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Was hat Österreich der Welt noch zu geben ?

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Die „Furche“ bat mehrere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens um die Beantwortung der Frage: „Was hat Oesterreich der Welt noch zu geben?" Im Postskriptum der Umfrage befanden sich zwei Vermerke: „Der liebe Gott ist im Detail“ und „Vor dem Betreten von Gemeinplätzen wird gewarnt“. Die „Furche“ wollte damit zum Ausdruck bringen, daß die Schlagworte von der kulturellen Sendung und der übernationalen Mittlerrolle Oesterreichs der Oeffentlichkeit bereits hinreichend geläufig, wenn nicht gar schon zerredet worden sind, so daß es für alle, die an Oesterreichs Weltgeltung glauben, wie für jene, die diesem Postulat skeptischer gegenüberstehen, nutzbringend sein könnte, den Standort Oesterreichs in der freien Welt an Hand effektiver Merkmale zu beleuchten und, wenn möglich, in einer kurzen Gedankenskizze zu belegen.

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Die „Furche“ bat mehrere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens um die Beantwortung der Frage: „Was hat Oesterreich der Welt noch zu geben?" Im Postskriptum der Umfrage befanden sich zwei Vermerke: „Der liebe Gott ist im Detail“ und „Vor dem Betreten von Gemeinplätzen wird gewarnt“. Die „Furche“ wollte damit zum Ausdruck bringen, daß die Schlagworte von der kulturellen Sendung und der übernationalen Mittlerrolle Oesterreichs der Oeffentlichkeit bereits hinreichend geläufig, wenn nicht gar schon zerredet worden sind, so daß es für alle, die an Oesterreichs Weltgeltung glauben, wie für jene, die diesem Postulat skeptischer gegenüberstehen, nutzbringend sein könnte, den Standort Oesterreichs in der freien Welt an Hand effektiver Merkmale zu beleuchten und, wenn möglich, in einer kurzen Gedankenskizze zu belegen.

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Die Redaktion

Dr. JOSEF SCHOISWOHL

Jahrgang 1901. Bischof von Seckau

Die Begabung des Oesterreichers liegt in seinem konzilianten Wesen, das in der Begegnung mit anderen rasch zu verbinden versteht.

Das Talent ist Auftrag; es wurde wohl auch aus dem religiösen Erbe mitgeprägt. Versandet dieses, so könnte der Auftrag Gottes für die Zukunft verloren gehen.

In der jüngsten Vergangenheit waren wir damit auf eine Probe gestellt: Die Anwesenheit fremder, besonders russischer Truppen waT eine Gelegenheit, die Lebendigkeit und Echtheit unserer religiösen Ueberzeugung glaubwürdig für solche darzustellen, denen die Religion weithin entschwunden war.

Heute haben wir eine Unzahl von studierenden Ausländern in unserer Mitte. Es müßte gerade den gläubigen Menschen unseres Landes bewußt sein, daß sie durch eine echte Glaubenshaltung, verbunden mit der Begabung zu einem guten Kontakt, den Gästen aus dem Nahen und Fernen Osten Wege zur religiösen Neubesinnung weisen könnten.

Einen Vorstoß überzeugender Art hat die Katholische Frauenbewegung mit dem Familienfasttag gemacht, der manche Nachbarn wachgerüttelt hat, bei den Völkern Asiens aber (und auch Afrikas), die unter einer krankhaften Abwehr gegen alles Europäische leiden, eine Welle der Sympathie ausgelöst hat; denn hier waren offenkundig alle selbstsüchtigen Hintergedanken ausgeschaltet. Das müßte uns ermutigen, auf dem begonnenen Weg der guten Begegnung fortzuschreiten.

Dr. BRUNO KREISKY

Jahrgang 1911. Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten

In einer Zeit, in der die mit Ueberschallge- schwindigkeit sich bewegenden Flugzeuge zu langsam und zu verwundbar geworden sind, um nukleare Waffen zu transportieren, in der die Supermächte Raketen nicht nur lancieren, sondern auch jeden beliebigen Punkt der Erdoberfläche zu visieren vermögen, gibt es kein „hinten weit in der Türkei“ mehr. Alle Schauplätze und Reibungszonen der internationalen Politik, ob es nun Korea, Indochina oder Tibet ist, sind uns näher, als es einmal die Staaten des Balkans waren. In knappen 50 Jahren haben wir die Entwicklung von der kontinentalen zur globalen Politik durchmessen und stehen heute an der Schwelle der Weltraumpolitik. Wenn also den geographischen Bedingungen nicht mehr jene elementare Bedeutung für die Politik zukommt, die sie ohne Zweifel einmal besessen haben, so ist es doch gerade die Lage Oesterreichs auf diesem Kontinent, die ihm eine besondere Aufgabe zugeteilt hat. Von den zirka 2600 Kilometer langen Grenzen Oesterreichs — ihre Länge wird eindrucksvoller, wenn man sich vor Augen führt, daß das einer Luftlinie von Wien bis Damaskus entspricht, haben wir 1200 Kilometer mit Staaten, deren erklärtes Ziel die Verwirklichung des Kommunismus leninistischer Observanz ist.

