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ERZAHLUNG VON FRANZ KARL GINZKEY

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Zum Merkwürdigsten, was ich im lieben schwergeprüften Lande Tirol zur Zeit des ersten Weltkrieges erlebte, gehört für mich der mehrtägige Aufenthalt in dem weltberühmten Karerseehotel am Fuße des Rosengartens. Diese großzügige Alpenherberge, die in glücklichen Friedenstagen dem bescheidenen Dolomitenwanderer nicht minder als dem anspruchsvollen Auto-reisenden ihre gastlichen Räume bereithielt, war damals, bei Kriegsbeginn, da sie nur wenige Kilometer hinter der Front lag, in Eile geräumt worden, worauf sich bald ein österreichisches Divisionskommando dort einnistete, dessen stiller Gast ich für einige Wochen war. Man kann sich kaum vorstellen, wie merkwürdig die Verlassenheit dieses ungeheuren vielhundertzimmerigen Hausej auf mich wirkte, in dem sich nun daj Häuflein Offiziere mit den wenigen Stabsmannschaften fast ganz verlor, wobei ja nur selten einer der Herren überhaupt sichtbar war, denn der Arbeit vor der Generalstabskarte und am Telephon gab es tagsüber und auch des Nachts zur Genüge. Ging man auf der Alpenmatte vor dem Hotel spazieren, so kam man sich schier verzaubert vor; das weltliche Aufgebot, das in Friedenstagen das ganze Haus bis zum Giebel erfüllt hatte, so daß das Fluidum seiner Lebendigkeit aus allen Fenstern barst und bis an die schweigenden Berge zitterte, es war wie fortgezaubert, das Haus stand wie erstarrt und in sich versteint vor den bleichen, gespensterhaft nahen Gebilden des Rosengartens und des majestätischen Late-mars, die ihm übermächtig und drohend nähergerückt schienen, ihres Sieges über alles Menschliche gewiß.

Eben weil ich das Karerseehotel schon aus Friedenszeiten kannte, da es noch durchbraust war von tausenderlei Frohmut und Geschäftigkeit, war es mir nun, da es erkaltet und zwecklos in seiner Bergeinsamkeit dastand, zu etwas sehr Absonderlichem, mich innerlich sehr Befremdendem geworden, dessen ich mich vergeblich zu erwehren suchte.

Mein Zimmer im ersten Stock, ein vornehm ausgestatteter Raum, den ich mir vormals als“ Reisender kaum gegönnt hätte, lag abseits von den übrigen bewohnten Unterkünften, und wenn ich am offenen Fenster saß, die kühle Bergsonne in mich trank und den tiefen Himmel über mir, hörte ich über die schwarzen Tanncn-wände hinweg die Stille von den Felsen klingen. Zuweilen pustete auf der unweiten Straße aus Bozen herauf einer der mächtigen bayrischen Lastkraftwagen mit Lebensmitteln oder Munition beladen hinunter ins Fassatal; oder es scholl, um die Seltsamkeit noch zu erhöhen, ein leiser huadert-stimmiger Gesang aus der Ferne, eine wehmütig gezogene, in diesen Bergen ganz un-' faßbar fremde Melodie — es sangen dort die russischen Gefangenen, die zu Tausenden an der Verbreiterung der in Serpentinen talwärts führenden Hochstraße arbeiteten, arme vergrämte Gesellen, der Höhenluft ungewohnt, die hungrigen Bauernmägen immer nur halb gefüllt, gerüttelt vom Heimweh und den Frösten der Bergnacht.

O Wunderlichkeit des Krieges — weit drüben in der satten und reichen Heimatserde dieser fremden Tausende lagen zum letzten Schlaf gebettet andere Tausende der mutigen Söhne dieses heiligen Landes Tirol, sie fehlten hier, sie fehlten dort, die irregeführten Kinder ihrer Länder, sie fanden nicht mehr nach Hause.

Manchmal, wenn der Wind aus Süden aufsprang, hörte man auch den Herzschlag des Krieges von den Fasasner Bergen herüber, das Grollen ferner Geschütze, das ?ber für hüben und drüben kaum mehr als , unschädliche feindliche Grüße bedeutete. Denn sie standen hier zu solcher Wucht und Unnahbarkeit getürmt, die schweigenden Berge Tirols, daß an einen siegreichen Angriff von Seiten der Italiener kaum zu denken war. Es war eine ragende Wacht auf den Höhen hier wie dort, der Mensch -n die Unbesiegbarkeit seiner Felsen ge-'.lammert, ihnen mehr als Späher denn als Kämpfer beigegeben.

