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Der Umweg

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Wenn ich heute rückblickend die Frage stelle, wann mein erster Zweifel am Kommunismus und der Partei auf tauchte, ist dies schwer zu sagen. Eines steht jedoch fest, meine erste Fahrt in eine Volksdemokratie wurde eine gewaltige Enttäuschung. Nun kann ein Land wohl in der Praxis kaum so aussehen, wie es sich ein junger Idealist in seinen Wunschträumen und Schwärmereien vorstellt, aber ein klein wenig dieses sozialistischen Wunschtraumes sollte doch zu sehen sein. Ich will gar nicht von der ersten Enttäuschung reden, die mir der tschechoslowakische Grenzer bereitete, als er mir auf mein geschmettertes: „Öest praci” (den kommunistischen Parteigruß in der ČSR) nicht einmal eine Antwort gab. Ich will auch jenen Garagenmeister nur am Rande anführen, der mir in der Prager Parteigarage auf mein „Gest praci” mit einem lauten „Griß Gott!” antwortete. Das konnte man ja alles mit den Ueberresten im Bewußtsein der Menschen aus dem Kapitalismus erklären. Es war einfach die graue Eintönigkeit des Straßenbildes und der Menschen, die für mich die große Enttäuschung bildete. Dieser zweitägige Aufenthalt in der CSR konnte mir aber nicht jenen Einblick geben, der meinen Glauben an die Kraft des Kommunismus erschüttern konnte. Nach meiner Rückkehr gab es sofort wieder viel Arbeit. Einmal war es in Wien eine Gemeinderatswahl, dann wieder in der Steiermark eine Landtagswahl, und ich, mittlerweile Sprecher und Techniker des Lautsprecherwagens, hatte alle Hände voll zu tun, um die gestellten Aufgaben zu lösen. Man bekam eine eigene Routine, alle Fragen zu beantworten und auch die schärfsten Angriffe der Gegner in der ruhigsten und scheinbar sachlichsten Form zu widerlegen. Ich war stolz, den gleichen überlegenen Ton zu beherrschen, der mir seinerzeit bei meiner ersten Begegnung mit einem kommunistischen Funktionär so imponierte. Im Jahre 1951 entsandte mich die Partei nach der Absolvierung eines fünfwöchigen Parteikurses in die Ravag, Abteilung Russische Stunde: Man erklärtes-mw; daß fnir- dir1 Partei die ‘Aufgabestelle, ein guter Reporter zu werden. Auf meine

Antwort, daß ich als solcher keine Erfahrung hätte, hatte man parat, daß ein Kommunist immer die Augen offen zu halten habe, an jedem Arbeitskollegen beobachten und lernen müsse. Ich muß heute sagen, daß diese Methode ihre Erfolge brachte. In zwanglosen Gesprächen mit Kollegen erfuhr ich die kleinen technischen Kniffe einer Reportage, und nach Arbeitsschluß saß ich noch stundenlang beim Rundfunkgerät, hörte alle möglichen Sendungen, probierte es selber und, siehe da, es ging.

Angefangen von der Uebertragung einer Parteifeier über die Betriebsreportage bis zur Sportsendung, mußte ich alles beherrschen lernen. Anderseits war ich mit diesem Sprung zum Reporter für die Genossen so etwas wie ein Beweisstück geworden, welche Aufstiegsmöglichkeit ein kleiner Arbeiter in der kom- munistischen Welt habe. Zwangsläufig lernte ich andere Parteikreise kennen; es waren nicht mehr die Plakatieret und Zettelverteiler von einst, sondern meist Intellektuelle, die stundenlang über, wie mir schien, äußerst schwierige marxistische Probleme debattieren konnten. Sie lächelten einem gutmütig zu, wenn man von Zeitungskolportage und Betriebsproblemen sprach, und hatten herzlich wenig Ohr dafür. Sie konnten an einem Bild aus der Sowjetunion ungeheuer viel sozialistischen Realismus herauslesen und fanden an einer Taube, die auf einem Gemälde auf der Schulter eines Sowjetoffiziers saß, großes Entzücken. Ich muß auch sagen, daß von der Ordensstrenge, wie sie in den unteren Regionen der Partei herrschte, nicht mehr viel zu spüren war. Sie sprachen von Posten und Geld aus den Volksdemokratien, warfen mit Aufträgen von und für Wien-Film, Defa oder ungarischen Zeitungen nur so um sich. — Sie redeten über alles, nur nicht über den Kampf gegen die Ausbeuter und Kapitalisten. Ich hatte den Eindruck, daß für viele dieser mittleren und höheren Parteischicht der Sozialismus mit der USIA und der sowjetischen Besatzungsmacht schon völlig ausreichend erreicht war. In ihren Gesprächen spielte der sowjetische Bezirkskommandant mit einer Wohnungszuweisung eine größere Rolle als eine prinzipielle Rede Stalins oder Mao Tse-tungs.

