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Wieder „Schulter an Schulter” ?

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Kaum ein Monat vergeht, daß wir nicht in verschiedenen Zeitungen von Soldatentreffen in dieser oder jener österreichischen Bezirksstadt lesen. Wer glaubt, daß es sich hier um ein — vielleicht letztes — Wiedersehen jener Männer handelt, die noch für den Doppeladler und damit für die Gemeinschaft der Völker im Donauraum gekämpft haben, irrt zumeist. In der Regel werden ehemalige Soldaten des zweiten Weltkrieges aus Deutschland und Oesterreich aufgerufen, sich zu einer Wiederbegegnung ihrer Division einzufinden. Den meisten Oesterreichern, auch den Teilnehmern am zweiten Weltkrieg, sind die hohen Hausnummern jener Divisionen, in denen das bittere Schicksal sie zusammenwürfelte, kein Begriff mehr. Wenn einige Menschen, die in der Mühle einer harten Zeit zusammengehalten haben, sich wiedersehen wollen, so ist dies sicher verständlich. Aber was soll die bewußte, ja von bestimmter Seite geförderte Tradition von Regimentern und Divisionen, die nun einmal nicht die einer österreichischen Armee waren? Nicht böse Absichten stehen bei diesen Treffen Pate, oft sind es menschlich begreifliche Motive. Allein es fehlt oft an der klaren staatspolitischen Führung. Das ganze Thema ist tabu. Vielleicht ist es einmal das beste, einem Oesterreicher, der als Soldat in der einstigen Wehrmacht gedient hatte, das Wort zu geben. In diesem Sinn verdient der untenstehende Brief eines Oesterreichers an einen ehemaligen deutschen Kameraden eine über die private Sphäre hinausgehende Publizität. Die „Furche”

Lieber Freund,

Du schreibst mir heute, wie sehr Du es bedauerst,- mich nicht im Rahmen des Soldatentreffens unserer ehemaligen Division in Wels wiedergesehen zu haben. Für eine Weiterreise nach Wien aber sei deine Zeit zu knapp bemessen gewesen. Du mußtest froh sein, wieder rechtzeitig an Deinem gegenwärtigen Arbeitsplatz in Düsseldorf „einzurücken”. Warum ich nicht gekommen sei, möchtest Du wissen? Ob berufliche Gründe wirklich allein den Ausschlag gegeben haben, oder ob etwas anderes dahintersteckt? Dabei sei es doch recht nett gewesen. Würdig die Feldmesse und gut gemeint die Reden. (Wobei Du als alter „Landser” nicht versäumst, Deine von mir stets geschätzte Skepsis gegen große Worte erneut zu betonen.) Etwas heiter beurteilst Du die Versuche von braven Familienvätern, an denen die Jahre auch nicht spurlos vorübergegangen sind, einen Parademarsch wie einst im Mai zu klopfen. Nachher aber beim Bier sei es sehr lustig zugegangen. Unser ehemaliger Bataillonskommandant sei auch dabei gewesen. Er ist jetzt ein höheres Tier bei der deutschen Bundeswehr. Und selbst der ehemalige Hauptfeldwebel der zweiten Kompanie habe sich blicken lassen; jener, der den armen Hans L. zwei Wochen, bevor er bei O. gefallen ist, noch aus persönlicher Abneigung zunächst selbst einen „Bunker” anfertigen ließ, um ihn dann für 48 Stunden hineinzubringen. Heute sei er allerdings ‘ ganz friedlich und verkaufe in D. Brötchen. Und auch das Schicksal des Josef B.. nach dem ich Dich einmal fragte, habt ihr endgültig klären können. Kurz und gut: warum habe gerade ich gefehlt?

Lieber Freund! Ich möchte nicht zögern, Dir auFilfeißesne Fragen;’,7die wie -leise Vorvyüifö) klingen, der Reihe nach; zu antwortens- Und zwar offen und frei von der Leber weg. So haben wir es immer gehalten, warum sollte es heute anders sein?

Mit einem Wort: mir gefällt die ganze Richtung nicht.

Diese Antwort hast Du nicht erwartet? Doch laß’ Dir erklären.

Nichts gegen ein Wiedersehen von Menschen, die sich in schwerer Stunde einmal nahegekommen sind.

