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Romische Bilder 1944

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In Perugia lag feuchter, salziger Schnee.

Der Himmel über dem Tal des jungen Tiber war grauverhangen und die Autostraße war naß bis kurz vor Rom. Am Forum Mussolini standen Drahtverhaue und Sandsackbarrlkaden, dahinter „PAI.“ (Afrikapolizei) mit Tropenhelmen und Maschinenpistolen. In den Straßen war es schwarz von Menschen: Epiphanias 1944, Dreikönigstag im fünften Kriegsjahr! An der Porta Pin-ciana, am Beginn der Via Veneto, blühten die Mimosenbäume. Weiße Holzgitter schlössen die breite Straße ab, Afrikapolizisten und deutsche Feldgendarmen hielten alle Fahrzeuge auf: in den Hotels der Via Veneto wohnte die deutsche Generalität, hier durften nur Fußgänger vorbei!

Das Jahr 1944 hatte eben begonnen. Knappe sechs Monate zuvor hatte das italienische Volk seinen „Duce“ gestürzt, im September aber hatte ihn die deutsche Wehrmacht vom Gran Sasso geholt und nun saß er am Garda-see und versuchte seine einstige Rolle zu erneuern, mehr schlecht als recht. Der Krieg in Afrika war zu Ende. Rommel, der „Held von Tobruk“, war eben dabei, aus Oberitalien nach Frankreich umzuziehen. In Rußland waren alle deutschen Linien überrannt und die Rote Armee kämpfte an der Weichsel. Immer schwerer, immer pausenloser wurden die Bombenangriffe auf die deutschen Rüstungszentren....

Das war 1944. Nach sieben Jahren sah ich damals Rom wieder. Auf den ersten Blick hatte sich wenig verändert. Feiertagsvolle Straßen in der Innenstadt, viel Publikum bei den Rennen, reger Verkehr auf der Via Flaminia, lachende Kinder und schwatzende Frauen in der Villa Borghese, gedrängt voll die kleinen Bars und bunt wie immer die Blumenstände an der Piazza d'Espagna. Doch das war die Fassade. Dahinter sah es anders aus: in den Wohnungen froren die Menschen, denn es gab nichts zu heizen. Die Kinder hatten Hunger, denn es gab nur 100 Gramm Brot am Tage. Es gab kein Gas und es gab oft keinen Strom, also auch kein warmes Essen. Vor den Latterien, den Milchgeschäften, standen die Frauen schon im Dunkel der Nacht, um ein paar Tropfen Milch für die Kinder zu bekommen. Um 6 Uhr abends, eine Zeitlang sogar um 5 Uhr, war „Coprifuoco“, Sperrstunde für alle Zivilisten. Die Kinos und Theaters, einschließlich der Oper, begannen um 2 Uhr nachmittags oder noch früher ihre Vorstellungen.

Sobald es dunkel war — und es war sehr dunkel, weil man Luftangriffe befürchtete —, knallten da und dort in der Stadt die Schüsse. Einzelne und ganze Salven. Handgranaten krachten, Polizeiautos rasten durch die Straßen, Streifen an jeder Ecke, die mit rotem Licht und schußfertigen Maschinenpistolen alle Fahrzeuge anhielten, aber auf den Zuruf „Siamo tedeschi“ („Wir sind Deutsche“) bereitwillig die Bahn freigaben. •

Das war Rom 1944!

Italien hatte zweimal gejubelt und gehofft: als im Juli der „Duce“ zurücktrat und als im September der „Waffenstillstand“ verkündet wurde. Beide Male hatte man gehofft, dieser schreckliche Krieg, der allen unverständlich erscheinen mußte, sei nun endlich zu Ende. Nun aber ging er weiter, aber nicht mehr Italien führte ihn, sondern die Deutschen. Sie zwangen die Italiener zum Kämpfen und zum „Ausharren“. Ganz Süditalien war schon ein Trümmerhaufen, kein Eisenbahnzug kam mehr von Florenz herunter, Viterbo und Orvieto, jedem Kunstfreund ein Inbegriff von Schönheit und Kostbarkeit, waren Ruinen und Schutthaufen, in denen nur mehr ein paar Dutzende verschreckter Menschen lebten. Irgendwo in Norditalien, für die Römer und Süditaliener ohnehin stets ein vager und oft auch mißliebiger Begriff, saß eine „Regierung“, und hier in den Palästen des Regierungsviertels gab es nur ein paar höhere Beamte, die sich vergeblich bemühten, telephonische Anweisungen durchzubekommen, die ihnen j* doch nichts genützt hätten, weil hier nur mehr Kesselring diktierte und sein Verwaltungsstab Politik machte. Man konnte in der Stadt noch telephonieren, aber jedermann wußte, daß mitgehört wurde. Der deutsche Geheimdienst, dessen Zentralstelle in der Via Tasso sich bereits trauriger Berühmtheit erfreute, hörte bei den Italienern mit, una die Partisanen horchten die Gespräche der deutschen Offiziere und Dienststellen ab.