Wenige Schnellzugstunden nur trennen unsere Hauptstadt von den Hauptstädten jener Staaten, in denen Männer an der Macht sind, die immer wieder klar und deutlich aussprechen, daß sie die Ueberwindung jener politischen Ordnung anstreben, die uns ohne Unterschied, ob wir uns zu einer konservativen, liberalen oder sozialistischen Gesinnung bekennen, die unentbehrliche und unabdingbare Voraussetzung für die Verwirklichung unserer gesellschaftlichen Absichten und Ziele ist.

Wer da nun kommt und aus der Sicherheit eines ihn behütenden Bündnissystems vermeint, uns gute Ratschläge geben zu müssen, versteht oft nicht die ganze komplizierte Exponiertheit unserer Situation, aber meistens auch nicht die große Aufgabe, die uns auferlegt ist.

In Oesterreich muß sich die Demokratie in ihrer ganzen gesellschaftlichen Variationsbreite für Millionen Menschen aus allernächster Nähe — geradezu mit freiem Auge sichtbar — präsentieren, für Menschen, denen sie aus Gründen der Staatsräson unausgesetzt suspekt gemacht wird. Von uns wird daher mehr verlangt, mehr vielleicht als von anderen, denn tiefer und gründlicher müssen wir die Demokratie verstehen, aber auch behutsamer müssen wir mit ihr und allem, was dazu gehört, umgehen, spannt sich doch ihr Bogen von der persönlichen Freiheit bis zum Respekt vor dem Kontroversiellen. Denn uns ist in dieser globalen Auseinandersetzung, die man die kompetitive Koexistenz nennt, und die besser als der Krieg, aber schlechter als der Friede ist, auferlegt, uns um die ständige Konkretisierung jener politischen Visionen zu bemühen, die das erstrebenswerte Ziel vieler Millionen ist und es bleiben soll.

Dr. HEINRICH DRIMMEL

Jahrgang 1912. Bundesminister für Unterricht

Wenn man von der österreichischen Sendung spricht, hat man zumeist die Kulturrepräsentanz im Auge.

Um die österreichische Kulturrepräsentanz ist es in der Gegenwart sicher nicht schlecht bestellt. In einer Zeit, in der es den Oesterreichern an Behausung, Bekleidung und ausreichender Nahrung gefehlt hat, haben sie die im Kriege zerstörten Gebäude der Wiener Staatsoper und des Burgtheaters wieder aufgebaut und mit anderen ähnlichen Taten der Welt den Beweis geliefert, daß man in der kleingewordenen alten Republik den weiten Horizont des alten Oesterreich nicht vermissen will. Die Welt kennt dieses kulturelle Antlitz und erweist ihm immer wieder aufs neue Respekt.

Wir Oesterreicher möchten wünschen, daß unsere Freunde in aller Welt nicht nur diese großartige Kulturrepräsentanz zur Kenntnis nehmen, sondern darüber hinaus beachten, daß überall im Lande, hinter der Anerkennung des Vollendeten der Vergangenheit, das mutvolle Wagnis eines neuen Beginnens anhebt. Auch die Oesterreicher tun gut, immer daran zu denken, daß in der Zeit, in der Ludwig van Beethoven seine monumentalen Schöpfungen der Klassik geschaffen hat, in der Stille der Salzburger Landschaft das Lied „Stille Nacht, Heilige Nacht" entstanden ist, das jenes kleine Wunder einer heiteren Welt offenbart, in der sich unser Oesterreichertum in seiner ganzen Gemütstiefe zeigt.

