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Der Kuchen steht noch auf dem Tisch ...

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Kalt und ungemütlich war das Wetter in der Woche nach Ostern in Moskau. Die Quecksilbersäule fiel bis zehn Grad unter Null. Trotzdem bemühte ich mich, mich an mein vorher festgelegtes Programm zu halten: Besuch des ausgedehnten Ausstellungsgeländes. Dort hatte man das merkwürdige Gefühl, sich irgendwo in zweitausend Meter Höhe zu befinden. Es blies ein starker, kalter Wind, und die Schneeschauer überfielen einen in eisigen Wellen. Es waren keine Berggipfel zu sehen; die höchste Erhebung um Moskau ist ja kaum über siebzig Meter über dem Meeresspiegel. Da es auch im Ausstellungsgelände gerade nicht viel zu sehen gab, die prunkvollen Paläste waren geschlossen, verirrte ich mich in ein Rundkino, in dem zufällig ein Film über die Landschaften Österreichs gezeigt wurde. Vielleicht war dieser Film in Wirklichkeit gar nicht so anregend, doch damals schien es mir, als hätte ich nie einen schöneren Film gesehen. Und so blieb auch die Begegnung, die ich hier zufällig hatte, eindringlich in meinem Gedächtnis haften.

Neben mir stand — in.diesem Kino gab es nur Stehplätze, denn die Zuschauer mußten sich die ganze Zeit mitdrehen, um die Handlung auf der bogenförmigen Leinwand verfolgen zu können — eine russische Studentin, ein schwarzäugiges, adrett gekleidetes Mädchen, das eine Arbeit über die Bodenbeschaffenheit irgendeiner sächsischen Gegend schrieb. Sie sprach hastig, in abgehackten Sätzen: „Am i. Mai wird unser schönstes Frühlingsfest sein.“ „Und wie ist es mit Ostern?“ fragte ich. „Ach, Sie meinen das Kirchenfest... ja, das ist doch nur ein Fest für die Alten.“

„Kennen Sie denn nicht die schönen russischers- Osterbräuche?“ tastete ich weiter. „Ja, schon, aber jetzt ist eine andere Zeit... und wie feiern Sie in Österreich Ostern? Auch kirchlich?“ Ich erzählte ihr. Ich erzählte ihr auch, wie ich 1946 in Oslo als Kriegsgefangener . auf meine Bitte zu Ostern in in der Kirche hinter mir der Posten mit einer Masc.hinenpistole ,stand.

daß Ihre Geschiente' schön ist?“ fragte sie. ,

„Schön nicht, aber wahr.“ „Da sehen Sie: Christen unter sich.“

Ich gewann den Eindruck, daß es den Sowjets gelungen ist, wenigstens bei der Masse der Stadtbevölkerung die Feststimmung der früheren Oster-zeit auf die Feststimmung der Maitage zu verpflanzen. Genau wie früher wird gekocht, werden Gäste eingeladen, macht man Geschenke, wird die Post durch Gratulationsbriefe und -telegramme überlastet. Man feiert die Entstehung einer neuen Welt — einer Welt ohne Auferstehung. Der erste Mai wird zumeist zwei Tage und Nächte lang gefeiert. „Die kirchlichen Festtage feiern nur die alten Leute“, hatte mir die Studentin gesagt... „Das Theater wird die Kirche ersetzen“, sagte Lenin einmal. Doch sicher ist jedenfalls auch, daß junge Menschen, die sich vollkommen eindeutig zum neuen Leben bekennen, ebenso interessiert über Fragen der Religion diskutieren. Ich habe solchen Gesprächen des öfteren beigewohnt. Ich konnte beobachten, daß die Diskussionen sachlich und ohne Gehässigkeit geführt wurden. Freilich: Sachlichkeit und Unvorein-genommenheit in solchen Dingen zeugen noch lange nicht von Religiosität. Daß dies aber bei den Alten anders ist, möge folgendes Beispiel beleuchten.

