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Digital In Arbeit

Auf dem Veitsberg

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4. Fortsetzung

Nun sage mir keiner, ich hätte nichts dageg en getan. Ich wehrte mich wie ein Löwe, ich tobte gegen mich selber, ich beschimpfte mich, ich sagte mir hundert Argumente dagegen, aber was kann ich dafür, daß Gefühle tiefer sitzen als die Vernunft? “Eine elementare Kraft war in mir aufgebrochen, und mit ungestümer Wucht überflutete sie mein Herz. Wenn ich alles erwartet hätte, aber das kam mir überraschend. Zerstreuung, Ablenkung, Arbeit, sagte ich mir, werden mich von dem Fieber meines Herzens heilen.

Ich ging in den Galten und arbeitete, bis ich meinen Rücken nicht mehr aufrichten konnte. Ich aß ein Stück Brot und eine Rübe, am Abend trank ich Milch. Ich erinnerte mich, daß harte Arbeit und Fasten einem die romantischen Torheiten vertreiben, aber es half nichts. Ich träumte von einem neuen Leben mit einer andern Frau. Warum nicht? Ich* war ja so schon so gut wie geschieden, es fehlten bloß die Formalitäten. Wir waren schon wie Fremde zueinander. Keine Macht der Erde konnte mich zwingen, einen Zustand aufrechtzuhalten, der auf einem Irrtum beruhte. Maria würde ich es ohne weiteres schreiben. Sie könnte nichts dagegen sagen. Aus meinem Zustand könnte mich nur ein großes neues Gefühl herausführen, es würde mich verjüngen und verändern. Hugo hatte doch zugegeben, daß unsere Ehe zum Großteil schuld an meinem Zustand war. Ja, Hugo sollte es wissen. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, jemand zum Mitwisser zu machen. Ich schrieb Hugo einen Brief, worin ich ihm die Veränderung mitteilte. Sehnsüchtig wartete ich auf eine Antwort, als ob damit eine Entscheidung fallen würde.

Ich will es nicht verschweigen, daß ich mehrere Briefe an Liesl schrieb, sie aber jedesmal verbrannte. Ich schämte mich.