Möge dieser Genius Austriae uns und unseren Freunden in der Welt nahe und vertraut bleiben I

JOSEF KRAINER

Jahrgang 1903. Landeshauptmann von Steiermark

Einen Fehler kennt der Oesterreicher sicher nicht: Ueberheblichkeit, nur sein Volk und Land zu sehen, die Leistungen anderer Völker herabzusetzen und die eigenen als das einzig Beispielgebende herauszustellen. Deshalb kann die Kapazität unseres Vaterlandes nicht von Oesterreichern gebührend beurteilt werden, sondern muß dies immer von Persönlichkeiten des Auslandes geschehen. Die Beantwortung der gestellten Frage ist daher nur ein Versuch.

Der Rhyhtmus unserer Zeit ist von Technik und Fortschritt bestimmt, das Geistige tritt allerdings nur scheinbar in den Hintergrund, es kann sich zumindest dort Geltung verschaffen, wo es Nutzen bringt. Die Fundamente einer Gemeinschaft, die nur aus Beton, Stahl und anderen Bauelementen bestehen, sind daher brüchig. Der Vorrangigkeit des Geistes kann selbst der finsterste Materialismus auf die Dauer nicht widerstehen. Darin liegt Oesterreichs Chance, der Welt noch etwas zu geben. Der Geist unserer Hochschulen und Akademien formt und bildet die junge Generation mehrerer Kontinente, die unsere Hochschulen besucht. Wir legen damit den Grundstein für die weitere Entwicklung vieler Völker. Oesterreichische Gelehrte und Künstler feiern in der Welt Triumphe, und wenn die Wiener Philharmoniker erst kürzlich wieder die Welt begeisterten und österreichische Musik unübertroffen interpretierten, so ist das ein Beweis dafür, daß Oesterreich auch seine kulturelle Sendung nach wie vor erfüllt.

Und noch eines: Oesterreich liegt im Schatten des Eisernen Vorhanges, im Zangengriff der Volksdemokratien. Das demokratische System war bisher gegen jedwede Infektion immun. Der Oesterreicher hat sich dem Diktat der Angst und Furcht nicht unterworfen. Die Schreckenstage der ungarischen Revolution im Jahre 1956 haben gezeigt, was Not und Selbstvertrauen eines freien Volkes angesichts drohender Panzerdivisionen bedeuten. Es ist eine österreichische Erfahrung, daß die Freiheit nur dort zu bewahren ist, wo in allen Bereichen des Lebens sorgsam darüber gewacht wird, um den bequemen Weg in die Abhängigkeit zu meiden. Damit verbindet sich eine große Erziehungsaufgabe, die demokratische Gesinnung so zu festigen, daß die Mehrheit die Minderheit respektiert. Hart am Eisernen Vorhang könnte sich aus dieser Geistigkeit ein Staatswesen weiterentwickeln, welches beispielgebend um die Erhaltung jener Werte ringt, die durch Uebermut und Maßlosigkeit anderen Völkern verlorengegangen sind.

HEIMITO VON DODERER

Jahrgang 1896. Schriftsteller in Wien. Träger des Oesterreichischen Staatspreises 1958

„Was hat Oesterreich der Welt noch zu geben?“ Dieser Fragesatz ist einer von jenen Sätzen, deren Sinn durch Tonschiebung mehrfach verändert werden kann, ähnlich wie des Ter- tullian „Credo quia absurdum“. Je nachdem nämlich, ob ich den Ton auf das Wort

„Oesterreich“, „Welt“,

„noch“ oder auf „geben" lege. Im ersten Fall wirkt der Satz in bezug auf Oesterreich ab-

schätzig. Im zweiten Fall wird Oesterreich der Welt gegenüber ganz klein gemacht. Im dritten Fall erscheint Oesterreich schon viel gegeben zu haben und im vierten Fall erscheint ein Zweifel an der Gebefähigkeit des Oesterreichers überhaupt. Die Sache sei nicht auf die Spitze getrieben, denn es können ja verschiedene dieser Betonungen miteinander kombiniert werden, woraus sich weitere Modulationen des Satzes ergeben würden. Schließlich könnte man ja den Ton auch auf das erste Wort legen, dann entsteht ein abschätziger Sinn im Fragesatz, während im affirmativen Satz (mit Ausrufungszeichen) ein höchst positiver Aspekt erscheint.