Ich wurde eines Tages von einem Mitglied der Prominenz eingeladen. Die Zeit war für unsere Begriffe ungewöhnlich: Ich sollte um zehn Uhr abends kommen. Es war auch unklar, ob ich zum Abendessen oder einfach apres eingeladen war. Der prominente Herr wohnte in einem einstöckigen Haus, ober ihm wohnte eine andere, in der Fachwelt als auch in der breiten Öffentlichkeit bekannte Berühmtheit. Mein Gastgeber öffnete selbst und stellte mich seiner gewandten Frau vor. Wir gingen in das Arbeitszimmer: rechts in der Ecke hing eine Ikone — genau nach alter russischer Sitte. Man servierte mir russische Osterkuchen. „Aha“, dachte ich mir, „übermorgen ist der 1. Mai, das sind sozusagen die Maikuchen“. Ich fragte in diesem Sinne. Die Hausfrau lachte.

„Es sind doch unsere russischen Osterkuchen, im Ausland kennt man wahrscheinlich solche Speisen nicht.“ Ich dachte an das Mädchen und ihre Worte von den alten Leuten. Meine Gastgeber waren ein altes Ehepaar.

Aus achtzehn Ländern Europas ver- sammelten sich vor kurzer Zeit Männer mit Erfahrung in allen Fragendes Naturschutzes und der Heimatpflege. Sie hielten einen gesamteuropäischen Kongreß ab und verglichen Landschaft mit Landschaft. Einstimmig kamen sie zu einem in einer abschließenden Erklärung festgelegten Ergebnis: Der Wienerwald ist ein bisher unerreichtes Vorbild. Eine Reise nach Österreich wird jedem empfohlen, der etwas vom Naturschutz erfahren und lernen will.

Wir wissen nicht, ob im Verlaufe dieser Tagung auch der Name Josef Schöffeis erwähnt wurde, des aus dem böhmischen Pfibram stammenden

Wahlwieners, der der „Retter des Wienerwaldes“ im Zeitalter der hemmungslosen hochkapitalistischen Bauwut und Kulturlosigkeit werden sollte. Vor 130 Jahren wurde er geboren, im Todesjahr Karl Luegers, 1910, starb auch er. Sein kommunales Wirken in Mödling ist ebenso unvergessen wie seine menschliche Hinterlassenschaft, die Dr. Hyrtlsche Waisenanstalt, die er zusammen mit diesem großen ärztlichen Humanisten zu Jahrhundertbeginn ins Leben rief.

Daß die Naturschützer des Auslandes heute nur noch das Werk und nicht mehr den Mann dahinter sehen, mag verständlich sein. Aber Österreich selbst sollte seinen Namen nicht ganz verblassen lassen. Die ehemaligen Zöglinge der Dr. Hyrtlschen Waisenanstalt, die einen Verein bilden, haben sich mit einer Anregung an die Bundespost gewandt. Der auf den 29. Juli fallende Todestag wäre der gegebene Zeitpunkt für die Herausgabe einer Gedenkmarke.

Hoffen wir, daß diese Anregung Gehör findet. Oder sollen wir erst einmal warten, bis es irgendwo anders eine internationale Schöffel-Ehrung gibt: beim nächsten Kongreß der europäischen Naturschützer, von denen einige vielleicht seither den Wienerwald bereist haben werden?

Was tun mit den Nachtstunden zum Wochenende? „In die Barl“ heißt die Parole. Eine sehr hohe Institution in Österreich, der Verwaltungsgerichtshof, meinte kürzlich offenbar ähnliches. Er hat in einem Erkenntnis vom 17. 11. 1961, .ZI-1001/6043 eine, Entscheidung des zuständigen Ressortministeriums behoben' .-unds- ausgesprochen« '- dalfc u.derib LokalbedäTf“' nach einer Bar in einem kleinen steirischen Ort gegeben sei, ungeachtet des Umstandes, daß der in Aussicht genommene Standort nicht in einer Gegend liegt, die als Brennpunkt des Verkehrs zur Nachtzeit anzusehen ist. Als „Begründung“ für die Entscheidung wird angeführt, daß eine Reihe von Industrieorten in der Nähe keine Vergnügungsbetriebe aufweist.

