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PATER RUPERT MAYER

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Es mochte früh fünf Uhr sein; der Morgenstern war wie ein kleiner Mond und blieb über blaßrosa Streifen lange glänzend. Vor uns aber dehnte sich weithin ein sanftes Nebelmorgengrau, aus dem sich immer wieder dunkle Gipfel erhoben, bis wir näher kamen; dann waren keine Berge da, sondern bloß dichte Gruppen hoher Ulmen, Pappeln und Akazien. Ein Wegweiser zeigte an, daß wir uns keine neunzig Kilometer von Paris befanden. Wir eilten eben an der Ortschaft Amy vorüber, als uns auf schwarzem Pferd ein Reiter begegnete. — „Der Herr Divisionspfarrer ist wieder früh auf dem Weg“, sagte mein Führer. Es war der erste Geistliche, den ich im Felde traf. Seine Uniform hatte ein graueres Grau als unser mehr grünliches, die Aufschläge aber beinahe das nämliche Violett wie die schönen Kardendisteln, die gerade jetzt auf dem Felde um Amy blühten, nur etwas dunkler. Was aber sein Gesicht betraf, so wäre es nicht nur hier in der einförmigen Landschaft, sondern auch in jeder Versammlung vieler Menschen durch seine Entschiedenheit aufgefallen. Es war im Frühlicht gelblichbleich, schmal, scharf, die grauen Augen tiefliegend, nicht ohne Spuren von Müdigkeit, die ganze Erscheinung aber so voll Zucht und Würde, so belebt von einem guten Willen, dazu so heiter und biegsam, daß körperliche Abspannungen da wohl nicht so leicht aufkommen konnten. Der Geistliche hielt seinen Rappen an, fragte, ob ich der neue Bataillonsarzt wäre, beugte sich zum Händedruck nieder', wünschte mir Glück und .ritt weiter. Daß .er mit kräftig treuherziger Stimme ein veredeltes - Schwäbisch' ^redete, so daß ich abermals an meine Augsburger Freunde gemahnt wurde, empfand ich als eine besondere Aufmerksamkeit.

Es gibt Physiognomien, die verraten, daß ihr Träger einmal vor einer Kreuzung mehrerer Wege gestanden hat, und je nachdem er einen weiterging, formte sich der ganze Mensch der Erde oder dem Lichte zu. Hier nun hatte sich eine Verbindung von Priester- und Soldatentum ergeben, die mir in so geistig-natürlicher Form durchaus neu war. Man fühlte einen Menschen, dem es nicht schwer sein konnte, auch die härtesten Gelöbnisse zu halten. Auch wenn mein Begleiter es nicht erwähnt hätte, daß dieser Pater Rupert Mayer dem Orden der Gesellschaft Jesu angehörte, wäre mir Ignatius von Loyola in den Sinn gekommen. Auch dieser war ja Offizier gewesen, und erst, nachdem ihm in der Zitadelle von Pamplona eine Kugel das Bein zerschmettert hatte, Mönch geworden. Dem Infanteristen ging das Herz weit auf, als er Näheres von dem geistlichen Herrn berichtete. Dieser sei ziemlich leidend, gehe aber in kein Lazarett, schone sich überhaupt in keiner Weise, nehme jede Mühe gern auf sich, und man müsse sich nur wundern, daß er noch lebe. In den Kämpfen an der Somme habe er sich mehr als die Mannschaft selber der Gefahr ausgesetzt, auch beim Einschlagen schwerster Geschosse auf Deckung verzichtet und wie ein Unverwundbarer überall die Sterbenden aufgesucht und getröstet.

