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Unternehmen Wolkenbruch

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Widerstand! Das Wort ist jünger als die Tat. Wenn wir nachzudenken beginnen, seit wann wir Widerstand leisteten, dann nimmt die Kette von Ereignissen und Überlegungen, an der wir uns zurücktasten in das Dunkel der durchstandenen Zeiten, kein Ende ...

Es war in Rom. Die Mimosen blühten an den Straßen und die Kamelien glühten im immergrünen Laub. Wir sprachen von Österreich und vom Weg, der zu ihm führte!

Es gab Worte mit italienischen Partisanen, Telephongespräche, die überwacht und plötzlich getrennt wurden, nächtliche Besprechungen in Privatwohnungen, unerlaubte Fahrten nach Mailand und nach Bozen, die Partisanenpost im Rücksitz des Wagens mit geschmuggelten englischen und Schweizer Zeitungen. Ich denke an die Umarmungen der italienischen Freunde, die man der Gestapo entrissen hatte, denen man mit einer Unterschrift, mit einem Stempel,'mit einem Anruf oft nicht nur Hab und Gut, sondern Leben und Familie gerettet hatte: „II Tenente Vien-nese“... Bedrohlich sprach dieses Lob sich herum und bedrohlich auch die Empfehlung, die sich Antifaschisten zuriefen: „Commando Austriaco — molto buono, sono bravi...“ Die Gestapo .hörte mit. Und Akte wanderten, unsere Namen standen auf den Blättern. Aber: „Widerstand!“

Die Nacht war dunkel, der Himmel wolkenverhangen. Über dem Is'eo-See lag leichter Nebel, weißen Schleiern gleich. Still war es, ganz still in der Landschaft. Nur der Motor unseres Wagens mahlte und dahinter kamen die anderen Fahrzeuge. Unten, bei Bergamo, waren es noch viele gewesen: Fahrzeuge aus allen Richtungen und in alle Richtungen. Deutsche Wehrmachtswagen und italienische Privatautos, Flakgeschütze und leichte Panzer. Die einen kamen vom Po herauf, die anderen sollten hinunter. Besorgte Gespräche hatten wir gehört, erbitterte Vorwürfe, die italienische Faschisten ihren deutschen Freunden machten: „Ihr macht es euch leicht, ihr zieht euch zurück, ihr geht in die Heimat — wir aber werden hier gehängt... !“ Dazwischen Fragen: „Ist diese Straße noch frei? Kann man dort noch hin ...?“ Wir haben uns aus diesem Trubel gelöst und uns interessieren fliese Probleme auch nicht, unsere Herzen sind in der Heimat, unsere Gehirne denken dieses eine nur, das sie schon so lange dachten: „Widerstand!“ . Hier sind wir allein. Hier ist „Partisanengebiet“. Auf der „Bandenkarte“ des Oberkommandos ist diese Straße rot angelegt: „bandenbeherrscht“ heißt das. Hier kann nur fahren, wer mit den italienischen Partisanen ist. Und wir sind es. Lange schon. Und angemeldet auch. Und aus dem Lastwagen hinter mir fliegt wieder ein Stoß weißer Flugzettel: „Partisanen!“ steht darauf — „Laßt die Österreicher ungehindert passieren!“ Denn auf dieser Straße werden in den nächsten Tagen und Wochen viele Österreicher fahren und gehen, dem Gebirge zu, dem schneebedeckten, das sich jetzt noch im Dunkel der Nacht verbirgt. Rückzug. Und es ist unsere erste Aufgabe, den Durchgang freizumachen — ihnen, die Österreicher sind und sich als solche bekennen. Es werden nicht alle schon die rot-weiß-rote Schärpe bereit haben, die wir über den Hoheitsadler nadeln, aber die Italiener verstehen es, den Österreicher vom Reichsdeutschen zu scheiden.

Das Tal wird enger und die Straße steigt. Einmal ist eine rote Laterne am Wege und die dunkle Gestalt ist sicher nicht allein,' die an den Wagen tritt. Die geheime Parole. „Vino rosso“ habe ich zu sagen, sonst nichts und der Mann ist zufrieden. „Bene. — Auguri!“ — Die kleine Kolonne fährt weiter. Niemand hat es gemerkt, niemand weiß, daß hier keine Wehrmachtskontrolle stattfand, sondern eine ganz andere. Und das ist gut so — es darf auch noch niemand etwas bemerken. So, wie sie nicht wissen, was auf den Flugblättern steht, die aus dem Wagen Fattern. Befehl ist eben Befehl, es ist ja so e'nfach im Soldatenleben...!