So weit sind wir also in Österreich: Die unteren Behördeninstanzen haben den vernünftigen Standpunkt einge-

Eierpeeken 1962

nommen, daß es sich um ein ländliches Gebiet handelt, dessen Bewohner keinesfalls Bedarf für den Besuch eines Barbetriebes, der bis 4 Uhr früh offen bleibt, haben. Aber man muß bei uns nur weiter „nach oben“ gehen, um „Verständnis“ zu finden; man zeigt dort oben gerne Verständnis für das löbliche Bedürfnis der ländlichen Bevölkerung (und sei es auch der Industriearbeiterschaft), sein Einkommen nächtlicherweile in einer „Bar“ auszugeben. Fortschritt auch unseren ländlichen Gebieten! Oder — ?

Der Transalpin ist ein sehr beliebter Zug. Mit seiner Einführung haben die Österreichischen Bundesbahnen sozusagen einen Volltreffer gemacht. Was sonst bei uns nie vorkommt, beim Transalpin kommt es zu Stoßzeiten häufig vor: man bekommt keine Platzkarte mehr, nicht einmal in der ersten Wagenklasse. (Wer unbedingt mitkommen will und muß, braucht nur einzusteigen, er zahlt dann eine Art Straf gebühr von 20 Schilling und hat dafür einen Stehplatz. Wir haben alle schon Zeiten erlebt, in denen uns ein Stehplatz wie ein Geschenk des Himmels vorkam.)

Aber der Transalpin hat (mit Ausnahme des; für gewöhnlich mit Nummer 3 numerierten Wagens, auf den sich die Kenner spezialisieren) auch ein paar Schönheitsfehler. Die Waggons sind dieselben wie bei der Wiener Schnellbahn, nur daß man mit der Schnellbahn nach einer halben Stunde oder nicht viel mehr am Ende der Fahrt angelangt ist, also noch ehe einem die Unbequemlichkeit bewußt wurde. Und der Transalpin hat eine sehr schlechte „Schienenlage“: er rüttelt und schüttelt. Das Lesen wird einem dabei nicht angenehm gemacht.

Aber etwas ganz anderes ist die weitere Folge dieses Rütteins: die Koffer, die man auf den Gepäckträger legt, werden von den Ecken und Kanten der Gepäckträgerbegrenzung und von vorstehenden Bestandteilen aufgerieben. Natürlich merkt man bei einer ,einzige{L«|ahfiC, für i^tWlcWlv häufig .benutzt, wundert sich „spätestens nach der.Sechsten Fahrt yon Wien, bis zur Schweizer Grenze, woher sein Stoffkoffer an bestimmten Stellen keinen Stoff mehr hat und die Innereien herausschauen, oder warum beim Lederkoffer das Leder Stellen aufweist wie ein Bergschuh nach fünfstündigem Gehen in Kalkgeröll. Nach längerem Nachdenken kommt man dann drauf: das ist der „aufreibende“ Transalpini

Der Lärm um die Tausendschillingnote ist verstummt. Er ist nicht umsonst geschlagen worden, denn die Tausendschillingnote wird eingezogen.

Die Geschichte sollte aber eine Mahnung sein. Abänderungen können doch nicht von einem Menschen bestimmt werden, sondern sollen von einigen oder mehreren wohl erwogen werden, damit sie sich nicht nachher als eine kostspielige und lächerliche Fehlleistung herausstellen. Da war zu lesen, daß einmal ein Zwanziggroschenstück ausgegeben wurde, auf dem das Wort „Groschen“ fehlte. Die Münze mußte eingezogen werden. Man hat eine Andreas-flofer-Münze ausgegeben und von Anfang an erklärt, daß sie im gangbaren Zahlungsverkehr als Fünf-zigschillingstück zu verwenden sei. Das geschieht denn auch, aber leider hat diese Silbermünze einen Geburtsfehler: es fehlt ihr die Zahl „50“. Es sollte aber auf jeder Münze der Wert durch die entsprechende Ziffer oder Zahl erkennbar sein.

