfundzwanzig Jahren im Preobrashenskischen Regiment zu Petersburg Dienst getan habe. Während der Arzt am Fußende des Bettes stehen blieb, beugte sich der Zar über den Sterbenden; vielleicht wollte er in dem schon verwandelten Antlitz die Spur einer Erinnerung wieder entdecken. „Erkennst du mich?" fragte er nun, an das Ohr des Sterbenden gebeugt. Dieser sah ihn lange an; dann schoß ein furchtbarer Blitz aus seinen Augen: „Wie sollte ich den Zaren nicht kennen, der seinen Vater ermordet hat!" erwiderte er mit lauter Stimme. Der hinzueilende Arzt sprach verwirrt von den entsetzlichen Träumen, von denen der Kranke seit längerer Zeit heimgesucht werde. Alexander blieb stumm; wie ein Verwundeter schleppte er sich zum Wagen, die unverzügliche Heimreise nach Taganrog anordnend.

Die Ungeduld des Reisenden stieg mit einem jeden Tage; Ortschaften und Blicke, die ihn auf der Herreise erfreut hatten, erregten keine Aufmerksamkeit mehr; das Fieber kehrte mit heftigen Anfällen zurück, doch endete der Versuch, in einer der größeren Seestädte einen Rasttag einzuschalten, mit einem furchtbaren Weinkrampf. Vielleicht war der Zar der Einsamkeit des Gastzimmers, vor dem das fahl gewordene Meer sich dehnte, nicht mehr gewachsen. Indessen kündigte der Winter sich an; die Straße wurde hart, und mehr als einmal geriet der Wagen, den die übermüdeten Kutscher und Läufer nicht mehrsicher führten, an den hartgefrorenen Rinnen und Schollen ins Schleudern. Ilja wagte seinen Herrn um ein wenig Geduld zu bitten, aber der Zar wies ihn unwillig ab. Sobald ein Fuhrwerk in der Ferne auftauchte, setzte ein Jagen und Treiben ein, bis es überholt war. Als auf einer von der Landseite schräg einmündenden Straße in entgegengesetzter Richtung ein Sechsspänner erschien — cs konnte ein Kurier sein, der von der Hauptstadt de Gouvernements nach der Krim eilte —, wollte der kaiserliche Wagen die Straßenkreuzung vor dem Kurier passieren; aber dieser, der nicht ahnen konnte, mit wem er in Wettlauf eintrat, ließ seine Pferde nur um so heftiger antreiben. So flogen die beiden Gefährte mit gleicher Geschwindigkeit auf die Straßenkreuzung zu. Der kaiserliche Wagen schoß eben vorüber, da drohten die fremden Pferde den kaiserlichen in die Flanke zu rasen; und wie nun die Lenker versuchten, den Wagen des Zaren herumzuwerfen, stießen die Räder gegen einen hartgefrorenen Erdwall, so daß Ilja von seinem hohen Sitze gegen einen Findlingsblock geschleudert wurde, der an der Straße lag. Während das Gefährt des Kuriers davonstob, eilte der Zar zu dem Verunglückten zurück. Dieser lag, mit einem schmalen Blutstreifen auf den bärtigen Lippen, wie hingebettet unter dem Steine; sein Atem, sein Herz waren still geworden. Der Zar kniete nieder und legte das blutende Haupt in seinen Schoß; er strich über die üppigen, dunklen Haare, als könne er noch Schmerzen beschwichtigen oder Geschehenes wieder gutmachen. Keiner der Diener, die barhäuptig an der Straße standen, wagte ihn anzureden. Erst schien er zu beten, dann in tiefes Nachdenken zu versinken, währenddessen seine Blicke weit hinaus über das Meer schweiften. Die Erschütterung wich dem Ausdruck einer sonderbaren, befreienden Gelassenheit; er ließ den Toten mit einem Tuche bedecken und in den Wagen tragen, dann ordnete er die Weiterfahrt an; der Kutscher sollte sich so einrichten, daß sie zur Nachtzeit in Taganrog anlangten.

Das Haus lag in tiefem Dunkel. Der Zar befahl, den Toten im Wagen zu lassen, und öffnete vorsichtig die Tür. Alles wär unverändert; vor Sophiens Bild standen frische Blumen; auf dem Tische lag kein Blatt, das ihn an seine Pflichten hätte erinnern können. Aber in Diebitschs Zimmer, das er für einen Augenblick betrat, waren die Akten aufgehäuft; von Grauen, Müdigkeit und Ekel befallen, zog er sich zurück. Nun brach das Fieber wieder durch; die Bilder der Reise umdrängten das Bild des Toten, bis dieses immer mächtiger wurde. Ein wunderbarer Ausdruck von Güte umspielte die bleichen Lippen Iljas; es war, als ob er seinen einstigen Herrn an die Brust nehmen wollte, wie es der Alte in den Wäldern getan, um ihm tiefen Schlaf und Frieden zu schenken: eine Art von Güte und Barmherzigkeit teilte sich dem Schlafenden mit, die vielleicht mächtiger war als alles, was er im Leben erfahren. Als das große Bild im schwachen Licht eines wolkenschweren winterlichen Tages zerrann, saß die Zarin am Bett des Kranken; sie berichtete, daß der General Diebitsch schon zweimal gebeten habe, vorgelassen zu werden. Wie Alexander es nach traumschweren Nächten zu tun gewohnt war, versetzte er sich mit einer heftigen Willensanspannung in den Zustand vollkommenen Wachseins: „Nein, ich kann und will ihn nicht sprechen;' er darf auf keinen Fall vorgelassen werden", sagte er heftig, dann lehnte er sich zurück und verharrte lange Zeit schweigend, der Gattin zusehend, die an ihre Mutter in ihre ferne Heimat schrieb Nur der Gang der Uhr war durch das Brausen des Windes und das Tosen des Meeres zu vernehmen. „Welch ein Glück!“ sagte er leise. „Und wie lange haben wir darauf gewartet!“ Er schwieg wieder; seine Blicke hingen an dem auf das Blatt geneigten Antlitz der Gattin, dessen vom Leid gezeichnete Züge von leiser Freude überhaucht waren. Plötzlich ergriff er ihre Hand: „Ich habe dir ein großes Glück zu danken, und doch ruht dieses Glück auf einer Lüge; aber die Stunde ist gekommen, wo ich diese Lüge nicht mehr verheimlichen kann.“ Sie sah ihn erschrok- ken an; dann schüttelte sie lächelnd das Haupt: „Nein, Alexander, das kann keine Lüge sein; ich spüre doch deinen Herzschlag und den Frieden deiner Seele.“

(Fortsetzung folgt)

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