Mir gingen diese Lobesworte in der folgenden Zeit stetig durch den Sinn, vor allem in den Wochen des Mißbefindens, das mich nun, eine Folge veränderter Lebensweise, grausam heimsuchte. Bald sah es wirklich darnach aus, als wäre ich dem Dienst nicht gewachsen. Der Magen wurde krank, jede Nahrung zum Ekel, eine Art Ruhr nahm die Kräfte, und all dieses war doppelt schlimm, weil ich gleichzeitig einen sehr gewaltsamen Reitunterricht mitmachte. Nach den ersten Biwaks auf rumänischen Bergen stellten sich als Zutaten kräftige Hexenschüsse in verschiedenen Muskelgruppen ein, eine Häufung, die selten beobachtet wird und es wert war, daß man eine kleine Abhandlung über sie schrieb. Täglich nahte die Versuchung, beim Divisionsarzt Lazarettbehandlung zu beantragen; sooft es aber damit Ernst wurde, nahm ich lieber gleich eine kleine Handvoll Aspirin- und Opiumtabletten auf einmal, als daß ich mich der Schmach überlieferte; denn ein kranker Arzt ist ohne Zweifel die traurigste Figur, die es im Felde gibt. Aber die Gifte nahmen immer nur einige Stunden lang den Schmerz und belästigten dafür den Magen. Auf die Dauer war es ohne Zweifel wirksamer, mit aller Kraft an den ernsten stillen Priester zu denken, der nach allem, was man von ihm hörte, weit Ärgeres erduldet hatte, ohne seine Leistung nur um einen Grad herabzusetzen. An sein Vorbild klammerte sich meine Verzweiflung; ich zwang es gewissermaßen, mir Kräfte aus dem Unsichtbaren zuzuwenden, und so überstand ich immer wieder den Tag oder die NaCht. Manchmal trafen wir einander, schliefen wohl auch einmal im gleichen Zelt oder 6aßen an der Mittagstafel des Regimentsstabes gegenüber, kamen jedoch im Gespräch über allgemeine freundliche Worte nicht hinaus. Mich machte seine Gegenwart immer ein wenig befangen; vielleicht war mir zumute wie einem Dieb, der sich, unschuldig lächelnd, mit dem Manne unterhält, den er heimlich immerzu bestiehlt; und als er einmal mein angegriffenes Aussehen besprach, das vermutlich immer noch besser war als sein eigenes, da versicherte ich ihm, das bedeute nichts, merkte aber, daß ich dabei rot wurde. Übrigens ging es mir mit ihm wie mit manchem außerordentlichen Menschen: seine magnetische Heilkraft wirkte aus der Ferne mächtiger als in unmittelbarer Nähe, und im Grunde gleichen wir ja alle mehr oder minder dem Johanniskäfer, der, in der Hand gehalten, ein dunkles Insekt ist, und nur beim freien Dahinfliegen ein schönes Licht. Oft, wenn ich mich mit Soldaten unterhielt, streifte mich sein Geist, und ich mußte mir sagen, daß in dem Truppenkörper, dem wir angehörten, ohne ihn gar manches weniger erfreulich gewesen wäre.

Pater Mayer hatte niemals meine ärztlichen Dienste in Anspruch genommen; als es aber wirklich einmal geschah, da war es eine dunkle Stunde für die ganze Division. Am vorletzten Tag des Jahres 1916 sollte den Russen der Gipfel des Berges Vadas entrissen werden, wo sie dicht über unseren Köpfen in festen Stellungen saßen. Zwei Stunden lang hatten unsere Geschütze den Sturm vorbereitet, und immer stärker wurde die feindliche Gegenwirkung, als mein Diener verstörten Blickes meldete, der Herr Divisionspfarrer liege mit schwer verwundetem Bein im Sulta-Tal; er lebe zwar noch, sehe aber schon aus wie ein Toter. Seltsamerweise war das erste, was mir bei dieser Botschaft einfiel, das zerschmetterte Bein des heiligen Ignatius von Loyola. Ich eilte mit meinem Assistenzarzt Dr. Rouge, einem Landsmann aus dem Bayrischen Walde, den Fuß des Vadas entlang. Witterung und Landschaft haben sich mir für immer eingeprägt. Bei warmem Föhnwind war die Luft unter grau verschlossenem Himmel übermäßig durchsichtig; ein gefrorener Wasserfall am westlichen Hang, einer zweimal gebrochenen Treppe gleichend, hatte an seinen perlmuttrig schimmernden Rändern zu tauchen begonnen; zwischen ganz entfärbten, wie aus weißem Papier geschnittenen Farnwedeln, standen noch, Blumen ähnlich, kleine violette Schwämme. Am Eingang in das leere Tal kam uns ein Mann mit Stahlhelm entgegen; er deutete auf eine der grauen Schäferhütten, die sich in jenen Waldgebirgen überall finden; dorthin habe man den Verwundeten gebracht. Das moosbewachsene Blockhäuschen stand nah dem fichtenreichen Gehänge, in dessen felsigen Winkeln und Einschnitten die deutschen Minenwerfer und Kanonen versteckt waren. Darauf zulaufend, sahen wir links und rechts Einschläge russischer Granaten; es waren aber nur kleine Kaliber, und die meisten blieben, ohne zu zerspringen, im Boden stecken. Vier Krankenträger der Sanitätskompanie langten mit einer Bahre fast gleichzeitig mit uns von der entgegengesetzten Seite her bei der Hütte an. Ein schöner schottischer Schäferhund, mit rotem Kreuz am Halsband, der seit einiger Zeit den Pater auf seinen Gängen in die Stellung zu begleiten pflegte, sprang vor der verschlossenen Tür ratlos hin und her, immer wieder von Geschossen zurückgescheucht. Drinnen gab es keinen Bretterboden; der Priester lag in einer Blutlache auf bloßer Erde, den Mantel über sich gebreitet, Gesicht und Hände leichenblaß, aber wundersam ins Knabenhafte verjüngt. Das Lächeln, womit er uns grüßte, war deutlich und gegenwärtig, kam keineswegs aus dem Nichts herüber und gab uns erst den rechten Mut zur Hilfe. Doktor Rouge legte nach gestillter-Blutung^einen-meisterlichen Verband um den heillos zerfetzten Unterschenkel; er tat es,mit all der andächtigen Hingabe, die ich 'stets“-an' ihm' bewundern mußte, und schien unsere unheimliche Lage gar nicht zu beachten. Daß der Gegner die windige Hütte einer Beschießung würdigen wolle, war nicht anzunehmen; doch suchte er vermutlich ein sehr nahes Ziel und hatte keinen Grund, sie dabei zu schonen. Jedenfalls konnte ich mir nicht verhehlen, daß jetzt auch schwere Granaten kamen, daß einige sehr niedrig über uns hinsausten, daß der Boden von immer näheren und stärkeren Einschlägen bebte und schwankte, daß oben ein Sprengstück durch die Balkenwand schlug und einmal draußen der Hund aufheulte.