Am 22. Jänner 1944 war ganz Rom auf den Beinen: in der Nacht waren die Engländer und Amerikaner bei Anzio und Nettuno gelandet. Niemand hatte sie daran gehindert und allei wunderte sich, warum ihre Panzer noch nicht durch Rom fuhren. Auf der „Ostiense“, der schnurgeraden Asphaltautobahn, die von der Porta Ostiense, dort wo die Cestuspyramide steht, bis ans Meer führt, gab es zwar drei oder vier Betonmauern, die eine halbe Fahrbahn sperrten, doch nicht einmal dort stand an diesem Morgen ein deutscher Soldat oder ein deutsches Maschinengewehr! Hochbepackte Autos fuhren auf die Via Cassia und die Via Flaminia hinaus: Die faschistischen Zeitungsdirektoren, Rundfunkleute und Unterstaatssekretäre, die Herren vom Stab Graziani und sonst „Belastete“ traten die Fahrt nach Florenz an. Aber sie mußten nochmals umkehren! Die Alliierten führten in aller Ruhe Verstärkungen an den Strand von Nettuno, und ein paar Tage darauf war ein deutsches Armeekorps aus Oberitalien unterwegs. Die Schlacht um Aprilia und Littoria begann....

Der Himmel über Rom war motoren-durchbrummt. Schon im schimmernden Frühlicht des jungen Morgens waren die Tiefflieger zu sehen und erst, wenn das Abendrot hinter der Kuppel von St. Peter verglomm, verschwanden die letzten Jäger der Alliierten. Tag für Tag brannten auf der Via Tiburtina und auf der Nomentana, auf der Via Appia und auf der Via Cassia die Benzinautos. Die Vorortebahnhöfe waren restlos zerstört, die elektrische Bahn nach Frascati war lahmgelegt wie die nach Perugia, und ganze Familien saßen tagsüber vor den Höhlen des Monte Parioli oder standen vor der Engelsburg, wo sie sich vor Luftangriffen sicher fühlten. Auch die verzweifeltsten Anstrengungen der deutschen Propaganda konnten keinem Römer einreden, daß die anglo-amerikanischen Flugzeuge absichtlich nur Kirchen, Klöster und Spitäler angriffen. Auch als am 15. Februar das Kloster von Montecassino zerstört wurde, blieb die Bevölkerung skeptisch. Bald darauf wurden die Vertreter der ausländischen Presse — es waren das einige Schweizer Journalisten, ein Japaner und ein Portugiese, ein Schwede und ein paar Vertreter besetzter Länder, wie Slowakei, Rumänien und Ungarn — in die Villa Bonaparta in der Via Piave gebeten, wo der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Freiherr von Weizsäcker, saß. Aber nicht er hatte sie eingeladen, sondern die deutsche Wehrmacht hatte auf direkten Befehl aus Berlin die Sache arrangiert: Der neunzigjährige Abt des Klosters Montecassino war nach Rom gebracht worden und nun sollte das propagandistisch „ausgewertet“ werden. Die Legationsräte Weizsäckers waren bestürzt und verlegen. Der Abt schwieg und die Journalisten, die nur mühsam ein spöttisches Lächeln unterdrücken konnten, gingen wieder nach Hause.

12, März 1944. Zum fünften Jahrestag seiner Krönung sprach der Heilige Vater vom Balkon der Peterskirche zu der dichtgedrängten, auf einen nahen Frieden hoffenden Menge. Nicht im großen Ornat, sondern im einfachen weißen Kleid sprach der Papst — von der drückenden Last und den schweren Verlusten, von der Hoffnung auf ein baldiges Ende dieser menschlichen Selbstzerfleischung und auf einen gerechten Frieden. In der Stadt war es Frühling geworden. Ostern waren nahe,aber wenn der Wind vom Südosten kam, hörte man die schweren Geschütze donnern. Eines Tages fuhren Tigerpanzer durch die Stadt — durch den Corso Umberto, über die Piazza Venezia und am Colosseum vorbei. Die deutsche Zensur verbot den Zeitungen, darüber zu schreiben, aber schon eine Woche später brachte die vom Oberbefehlshaber Südwest (Kesselring) herausgegebene „Wehrmachts-Illustrierte“ selbst das Bild davon — man nannte das „offene Stadt“....

Es gab kaum noch Brot, nicht einmal mehr auf dem Schwarzmarkt. Freilich brachten die Wehrmachtsautos Mehl und Fleisch von der Adriaküste herauf — nicht als Spende für die Hungernden, sondern für die Schwarzhändler, von denen die Kraftfahrer bestochen wurden. Deutsche Lastwagenchauffeure, die in Rom Dienst taten, wurden damals reiche Leute und spielten mit hohen Summen beim Rennen. Orangen kosteten in den Restaurants 100 Lire das Stück und im Monat gab es einen Liter Wein auf Karten. Und das in Rom ...!

