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Der Dom der Heimat

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Es war ungewöhnlich, was der innere Bezirk unserer Bundeshauptstadt am Abend des 27. April sah: eine Großkundgebung der Katholiken, um einen Festtag des Staates zu begehen, gerufen nicht von einer Partei und als Parteiangehörige, sondern als Katholiken, eingeladen von der Katholischen Aktion und der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände. Es hat nicht an einzelnen Stimmen gefehlt, die die Berechtigung zu einer solchen Kundgebung anzweifelten. Die unübersehbare Menschenmenge, die den Stephansplatz bis weit in den Graben und die Kärntner Straße hinein füllte, hat den Beweis erbracht, daß das Anliegen vom katholischen Volk verstanden wurde.

Die Vollendung des ersten Dezenniums seit dem Wiedererstehen Oesterreichs gab den Anlaß. Sind zehn Jahre an sich wenig in der Geschichte eines Landes, so waren diese zehn Jahre so voll von schmerzlichen Wehen einer neuen Geburt, daß sie schwerer wiegen als andere Dezennien der Geschichte. Daß Oesterreich diese Jahre erfolgreich bestanden hat und wieder ein Staat geworden ist, in dem man leben kann und gerne lebt, ist Anlaß genug für jeden Oesterreicher, einmal nicht zu raunzen, sondern dankbar zu sein. Der Vergleich mit manchen anderen Ländern zeigt, daß sich das österreichische Volk bewährt hat; es war zäh, arbeitsam und in den entscheidenden Augenblicken einig. Daß bei diesem großen Aufbauwerk an maßgeblichen Stellen des Staates aufrecht gläubige Katholiken gestanden waren, durfte und mußte in ehrlicher Dankbarkeit von den Katholiken anerkannt und einmal öffentlich ausgesprochen werden. Und daß über diesem Lande sichtbar Gottes Segen gewaltet hatte — jahrelang haben die Gläubigen auf Anordnung des Bischofs nach jedem Gottesdienst um diesen Segen gebetet —, berechtigte dazu, einmal in feierlicher Versammlung ein aufrichtiges Tedeum zu singen.

Gerade im letzten Augenblick ist dem Gedanken an die zehn Jahre des Wiederaufbaues die berechtigte Hoffnung auf die endgültige Freiheit des Landes beigesellt worden. Das gab der Versammlung nicht nur den frohen Unterton neuer Zukunftshoffnung, sondern rückte noch bewußter in den Vordergrund, was eigentlich der Sinn der Veranstaltung war: das Bekenntnis der Katholiken zu Oesterreich, als ein Bekenntnis zu Oesterreich, als Aufgabe und Verantwortung. Gerade in dem Augenblick, da alle Behinderung durch ausländisches Diktat wegfallen dürfte, ruft diese Verantwortung um so eindringlicher nach uns. Denn dann wird es auf uns allein ankommen, was aus Oesterreich wird, und keiner wird sich mehr mit der Ausrede belügen können, auf ihn und uns alle komme es ja nicht an, weil doch zuletzt andere in unserem Haus bestimmen.

Was bei der Kundgebung ausgesprochen wurde, konnte im Angesicht des Stephansdomes gesagt werden. Der Platz war nicht nur gewählt worden, weil dort der Dom den Teilnehmern seine so gern gesehene Silhouette als Hintergrund bietet. Der Dom hat das Schicksal unserer Heimat geteilt; er ist mit ihr zerschlagen worden, er ist mit ihr wieder erstanden. Er, in dem soviel Geschichte lebt, ist echtestes Sinabild Oesterreichs. So konnte die Aufgabe, die Oesterreich gerade für den Katholiken bedeutet, in diesem Gleichnis ausgedrückt werden: den Dom der Heimat bauen! Oesterreich als ein Land, in dessen Mitte Gott wohnt, als ein Land lebendigster Gläubigkeit. Das ist nicht nur Erbe aus der großen Geschichte der Heimat, das ist ebenso Auftrag, den Gegenwart und Zukunft in einer neuen Weise stellen. Wir haben keinen Grund, die österreichische Geschichte erst beim Jahr 1918 beginnen zu lassen und uns vom Jahrtausend vorher zu distanzieren. Das innere Antlitz Oesterreichs war und ist bis heute — trotz aller Entstellungen, die das letzte Jahrhundert an ihm versucht hat — vom Katholizismus geprägt. Mit einem anderen Antlitz ist dieses Land nicht mehr Oesterreich. Hier liegt die große Verantwortung! Wir wissen aber auch genau um die geänderte Situation, vor die uns die Gegenwart stellt: War Oesterreichs Katholizismus einst garantiert von einem katholischen Herrscherhaus, kann er heute nur mehr garantiert werden von einem katholischen Volk. Die Jahre 1934 bis 193 8 mit dem so ideal gedachten Versuch des christlichen Ständestaates haben unsere Erfahrungen bereichert. Ein katholisches Oesterreich kann nicht von oben befohlen, es kann nur von einem katholischen Volk jebaut werden. Nur eine echte Gläubigkeit in den tragenden Schichten des Volkes, die kraftvoll genug ist, in echt sozialer Verantwortung aktiv und wirksam zu werden, kann das katholische Antlitz Oesterreichs und damit Oesterreich wiederherstellen.