So kam es auch, daß bei den rückwärtigen Kommandos sich alles mit der ruhigen Regelmäßigkeit eines Uhrwerks abspielte, und das galt auch für meine Behörde am Karersee. Aber gerade dieses unheimliche stille Getriebe in dem völlig entvölkerten, von keinem Wanderer besuchten Bergstrich, worin der einsamen Größe der Natur sich nichts gesellte als die Dämonie des Krieges, es ließ mich die Melancholie jener Tage bis an die Grenze des Erträglichen empfinden.

Oder erscheint mir dies alles nur in der Erinnerung so, da ich ein Erlebnis zu erzählen habe, das ganz von Wehmut durchtränkt war, das mich damals tief aufrührte und mich heute noch mit seiner nachdenklichen Tragik beschäftigt? Seltsam, daß mir das Schicksal eines Menschen, mit dem mich nur kurze Freundschaft verband, so schnell zum eigenen werden konnte, so wie auch ihm ein fremdes Schicksal zu seinem eigenen ward und ihn überwältigte. Mir scheint dieses Erlebnis nicht so sehr des Anekdotischen wegen erzählenswert, denn davon ist nicht viel zu verspüren; es gilt vielmehr an einem, wie mich dünkt nicht alltäglichen, Beispiel aufzuzeigen, wie auch in starken und ganz zu sich selbst befreiten Naturen ein Überirdisches sich plötzlich rührt und mächtig in ihr Schicksal eingreift. Nie wird sich wahres Menschentum vom Göttlichen befreien, so entschieden es auch auf eigener Kraft beharren will; es kommt die Stunde, da es seiner Demut vor dem Ungewissen sich bekennen muß, was ja schließlich nichts als Heimkehr bedeutet zur Spotte, von der wir alle kommen; in das Ungewisse.

Am merkwürdigsten erscheinen mir nunmehr in der Erinnerung die Stunden, die ich am Abendtisch des Divisionskommandos verbrachte. Wir saßen an einer kleinen hufeisenförmigen Tafel des großen Speilesaals, von dessen zwölf Kronleuchtern nur ein einziger uns zu Häupten brannte, so daß wir in unserem spärlichen Lichtkreis schier apostelhaft von einer Art rembrandt-scher Dunkelheit umlauert blieben. Wer kam oder ging, der trat hervor oder tauchte unter wie in einem schemenhaften Spiel, und da wir draußen nichts als das Schweigen der großen nächtlichen Landschaft wußten, erschienen wir uns selbst in einer Art von unbewußter Ängstlichkeit im Lidite zusammengerückt und es kam auch merkwürdigerweise niemals die rechte ungebundene Fröhlichkeit unter uns auf, bis auf einen einzigen Abend, von dem noch zu erzählen sein wird.

Mit den Herren des Stabes verstand ich mich gut; ich fand zu meiner angenehmen Überraschung meist Offiziere unter ihnen, die sich weit über das Mittelmaß ihrer Standesbildung erhoben; Männer, die den Vorteil, der unmittelbaren persönlichen Gefahr des Schützengrabens entrückt zu sein, keineswegs in eine oberflächliche Da-scinsfreude umsetzten. l Wirklich wärmere Fühlung nahm ich allerdings nur mit einem einzigen unter ihnen, einem in mittleren Jahren stehenden Major des Artilleriestabes, der als Referent für sein Fach d*m Divisionskommando zugeteilt war. Überdies war er ein auch über die Grenzen des damaligen Österreich nicht unbekannter Schriftsteller, seines Zeichens Lyriker und Novellist, von dem mir manches gehaltvolle Buch schon aus Friedenszeiten bekannt war, Als ich das erstemal an seiner Seite Platz nahm, hatte ich, wie es ja bei Vorstellungen meistens geht, seinen Namen nicht deutlich gehört, und es steht mir heute noch in wehmütig heiterer Erinnerung, wie ich damals, sein Interesse für Schriftstcllerei erkennend, immer mehr ins Literarisdie geriet, bis ich endlich, vielleicht in suggestiver Eingebung, bei seinen eigenen Werken stillhielt und sie einer eingehenden Betrachtung zu unterwerfen beeann. Es ergaben sich dabei aber allerlei Widersprüche, in dem er Rolf Degenhart, dies war sein Schriftstellername, viel strenger als alle andern unter die kritische Lupe zu nehmen begann und allerlei an ihm aussetzte, was mir fast kleinlich erschien, bis er endlich mit belustigtem Lächeln sich' selbst als den von ihm so stiefmütterlich behandelten Dichter bekannte.

Von diesem Abend an freute ich mich immer wieder, an der Seite dieses klugen, bei allem Selbstbewußtsein doch bescheidenen Offiziers und Dichters zu sitzen, der mir ungesucht die beste Freude bereitete, welche ausreifenden Menschen im Geiste begegnen kann: Spiegelung des eigenen Weltbildes im Wesen eines andern.

