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Randhemerkungen zur woche

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NACH DER BESTELLUNG EINES ZIVILEN HOCHKOMMISSARS DER UdSSR in OSTERREICH, nach der Amnestierung österreichischer Gefangener in russischen bzw. österreichischen Gelängnissen, nach der Uehergabe der hydroelektrischen Anlagen in Ybbs-Persenbeug erhält nun die Oefientlichkeit folgende Mitteilung, überbracht durch den stellvertretenden Hochkommissar der UdSSR in Oesterreich, Generalmajor W. N. Kraskewitsch: „Die sowjetischen Okkupationsbehörden in Oesterreich haben, um dem Wunsche des österreichischen Volkes zu entsprechen, mit 9. Juni die ständige Kontrolle an der Demarkationslinie für den Personen- und Lastenverkehr aulgehoben. Mit 9. Juni 1953 wird die Personenkontrolle an der Demarkationslinie nur periodisch nach Maßgabe der Notwendigkeit eriolgen. Die Lastenkontrolle wird nur insoweit durchgelührt, als es notwendig ist, die Einfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoffen in die Sowjetzone zu verhindern.“ — Am Tage nach dem Abschluß des Kriegs-gelangenenaustauschabkommens in Korea öffnet sich in Oesterreich eine Tür. Weltweiter und engmaschiger Zusammenhang sowjetischer Politik! Den Taten dieser sowjetischen Friedensoffensive werden die Staatsmänner des Westens Rechnung zu tragen haben: eine nicht leichte Aufgabe. Oesterreichs Bevölkerung hält einen Augenblick inne-, mit dem aufrichtigen Dank für diese Maßnahme, die gerade am Beginn der Fremdenverkehrssaison erfolgt, sollte sich in dieser Stunde nicht ein Nachrechnen der vielen hundertlausend Arbeitsstunden verbinden, die unser arbeilendes Volk durch Zonen- und Zugkontrollen in den letzten sieben Jahren verloren hat, sondern ein dankbares Gedenken daran, daß die nunmehr gesetzte Maßnahme nicht nur der neuen Sowjetpolitik zu danken ist, sondern auch der Beharrlichkeit und Charakterstärke, mit der schon die Regierung Figl, offen und männnlich, dieser Besatzungsmacht entgegengetreten ist, so daß es ihr gelang, Achtung zu erwerben. — Es wäre erfreulich, wenn das Fallen der Schranken an der Enns mit als Beginn eines neuen Abschnittes im Ringen um Oesterreichs Unabhängigkeit angesehen werden dürfte.

DIE OHRFEIGENAFFÄRE IM NATIONALRAT wurde bereits, weit mehr als es einer so unrühmlichen Angelegenheit gebührte, von der Presse ausgeschlachtet. Ernster ist ein anderes: Eine „bürgerliche“, eine „unparteiische Morgenzeitung“ schließt ihre Betrachtunn über diese Ohrfeige: „Wenn der betreffende SPOe-Nationalrat künftig in der gleichen Situation sich pazifistisch benehmen sollte, dann nur deshalb, weil er, wie man hört, von dem angegriffenen WDU-Nationalrat niedergeschlagen wurde. Es ist schon so: Der Pazifist lehnt in Wahrheit nicht den Krieg ab, sondern nur die unangenehmen Folgen, die er für ihn selbst haben kann. Der Pazifismus ist eine recht unaufrichtige Angelegenheit und es ist auch kein Zulall, daß Einzelmenschen und Völker, die den Frieden fortwährend im Munde führen, in Wahrheit recht aggresiv gesinnt sind. Es ist aber auch kein Zufall, daß die Kriegführungsmethoden um s\> unritterlicher werden, je mehr von Völkerfrieden und Menschlichkeit gesprochen wird.“ Diese Sätze offenbaren eine solche Verirrung des Geistes und der Moral, daß sie kurz analysiert werden müssen: der Schreiber geht von einem Ohrfeigenduell aus, um aus möglichen psychologischen Wirkungen auf den einen der beiden Betroffenen in einem Atem abzuleiten: a) eine Diffamierung jeder Friedensarbeit als einer charakterlosen Feigheit von Schwächlingen, b) die Identilizierung des Pazifismus mit der bekannten sowjetischen „Friedenstaube“, c) die Denunzierung jenes, auch im deutschen Raum seit Immanuel Kants Aufrufen nie erlahmten heroischen Kampfes für Völkerfrieden und Menschlichkeit als einer abgrundtiefen Heuchelei. Es ist eine barbarische Logik, die mit europäischem Denken nichts zu tun hat, wenn hier die Unritterlichkeit der neueren Kriegführung abgeleitet wird von der Verkündigung des Völkerfriedens und der Humanität. — Apropos, Ritterlichkeit. Gibt es etwas Unritterliches, etwas, was mehr den Mangel an Großherzigkeit bezeugt, als diese ungeheuerlichen Ableitungen aus einer betrüblichen Ohrfeigengeschichte? — Das Ganze: Grund genug, für uns alle, die wir mit der Presse zu tun haben, uns zu schämen. Hier, in Wien, in der Stadt der Berta von Suttner, der „Friedensfurie“, der vor kurzem ein deutscher Film eine Ehrung bereitet hat, die Ihr hier niemals zuteil wurde, seit jenem März 1938, als man nichts Eiligeres zu tun hatte, als ihr Gedenken auszulöschen und ihrem Platze seinen Namen zu rauben ...

