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Menschen, die einander nicht verstehen

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Ich stand an der Straße. Nicht ganz freiwillig, aber auch nicht gerade gezwungenermaßen. Aber Eisenbahnzüge waren in Algerien meistens mit Militär überfüllt und der Autobusverkehr war größtenteils eingestellt. Auio-stop — es schien mir die beste Möglichkeit zu sein, durch das Land zu kommen. Privatfahrzeuge waren zwar auch selten geworden, dafür rollten endlose Militärkolonnen an mir vorüber. Oft waren es Soldaten, die sich meiner erbarmten und mich mitnahmen.

Sieben Tage war ich in Algerien. Sieben kurze, bescheidene Tagel Und das war noch viel, denn das französische Konsulat in Tanger hatte mir nur ein 4 8 stündiges Visum erteilt. Selbst dieses Visum hatte ich erst nach hartem Kampfe erhalten. Nun aber sollte es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht ankommen, dachte ich.

Sieben Tage waren zuwenig, um vom wirklichen Kampfgeschehen viel zu sehen. Nicht, daß ich großen Appetit darauf gehabt hätte. Im Gegenteil: ich hatte nicht die Absicht, in Algerien meine Haut zu Markte zu tragen. Aber ich wäre doch ganz gerne den französischen Truppen auf einen ihrer Operationszüge gefolgt. Oder, noch besser: ich hätte gerne in die Lager der Rebellen vordringen wollen. Keine Ahnung, ob und wie es mir gelungen wäre. Die französischen Behörden hatten von vornherein einen dicken Strich durch meine Rechnung gemacht.

Dröhnende Explosionen und grausige Ueber-falle blieben mir erspart, sporadisches Gewehrfeuer war das einzige, das hin und wieder wie ein Bote des unseligen Krieges an mein Ohr hallte. Aber ich sah in die Gesichter der Menschen und wußte, daß dies nicht alles war, was den algerischen Krieg zu einem furchtbaren menschlichen Drama machte und ihn Tag für Tag die Schlagzeilen der Weltpresse erobern ließ.

Diese Gesichter redeten eine deutlichere Sprache, als der lauteste Kanonendonner es vermocht hätte. Ob Araber oder Europäer, in den Mienen stand viel zu lesen: Haß, Angst, ohnmächtige Wut, tiefe Entschlossenheit, Feindschaft und Arroganz. Das Lachen schien überall erstarrt zu einer Fratze oder einem heiseren Gröhlen. Nie hatte ich ein Land gesehen, dessen Menschen so ernst und so hilflos, so scheinbar gleichgültig, beinahe apathisch, und doch so verbittert und in dieser Verbitterung scheinbar zu allem entschlossen ausgesehen hatten. Der Alpdruck des Krieges, der einmal da, einmal dort wie ein Gespenst auftauchte, überall und nirgends war, lag wie ein dunkler Schatten über jedem Bewohner dieses sonst so sonnigen, heiteren Landes,

Sieben Tage waren genug, um zumindest am Rande des Geschehens dabei zu sein, Das ist oft viel aufschlußreicher als das eigentliche Geschehen selbst, Bomben explodieren und Gewehre knattern überall auf die gleiche Art und Weise, der Krieg ist überall gleich furchtbar und schmutzig, Aber der Mensch, teils außerhalb des eigentlichen Geschehens, teils fest darin verwickelt, zeigt tausenderlei Gesichter. Ob er betet oder flucht, hofft oder fürchtet, in ihm spiegelt sich das Unglück, das sein Land befallen hat. So ist es auch in Algerien!

Auf dem Wege nach Orleansville war ei spät geworden. leh hatte lange auf eine Möglichkeit gewartet, weiterzukommen, aber selbst auf Algeriens Straße Nr, l war der Verkehr an diesem Nachmittag spärlich, Da kam ein alte Lastauto angerattert und hielt an Zwei Araber, in ihre Burnusse eingehüllt, saßen in der Führerkabine Sie nahmen mich mit. Ich wollte mich mit ihnen unterhalten, aber sie schwiegen hartnäckig,

Bei einem Kaffeehaus am Wege machten sie Halt. Mit einer entsprechenden Geste luden sie mich zu einer kleinen Erfrischung ein. Wir traten ein. An den Tischen saßen Europäer. Sie starrten mich mit weitaufgerissenen Augen an, einige waren vor Ueberraschung aufgesprungen. Ein Europäer mit zwei Arabern allein unterwegs: das hatte man anscheinend noch nie erlebt!