Im Jahre 1914 sagte man den Leuten, die sich im Cafe Zentral über die Setzung eines Beistriches oder eines Hilfszeitwortes stritten, daß jetzt keine Zeit für ihre Tüfteleien sei. Das war der Anfang vom Ende. Die Leute im „Zentral" strebten nach einer schärferen Ueberwachung der Sprache. Zweifellos, sie sahen auf den rechten Punkt, auf den Quellpunkt des Guten und Bösen, wo die frühen Trübungen geschehen können, die im weiteren Verlauf die schwarzen Finsternisse zur Folge haben; daß beide Weltkriege zum guten .Teil herbeigeführt wurden durch sprachliche Katastrophen, steht für jeden Wissenden wohl außer Zweifel: das Platzen gleichsam einer ungesund aufgeblähten Sprache, die dann alle Schrecken ergab, welche sie konzentriert schon vordem enthalten hatte und schon lange umschloß.

So weit unsere „Tüfteleien“.

Was das Meritorische der sehr inhaltsreichen und, wie man schon bemerkt haben wird, sehr komplexen Frage betrifft, so bin ich guten Mutes und froher Hoffnung — es sei denn, daß unsere Sprache wieder erkrankt, wie es 1914 und 193 8 der Fall gewesen ist. Dann allerdings ist alles aus. Wenn es aber den Verteidigern der Sprache gelingen sollte, gegen die Feinde des Geistes die Oberhand zu behalten, dann sind wir zu den kühnsten Hoffnungen berechtigt. Oesterreich, das geistig tiefste Land Europas, hat von 1945 bis zum Staatsvertrag unter der Führung hervorragender und bescheidener Männer in aller Stille eine Art Heldenzeitalter durchgemacht, welches sehr wohl mit demjenigen des 17. Jahrhunderts verglichen werden könnte. Es besteht für mich kein Zweifel, daß von anderen Völkern, wenn man sie solchen vernichtenden Stößen aussetzen würde, wie Oesterreich sie von 1914 bis 1945 zu erleiden hatte, wenig übrig bliebe. Oesterreich hat sich als hieb- und stichfest erwiesen. Seine Ausstrahlung überallhin beginnt immer stärker zu werden. Wie also könnte man daran zweifeln, ob es der Welt noch etwas zu geben hätte? Zwei Symptome allein schon entkräften jeden derartigen Zweifel: Das Auftreten einer neuen und großartigen österreichischen Lyrik sowie des nationalen also eben nicht nationalistischen Romans. Erscheint irgendwo Nationalismus, dann ist die Nation fragwürdig geworden. Meist erkrankt dann auch die Sprache. Von beidem kann im heutigen Oesterreich ernstlich nicht gesprochen werden.

Msgr. OTTO MAUER

Jahrgang 1907. Domprediger, Geistlicher Assistent verschiedener Gliederungen der Katholischen Aktion, Leiter der Galerie St. Stephan

Als Theologe befragt, beschränke ich meine Antwort auf exemplarische Leistungen des österreichischen „Katholizismus“. In Wien entstand nach den Ideen Dr. Karl Rudolfs das „Wiener Seelsorgeinstitut", Forschung -, Dis- kussions- und Fortbildungszentrum in allen Pastoralen Fragen. Seine Ideen sind heute weder ausgeschöpft noch veraltet. Stift “Klosterneuburg brachte unter Pius Parsch die volksliturgische Bewegung hervor, die mit einer Bibelbewegung Hand in Hand ging. Nach 1945 brachte Oesterreich eine Actio catholica hervor, die durch Geschlossenheit, ideologische Klarheit und Reichhaltigkeit der Initiativen bemerkenswert war. Ein neuer Stil apostolischer Arbeit der Laien ging von der Katholischen Hochschuljugend und der Katholischen Arbeiterjugend aus. Die Katholischen Bildungswerke fanden zeitgerechte Methoden und Fragestellungen zur Evangelisierung Außenstehender. Die Galerie St. Stephan (Wien) zusammen mit den „Diskussionstagungen für Künstler und Kunsttheoretiker“ brachten einen Vorgang der Konfrontierung zwischen Kirche und moderner Kunst. Von Innsbruck geht eine Neubelebung dogmatischen Denkens (Karl Rahner) und liturgischer Theologie (Andreas Jungmann) aus.

Allerdings: Wo bleibt der österreichische

Beitrag zum ökumenischen Gespräch mit dem Osten? Wo die Ausschöpfung des Potentials an Malern und Architekten in einem Land, dem Otto Wagner die erste moderne Kirche Europas (am Steinhof) geschenkt hat? Wird die exemplarische Lösung des Konflikts zwischen Kirche und Sozialismus gelingen oder wird man mit einem Konkordat den Zwangswohlfahrtsstaat und die etatistische Hegemonie im Kulturbereich einhandeln?

