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Die Stimme Österreichs

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offensichtlich, weite Kreise in Amerika darauf hinzuweisen, "daß es für Amerika selbst nicht gut ist, wenn Deutschland und Oesterreich in einen Topf geworfen .werden. Es konnte nicht gelingen, noch nicht gelingen — allzugroße politische und strategische Pläne der Amerikaner wurden hier angegangen, ihre not w e nd i g e Re v i s i o n wird noch geraume Zeit in Anspruch nehmen —, die amerikanische Regierung zu überzeugen, Oesterreich freizugeben aus einer faktischen

Vor rund einer Million amerikanischer Fernsehteilnehmer sprach der österreichische Bundeskanzler Julius Raab seine Ueberzeu- gung aus: Die Lösung der Triest-Frage und das Asien-Abkommen zeigen, daß eine internationale Einigung über Streitfragen möglich ist. Er glaube nicht an einen dritten Weltkrieg, der für beide Seiten vernichtend sein würde; deshalb dürfe es keinen Krieg geben, sondern es müsse sich ein allmähliches Zusammenleben ergeben. Wahrscheinlich werde dieses mit der Lösung der Oesterreich-Frage beginnen. Oesterreich gibt der ganzen Welt den Beweis, daß die westlichen Verbündeten und die Sowjetunion Zusammenarbeiten können. Es ist der einzige Ort der Welt, wo Vertreter der vier Mächte periodisch zu Beratungen Zusammenkommen, auch wenn sie dabei nicht alle Probleme lösen könnten.

Diese und eine Reihe anderer, im Sinn nahverwandter Erklärungen hat der österreichische Bundeskanzler unermüdlich wiederholt, überall in den USA, wo er befragt wurde. In einem Lande, in dem es bis vor kurzem noch kaum möglich war, von einem möglichen Abkommen mit dem Osten zu sprechen, ohne als „Hochverräter“ und „Feind Amerikas angeprangert zu werden.

Man wird den Erfolg der Reise unseres, Bundeskanzlers erst dann würdigen können, wenn man die ungeheuren Schwierigkeiten betrachtet, die sich seinem Auftreten in Amerika entgegenstellten. Von einigen war in der vorletzten Nummer der „Oesterreichi- schen Furche“ ausführlich die Rede. Die USA befinden sich augenblicklich in einer großen und schwierigen inneren Umstellung: der vom kalten Krieg zu einem konstruktiven Frieden. Mit gutem Sinne durfte das offizielle Kommunique über die Verhandlungen Raabs mit Eisenhower und Dulles die politischen Pläne des österreichischen Bundeskanzlers als „konstruktiv“ ansprechen. Für die großen wie für die kleinen Länder der freien Welt geht es heute darum, konstruktiv zu arbeiten, das heißt auf Deutsch: aus dem Dunstkreis der großen Worte, der Propaganda, der Parolen herauszufinden zu einer schöpferischen Friedensarbeit, die durch Leistungen den Wirkungskreis der freien Welt nach außen erweitert und nach innen hin festigt. Die USA befinden sich mittefn im Uebergang von einer wenig erfolgreichen Politik der großen Worte zu einer Friedenspolitik, die es wagt, mit neuen Mitteln die notwendigen Auseinandersetzungen mit ihren großen Gegnern auszutragen. Noch herrscht viel Angst vor. Diese Angst sieht Dinge zusammen, die getrennt behandelt werden wollen. So erschien bis vor kurzem den USA ganz „Europa“ als ein zusammenzuschweißender Block, der unisono behandelt werden könne. Die Stimmen Frankreichs, Englands und nun auch Oesterreichs beginnen hier die Wirklichkeit aufzuzeigen. Für Oesterreich heißt das, daß es unablässig versuchen muß, zu verhindern, daß es als Teilproblem der deutschen Frage behandelt wird.

Auf diesem entscheidend wichtigen Punkte war für Oesterreichs Bundeskanzler nur ein Teilerfolg in Amerika zu erreichen. Es ist wichtig, das richtig zu erkennen: jeder falsche Optimismus ist hier ebenso gefährlich wie jeder falsche Pessimismus. Es gelang Raab

Bindung an das Pariser Vertragswerk. Der in diesen Tagen in Gründung befindliche osteuropäische Militärpakt, der Ungarn und Rumänien militärische Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion auferlegen dürfte, wird in dieser Hinsicht vielleicht mithelfen, eine neue politische und strategische Konzeption in den USA zu erleichtern: die UdSSR können dann ihre Truppen ruhig aus Oesterreich abziehen, die Amerikaner dürfen ihnen dann ruhig folgen.

Das offizielle amerikanische Kommunique über die Besprechungen Raabs mit Eisenhower und Dulles hält fest: Die Vertreter der Vereinigten Staaten anerkennen, daß die von Oesterreich erzielten Fortschritte einen bemerkenswerten Beweis für den Mut, die Anpassungsfähigkeit und feste Haltung der österreichischen Regierung und des österreichischen Volkes darstellen.