Der Krieg hatte alle Brücken zwischen den beiden Rassen zerschlagen, bloß Mißtrauen und Feindseligkeit standen auf der Tagesordnung. In Orleansville kletterte ich aus dem Wagen der beiden Araber. Sie drückten mir stumm die Hand. Ich glaube, sie wollten sich für mein Vertrauen bedanken.

Ich lief einen Tag lang durch Algier, über die breiten Boulevards, durch das Hafenviertel, in die engen Gassen der „verbotenen“ Altstadt. Ich begegnete feindseligen Blicken ebenso wie zutraulichen arabischen Studenten, von Seiten der Franzosen Warnungen und Kopfschütteln Ich war beinahe enttäuscht, daß gar nichts passierte.

Das malerische, farbenprächtige orientalische Leben und Treiben schlug mich in seinen Bann,ich vergaß den Krieg. Verschleierte Frauen huschten an mir vorbei, nackte Kinder liefen mir schreiend nach, ein alter Araber bot mir seine Wasserpfeife an. Ich tat genießerisch einen Zug, während seine Sulaimana köstlichen Tee hervorzauberte.

In einem Autobus ein rührendes Bild: Ein junger Mann und seine verschleierte Braut waren für ein paar Augenblicke außer mir die einzigen Passagiere. Er blickte mich verstohlen an, ich sah zum Fenster hinaus. Da wagte er es! Schnell hob er den Schleier und drückte einen herzhaften Kuß auf den darunter verborgenen Mund. Noch einen und noch einen ... Das Lachen echten, stillen Glücks klang unterdrückt hinter dem Schleier hervor.

In einem anderen Stadtteil von Algier. Ich saß im Cafe de l'Europe. Es war nichts weiter als eine kleine Straßenkneipe. Plötzlich peitschten Schüsse durch eine Nebengasse. Markerschütternde Schreie übertönten für einen Augenblick das Verkehrsgetöse. Am Ausgang der Straße konnte man Soldaten laufen sehen. Dann war der Spuk wieder verflogen. Der Verkehr, für ein paar Sekunden ins Stocken geraten, kehrte in seine normalen Bahnen zurück.

Ein Franzose neben mir war erregt aufgesprungen. Nun ließ er sich wieder schwer in den Sessel fallen. Er wandte sich mir zu. Sein Gesicht war glühend rot, er blickte mich verstört an. Dann begann er plötzlich zu sprechen, leidenschaftlich, aber bestimmt:

„Die Araber nennen es den .heiligen Krieg', drüben in Europa glaubt man, es sei ein Kampf gegen die Franzosen. Haha, daß ich nicht lache! Es ist etwas ganz anderes! Wissen Sie, was es ist?“ Er sah mich an, als erwarte er von mir, ich sollte seine Gedanken lesen. Da ich aber nichts sagte, fuhr er mit heiserer Stimme fort:

„Wissen Sie es nicht? Es ist der dritte Weltkrieg oder zumindest das, was man einmal so nennen wird! Rußland gegen Amerika! Die Amerikaner beherrschen doch eigentlich Nordafrika, oder? Und die Russen unterstützen doch die Aufständischen, schicken Waffen und Propagandisten!“ Er griff zum Glase, das vor ihm stand und goß sich gierig den Wein in die Gurgel. Jeder Franzose liebt den Wein und politische Gespräche; letztere besonders, wenn sie negativ und pessimistisch sind.

Constantine glich einem Heerlager. Mächtige französische Einheiten waren hier konzentriert. Auf einem abendlichen Spaziergang lief ich in die Hände eines katholischen Priesters. Er war Russe, die Kommunisten hatten ihn aus seiner Heimat vertrieben. Nun war er in Algerien gelandet und betreute eine kleine Pfarre, etwa 100 Kilometer östlich von Constantine.

