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Peter Anich, der STERNSUCHER

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15. Fortsetzung

7. Kapitel.

Sie hatten beschlossen, daß Peter eine Stunde tot Tag das Haus verlasse. Die Mutter schlief jedoch an jenem Morgen um erstenmal wieder bis in die Frühe hinein. Sie hatte wohl die Nacht über schlaflos gelegen. „Geh nur“, sagte Leni, „der Mutter ist es lieber, du bist am Abend wieder zeitig daheim.“ Aber Peter wartete in der Stube, bis er von oben her seinen Namen rufen hörte. „Ein gutes Wort tsnd der Segen der Mutter sind heut wichtiger als eine Stunde früher oder später“, sagte er.

„Daß sich der Herr Bruder nur nicht allzuwichug vorkommt“, rief ihm Leni nach. Sie verbarg hinter dieser schnippischen , Rede doch nur ihr Unbehagen. Nicht, daß sie die Vroni so arg ins Haus gewünscht hätte, doch die mißglückte Werbung, wenn audi eine, die kaum ernsthaft unternommen worden war, erschien ihr als ein schlimmes Anzeichen für all das, was Peter nun in Innsbruck unternehmen wollte, ein sichtbares Zeichen des Schicksals, daß es die Wünsche des Bruders nicht erfüllen mochte. Und sie lobte bei sich die ihr vordem so oft unverständliche Art des Bruders in den letzten Jahren. Ihn, der nun adit Jahre ein Leben ohne seine geliebten Sterne und sein Rechenbüchlein ertragen hatte, konnten nun auch die Herrn in Innsbruck nicht ins Herz treffen. Diese nicht sehr sidiere und mit allerlei Gegengründen beschwerte Überlegung war aber auch ihr einziger Trost.

Die Mutter richtete sich, als Peter die Stube betrat, im Bette auf. „Du tust heute eine weite Reise“, sagte sie, „weiter als die drei Stunden Weg, die du vor dir hast. Dein halbes Leben bist du bereits auf dem Wege nach Innsbruck. Ich will den ganzen Tag über unseren seligen Vater bitten, daß dir alles gelinge, wie du es wünschest oder wie es für dich zum Besten ist.“

„Der Vater wird mit mir sein“, sagte Petc leise, „aber wenn auch du ihn bittest, wird er mir sicher sagen, was idi zu tun und zu lassen habe.“

„Es ist gut, wenn es so ist.“ Die Mutter ergriff jetzt seine Hand. „Du bist ja noch niemals allein und so weit über unser Dorf hinausgekommen. Den Himmel kennst du und die Sterne auf dem Himmel, aber die Welt kennst du nicht. Du weißt manches, was andere Bauern nicht wissen, aber welche Gefahren einem auf so weitem Wege begegnen können, und wie man ihrer Herr wird, das weißt du nicht. Auch ich, wenn ich mit dir ginge, war dir ein schlechter Berater. Aber ein weniges weiß idi wohl, weil th alt bin und mich früher schon in der Welt umgesehn hab. Sonst hätt ich ja auch deinen Vater nicht zum Mann bekommen. Es ist wieder Krieg, Peter, und wenn sie auch in Böhmen raufen oder irgendwo oben, so kann es darum doch auf unseren Straßen für einen Burschen gefährlich sein. • Haben schon manchen jungen Mann eingefangen und sehr gegen seinen Willen zu einem Soldaten gemacht. Geh deshalb an fremden Mannsbildern lieber vorbei und rede mit ihnen nicht mehr, als nötig ist. Wenn du aber in die Stadt hineinkommst, dann verlauf dich nicht. Laß dich von keinem Menschen in ein Wirtshaus locken, sag auch den fremden Leuten nicht zuviel von deinen eigenen Sachen. Sie ver-stehn dich dann nicht oder schlecht. Bald du aber vor einen der gelehrten Herrn hintrittst, dann denk daran, daß du der Sohn* des Anichbauern bist. Betteln braucht ein Bauer nicht. Wenn sie dich dann unten behalten wollen, frag die Herrn, ob das für deine Seligkeit vonnöten ist, auch für deine irdische, mein ich, ob du dann nämlich all das auch lernen kannst, was du dir als Ziel gesetzt hast und was du auch gelernt hättest, wenn dein Vater unter uns lebte. Ist das nicht der Fall oder reden die Herrn ich nicht deutlich aus, dann komm lieber wieder heim. Falls sie dich aber nicht brauchen können oder nidit unterrichten wollen oder dich als. einen Bauernbuben verladien, dann ertrag auch das so tapfer, wie du es die Jahre her ertrage hast. Jeder Mensch hat ejn solche Sache au tragen,

wnd keiner weiß, ob ihn das eine Kreuz nicht von anderen noch schwereren Kreuzen loskauft.“

„Ich weiß es Mutter, und ich will nach deinem Rate handeln.“ Peter kniete jetzt an ihrem Bette und spürte nur mehr, wie tröstlich ihre hagere Hand aut seinem Scheitel lag.