FRITZ WOTRUBA

Jahrgang 1907. Bildhauer, Professor an der Akademie der bildenden Künste

Politische Gewalt und

Schwäche, wirtschaftliche Notwendigkeiten und geographische Gegebenheiten haben einen in seiner Struktur beinahe ideal zu nennenden europäischen Staat entstehen lassen. Neid, politische Kurzsichtigkeit und Leichtsinn, und vor allem gewaltige Dummheit haben ihn vernichtet.

Die deutschschreibenden, aber österreichisch denkenden jüdischen Prager Dichter sind tot. Tot sind auch der böhmische Schuster, die ungarische Amme, der Warschauer Rabbiner, die Bauern, Künstler und Ingenieure um und aus Szegedin, Krakau, Fiume, Pola, Agram und Brünn, sie alle, die ihre Söhne und Töchter in Wien ihren Weg machen ließen und durch die Oesterreich erst Oesterreich wurde.

Nun, da es keine Verschmelzung der Rassen und Nationen mehr gibt, ist unser kulturelles Leben abgewürgt, unser Genie erstickt. Der Dilettantismus der großen und kleinen Politiker hat Oesterreich umgebracht, was übrig blieb, ist nicht viel mehr als ein mit ewig grünenden Alpenkräutern garnierter Kadaver ohne Schädel. Der Geist in diesem Land hat kein Zuhause, er lebt in Untermiete. Die kleinen Herren von heute, die als emsige Totengräber fungierten, wünschen sich jetzt die Auferstehung eines vom Vor- und Nachmärz entkeimten geschlechtslos sterilen Nationengebildes, das über alle Vorzüge des alten Oesterreich ohne seine Nachteile verfügen soll. Das heißt, alle, ob rot oder schwarz, ob reaktionär oder fortschrittlich getarnt, vermissen ungern Abglanz und Ruhm der Monarchie.

Ich selbst fühle mich als ein Produkt der Vergangenheit, und ich weiß, daß das Oesterreich unserer Gehirne niemals mehr aufersteht. Erst nach großen Erschütterungen, in denen alles schon längst angefaulte „Bestehende“ endgültig stürzen wird, werden neue Räume und in ihnen neue Ordnungen und Kulturen entstehen. Uns Heutigen verbleibt die hohe Auszeichnung, den Augenblick der Uebergabe vorzubereiten und zu mildern. Das Unsterbliche einer Nation, einer

Landschaft liegt im Charakteristischen, im Außergewöhnlichen, es ist ein Geheimnis, wir nennen es Genie. Aber nur durch die geringste Zahl und nicht durch die Masse kann der gnadenlose Akt der Auslöschung des österreichischen Genius verhindert, werden, dies müßten und sollten die höchsten wie die niedrigsten Funktionäre unseres Staates wissen.

Prof. ERNST HÄUSSERMANN

Jahrgang 1916. Direktor des Burgtheaters

In dem „Noch“ der

Frage scheint einerseits die Suggestion, anderseits die Schwierigkeit der Antwort zu liegen.

Sie wollen doch sichtlich all die großen

Werte der Vergangenheit mit ihren Aus läufern von Toni Sailer bis zu den Philharmonikern außer Streit stellen. Wenn wir das tun, scheint das „Noch“ geradezu ein Stichwort für etwas zu sein, was bei solchen Fragen sonst nicht in den Kreis des zu Beantwortenden gezogen wird. Der Gugelhupf mit oder ohne Rosinen ist immer noch ein Gugelhupf. Die Rosinen allein sind keiner, und in diesem Sinne sind wir vielleicht für die Welt die Form, in der aus groß klein wurde, ohne daß der Geschmack verlorenging. Vielleicht ist Oesterreich auch eine kleine Kochschule eben dieses Geschmackes, dieses Taktes, der aus jahrhundertelanger Weltküchenerfahrung stammt. Vielleicht könnten die vielen Köche, die anderswo oft den Brei verderben, gelegentlich bei uns in einem Schnellsiederkurs lernen, wie man verlieren kann, ohne zu verlieren, und wie eine gewisse Anmut der inneren Haltung eine Armut der äußeren Umstände überwindet.

Ueberschätzen wir also die nicht zu unterschätzenden Rosinen nicht. Der Welt werden diese auch heute noch aus den verschiedensten Breitegraden geliefert. Abbeißen aber kann sie nur vom Gugelhupf, von der Kraft und Persönlichkeit dieses kleinen Landes, das mit einer selbstverständlichen inneren Heiterkeit die Panik unserer Zeit zu überwinden versucht und seine große Vergangenheit der Welt eben nicht aufs Butterbrot schmiert, weil es an seine kleine Gegen wart so fest glaubt. So wird auch die heutige Welt in unserem Gugelhupf noch eine ganze Menge Rosinen finden.