„Wollen Sie mitkommen, ich fahre heute noch hin“, lud er mich ein.

„Heute noch? Aber ich dachte, ab 18 Uhr sind alle Straßen gesperrt?“

„Sind sie, sind sie! Aber Priester und Aerzte sind Ausnahmen!“

Er besaß einen ganz kleinen Wagen. Es war finstere Nacht, als wir losfuhren. Die Straße war leer, kein Auto, kein Mensch, nicht einmal Militär. Nur an der Stadtausfahrt waren wir kontrolliert worden. Der Scheinwerfer schien uns nun den Weg zu bahnen. Ob wohl irgendwo Gefahr am Wege lauerte? Der Priester hatte seinen Fuß pausenlos auf dem Gashebel.

„Warum fahren Sie eigentlich bei Nacht?“ fragte ich ihn. „Muß das sein?“

„Haben Sie etwa Angst?“ spottete er.

„Nein, bei Gott nicht, ich meinte nur so ... I“ verteidigte ich mich.

„Sehen Sie, tagsüber ist die Straße voll von Militär. Wenn ich aber meine Lieblingsgeschwindigkeit fahren will, brauche ich dazu eine leere Straße!“

Immerhin jemand, der noch Humor hatte. Es tat wohl in diesem Lande, das verlernt hatte, fröhlich zu sein.

Nächsten Tag verging allerdings auch mir das Lachen wieder. Die Rebellen hatten vor zwei Tagen ein Auto überfallen, vier franzosenfreundliche Araber waren die Opfer gewesen. Im kleinen Pfarrort des russische Prfester's fand das Begräbnis statt.

Die französischen Behörden hatten es zu einem politischen Schauspiel gemacht. Militär war anwesend, Soldaten, die Hälfte Neger aus Französisch-Zentralafrika, standen strammes Spalier, Trauerfanfaren ertönten, geschwollene Reden wurden gehalten. Nicht genug damit, daß vier Menschen tot waren... I Der Leichenzug bewegte sich zum Friedhof. Araber, in bunten, halb europäischen, halb orientalischen Gewändern, folgten. Ich sah keine Tränen, aber lauter steinharte Gesichterl

Um nach Bone zu gelangen, mußte ich doch in den Zug. Die Waggons waren schwer gepanzert. Wie es zu erwarten gewesen war, fuhren kaum Zivilisten. Um 1 Uhr lief der Zug im Hauptbahnhof von Bone ein.

Zur gleichen Zeit trat in der Stadt der Ausnahmezustand in Kraft. Jeder, der nach dieser Zeit auf der Straße angetroffen wurde, wurde sofort verhaftet. Ich hatte noch, Einlaß begehrend, an einem Hotel geklingelt. Es öffnete aber niemand mehr. Statt dessen kam ein großer Hund mit wildem Fauchen in den Vorhof gesprungen.

Ich begab mich zur Polizeistation. Eine harte Bank wurde mein letztes Nachtlager in Algerien, Die Polizei hatte ein enges Bewachungsnetz über die Stadt gezogen. Ein Offizier erklärte es mir eingehend. Pausenlos waren Dienstautos unterwegs, das Heulen ihrer Sirenen war der einzige Lärm, der die näehtliche Stille durchriß.

An den Ausgängen der Stadt waren Sandsäcke aufgestellt. Dahinter lagen Soldaten, das Gewehr im Anschlag, und spähten unausgesetzt hinaus in die Finsternis. In der Stadt konnte nicht viel passieren. Draußen aber ging das blutige Handwerk weiter.

Auf einsamen Höfen zitterten reiche französische Großgrundbesitzer ebenso wie arme Fellachen in dürftigen Hütten und schmutzigen Dörfern. Im Grunde zitterten sie voreinander. Die Menschen waren in zwei Parteien geteilt und standen sich in bitterem Haß gegenüber. Und aus dem Dunkel der Nacht knatterte ein Gewehr, dröhnte eine Bombe, gellte ein grausiger Schrei. Mensehen lieferten sieh ein todbringendes Gefecht, irgendwo stieg Feuer zum Himmel. Der Krieg fegte wieder über das Land, inbarmherzig und sinnlos.

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