Ich aber und viele der kleinen Funktionäre fürchteten sich geradezu, am Morgen die Zeitung zu lesen und von einem neuen Uebergriff der sowjetischen Besatzungsmacht zu hören. Wir schämten uns, wenn hier oder dort ein betrunkener Rotarmist zur Pistole gegriffen hatte; wir konnten es einfach nicht verstehen, wieso die Partei und ihr Zentralorgan, im Falle einer Verschleppung, automatisch die Front der Besatzungsmacht ergriff. Nur sehr schwer kam ich da noch ins reine mit mir. Schließlich, so sagte ich mir, hat diese Kommunistische Partei doch im Jahre 1938 eindeutig für Oesterreich Stellung genommen. Jetzt identifizierte sie sich ununterbrochen mit der Besatzungsmacht. Das alles störte, diese Parteischicht nicht im geringsten. Für s sie wär die’-Partei eflri Ruhe-’ bankerl, auf dem man in Gelassenheit -’ieirte Geschäfte abwickelte, wo man manchmal ein wenig mit Gleichgesinnten über die Gegenwart oder Zukunft plauderte, wobei in den Gesprächen über die Gegenwart und die Zukunft immer gute Posten eine führende Rolle spielten. Waren diese Angehörigen einer Parteischicht aber nur Intellektuelle? Keinesfalls. Wäre es so gewesen, hätte man dies noch leicht erklären können. Man hätte von der Unzuverlässigkeit klassenfremder Personen sprechen können oder von eingeschleusten Elementen. So aber gehörten dieser Parteischicht nicht nur Akademiker an, sondern auch ehemalige Arbeiter oder Angestellte, die durch irgendwelche Umstände — sei es Protektion oder besondere Aktivität, aber auch führende Stellung in der Emigration — nach oben geschwemmt wurden und nun nichts anderes im Sinn hatten, als oben zu bleiben. Um aber „die Stellung” halten zu können, war es notwendig, bedingungslos die Linie der Partei zu vertreten und zu verteidigen. Sie waren es, die den kleinen Genossen zu beschwichtigen hatten, wenn er irgend etwas nicht begreifen wollte, sie waren und sind es, die sofort mit einer fertigen Antwort über Stalin, Beria, Molotow und Kaganowitsch zur Stelle sind, wenn das einfache Parteimitglied noch wochenlang schwer mit sich um eine Erklärung ringt. Ich habe in diesen Reihen die geschliffensten und eingearbeitetsten Routiniers gefunden, die man sich nur denken kann. Dabei war das Rezept herzlich einfach. Man sagte einfach, was oben gesagt wurde, und konnte nie auffallen.

Da gab die Partei die Parole heraus, man müsse besonders mit den Sozialisten Kontakt aufnehmen und mit ihnen diskutieren. In dem Augenblick ging von oben bis unten in der Partei eine „Sozialistenwelle”. Jeder dieser Funktionäre hatte irgendwo einen Sozialisten parat, mit dem er nun redete, vorher herzlich wenig und nachher wieder gar nicht, aber wenn die Partei gerade diese Losung ausgab, bezeichneten sie für vier Wochen die Sozialisten nicht als „verbohrte Trottel”. Einmal war die „Arbeitereinheit” Trumpf, hier durften oder sollten nur die Sozialisten mitspielen, dann hieß es wieder die „breite nationale Front”, an dieser wären die linken OeVPler auch teilnahmeberechtigt gewesen. Daß sowohl die einen als auch die anderen nicht sehr eifrig mitwirkten, lag, laut der Partei, an den besonderen Umständen in Oesterreich und an den Führungen.