„Und wenn du die Marie siehst, dann sag ihr: Die Mutter läßt sie grüßen und ihr sagen: mit dem Eigensinn ist noch niemals ein Mensch selig worden. Sie kann ein Unrecht nicht durch ein anderes gutmachen. Genau so sag es ihr,'auch das vom Unrecht. Sie könnt, wenn ihr Mann wirklich nicht mehr heimkommt, auch bei uns leben. Ich zwing sie nicht. Brot und Arbeit gibt es bei uns genug.“

„Und wir brauchten keinen fremden Mensehen im Haus, das wäre freilich das allerschönste, Mutter.“

„Sie ist uns vielleicht fremder worden, als du denkst. Und eine rechtschaffene Bäuerin kann auch sie uns nicht ersetzen, das weiß doch der Peter.“

„Ach, das weiß ich“, sagte Peter und richtete sich jetzt auf. Die Martinswand drüben lag* schon in der vollen Sonne. „Aber- ich' muß erst das meine tun und meiner selbst ganz sicher sein, eh idi ein Weib nehme. Das versteht die Mutter. Es soll zwischen mir und meinem Weibe dann niemals ein Vorwurf sein, auch kein verschwiegener, daß sie mich an meinem eigenem behindert hat, so wie ich mich all die Jahre her gehindert habe.“

„Auch kann ein Mensch nicht alles Glück zu gleicher Zeit einheimsen das erträgt keiner. Mandiem wird audi das eine vorenthalten unv des anderen, größeren willen. Jetzt aber versäum dich nicht länger \ bei mir. Ist ja alles nur so geredet.“

„Auch jetzt war der Vater wieder, bei uns“, sagte Peter und ging.

Die Leni begleitete den Bruder bis zur Poltenkapelle. Ob er sein Schreibbüchlein mithabe, fragte sie, und nicht in den Jahren der Bauernarbeit zu viel vergessen habe. Sie wüßte ja noch manches von den Sternen,' meinte sie, und gar zu gern ginge sie mit ihm. Ihm aber war leicht ums Herz, so als ob ein sanfter Wind allen Frost in ihm aufgetaut habe, und als er dann allein ausschritt und' die ferne Stadt im Nebel dampfen sah, wußte er alles, wav er je gewußt und gedacht hatte, aber seine- Gedanken waren auch erfrischt wie nach einem langen stärkenden Schlafe. Es bekümmerte ihn auch nicht, daß die Leute von den Wiesen herüberblickten und ihm lange nachsahen oder daß gar einer ihn befragte, wohin er an einem so sdiönen Tag verreise. Er sagte jedem: nach Innsbruck, und es ärgerte ihn auch nidit, daß etliche den Kopf beutelten und ihn seltsam anblickten, denn sie verwunderten sich, daß er nun doch nach der Stadt ging, noch dazu an einem Montag und mitten in der ärgsten Anbauzeit.

Die Wegkreuze, bald auch die Türme von Zirl und Kematen, sie alle grüßten ihn, als schaute er sie zum erstenmal, und er wußte doch um jeden Stein am Wege. Ja er dachte jetzt sogar an Vroni und an die acht versäumten Jahre ohne Bitterkeit.

Bald gingen seine Gedanken auch wie einst den sichtbaren Dingen nach. Er schätzte die Häuser und Türme und Kirschbäume; selbst die Heuhütten auf den Feldern nach Höhe und Entfernung, er prüfte die Richtungen und visierte, so gut das ging, durch die Finger. Plötzlich aber, er sah schon Kematen vor sich stockte er, als sei die ganze sdiöne Sicherheit von ihm gefallen. Der Vater hatte damals die Visu-ren richtig eingezeichnet. Das stand außer jedem Zweifel. Auch gab es keine so rasdie und sidiere Art, ein Stück Land zu vermessen. Sie galt aber, sdiien ihm nun plötzlich, nur für ebenes Gelände, für die flache Gemarkung von Oberperfuß vielleicht, wo einer die breitgewölbten Grashügel leicht überschauen konnte, für Berge mit ihren Zacken und Nasen galt diese Art des Messens wohl nicht. Peter blickte prüfend nach der Martinswand hinüber — es gab kein

besseres Beispiel rundum —, er prüfte die Visur an einer nahen Fichte, schritt die Entfernung ab und schätzte. Mit der Visierlinie allein, da bestand für ihn kein Zweifel, war wenig getan, zur Visur mußten erst die Höhenmaße treten, ,die genauen, die gemessenen Höhen. Die Höhe aber, das ward ihm sogleich deutlich, ergab sich durch zwei Visuren, durch die gegen den Fuß und die andere gegen den Gipfel des Berges gerichtete, durch den Triangel, das Dreieck, zwischen beiden.