Kein Wort gegen alle Bemühungen, das Schicksal vermißter Soldaten aufzuklären. Das ist doch wohl selbstverständlich! Aber ist das auch wirklich alles? Da ist zunächst der ganze „Betrieb”, der mich abhält. Wenn ich wirkliche Menschen, die mir in jenen Jahren nahegekommen sind, wie Dich, wiedersehen will, dann besuche ich Dich eben, wie wir es 1950 gehalten haben, oder wir machen es umgekehrt. Die fünf anderen, mit denen wir jene unvergeßliche Nacht bei W. erlebt haben, können wir ja nicht mehr einladen. Die erreichen unsere Briefe nicht mehr auf dieser Welt. Obwohl gerade sie uns am meisten fehlen. Aber alle anderen, die da auftauchen und uns mit „Herr Kamerad” auf die Schulter klopfen, ich gestehe Dir ganz ehrlich, die brauche ich in meinem Leben nicht mehr zu sehen. Die will ich einfach nicht mehr sehen. Am Ende müßte ich gar noch den von Dir erwähnten Ex-Hauptfeldwebel, der für den Tod unseres schon erwähnten Hans verantwortlich ist — er schickte ihn auf diesen aussichtslosen Gang —, freundlich lächelnd die Hand drücken. Das kann ich nicht. Und etwas anderes will ich ihm und a-ch mir ersparen.

Und dann sitzt man also beim Bier, unter lauter wildfremden Menschen das eine oder andere noch halbwegs bekannte Gesicht, und muß sich anhören, wie der ehemalige Hauptmann S. (Zivilberuf: Zahntechniker) damals bei O. die russische Front aufgerollt hätte, wenn, ja wenn man ihm nur machen hätte lassen, wie er wollte . . Und Ex-Unteroffizier K. berichtet, wie er bei B. beinahe die halbe US-Armee gefangen hätte (in Wahrheit waren es vier amerikanische Sanitäter); Und zu guter Letzt wird der ganze zweite Weltkrieg mit seinen Millionen Toten zu einem harmlosen Räuber-und-Gendarmen-Spiel in etwas größeren Dimensionen. Die Menschen vergessen rasch. Das muß vielleicht so sein, denn wenn wir täglich und stündlich das Grauen, das allein wir beide — und es war, verglichen mit anderen, noch lange nicht das Schlimmste — gesehen haben, an unseren Augen vorüberziehen ließen, glaube mir: wir hätten keine ruhige Stunde. Manche, ja viele Menschen vergessen aber zu rasch. Im Abstand von einem Dutzend Jahren sinkt der mörderische russische Panzerangriff bei B. in Vergessenheit, und in Erinnerung bleibt nur die Episode, wie in K. das Schwein im geheimen geschlachtet wurde. Und statt an die Wochen in den verlausten Erdlöchern von W„ wo wir als halbe Tiere hausten, läßt man die Gedanken lieber zu den ganz unmilitärischen Abenteuern in Frankreich zurückwandern. Der Krieg wird plötzlich so harmlos. Eine Art „Sozialtourismus in Feldgrau”. Die Toten aber, die dieses Idyll stören könnten, sind still. Mäuschenstill. Dann stellt die Kellnerin noch einen Doppelliter auf den Tisch ...

Das sind so einige der Gründe, warum mich kein Soldatentreffen sieht. Ich habe aber noch andere. Und die wiegen nicht weniger schwer. Im Gegenteil.

Lieber Freund, Du weißt, ich bin Oesterreicher. Und zwar nicht erst wieder seit jenem Tag im Jahre 1945 an dem man mir dies auf der I-Karte amtlich bescheinigt hat. Du weißt, ich habe auch in den Jahren, in denen ich die Uniform der deutschen Wehrmacht trug, nie anders wie als Oesterreicher gedacht und gefühlt. Das hieß damals: ich war Soldat in einer Armee, die nicht die meines Vaterlandes war. Aber es war noch schlimmer: ich kämpfte in einer Armee und wußte dabei, daß der Weg zu einem Wiedererstehen meines Landes nur über die Niederlage eben derselben Armee, in der ich diente — dienen mußte —, führen konnte. Welche inneren Konflikte es da zu bestehen gab. brauche ich Dir heute nicht zu wiederholen. Du erinnerst Dich ja noch der stundenlangen Gespräche auf einsamen Postengängen. Wir waren beide gegen Hitler. Du, der deutsche, und ich, der österreichische Katholik. Das schlug die Brücke. Allein, wenn Du auch den Hitler-Krieg ablehntest und sein Ende herbeigesehnt hast, so ging es ab einem gewissen Zeitpunkt für Dich doch um Deutschland. Bei mir — und ich stand nicht allein — war dies anders. Seit der Deklaration von Moskau 1943 bahnten die alliierten Waffen den Weg zu einem freien und selbständigen Oesterreich. Ich bin Euch deswegen kein schlechter Kamerad gewesen — ich weiß, Du bestätigst mir dies gerne —, aber dies war eine rein persönliche Bindung an den Haufen, zu dem einen nun einmal das Schicksal verschlagen hatte. Das Herz war anderswo. So wie ich dachten und handelten Tausende meiner Landsleute. In mancher schwerer Stunde schätzten wir jene von uns beinahe glücklich, die im Trommelfeuer der Propaganda glaubten, als Soldaten Hitlers kämpften sie auch für ihre österreichische Heimat.