Als Reporter fuhr ich nun sehr oft in die Volksdemokratien. Ich suchte Parallelen mit der österreichischen KP, und fand sie leider in noch viel größerem Maße als bei uns. Ging es in Oesterreich höchstens um Posten in der USIA oder im Friedensrat, so stand hier der gesamte Staatsapparat zur Verfügung. Wo immer man hinkam, begegnete man diesen ..Stellungshaltern”. Sie machten nicht einen Deut mehr, als von oben befohlen war. Kein einziger von ihnen übernahm für etwas in “eigener Machtvollkommenheit Verantwortung. ‘Ob. man in Ungarn oder Rumänien war, in der ČSR oder in Polen, überall sah man diese Befehlsübermittler. Was aber das Schlimmste war, ich merkte immer mehr, daß es diese Schicht war, die sofort, wenn etwas nicht nach ihrem Projekt lief, zur Gewaltanwendung griff.

Das wichtigste ist der „Mensch”, stand als Stalinsche Losung fast in jeder Parteistelle. Aber nirgends war der Mensch als einzelner so unwichtig oder unbedeutend wie im Kommunismus. Er durfte kollektive Beschlüsse fassen, kollektiv waren sie allerdings erst in der Parteispitze. Er durfte bei Massenaufmärschen aus dem Lautsprecher vorgebrüllte Losungen nachbrüllen. Er durfte als Arbeiter bei sogenannten Arbeiterkongressen im kommunistischen Rhythmus mitklatschen, als Intellektueller bei Jntellektuellenberatungen die jeweils „neue Linie” gutheißen. Hatte der einzelne seine eigene Meinung, wurde er zerbrochen, ja, er mußte zerbrochen werden, sollte für die Weltanschauung nicht Gefahr entstehen. Das wohl eindrucksvollste Bild nahm ich aus Polen mit nach Hause. Ich hatte mir, um eine bessere Geräuschkulisse für eine Reportage zu verschaffen, ein Plätzchen auf der Warschauer Marschalovska, inmitten von Arbeitern, gesucht. Ich wollte einmal nicht von der Tribüne repOrtieren, sondern aus der Masse heraus. Vor und neben mir standen ältere Arbeiter der Warschauer Elektrowerke, und immer, wenn aus dem Lautsprecher der Sprecher mit überschlagender Stimme die Losung brüllte, sprachen sie meine Nachbarn nach. Wer aber sah, mit welch gleichgültiger Stimme und mit welchem müden Gesichtsausdruck sie ihr: „Es lebe der Kommunismus, der uns Frieden und Wohlstand bringt!” hervorbrachten, mußte erkennen, wie verlogen und falsch dieses System ist.

Ich möchte ein kleines, unbedeutendes Beispiel. das mir heute noch in Erinnerung ist, anführen. Als Rundfunkreporter nahm ich an den Weltjugendfestspielen in Bukarest teil. Vor meiner Abreise brachte eine Wiener Zeitung die Meldung vom Ausbruch einer Kinderlähmungsepidemie in Rumänien. Ich war der Meinung, daß man diese Meldung einer kapitalistischen Zeitung unbedingt entlarven müßte, und wollte eine’ Großreportage vom Gesundheitswesen in Rumänien bringen. Ich nahm also mein Aufnahmegerät und ging ins erste Spital von Bukarest, und fragte, ob es Kinderlähmungsfälle gegeben habe. Keine Antwort. Man müsse erst fragen. Ich meinte zu dem Chefarzt, daß er doch wissen müsse, ob es bei ihm so etwas gegeben habe. Nein, das wisse er nicht. Ich wurde höher verwiesen, bis ich zum Minister kam, der mir dann erklärte, daß es in ganz Rumänien keinen einzigen Fall von Kinderlähmung gebe. Dann schickte er mich mit einem Beamten zurück ins Krankenhaus, und auch der Chefa±t erklärte mir, daß in seiner Klinik kein einziger Fall zur Behandlung aufscheine. In einem Privatgespräch deutete er dann an, daß zur Zeit in Rumänien Tausende an Poliomyelitis erkrankt sind.