Ich glaubte, es auf einmal auf dem Berg nicht mehr aushalten zu können, ich wollte auf der Stelle fort, zu ihr. Wenn die Pich-lerin hier gewesen wäre, hätte mich nichts davon abhalten können. Liesl hatte keine Kinder, wir auch nicht, fiel mir wieder ein, wie gut sich das traf. Jeden Liebenden noch hat es zu seiner Geliebten gezogen, ja. ich wollte es nicht mehr leugnen, ich liebte Liesl aus der ganzen Kraft meines Herzens. Ich suchte sie mir vorzustellen, doch es gelang mir nicht recht. Ihre Züge verschwammen. Was für ein Mensch war sie überhaupt? Welche Wesenszüge hatte sie mir gezeigt? Ich fand nichts Rechtes, ich wollte mir nicht eingestehen, daß sie mir, rational gesehen, fremd war. aber was sagt das, wenn ihr alle meine Gefühle entgegenschlugen? Ich verschloß das Haus, lieh mir beim Kaufmann ein Fahrrad und fuhr zur Pichlerin. Sie war überrascht, mich zu sehen, denn sie glaubte, ein Unglück sei passiert. Ich beruhige sie, Laura und Susi gehe es gut, sonst sei auch nichts vorgefallen, ich wollte bloß einmal mit ihr reden. Sie atmete auf. und wir kamen gar nicht gleich ins Reden. Ich verlangte die kranke Tochter zu sehen. Die Pichlerin führte mich zu ihr. Bleich lag sie in ihrem Bett, ich drückte ihre Hand und setzte mich ans Bett auf einen Stuhl. Man hätte mir nicht sagen brauchen, daß sie lungenkrank ist. Sie hatte Scheu vor mir. Ich stellte ihr die üblichen Fragen. Sie hat ständi? Übertemoerat t, einige Kavernen, man hätte sie in eine Heilanstalt geben sollen. Sie sprach vom Aufstehen und Arbeiten, als hätte sie eine kleine Verkühlung gehabt. Der Ernst ihres Zustandes war ihr fremd, obwohl sie zeitweise Depressionen hatte, wie mir die Pichlerin erzählte, wo sie vom Sterben sprach. Ich sah, es war unmöglich, die Pichlerin aus dem Hause zu nehmen. Ein Schatten war auf meine Gluten gefallen, ich wagte von meinem Vorhaben noch nichts zu sagen. Ich fragte nach den Kindern. Sie seien draußen, werden gleich kommen Ich vergaß auf sie, bis ich sie vor dem Hause antraf. Das Mädchen war etwa fünf Jahre :Jt und recht herzig, es spielte mit einem Püppchen und antwortete auf meine Fragen. Neben ihr stand der achtjährige Bruder. Ich erschrak, als ich ihn sah. Er hatte dünne verbogene Beine, in der Aufregung zappelige Arme und einen zu großen spitzen Kopf. Die Augen verdrehten sich, und die Gliedmaßen machten unregelmäßige zuckende Bewegungen. Ich setzte mich auf die Türschwelle und sah ihn an. Das Mädchen sprach zu ihm wie zu einem normalen Kinde, er gab nur lallende Laute von sich, die ich nicht verstand. Ich war froh, daß kein Großer dabei war. Das Mädchen befahl ihm, ihr einen Stab zu bringen, der einige Schritte weit unter dem Baume lag. Er stolperte hin, ich fürchtete bei jedem Schritt, daß er fallen würde, doch er fiel nicht. Schwerer war das Bücken, er schwankte und griff daneben. Darüber wurde er böse und stieß mit dem Fuß nach dem Holz. Das Mädchen trieb ihn zur Eile. Dann faßte er es doch und eilte zu mir. Sein Gericht verzerrte sich zu einem Lachen, als er ihr zitternd das Spielzeug reichte. Dann lehnte er sich an die Haustür, griff mit den Fingern in das Schloß, sah mit einem Auge hinein, dann mit dem andern, tat ernsthaft so. als untersuche er tiefsinnig das Ganze, bis ihn die Kleine rief. Ich will es nicht leugnen, mir trat das Wasser in die Augen, so war ich erschüttert. Ich war nicht imstande, den beiden weiterhin zuzusehen. Mir wurde elend. Es kam jener Zustand nervöser Erschöpfung, den ich schon lange nicht mehr gehabt hatte. Ein ziehender Schmerz ging durch die Eingeweide, der Atem war schwer, ich schloß die Augen und hatte das Bedürfnis mich niederzulegen. So weit reichten noch die geistigen Kräfte, daß ich mir höhnend sagte:

„Weichherziger Ästhet, so brichst du zusammen, wenn du ein wenig vom Jammer der Menschheit siehst?“

Als ich mich ein wenig erholt hatte, verabschiedete ich mich und fuhr heim, ohne etwas von meiner ursprünglichen Absicht gesagt zu haben. Ich war unsicher geworden. Meine Sorgen erschienen mir romantisch-lächerlich gegen die Sorgen der Pichlerleute. Ich war nur darauf aus, mein Leben heiter und schön zu machen und sie hatten es mit einem ganz realem Elend zu tun. Ich suchte Lasten abzuwerfen und die einfachen Leute trugen größere mit einer erstaunlichen Gefaßtheit.