Im Maße, als unsere Bekanntschaft sich vertiefte, wurde ich auch mit seiner künstlerischen Entwicklung und seiner inneren Lebensführung bekannt, deren Feststellung hier wohl zu weit führen würde. Es scheint mir nur erwähnenswert, daß er der Ansicht war, der Dichter habe nicht ausschließlich von seiner Kunst zu leben, da er dadurch allzuleicht ins Unfreie geraten könne; weshalb er auch dem ihm seit seinen Knabenjahren zugewiesenen Beruf treu geblieben sei. Als ich auf die Unfreiheit des Offiziersstandes, auf seine Fesselung durch die Disziplin und die Abhängigkeit von der jeweiligen Regierungsform hinwies, erwiderte er lächelnd, daß er gerade darin ein vorzügliches Mittel gesehen habe, seine künstlerische Freiheit zu erproben und zu vertiefen, denn die letzte Freiheit sei von jeder äußeren Schranke unabhängig, sie kümmere sich um keine irdischen Fesseln mehr.

Über seine persönlichen Verhältnisse und Lebensumstände sprach er niemals und idi hütete mich auejj, ihnen nachzufragen. Ich wurde aber, ohne Näheres zu wissen, den Eindruck nicht los, daß irgendein entscheidendes Erlebnis auf ihm laste, das ihm manche Einfalt der Lebensfreude raube und dem er nicht zu entrinnen vermöge. Besonders über die Frauen, dem in Offizierskreisen wohl gangbarsten Thema, sprach er sich niemals eingehend aus; ja, es schien mir, als ob er, sowohl im besonderen als auch im allgemeinen, ein Gespräch über siS vermeide. Und ich glaubte an seiner mir lieben und bedeutsamen Gestalt wieder einmal die mir für beide Geschlechter gleich schmerzvolle Erfahrung bestätigt zu sehen, daß irgendeine herbe Enttäuschung, eine peinvolle Erkenntnis der Unwürdigkeit des andern, die gerade wertvolle Menschen am stärksten befällt, auch hier jene böse alte Kluft der dauernden inneren Entfremdung zwischen Adam und dem Weibe aufgerissen habe. Wie sehr meine Vermutung diesmal aber auf Irrtum beruhte, wurde mir erst später klar.

Eines Abends, wir saßen nur noch wenige Verspätete im Lichtschein unseres Kronleuchters, fiel mir plötzlich ein, vor Jahren in einer großen Wiener Tageszeitung einen Aufsatz von ihm über die befreienden Werte der Einsamkeit, besonders im Hinblick auf den Künstler, gelesen zu haben, der mir als das Beste ersdiien, was er jemals geschrieben. Der Artikel hatte damals allgemeines Ausfehen erregt, er war in Inhalt und Form gleich meisterhaft gelungen, der geniale Wurf eines glücklichen Augenblicks, dessen Lichtgeburt auch der Laie zu würdigen verstand.

Ich sagte ihm das unverhohlen und fügte hinzu, ich hätte den Artikel in meiner Begeisterung audi gleich an verschiedene meiner Bekannten versandt, die alle davon entzückt gewesen seien.

Da fiel mir, kaum daß ich das sagte, auf, daß sich seiner eine seltsame Unruhe bemächtigte. Er tastete nervös In seinem Weinglase herum, schloß die Augen, wie um einen Vorhang zwischen sich und einer ihn quälenden Vision zu ziehen, trank das Glas in einem hastigen Zuge leer und lenkte das Gespräch ganz unvermittelt ab: „Sie sind dodi morgen auch bei der Partie auf das Pordojjoch? Exzellenz hat uns eingeladen, mitzutun. Der deutsche Artiüerie-kommandant schlägt littj nämlich vor, die ganze Verteidigungslinie auf gut drei Kilometer bis über Arabba hinaus nach vorne zu verlegen. Und ich glaube, daß er recht hat. Morgen soll die Sache sich entscheiden.“ Dann reichte er mir in ungewöhnlicher Hast die Hand, sdiritt rasch aus dem Saal und ließ mich im bedrückenden Gefühl zurück, hier unbewußt etwas ihm Peinliches berührt zu haben, das ich mit bestem Willen nicht zu ergründen vermochte.