Ein anderer Parteifunktionär hatte die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß während der Weltjugendfestspiele niemand bestohlen werde. Wie löste er nun diese Aufgabe? Er ließ sich die Kartei aller Gesetzesbrecher bringen, die jemals in ihrem Leben einen Diebstahl begangen hatten. Gleich, ob dieser Diebstahl vor dreißig Jahren geschah oder gestern, wurden alle, die in der Kartei aufschienen, festgenommen, in Sonderzüge gesetzt und vor Beginn der Weltjugendspiele hunderte Kilometer von Bukarest weggebracht. Dort hatten sie für die Zeit der Festspiele Erntearbeiten zu leisten. Für diesen klugen Einfall bekam der Mann einen Orden. In einem Hotel vermißte ein englischer Journalist seinen Ring. Das hätte unter Umständen dem Direktor den Posten kosten können. Also ließ er das gesamte Hotelpersonal verhaften, ob Stubenmädchen oder Heizer wurden sie tagelang geprügelt, dann stellte sich heraus, daß der Ring unter das Nachtkästchen gerollt war. Am folgenden Tag hatte das Personal wieder zu arbeiten und den Fragern zu erklären, daß es auf Urlaub war.

Man müßte noch viele Erlebnisse anführen, um zu erklären, wie sich in mir immer mehr die Lieberzeugung durchsetzte, daß diese Welt nicht in der Lage sein könne, etwas Neues und Großes, Beständiges zu schaffen. Ich mußte erkennen, daß die Partei nicht etwas ist, das über dieser Schicht von Nutznießern steht, sondern daß sie es selber ist. Sicher hatte die kommunistische Idee große Männer und Märtyrer im Kampfe gegen den Faschismus hervorgebracht, aber veränderte dies das Gesicht des Kommunismus? Waren jene deutschen Antifaschisten in den Konzentrationslagern gestorben, damit Jahre später ein Redakteur des „Neuen Deutschland” erklären konnte, man werde die KZs noch gut brauchen können? Ging der kleine kommunistische Vertrauensmann Sonntag von Tür zu Tür, um einmal von seineą eigenen Leuten wegen eines freien Wortes hinter Kerkermauern zu verschwinden? Keinesfalls. Er wie ich wollten eine bessere Welt, ohne Krieg und Not, aber mit der Freiheit, diese Welt so zu errichten, daß sie von Dauer wäre. Wie kann sie aber von Dauer sein, wenn sie eine Idee der Gewalt und der geistigen Unterdrückung ist?

Als in Ungarn die Revolution ausbrach, war es für mich zu Ende. Nicht, daß mich das Eingreifen der Roten Armee überrascht hätte, ich wußte vom ersten Tag an, daß der Kommunismus im eigenen Haus kein Aus-der-Reihe-Tanzen dulden kann. Ich war erschüttert, daß die russischen Panzer eingreifen mußten. Ich fragte mich, wie muß man wirtschaften, daß die Menschen in einem kommunistischen Land, die aus täglicher Praxis kennen, wie kompromißlos die Partei sein kann, zu diesem Mittel greifen. Ich habe mit ehemaligen ungarischen Kommunisten gesprochen, die ich von meinen Reisen in die Volksdemokratien kannte. Als ich sie fragte, wie sie zur Waffe greifen konnten, antworteten sie: wir wollten einmal, wenn auch nur für Stunden, gegenüber der Partei unsere eigene Meinung aussprechen, und da erschien das Gewehr gerade recht dazu. Diese ungarischen Arbeiter erklärten, vom ersten Moment an gewußt zu haben, daß die Chance für Ungarn gleich null sei. „Wenn wir es trotzdem getan haben”, meinten sie, „dann um den Genossen, im Westen die Augen zu öffnen und sie zu veranlassen, dieser Partei den Rücken zu kehren, denn das hilft auch uns.”

Ich war am Ende der ungarischen Revolution noch in der Partei. Das Bild sollte endgültig sein. Ich wollte, bevor ich den Aktendeckel schloß, diese kommunistischen Funktionäre nach einem Sieg über Arbeiter sehen, um mir dieses Bild für immer einzuprägen. Ich werde diese strahlenden Gesichter nie vergessen, als sie vom Niederwalzen der . Menschen in der Kilian- Kaserne hörten, ich werde nie ihre Sätze vergessen, wie sie nach einem Strafgericht furchtbaren Ausmaßes riefen, und wie sie frohlockten, als sie die ersten Urteile hörten. In diesem Augenblick fällte ich mein Urteil in letzter Instanz und warf ihnen das Parteibuch — wie hunderte andere Arbeiter — vor die Füße.

(Schluß folgt)

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