Durch zwei kleine Luken ging der Blick zu einem dem Feinde ziemlich verborgenen Pfad hinüber, der auf halber Höhe des Hanges nach dem Dorf Sostelek führte. Teils war er durch natürliche Bewaldung, teils durch eingesetzte Bäumchen maskiert, und seit wir die Stellung am Vadas hielten, hatte sich der ganze Verkehr dort abgespielt. Von einer völligen Deckung war freilich die Rede nicht. Ich sah Meldegänger herankommen; ihnen entgegen, sehr langsam, tastete sich ein Soldat, von einem anderen gefühlt. Mit einer Hand hielt er sich die weißverbundenen Augen zu, als weine er in ein Taschentuch hinein; was ihm aber zwischen den Fingern hervorquoll, waren keine Tränen, sondern Blut. Während ich durch Einspritzungen das matt pochende Herz des Geistlichen zu stärken suchte, war ich mir darüber im klaren, daß jede nächste Sekunde dem Blockhäuschen und seinen Insassen ein Ende machen konnte. Im Gehör war auf einmal ein bängliches Gesinge wie in der Kindheit bei Gewittern, wenn man glaubte, der Blitz habe es ganz persönlich auf einen abgesehen, und etwas im Innern sträubte sich, einen Tod anzuerkennen, gegen den es nicht einmal den Versuch einer Abwehr gab. Einer jähen Vernichtung, die von außen droht, würden wir wahrscheinlich in jeder Stunde unseres Lebens anders gegenüberstehen; denn wir sind bewegliche, bald erhellte, bald verdunkelte Wesen, und die Kugel von morgen träfe nicht den nämlichen wie die Kugel von heute. Meiner bemächtigte sich in jenen kritischen Minuten nach anfänglicher Niedergeschlagenheit jene wundersam schicksalgläubige, an Trunkenheit grenzende Stimmung, in welcher sieb alle irdischen Sorgen und Befürchtungen als das Nichts einhüllen, das sie in Wahrheit sind. Erlebnisbilder kamen, gute und schlimme; aber das Erlittene hatte jede Bedeutung verloren, und auch das anderen Zugefügte war nicht mehr, was es gewesen. Plötzlich fiel mir auf, daß es um die Hütte ganz ruhig war; die russischen Geschütze schienen andere Teile des Tals zu bestreuen, und mittlerweile hatten wir auch unseren Verwundeten so gut versorgt, wie es auf diesem armseligen Verbandplatz möglich war.

Der Pater begann zu sprechen, aber so leise, daß man das Ohr über seinen Mund halten mußte, um ihn zu verstehen. Was er Vorbrachte, war weder Wunsch noch Klage; er entschuldigte sich nur wegen seines ewigen Ächzens und Stöhnens, von dem wir übrigens nichts bemerkt hatten. Die fast lautlose Stimme verriet .keinen Schmerz, keine Angst; eher schien ein heimlicher Jubel dahinter zu schwingen, und man hätte sich geschämt, ihn zu bemitleiden. Der Mann, der da in seinem Blute lag, behielt ja mitten im jammervollsten Zustand noch den Ausdruck einer ungemeinen Überlegenheit über sich selber. In seinem Dasein, dies fühlte man, war etwas Planmäßiges, auch das gegenwärtige Unheil sicherlich seit langem als Möglichkeit in Rechnung gezogen, und gewiß nicht auf der Seite der Verluste. Der Unterschied zwischen einem Menschen, der noch mit wildem Drang im Leben haftet, und dem Entsagenden, der seine Triebe ins Geistige hinüberwandelt, war mir nie deutlicher gewesen. Wenn unsereiner dahinging, so blieb immer etwas nicht ganz Gekörtes, nicht ganz Aufgearbeitetes zurück; dieser aber .verschwebte wie eine Sonate von Bach, aus dem Dunklen hervorgerufen, in einfach lichten Linien durchgeführt und vollkommen gelöst.

Mit Genehmig des lnsel-Verlages, Zeichnung von Teresa Ingger.

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