Als wir am Abend des nächsten Tages vom Pordojjodi zurückkehrten, es war ein Tag gewesen voll reiner Erhabenheit der Natur und voll peinlichen Zwiespalts des kämpfenden Menschentums, wurde uns mitgeteilt, es werde heute einen fröhlichen Abend geben, denn Oberleutnant Brendelin sei da mit seiner Laute

Ich hatte von Brendelin bereits gehört. Er war einer unserer besten Fliegeroffiziere, schon von der russischen Front her vielfach erprobt und mehrfach ausgezeichnet, und es war wie ein seltsamer Widerspruch, der ihm alle Herzen gewann, daß dieser srimmije Luftritter zugleich ein feiner er-builichcr Sänger zur Laute war, im ganzen Bereiche der Division bekannt und beliebt, Soweit es sein Dienst, der ja doch an die Falkenhelle des Tages gebunden war, erlaubte, pflegte er abends mit der nächstbesten Fahrgelegenheit bei den Kameraden irgendeines Stabes zu ersdieinen und ihnen, lediglich aus der Freude heraus, andern Freude zu bereiten, viele Stunden lang mit verblüffender Vielseitigkeit Lied für Lied zum besten zu geben und hierauf in tiefer Nacht zum Fliegerpark wieder heimzukehren, um dann am nächsten Morgen mit stählerner Sicherheit seine weiten spähenden Kreise im gefährlichen Luftspiel der Dolomiten und über den Stellungen des Feindes zu ziehen.

Als Brendelin uns vorgestellt wurde und Degenharts Namen hörte, schlug er die Hacken zusammen:

„Ich habe Herrn Major einen Gruß zu überbringen von meinem Freunde Oberleutnant Leublin. Er kam vor etwa acht Tagen wieder von der russisdien Front zurück und sitzt jetzt bei uns in Predazzo.Er hofft, Herrn Major besuchen zu können, sobald es der Dienst erlaubt.“

Es fiel mir auf, daß Degenhart bei der Nennung dieses Namens zusammenzuckte und sichtlich nach Fassung rang.

„Soso, das freut mich, das freut mich“, erwiderte er in merkwürdig bedrücktem Ton. „Ich lasse Leublin gleichfalls schön grüßen und er möge nur bald kommen.“

„Werde es ausrichten, Herr Major.“

Wir saßen dann an der Abendtafel, diesmal aber nicht im großen Saale, sondern in einem kleineren Nebenraum, wohl mit Rücksicht auf die intime Kunst des Sängers. Hier war auch das Licht nicht unzureichend, es füllte den Raum mit Behaglichkeit, rückte Menschen und Dinge einander gesellig näher. Durch die Tür sah man in -den geräumigen, in Hellblau ausgestatteten „Damensalon“ des Hotels, der uns die rettungslose Einsdiichtigkcit unserer militärischen Gesellschaft nur um so„ deutlicher aufzeigte.

Unser einfaches Abendessen war bald zu Ende und Brendelin griff nach seiner Laute. Noch leuchtet das Bild vor mir auf: die Offizien rings um die Tafel sich erwartungsvoll zusammenfindend, da Brendelin sein reich bebändertes Instrument zu stimmen begann. Man kannte Brendelins Programm in diesem Kreise, er hatte wohl für jeden das Seine mitgebracht, er sei, so war mir berichtet worden, der Vielfältigkeit aller Wünsdie gewachsen, vom Naiv-Sentimentalen bis zu den Zwei- und Mehrdeutigkeiten des modernen Landsknechts-licdcs. Das war ja wohl Bedingung in diesem vom Zufall der Dienstbestimmung zusammengewürfelten Männerkreise: wer hier siegen wollte, mußte noch Schwierigeres bewältigen als seine Kunst allein: es galt einer Herrengesellschaft von Durch-schnittsgesd-imack unterhaltsam zu sein!

Schon nach den ersten Strophen .des schlicht bedeutsamen Volksliedes, mit dem Brendelin begann, war mir klar geworden, worin seine Wirkung lag. Er sang und spielte wie andere auch, es deutete sich nirgends eine Offenbarung an, außer — in seiner Persönlichkeit. Da trug er eine durchaus bezwingende Sicherheit zur Schau, deren Weljfen und Ursache sich kaum hätte näher verdeutlichen lassen. Eine seltsam spöttische Nachlässigkeit, mit der er sein Lied bis an die Grenzen des Erlaubten heranbrachte, erweckte im Hörer den Eindruck, als tänzle er auf einem edlen Pferde am Rande eines Abgrunds dahin, in lächelnder Sieghaftigkeit, doch auch den Untergang nicht scheuend, wenn es sein mußte.

Es konnte kein Zweifel sein: dieser soldatische Sänger übertrug die Todesnähe, die er täglich vor Augen harte, in die Dascins-freude seiner Kunst, er schwebte derart zwi sehen dem Auf- und dem Niedergange des Daseins, Bejaher und Verneincr zugleich, er war aus dem Holze gezimmert der großen Desperados und Konquistadoren des Lebens, denen insonderlich zufliegt, was das Abenteuer liebt: das Krieger- und das Frauenherz. (Fortsetzung folgt)

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