Uri kam mir bellend entgegengelaufen, als ich auf dem Berge angelangt war. N:chts war in meiner Abweseneit vorgefallen, alle Tiere waren da und lebten. Ich fühlte mich glücklich und geborgen, richtig daheim. Wohl flackerten die Bilder von dem Gesehenen zeitweise vor mir auf und drückten mich nieder, aber die Erinnerung war doch nicht so stark wie die leibaftige Gegenwart. Ich war sehr müde. Beim Kartoffelschälen und Gemüseputzen setzte ich mich, was ich sonst nie tue. Ich machte mir zum Abendessen bloß eine Suppe, weil mir diese am ehesten das Eingeweide beruhigt. Phrasen, wie die folgenden, gingen mir durch den Kopf: Sein Leben schön gestalten, ein Kunstwerk draus machen; trink mein Auge, was die Wimper hält, von dem goldnen Überfluß der Welt. Ich wollte nidit mehr denken, ich wollte nicht mehr die zuckende Gestalt des unglücklichen Kretins sehen, ich wollte zur Ruhe kommen. Ich machte meine Arbeit fertig und legte mich früh ins Bett.

Vor dem Einschlafen blätterte ich im Lesebuch. Es dauerte sehr lange, bis ich einschlief.

Als ich am andern Morgen erwachte, fiel es mir ein, ob ich überhaupt richtig lebe, ob nicht meine ganze Lebensführung falsch sei. Aber ich nahm das nicht ernst. Wer kann schon wissen, wie man richtig lebt? Ist nicht alles zu rätselvoll? Die Gründe unseres Da-eins liegen im Dunkel.

Die Pichlerin hatte mir gesagt, daß Veit schon seit Geburt ein Kretin gewesen. Daß sich sein Zustand verschlechtert habe. Aussicht bestehe für ihn keine. Gilt auch für ihn der alte Satz, daß Sein besser ist als Nichtsein? Kann man bei ihm von einer Lust des Daseins sprechen? Wer ist schuld? Die Eltern? Oder er selber in irgend einer Präexistenz? Wie sich dieses Elend des Knaben mit dem Begriff eines heiligen

Gottes verträgt? Die Tatsache allein, daß es so einen einzigen Fall gibt, hat doch etwas zu bedeuten. Man kann nicht ruhig drüber hinweggehen. Was bedeutet es für mich? Warum hat es ihn getroffen und nicht mich?

Nach dem Läuten setzte ich mich in eine Bank und sah auf den Veitsknaben in seinem Feuerkessel. Die Eindringlichkeit des Symboles machte mich betroffen. Waren auch diese Fälle vorgesehen und in ewigen Sinnbildern gedeutet? Wie kommt man weiter, wenn man das Leben von seiner positiven oder wenn man es von seiner negativen Seite ansieht? Führt das Leid oder die Freude tiefer? Die großen Religionen, wie das Christentum und der Buddhismus, gehen vom Leid aus. Mir ist dieser Weg unsympathisch, wie jedem modernen Menschen. Kann man die Augen schließen und gegen die bessere Erkenntnis leben? Unter dem Kessel des heiligen Veit ist ein kleines Altarkreuz von einer ganz wunderbaren Arbeit. Es ist von einer ins kleinste gehenden Vollendung und hat einen erhabenen Ausdruck. Nicht wie bei Grünewald, dessen Kreuzigungsbild ich nicht mag, sondern mit einer jenseitigen Verklärung. Das Kreuz als Symbol ist mir fremd, es liest wahrscheinlich zu viel drin, daß es mir nähertreten könnte. Kann man denn noch leben, wenn man das Kreuz ernst nimmt? Aber das Leben dauert doch zu lange, als daß man nur auf den Tod warten könnte. Und dafür, daß man sich richtig einrichtet und in der Welt niederläßt, reicht wieder die Zeit nicht, man kommt aus der Angst vor dem Ende und der ständigen Gefährdung nicht heraus.