Mut, Anpassungsfähigkeit, feste Haltung — „dreieinig sind sie, nicht zu trennen“ — als eine Verpflichtung für jeden, der österreichische Politik verantwortlich betreibt, österreichische Außenpolitik wie österreichische Innenpolitik! Auf der Koalition der beiden stärksten Parteien beruhte bis jetzt das Wohlergehen und die Demokratie unseres Landes nach diesem letzten Kriege. Auf Mut, Anpassungsfähigkeit und fester Haltung beruhte aber auch Oesterreichs staatspolitische Existenz im Zerrfeld von Ost und West in diesen letzten zehn Jahren. Oesterreich darf heute von den Westmächten, und vor allem von den USA, ein richtiges Verständnis fordern —. und die Reden und Erklärungen Raabs in den USA heben das immer wieder hervor —, ein Verständnis für seine nüchtern-offene Haltung dem Osten gegenüber, nachdem es soeben große Konzessionen dem Wessen gegenüber gemacht hat. Diese bestehen einmal darin, daß wir uns, mehr nolens als volens, bereit erklären mußten, Oesterreichs Staatsvertrag erst nach einem Abschluß der Pariser Verträge von Amerika aus behandelt zu sehen. Und sie bestehen zum zweiten darin, daß Oesterreich bereit ist, seine reichen Wasserkräfte Westeuropa zur Verfügung zu stellen. Dieses heikle Problem wird von künftigen Nußriießern gerne in einer Weise behandelt, die dem österreichischen Volke den Blick vernebelt für seine weltpolitische wie europäische Bedeutung. Nicht zufällig wurde es auch von Präsident Eisenhower stark in den Vordergrund gestellt. Oesterreichs Wasserkraft vermag einen Großteil der westeuropäischen Industrie mit Strom zu versorgen. Heute schon fließt dieser Kraftstrom zu Rhein und Ruhr, nach Brüssel, in die Zentren europäischer Großindustrie. Wenn Oesterreich seine Wasserkräfte dem westlichen Kapital und damit der westeuropäischen politischen Macht zur Verfügung stellt, dann muß es seine politischen Kräfte bis zum äußersten anstrengen, um darauf hinzustreben, daß diese Erschließung des stärksten Wirtschaftspotentials Oesterreichs durch eine kontrollierbare europäische Konföderation geschieht. Und nicht durch eine kleine Handvoll von Interessenten, die Oesterreich über Nacht dasselbe Schicksal bereiten könnte wie 1938: durch Zuckerbrot und Peitsche, durch Beherrschung der österreichischen Wirtschaft, des Lohnmarktes, der Gesamtproduktion. Der österreichische Bundeskanzler wurde in Amerika immer wieder daraufhin befragt, wie es mit dem Anschlußproblem steht. Er konnte mit gutem Gewissen darauf hinweisend daß das österreichische Volk ykeinen Anschluß wolle. Er könnte natürlich keine Erklärung abgeben für die Pläne anderer Leute, die in eben diesen Tagen sehr deutlich von „Deutschlands göttlichen und menschlichen Rechten“ auf ein Reichsgebiet „im Umfang von 1938“ sprechen. Soll aus der Erschließung der österreichischen Wasserkräfte nicht eine Schlinge werden, die Oesterreichs Unabhängigkeit erwijrgt, dann ‘wird es einer großen Wachsamkeit der beiden Koalitionsparteien bedürfen und jeder österreichischen Regierung.

Das künftige Schicksal Oesterreichs ist — das erweist der für unsere Selbstaufklärung so wichtige Besuch Raabs in Amerika -r- gebunden an das Wachstum eines echten Europa. Wird Europa ein’Bund von Staaten und Völkern, dann hat Oesterreich in diesem Bunde einen wichtigen Platz einzunehmen, der ihm auf Grund seiner. Leistungen für dieses föderative Europa ein eigenständiges Mitspracherecht einräumt. Wird . Europa beherrscht durch diese oder jene Achse — mag sie nun eine Achse Rom—Berlin von 1937 sein oder eine künftige Achse Washing ton—Bonn oder Deutschland—Rußland, dann bestünde für unser Land keine Existenzmöglichkeit. Das Fazit aus dem Besuch des österreichischen Bundeskanzlers in Washington kann also für Oesterreichs verantwortliche Politiker nur sein: wachsam und zäh die begonnene Aufklärung des amerikanischen Volkes über Oesterreichs eigene Stellung in Europa fortzusetzen und alle Oesterreicher die Mißtrauen säen wollen in Amerika gegen Oesterreichs Regierung, als solche zu ent hüllen. Sodann zusammenzuarbeiten mit allen westeuropäischen Staaten, die ein Zusammenarbeiten von freien Völkern anstreben. Wenn das gelingt, können wir ruhig und mit gutem Gewissen dem Osten entgegensehen. Während Raab, soeben Ehrendoktor einer amerikanischen Universität, noch in Amerika weilt, hat Dr. Adenauer einer Wiener Zeitung ein Interview gegeben: Bonn anerkenne Oesterreichs Selbständigkeit.

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