Die Geschichte hat uns recht gegeben. Und da kommen jetzt — Du wirst gleich sehen, warum ich diese heute glücklicherweise historischen Reminiszenzen gemacht habe — Leute und veranstalten auf österreichischem Boden Treffen von Divisionen der ehemaligen deutschen Wehrmacht mit mehr oder weniger hohen Hausnummern, trommeln von diesseits und jenseits des Inns Leute zusammen und beschwören die alte Waffenbrüderschaft, die

Frontkameradschaft, Verteidigung der Heimat und wie die Parolen alle heißen. Als ob Oesterreich und seine Armee am zweiten Weltkrieg teilgenommen hätte. Die Wahrheit dagegen lautet, daß es in einem Krieg, an dem Oesterreich nicht beteiligt war — beim Abschluß des Staatsvertrages legten unsere Politiker beson deren Wert auf diese Feststellung — keine österreichischen Truppenteile gegeben hat. Für letzteres sorgte übrigens schon Herr Hitler und das OKW. Wohl aber gab es Zehntausende von Oesterreichern, die, auf die verschiedensten Truppenteile der Wehrmacht versprengt, für fremde Interessen in den zweiten Weltkrieg gingen.

Ich will nicht behaupten, daß von den Veranstaltern der Soldatentreffen, die landauf, landab gehalten werden, bewußt und mit Absicht die geschichtlichen Tatsachen ignoriert werden. Für viele einfache Menschen liegt ja die Gleichung so nahe: Der Vater kämpfte am Isonzo, der Sohn bei Stalingrad — also muß es beide Male für die Heimat gewesen sein. Ich möchte aber nicht übersehen, daß da und dort gewiß Kräfte am Werk sind, die bewußt diese Unklarheit hegen und pflegen. Im trüben kann man bekanntlich gut fischen . . .

Um so notwendiger wäre es, daß die dazu Berufenen, die Mitglieder der österreichischen Bundesregierung, die Landeshauptleute und Nationalräte, wo immer sie können, in Ruhe, aber mit Festigkeit der Wahrheit die Ehre geben würden.

Ich gestehe ganz offen, daß es bisher an diesen Worten in der Regel nicht nur gefehlt hat, sondern daß sich manche Politiker fleißig am allgemeinen „Nebelschießen” beteiligen, in dessen Schwaden dann, gleich der berüchtigten „Dolchstoßlegende” nach 1918, neue Legenden heranschleichen.

Die ganze Angelegenheit hat aber noch einen politischen Akzent. Einen hochpolitischen sogar. Oesterreich ist ein neutraler Staat, die Deutsche Bundesrepublik gehört dem NATO- Pakt an. Wer hat hier ein Interesse, wenn jetzt wieder alle paar Wochen „Schicksalsgemeinschaft” gefeiert wird?

Mein Entschluß, nicht nach Wels zu kommen, wurde endgültig, als ich mich erinnerte, daß beinahe auf das Datum genau vor 20 Jahren, im Sommer 1937, in Wels unter dem Motto „Schulter an Schulter” ein Soldatentreffen abgehalten wurde, daß gar bald zu einer hochverräterischen Demonstration ausartete.

Gewiß, die Vergangenheit wiederholt sich nicht. Ihr in Wels habt diesmal gewiß nicht im Sinn gehabt, Oesterreich zu unterminieren.

Allein, was soll das Ganze?

Oesterreich und die Deutsche Bundesrepublik wollen heute nicht „Schulter an Schulter” marschieren, sondern nebeneinander in guter Nachbarschaft, mehr noch, in Freundschaft leben. Das ist gut und richtig. Alle Unklarheiten aber, die geeignet sind, diese nach vielen Irrungen und Wirrungen gesunden Beziehungen früher oder später neu-alten Belastungen auszusetzen, sollten unterbleiben. Dazu gehören eben auch — und nicht zuletzt — die diversen

„Soldatentreffen”, denen die verschiedenartigsten Intentionen und, sprechen wir auch dies ruhig aus, Interessen Pate stehen, während nur auf den nächsten Wahltermin schielende Politiker es an staatspolitischem Mut, die Dinge ins richtige Lot zu bringen, fehlen lassen.

Da mache ich aber nicht mit.

So, jetzt weißt Du, warum Du mich diesmal in Wels vergeblich erwartet hast. Ich glaube aber, wenn Du ein wenig nachdenkst, wirst Du meinen Standpunkt nicht nur verstehen, sondern sogar billigen.

Komm also nächsten Sommer mit Deiner Frau zu mir. Ich werde Dir gerne die österreichische Wirklichkeit zeigen. Die Schatten eines bösen Gestern wollen wir aber — ein für allemal — nicht mehr beschwören.

In diesem Sinne grüßt Dich in alter Kameradschaft, nein, Freundschaft

Dein

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