Wieder ist die Nacht um uns. Aber heute funkeln tausend goldene Sterne und die blauschimmernden Gletscher der Adamellogruppe stehen wie Silberkuppeln zwischen Straße und Himmel. Die Männer haben den Tag in den Wagen verschlafen oder in den kleinen Trattorien des Bergstädtchens verdöst. Sie sind dem vermeintlichen Befehl nicht böse,der sie den Bergen zugeführt hat, denn man ist immer lieber der Heimat näher. Daß der Befehl in Wirklichkeit „Widerstand“ heißt, wissen sie nicht. Das wissen nur die Österreicher unter ihnen — also nur zwei: mein Fahrer und ich. Selbst wenn sie es wüßten, es würde keiner sich rühren, es würde keiner verraten und keiner abfallen. Sie alle haben für das System, dessen Uniform sie noch tragen, nur noch eines übrig: abgrundtiefe Ablehnung, Aber sie dürfen nichts wissen — es würde ihnen die Unbefangenheit nehmen und die Sicherheit!

Langsam keuchen die Wagen die steilen Kehren hoch. Wir müssen zurückhalten, um den anderen nicht davonzufahren. Mein Fahrer hat sich viel vom Herzen zu reden. Mir gegenüber hatte er freilich nie eine Mördergrube daraus gemacht, all die Zeiten hindurch nicht. Aus einem Wiener Taxichauffeur ist kein disziplinierter Uniformträger preußischen Formats zu machen und nun, da er weiß, daß wir mit offenen Karten spielen, sind die Urteile, die er über die Zeit seit 1938 fällt, noch härter als bisher! Auf der Paßhöhe müssen wir warten. Die Wachen sind tief in die Mäntel vergraben und versuchen, sich die Füße warm zu treten. Im April sind die Nächte hier heroben, im Anhauch der Gletscher, noch sehr kalt. Da ich einen frage, wo seine Heimat ist, deutet er mit dem Daumen über die Schulter: Da unten, bei Meran drüben. Also Südtiroler. Das interessiert mich, ich komme mit ihm ins Gespräch und dann auch noch mit zwei anderen. Alle fragen sie besorgt, was denn „vorne“ los sei und ob denn nun der Rückzug käme. Hier sei man fest am Bauen — bald sollten auch die Betonmischmaschinen kommen und ganz große Bunker entstehen. Meine Antwort verstößt schwer gegen die „Pflicht zur guten Nachricht“, die uns Offizieren seit mehr als einem Jahr vom obersten Lenker der deutschen Propaganda befohlen war. Daß man nichts mehr tun könne, sage ich ihnen, als heimgehen und dort so zusammenhalten, wie es Tiroler Brauch sei. Sie nicken nur und bleiben stumm. Aber das Wort tut seine Schuldigkeit, das weiß ich. Und acht Tage später traf ich einen von ihnen in seinem Bergtal wieder.

An den Apfelbäumen des Etschtales leuchten die letzten Blüten. Warme Sonne liegt auf den steilen Hängen und ein seidiger Himmel spannt sich über die Gipfel der Südtiroler Berge. Wir sind unterwegs zum Re-schenpaß. Der Pionierleutnant neben mir hat Befehl, die Sperren und Sprengladungen fertigzumachen, die an der Schweizer Grenze vorbereitet sind. Das ist sein Befehl. Aber, seine Absicht ist eine andere. Irgendwie fanden sich unsere Gedanken in einem Gespräch und ich weiß, was er denkt: „Widerstand!“ Er ist einer aus den Reihen der Freiheitskämpfer, die hier in allen Tälern bereitstehen, es sind viele Süddeutsche wie er. Das Hakenkreuz ist auch dort nicht beliebter als in unserer Heimat... !

Der Reschenpaß ist noch von SS.-Truppen gesperrt. So hat es Hofer, der „Gauleiter“, ja stets vorgehabt: „Ich werde die Wehrmacht von meiner SS. zusammenschießen lassen, wenn sie sich über die Pässe nach Hause zurückziehen will!“ — Hier soll ja die letzte Festung entstehen, die „unbezwingbare Alpenfestung.

Unsere Erkundung ist beendet, wir fahren zurück. Die Straßenkontrollen und Sperren 'geben uns bereitwillig den Weg frei: ein Stück Papier, eine Unterschrift, eine Stampiglie! „Sonderaktion“ steht darauf. Wichtigst, eiligst, dringendst! „Unternehmen Wolkenbruch“. Wer weiß, was das sein soll? Der General nicht, der unterschrieb. Der Schreiber nicht, der das Dienstsiegel draufdrückte und auch der andere nicht, der die Sache in das Geheimschreibenbuch eintrug. Der Offizier im Oberkommando aber, der es erfand, um mir den Weg zu bereiten, der gehorchte anderen Befehlen: „Widerstand!“