Ich ging an meine Arbeit. Ich habe mich entschlossen, der Susi einen Auslauf zu machen. Sie soll auch die Lust des Lebens an der Sonne erfahren. Mich bedrückt es, wenn ich weiß, sie sitzt bei Tag und Nacht im Dunkeln, und ich habe ein Gefühl für ein Leben in der Enge, denn mich packt gleich die Platzangst, wenn ich mich nicht nach allen Seiten rühren kann. Der Pichlerin werde ich meine Reform damit begründen, daß Susi dadurch fetter wird und mehr geschützt gegen Seuchen. Zuerst wollte ich sie aus dem Schmutz retten, aber Shweine wühlen gern, das ist ihre Natur, welche sie sich nicht nehmen lassen. Ich mache einen Zaun um den Misthaufen herum, etwas größer vielleicht, daß sie auch ein Stück Rasen hat für reinlichere Bedürfnisse, und das Ganze verbinde ich durch ein Türchen mit dem Stall. Ich habe mir ähnliches angesehen.

Klerus der drei Bekenntnisse angehört; außer ihnen sind auch Jesuiten, Dominikaner und Franziskaner Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft, auf deren Arbeitsprogramm an erster Stelle Förderung der Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten steht. An den großen katholisdien Kundgebungen, die seit der Befreiung von Hakenkreuz und Pfeilkreuz unter Leitung des Fürstprimas stattgefunden haben, nahmen die Protestanten jedesmal korporativ teil. Etwa 20 bis 25 Prozent Abnehmer der katholischen Zeitschrift „Uj Ember“ — „Neuer Mensch“ rekrutieren sich aus Protestanten. Von den Liebesgaben, die die amerikanischen Katholiken den ungarischen Katholiken zukommen ließen, gab Kardinal-Fürstprimas Mindszenty 25 Prozent den Protestanten zur Verteilung ab. Als einige Monate später die Gefahr drohte, daß wegen Mangels an Lebensmittelreserven die Katholische Aktion 120 Armenküchen schließen müsse, stellten der Aktion die Protestanten ihren Vorrat zur Verfügung, bis ein amerikanischer Transport eintraf. Vor Weihnachten wurde der Dechant-pfarrer von Debreczin, Dr. Banäs, durch den Fürstprimas zum Bischof geweiht. Die Bischofsweihe gestaltete sich zu einer Verständigungskundgebung von geschichtlicher Bedeutung. Aus diesem Anlaß ließ der sozialdemokratische Bürgermeister die Stadt Debreczin beflaggen. Protestantische Abordnungen standen beim Empfang des

Fürstprimas Spalier. Die Stadt und die protestantische Kirche ließ sich am Akt der Weihe vertreten. Der protestantische Bisdiof Revesz begrüßte in einer schwungvollen Rede den Fürstprimas und den neuen Bischof, nachdem er dem Fürstprimas einen Besuch abgestattet hatte, der vom Fürstprimas erwidert wurde: die vom Bischof Prohaszka erträumte „Regenbogenbrücke“ war zur Wirklichkeit geworden. Die gegenseitige grundsätzliche Verständigung — freilich nicht in dogmatischen Fragen — äußert sich aber am trefflichsten im gemeinsamen Kampf um den Bestand der konfessionellen Schulen, der von Katholiken, Protestanten und Kalvinern mit vereinten Kräften geführt wird.

Die Schlacht von Mohacs, die dem selbständigen Staat Ungarn den Todesstoß gab, zerbrach auch die Einheit des Landes im Glauben. Nun hat Ungarn eine ähnliche, wenn nicht gar noch größere Katastrophe erlebt. Wenn die Zeichen nicht täuschen, dürfte die Katastrophe dem ungarischen Volke zum Heile gereichen, indem sie die vor 400 Jahren aufgerissenen Klüfte und Gegensätze schließt und überbrückt und das ungarische Volk der Gnade teilhaftig werden läßt, der Verwirklichung des biblischen Wortes über „ein Hirt und eine Herde“ zustreben zu dürfen, auch wenn dafür den Menschen noch nicht alle innerkirchlichen Voraussetzungen gegeben erscheinen.

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