FRIEDRICH TORBERG

Jahrgang 1908. Schriftsteller, Kritiker, Publizist. Herausgeber des „Forums"

In einem Zeitalter der gesellschaftlichen Umschichtungen, der zusammenbrechenden Hierarchien und der verschleuderten Erbschaften hätte Oesterreich der Welt vor allem eines zu geben: ein Beispiel dafür, wie man in kleinem Rahmen ein großes Erbe verwaltet, ohne Pathos und Selbstgefälligkeit, aber nicht gänzlich ohne Freude und Anmut; wie man aus dem Respekt für die überkommenen Werte und aus der Aufgeschlossenheit für die in Bildung begriffenen eine Lebenshaltung destilliert, die gegen alle falschen oder opportunistischen Auslegungen von „Fortschritt“ und „Menschenwürde" gesichert ist, weil sie auf individueller Verantwortung beruht; und wie auch ein machtloser Kleinstaat sich auf einen sinnvollen, vielleicht gar unentbehrlichen Platz im Zusammenspiel der Großmächte einordnen kann — nicht anders als das Individuum im Zusammenspiel der Gemeinschaft. Oesterreich, kurzum, hätte immer noch (und heute mehr als je) der von Friedrich Hebbel geprägten Formulierung gerecht zu werden: „Dies Oesterreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.“

Sollte ich nicht der einzige unter den von Ihnen Befragten sein, der sich auf diese Formulierung bezieht, so wäre das zwar ein harter Schlag für meine Selbstgefälligkeit, würde mich aber trotzdem freuen; denn es bewiese mir, daß ich Ihre Anfrage richtig verstanden habe.

ROBERT JUNGK

Jahrgang 1913. Schriftsteller, Historiker und Publizist. Verfasser der Atomromane „Heller als tausend Sonnen“ und „Strahlen aus der Asche“. Lebt zur Zeit in Wien

Jedesmal, wenn ich von' einer Auslandsreise nach Oesterreich zu- ruckkehre, ist mir, als träte ich aus einer lauten Großstadtstraße in ein gemütliches, stilvolles Haus ein, dessen Bewohner selbst im Jahre 1959 verhältnismäßig ohne Hetze leben und sich freuen, auf der Welt zu sein, ln Oesterreich hat alles noch Ruhe, Nähe und menschliches Maß. Jener Mangel an Betriebmacherei und Ehrgeiz, den manche Oesterreicher an ihren Landsleuten beklagen, besitzt in der heutigen Welt Seltenheitswert. Gelassenheit, Freude am Genuß, Lebensart, wie sie in Oesterreich zu finden sind, sollte man daher nicht leichthin als „Biedermeier“ verspotten. Ich bin sogar überzeugt, daß gerade deswegen in der weniger überhitzten Atmosphäre Wiens heute bereits modernere und zukunftweisendere Kulturleistungen gedeihen als in den Metropolen des „Jet-Zeitalters“, deren Routinelärm jeden neuen noch leisen Gedanken übertönt. Das radikal Neue ist fast immer im „Idyll“ herangereift.

Als großartig und wegweisend empfinde ich es, daß der Staat in Oesterreich für die Erhaltung seiner Theater Beträge aussetzt, die prozentual die Leistungen vieler Großmächte auf dem gleichen Gebiet übersteigen. Das verdient die Achtung und die Dankbarkeit der Weltl

PAUL FLORA

Jahrgang 1922. Maler, Karikaturist. Lebt in Innsbruck

Besten Dank für Ihren Brief bezüglich der Oesterreich-Umfrage. Ich weiß die Ehre sehr wohl zu schätzen, aber erlauben Sie, bitte, einem momentan an Angina leidenden und vor Weihnachten etwas überlasteten friedfertigen Zeichner, sich in der Frage, was Oesterreich der Welt noch zu geben vermag, als inkompetent zu erklären. Es würde mir sowieso nicht möglich sein, den profunden und lichtvollen Ausführungen der anderen Persönlichkeiten Paroli zu bieten, außerdem ist es ja leider mein Schicksal, daß man von mir Scherze erwartet, und ich bin schon froh, wenn mir beim Zeichnen genügend einfallen.

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