Im Jahre 1947 erschien eine Brief-markenserie mit österreichischen Landschaftsbildern, wunderschöne, doch ach — auf leeiner Marke der Name der Landschaft. Was also sollten die Bilder für einen Zweck haben? 1956 kam zum 200. Geburtstag Mozarts eine Mozart-Marke heraus im Wert von 2.40 Schilling, für die Freimachung von Briefen ins Ausland gerade recht. Aber auf der ganzen Marke nicht eine Zahl zu sehen. Es ist doch selbstverständlich, daß auf Porträtmarken aus Staats- oder kulturgeschichtlichen Anlässen Jahreszahlen aufscheinen müssen. Was sollen die Renner-Marken „30 Jahre Republik Österreich“ und „40 Jahre Republik Österreich“ und die Marke ,,Dr. h. c. Theodor Körner“ ohne eine Jahreszahl für einen Wert haben? Im Jahr 1950 erschienen Hugpostmarken, die doppelt so groß, anstatt nur halb so groß wie die Marken für den Versand zu Land und zu Wasser waren.

Auf der Wiener Straßenbahn gibt es noch ziemlich viele Wagen mit Doppeltüren, die von der Mitte aus nach beiden Seiten zu öffnen sind. Dazu muß man „Beide Handgriffe benützen!“, wie zu lesen ist. Jeder Mensch, der auf der Straße geht, sieht, daß es wenige Frauen, Männer, Jugendliche gibt, die beide Hände frei haben, fast jeder hat nur eine Hand frei. Und so sieht man auch in der Straßenbahn, daß die meisten Fahrgäste nur eine Hand, eben die freie, zum Öffnen der Doppeltür benützen. Die Folge ist, daß jjfiese Türen schlecht funktionieren und oft repariert werden müssen.

Ist „im Reich draußen“ wirklich alles Viel besser, wie man öfter hört? Nach der „Heimkehr ins Reich“ konnten wir öfter in reichsdeutschen Eisenbahnwaggons fahren. Da konnte man an den Heizvorrichtungen in den Abteilen lesen: kalt — warm, froid — chaud, freddo — chaldo. Jeder Pikkolo im Kaffeehaus gegenüber dem Reichsverkehrsministerium in Berlin weiß wahrscheinlich, daß im Italienischen warm „caldo“ heißt und ohne „h“ geschrieben wird. Aber man hat diesen Schreibfehler vieltausendfach in dicke Messingplatten geprägt.

So ein kleiner Fehler wird,'von Millionen Menschen bemerkt, zu einem großen. Er richtet auch Schaden an, weil der Staatsbürger zu der Ansicht gelangt, „oben“ sei alles ohne Kopf, werde schlampig gearbeitet, statt daß ein Beispiel gediegener und verantwortungsbewußter Arbeit gegeben werde. Die Autorität vor den unsichtbaren höheren Stellen leidet. Das ist schlecht, daher möge man in Hinkunft keine solchen Fehler machen!

Die Modevorführungen im Rahmen der Abendvorstellungen einiger Wiener Kinos sind nicht immer Feste des guten Geschmacks. Man wird sich aber darüber hinwegtrösten können mit der Erklärung, daß die beteiligten Firmen eben das zeigen, was sie haben. Wenig Trost gewährt ein solcher Gedanke, wenn es nicht um Geschmack in der Kleidung geht, sondern um nackten Mangel an Taktgefühl und menschlichem Anstand. Das war in der letzten Modeschau der Fall, als dem Publikum eine bunte, stark mit Rot durchsetzte „OAS-Weste“ vorgeführt wurde. Die Schande fiel leider nicht einmal zur Gänze auf die erfinderische Firma und die Herren der Modeschau zurück, da sich im Publikum eine erkleckliche Anzahl von Lachern fand. Traurig.

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Tatkräftige Maurerpartie, eigener Pkw, übernimmt für Wochenende Aufträge. Unter „Pauschale 129.803/Z“ an die „Presse“. Wien I, Fleischmarkt 3—5.

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