Fußgänger und Autos mußten in weitem Bogen um den Corso d'Italia herumfahren, wo im Gebäude der Landwirtschaftskorporationen, gegenüber der alten Stadtmauer, der „Deutsche Kommandant von Rom“ saß. Es war eine der seltsamsten Wehrmachtsdienststellen dieses Krieges. Im Souterrain konnte man zu halboffiziellen Preisen Toiletteseife, Schokolade und Wein kaufen. Im Mezzanin, bei der „IC-Dienststelle, war das Vermittlungsbüro für Spionage: der eine der beiden Offiziere verunglückte im Sommer zusammen mit einem Attache' einer fremden Macht und der andere wurde im Juli — von der deutschen Feldpolizei verhaftet. Im ersten Stock saß im Vorzimmer des Generals sein Dolmetscher, ein früherer deutscher Auslandskorrespondent, der unter den Bekannten den Titel des „Ungekrönten Königs von Rom“ trug und von dem alle Leute, mit Ausnahme seines Vorgestzten, wußten, daß er für die Gegenseite arbeitete. Der General selbst erfuhr es erst, als der Dolmetscher und Vertraute mit allem Material in Rom blieb, um die Amerikaner zu erwarten, denen er noch sehr nützliche Hinweise geben konnte....

Der General aber, der vor allem Wert auf seine blütenweise Fliegeruniform legte und auf seine mit Handgranaten bewaffnete Schutzwache, die ihn stets vom Hotel Excelsior abholen mußte, ließ sich an Sonntagen gern vor seiner Residenz photographie-ren, mit Gigli zusammen, dem das nachher noch sehr unangenehm war, und mit der Sängerin Carozza, die er rechtzeitig nach Mailand schickte. Zwischendurch ließ er 320 unschuldige Geiseln erschießen, als auf deutsche Polizei Handgranaten geworfen wurden, oder er verhängte den Ausnahmezustand, wenn er schlechter Laune war. Am liebsten aber machte er sehlechte Gedichte oder trank er Kognak in der deutschen Botschaft....

Das war Rom 1944 und sein „deutscher Kommandant“ Herr General Mälzer....

Immer noch wurde um Aprilia gekämpft, um Littoria und bei Cassino. Rom war eine abgeschnittene Stadt geworden. Draußen, von den Hügeln bei Frascati und Castelgandolfo bis hinab zum Meer, wurde mit unerhörtem Menschen- und Materialaufwand eine „unüberwindliche“ Bunkerlinie gebaut, nämlich eine neue zu denen dieser Art, die schon überwunden waren. Kesselring war entschlossen, Rom „niemals“ aufzugeben und berief sich auf Befehle Hitlers. Am Ostersonntag sprach wieder der Papst auf dem * Petersplatz — er mahnte mit ergreifenden Worten zur Geduld und sprach über die sittlichen Voraussetzungen künftiger Ordnung. Die Römer dachten an nichts anderes mehr: nur ein Ende, kein weiteres Morden mehr, kein weiteres Zerstören, keine Bomben mehr und keine Toten. Die Partisanenüberfälle mehrten sich. Deutsche Autos flogen in die Luft, Bomben explodierten in Wehrmachtsunterkünften, die Menge revoltierte vor den Militärgefängnissen, wo man Geiseln festhielt, und die halbwüchsige „Miliz“, eine Nachahmung der SS., schoß in den Straßen herum. Während ein paar vernünftige Militärs und Diplomaten den Versuch machten, Kesselring zu Übergabeverhandlungen zu bewegen, während der Heilige Vater am 2. Juni vor dem Kardinalskollegium unter dem Dröhnen der Geschütze an der nahegerückten Front sagte: „Wer immer es wagen sollte, die Hand gegen Rom zu erheben, macht sich des Muttermordes schuldig, vor. der zivilisierten Welt und vor dem ewigen Gerichte Gottes“, gingen deutsche Sprengtrupps durch die Stadt und machten geballte Ladungen fertig. Die Kommunisten ließen die deutschen Führung wissen, daß sie die abziehenden deutschen Truppen ungeschoren lassen würden unter der Bedingung, daß in Rom keine Brücke, kein Kraftwerk, kein Gebäude gesprengt würde. Aber Kesselring war nicht zu überzeugen. Er vertraute der „B“-Linie und hatte seinen Hitler-Befehl in der Tasche: „Niemals“----Das war am 3. Juni.

Am 4. Juni, dem Dreifaltigkeitssonntag, fuhren die amerikanischen Panzer auf die Porta San Giovanni zu. Und die letzten deutschen Autos, die nach Mitternacht im Vatikan vorbei zur Via Aurelian fuhren,um dem endlosen Bombenhagel auf der Fluchtstraße der Via Flaminia zu entgehen, wo bereits Hundert von Fahrzeugen lichterloh zum Nachthimmel brannten und eine Armee sich nicht mehr zurückzog, sondern in wilder Flucht überstürzte, diese Autos, die am Petersplatz vorbeifuhren, sahen diesen schönsten Platz der Welt bereits wieder so, wie wir ihn alle in Erinnerung haben: ohne deutschen Posten.. ,„

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