Dann sind wir wieder am Standort. Das Tal ist eng hier, die Berge sind zum Greifen nahe. Und dort, wo das Gletschereis über dem dunklen Fels liegt, dort ist die Heimat! Aber — ist sie nicht auch hier schon? Hier, in Südtirol? Und hier haben wir ja auch unseren Auftrag. Die Wege sind zu erkunden, die Hütten müssen bewirtschaftet werden, die Bewohner der Dörfer aufgeklärt, das Einsickern von SS.muß verhindert werden, die Kaserne am Taleingang muß überwacht werden. Und die Holzbrücke, die zwischen ihr und unserem Standort liegt, muß jeden Augenblick in die Luft fliegen können, falls der preußische“' Oberst dort unten vielleicht noch Ambitionen bekommen sollte ...!

Gestern sind schon die ersten „Zivilisten“ hier aufgetaucht. Sehr seltsame Zivilisten! Mit Stiefeln unter den Lodenmänteln und mit knappem Haarschnitt unter den schlecht sitzenden Gamsbarthüten. Mit schnorrender Stimme und großsprecherischem Gerede. Aber sie fragen bei den Bergbauern nach Quartier. Anderswo wollen sie requirieren und einquartieren. Im höchsten Auftrag natürlich. Schade, daß wir uns der Gesichter erinnern. Und der Namen dazu. Selbst der Titel, die sie trugen: „Sturmbannführer'* und „Hauptsturmführer“ und so weiter. Am Abend noch sprechen wir mit dem Pfarrer — morgen ist Sonntag und schon am Nachmittag hat es sich überall herumgesprochen, bei den Bergbauern: wenn jemandem geholfen wird, dann den Österreichern oder Leuten, die sie empfehlen. Alle anderen aber bekommen wir gleich gemeldet.

„Schrecklich rasselnd stürzen die Gewichte, Zitternd steigt der Zeiger der Geschichte in die letzte Stunde des Tyrannen

Sechs Wochen waren es her, da hatte Rudolf Hagelstange, der Begabtesten einer unter den jungen Lyrikern deutscher Zunge, diese Zeilen als Schlußstrophe eines Sonettes geschrieben und mir dieses Blatt mit dem Manuskript seines „Venezianischen Credo“ in die Hand gedrückt: „Nimm sie mit nach Österreich!“ Wie oft haben wir, in Rom, am Po, in Verona, in Mailand beisammengesessen. Oft uns heiß redend, oft nur schweigend eines Willens. Stets aber im Sinne des Befehles „Widerstand!“ Und nun

— eben hatte es unser kleiner, mühsam mit Batterien gespeister Radioapparat verkündet

— nun war sie da, die „letzte Stunde des Tyrannen“. Hitler war tot. Das Chaos herrschte in dem Stückchen Deutschland, das noch nicht besetzt war. Wir warteten klopfenden Herzens, seit Tagen nun schon, auf den letzten Befehl: „Zum Einsatz nach NordtiroÜ“ Denn dies war letzter Sinn unseres Einsatzes gewesen. Daß wir hier mitgeholfen hatten, Südtirol zu halten, bis es die Alliierten übernehmen konnten, übernehmen unter dem Banner der Widerstandsbewegung -r- nicht unter dem Hakenkreuz —, das war nicht unwichtig gewesen. Daß wir diese Bergtäler saubergehalten hatten, daß wir das Festsetzen der SS. verhindert hatten, daß wir den Tirolern heimhalfen, ob sie nun Standschützen, Polizisten oder Soldaten waren, das alles war selbstverständlich. Der Auftrag aber hieß ja: „Österreich“! Drüben standen die Kameraden bereit wie wir. Vielleicht schlugen sie um diese Stunde schon los, vielleicht keuchte Hermann, der brave Schneider aus Meran, der unser Kurier war, schon mit dem Losungswort über die Firnfelder aus dem Ötztal herüber. Vielleicht...?

. O nein! Es kam ganz anders. Viel schneller — es ging ohne uns und zum Glück für die Heimat ohne Gewalt. Die Alpenfestung kam nicht zustande. Nur flüchtend fuhren versprengte Stäbe mit durcheinandergeworfenen Akten, mit aufgelösten Stabshelferinnen und nervösen Generälen in die letzten Täler hinauf, sinnlos und nutzlos. Denn schon waren die amerikanischen Panzer hinter ihnen her.

Die Heeresgruppe C kapitulierte und ein paar Tage darauf auch Dönitz. Der Krieg war aus. Ich stand oben auf dem Similaun-gletscher, vor mir lag die Gipfelflur der österreichischen Berge. Endlich! Die Heimat ist frei. Mehr konnte ich nicht denken. Alles versank in diesem einen glückhaften Gedanken ...

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