Kaum hatte er dies bei sich bedacht, schien ihm jedoch das plötzliche Erschrecken und die Anstrengung um einen rechten Triangel vollkommen überflüssig. Er braudite ja die angestrebte Höhe nicht von irgendeiner Seite her abzeichnen, sondern allein von oben, so wie der kreisende Adler sie erblickte. Sah einer die Dinge aber erst einmal mit den Vogelaugen, dann war es dodi gleichgültig, unter welchem Blickwinkel einer die Gipfel der Martinswand anging, ob er ihn von Kematen aus anvisierte oder von Innsbruck oder von Zirl her, steil oder flach. Der Schnittpunkt der einzelnen Visuren stand und lag fest, ob er nun auf einer brettelebenen Fläche oder auf-einer steilen Bergwand lag.

Obgleich aber Peter nun wieder rasch ausschritt und über die Maßen glücklich war, der Triangel wollte doch nicht aus seinen Gedanken. Gewiß, er bedurfte seiner nicht, wollte er bloß den Gipfelpunkt auf einem Papier festlegen, da hatte der Vater recht, über die Höhe des Gipfels aber sagte dieser Punkt nodi lange nichts aus. Wer aber diese Höhe finden wollte, bedurfte der genauen Visuren gegen den Fuß und gegen den Gipfel und des von beiden eingeschlossenen Winkels.

Peter erschrak plötzlich. Er war in Gedanken an seinem Weizenacker vorübergelaufen, gut fünfhundert Schritte war er Jsdion vorbei. Er überlegte nicht lang und ging das Sträßlein wiederum zurück, dann die Raine entjang, bis er vor der schon zartgrünen Saat stand. Sie wogte.noch nidit wi; das Winterkorn auf den Nachbarfeldern, dazu war sie noch zu jung. Es war aber audi kein Makel an ihr.

Und da er zärtlidi über den Acker hinblickte, wußte er auch, daß er vorerst des Winkels gar nicht bedurfte. Sein Rahmen genügte wohl, jener gute, alte Meßrahmen, den ihm sein Vater einst ausgeredet hatte. Lange hielt audi diese Freude freilich nicht vor. Bald war ihm klar, daß er mit jenem Rahmen nur messen konnte, wenn auf dem Hügel oder Berggipfel ein Ding stand, das groß genug war, daß der Rahmen noch ansprach, eine schlanke Fichte, eine gleich hohe Stange, ein Turm, ein absonderlich steiler Felskopf. Den ganzen Berg konnte er doch nicht einfach mit dem Rahmen umspannen, denn wußte er erst die Höhe' des Berges, bedurfte er auch des Rahmens nicht weiter. Wenn er aber nun annahm, daß sich auf einzelnen Gipfeln solche Meßzeichen befanden oder leicht errichten ließen, stand doch sogleidi die alte Schwierigkeit auf, daß er für jedes dieser ungleich hohen Zeichen einen eigenen neuen Rahmen mit den nur für diese eine Messung geeigneten Marken brauchte. So erwies sich diese Art sogleich umständlicher, als er im ersten Jubel gedacht hatte.

Erschöpft setzte er sich am Rande des Sträßleins ins Gras. Er legte sein Schreibbüchlein auf die Knie und zeichnete ein. wenig, wie er sich den Vorgang dachte, kam aber nidit voran. Er mißtraute bald auch jedem neuen Gedanker und dies um so mehr, je verlockender er sich gab.

Plötzlich fiel ein Sdiatten auf sein Büchlein. Der jüngste der Huebersöhne stand vor ihm. Peter hatte nidits gegen den jungen Blasius, immerhin war er ein Huebe-rischer, einer, der sich wie eine Katze an-geschlidien hatte und sicherlich neugierig war, was der Peter da mitten auf der Straße vor Kematen über seinem Schreibbüchlein sinnierte. Am nämlichen Tag wußte dann ganz Oberperfuß von diesei seltsamen Begegnung. Das hätte Peter noch vor einer halben Stunde nicht sonderlich gekränkt,

jCÜZt, “WO CT bereits mit sehr Tjel wuDrger

Zuversicht dem Tage entgegensah, wog auch das. Gered der anderen wieder schwerer.

Der Blasius schwatzte indes soghich unbekümmert, er sei in Kematen bei einem Vetter gewesen, seine Tante sei krank, aber schon wieder aus dem Bette, er habe dort genäditigt und gehe nun hrimzu. Er habe es auch an einem so schönen Morgen nicht sonderlieh eilig. Dabei blickte er dem Peter über die Schulter, und sdiließlich fragte er ihn geradeheraus, was er da in seinem Büchlein zeichne. 0

Er zeichne, was ihm just einfalle, sagte Peter darauf, auch er habe es an einem so feinen Morgen nicht eilig, und es falle ihm manches 'ein, was einen so jungen Buben kaum bekümmern könne. Leuten, die nichts davon verstünden, erscheine seine Kritzelei leicht albern, wie ja den Unverständigen gar manches in der Welt töricht erscheine. Das sei auch durchaus weise eingerichtet.

(Fortsetzung folgt)

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