Daß gerade hier eine Aufgabe von besonderer Aktualität liegt, springt in die Augen. Denn wieder — wie oftmals in seiner Geschichte — ist Oesterreich Vorposten. Damm, der nicht bersten darf. Der der neuen Flut des aggressiven Atheismus aus dem Osten standhalten muß, der vielleicht noch nie in so geballter Macht aufgetreten ist. Die Bedrohung ist um so gefährlicher, als auch aus den anderen Himmelsrichtungen ein kraß materialistisches Heidentum Einlaß sucht — und findet, so daß der Feind schon innerhalb der Festung steht. Hier aber geht es ums Fundament unseres Volkes. Und die Verantwortung der Katholiken: daß dieses Fundament neu gelegt wird, eine echte, das Leben des einzelnen und der Gesellschaft erneuernde Gläubigkeit.

Aber nicht nur der Glaube, auch der Geist ist bedroht. Es ist verständlich, wenn in den Jahren des Wiederaufbaues die Sicherung der materiellen Existenz im Vordergrund stand und die Sorge um Wirtschaft, Handel und Prosperität dominierte. Aber Oesterreichs schöpferische Kraft lag immer auf dem Gebiet des Geistigen, sein spezifischer Reichtum war die reiche Seele; Oesterreich war die Heimat des Menschen. Die Hydra des Materialismus hat auch uns in die akuteste Gefahr gebracht, daß die Anliegen des Geistes am Schluß rangieren und der Mensch nicht mehr als Mensch, sondern nur mehr als Produktionsfaktor, als Fleisch, als Muskelstar Anwert hat. Das aber greift an die innerste Berufung unseres Volkes. Daß in der letzten Zeit ernste Versuche unternommen wurden, in den öffentlichen Budgets die Ansätze für Bildung, Wissenschaft, Kultur aus dem bisherigen krassen Mißverhältnis herauszureißen, sei dankbar vermerkt. Es ist auch erfreulich, daß von verschiedenen Seiten die Debatten über Kultur und unsere kulturellen Aufgaben in den Mittelpunkt gerückt wurden. Aber Kultur ist nicht einfach eine Konsumware, die nur in genügender Menge produziert werden muß: Kultur beginnt beim Menschen, bei der Pflege des

Menschen, leiner geistigen und seelischen Fähigkeiten, seiner tiefsten und innersten Werte. Hier liegt eine große Aufgabe gerade der Katholiken, zu sorgen, daß die Seele nicht Verkümmert, daß Politik nicht einfach Sachpolitik ist, sondern ihre erste Aufgabe in der Sorge für den Menschen sieht. Sonst haben wir nicht nur ein Erbe, sondern auch eine Zukunft verschleudert.

Natürlich muß diese Sorge dort einsetzen, wo die Quellen eines gesunden Gesellschaftslebens fließen. Alle andere Aufbauarbeit ist illusorisch, wenn die Familien in Trümmern liegen, wenn Oesterreich weiterhin alle Weltrekorde in Ehescheidungen bricht und ein sterbendes Volk bleibt. Es ist bedrückend, welche Blutschuld heute auf unserem sonst so friedlichen Volk liegt. Ein Dom ist entweiht und muß neu kon-sekriert werden, wenn eine Bluttat in ihm geschehen ist. So ist es die ernste Aufgabe der österreichischen Katholiken, den Dom der Heimat, der durch hunderttausendfachen Mord an ungeborenem Leben entweiht ist, wieder zu konsekrieren. zu einem Dom, in dem das Leben heilig ist.

Es sind heute nicht mehr die Katholiken allein, die um die Erneuerung der Familie besorgt sind und vom Staat Maßnahmen fordern, die der kinderreichen Familie die Existenz sichern. Wir freuen uns aller Bundesgenossen. Aber wir können nicht übersehen, daß der Staat wohl helfen und Voraussetzungen schaffen, aber nicht Familien bauen kann. Das braucht mehr als die so dringlich notwendigen Ausgleichskassen usw., das braucht eine heranwachsende Generation, die der Liebe und Treue, der Opferbereitschaft und Hingabe fähig ist.

Nun, da wir hoffen dürfen, daß unserer Heimat bald die so lang ersehnte, volle Freiheit und Souveränität zurückgegeben sein wird, gilt es um so mehr, die innere Freiheit zu sichern,wie sie einem demokratischen Staat selbstverständlich sein muß. Die Katholiken haben keinerlei Sehnsucht nach irgendeiner Form der Diktatur. Sie wissen auch, daß sie in einem Lande leben, dessen Bevölkerung auch Menschen anderen Glaubens in sich faßt, denen das Recht zusteht, nach ihrer Ueberzeugung leben zu dürfen. Aber sie stehen noch vor der großen Aufgabe, für sich selbst die aus einer echten Demokratie nicht wegzudenkende Freiheit 211 erkämpfen. Noch ist sie in mancher Beziehung ausständig; wir denken etwa an die Zwangszivilehe, das, wenn auch bedingte, Monopol der neutralen Staatsschule und so manche andere Monopoltendenzen des Staates.

Nach außen hin gilt Oesterreich immer noch vielfach als katholisches Land. Noch immer weist die Bevölkerungsstatistik etwa 90 Prozent Katholiken aus. In Wirklichkeit ist nur ein Bruchteil davon tatsächlich als Katholiken zu rechnen. Vieles in unserem gesellschaftlichen Leben ist nicht mehr aus katholischem Geist gestaltet. Und doch sind die wirklichen Katholiken immer noch die größte Gesinnungsgemeinschaft in unserem Volk. Und hätten darum das Recht und die Möglichkeit, den Geist im öffentlichen zu bestimmen. Tatsächlich ist es weithin noch'nicht der Fall. Dazu fehlt noch die nötige Geschlossenheit. Dazu halten sich noch viel zu viele von der Mitarbeit im öffentlichen Leben und in der Politik fern. Und doch kann in einem demokratischen Staat auf keinem anderen Weg Einfluß genommen werden als durch die Mitarbeit möglichst aller. Und dabei geht es nicht nur um den Katholizismus in Oesterreich, sondern um Oesterreich selbst. Denn die Ueber-windung des zutiefst destruktiven materialistisch-heidnischen Geistes ist nicht nur Lebensinteresse der Kirche, sondern einer menschlichen Gesellschaft überhaupt, die eine Zukunft vor sich sehen will. Das Bekenntnis der Katholiken zu Oesterreich muß also ein Bekenntnis zu noch weit intensiverer Mitarbeit im politischen Leben sein.

Zweimal in einem halben Jahrhundert haben die Oesterreicher ihr Vaterland verloren und neu erobern müssen. 1918, als das große Reich so vieler Jahrhunderte in Trümmer ging, galt es einen für viele hoffnungslosen, neuen Anfang. Der Aufbau wollte nicht recht gelingen und warf das kleine Oesterreich von einer Krise in die andere. Zum anderenmal ging Oesterreich 1938 verloren. Die darauf folgenden Jahre haben es den Oesterreichern und auch den österreichischen Katholiken zum Bewußtsein gebracht, was sie verloren haben. Der neue Aufbau nach dieser Periode war wieder blutig und ernst; die seither vergangenen zehn Jahre geben den Anschein, als ob er besser gelungen wäre. Die große Verantwortung liegt nun auf den österreichischen Katholiken, zu sorgen, daß uns Oesterreich nicht noch einmal verlorengeht, weil es aufhört das zu sein, was Oesterreich sein muß.

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