HINTER DER REGIERUNGSKRISE IN FRANKREICH steht diesmal, stärker als je zuvor, die angespannte soziale Lage. Der Krieg in Indochina, die Sorge um den Verlust des afrikanischen Kolonialreiches und die Zerschlagung des Empire Frangais, die Bitterkeit über die Vereinigten Staaten und Westdeutschland, die damit verbundene Unlust, sich in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu engagieren, das alles erhält erst sein gefährliches Gewicht in der Schicksalsschale der Nation durch die Zuspitzung auf dem sozialen Sektor. „Die soziale Lage ist derart gespannt,daß über kurz eine soziale Grundwelle alle Zögernden hinwegschwemmen wird.“ Diese Worte stehen nicht in einer kommunistischen Zeitung, sondern, fett gedruckt, im Leitaulsatz eines katholisch-konservativen Schweizer Blattes, und werden hier illustriert durch einen Bericht vom eben beendeten Kongreß der christlichen Gewerkschalten Frankreichs in Paris. Diesem Kongreß lag eine Enquete vor, die auf Initiative der französischen Kardinäle und Erzbischöle die soziale Lage und besonders das Lohnproblem untersucht halte. Der Erzbischol von Bordeaux, Msgr. Richaad, klagt hier in seinem Schlußwort die französischen Unternehmer an. Er erklärt, daß „allein der Profit der große Motor der Unternehmer sei; daß bei vielen dieser Herren ein gewisr-es Nichtbewußtsein über das ständige Mißverhältnis zwischen ihrem eigenen Lebensstanduid und demjenigen derer, die sie anstellen“, festgestellt werden müsse; daß „fast alle Gehaltempfänger in der Tat die Ueberzeugung haben, die Opfer einer organisierten Ungerechtigkeit zu sein“. —Hinter den Parteien hat sich eine Front gebildet, die, von den Arbeltern und Angestellten ausgehend, breiteste Kreise des ..Mittelstandes“ erfaßt hat: die Familien können von den Löhnen und Gehältern nicht leben. Jeweils neue Preissteigerungen, geschickt gelenkt oft von den Kartellen und Managern der Wirtschaltsbünde, senken den Lebensstandard auf ein kaum mehr erträgliches Maß. Die Bevölkerung hat nun das deprimierende und erbitternde Gefühl, daß die Parlamentarier nicht gewillt sind zu einem entscheidenden innenpolitischen Frontwechsel, zu einer konstruktiven Sozial- und Wirtschaits-polilik. Man tue alles, so verstärkt sich die Ueberzeugung, um das Aufkommen einer energischen und durchgreifenden Sozialpolitik zu verhindern. — Die Krise der Regierung dürlte diesmal besonders lange dauern — schon erhebt sich das Gespenst von Neuwahlen unter dem Druck der drohenden Katastrophe der Währung und der gesamten Staalswirtschait. — Die Krise nimmt bereits jetzt weltweite Perspektiven an: schon muß die Bermuda-Konlerenz verschoben werden, die doch dazu dienen sollte, die in den letzten Monaten stark auseinandergekommenen Westalliierten, Amerika, England, Frankreich, neu zusammenzuführen und zu einem Arbeitskonzept für eine gemeinsame Politik Rußland gegenüber zu gelangen. — Frankreichs Substanz ist nicht erschöpft: gerade weil man das weiß, ist die Unruhe so stark, und der Ruf so dringend: nicht nach dem starken Mann, wohl aber nach einer rasch wirkenden Methode zur Integration der auseinanderstrebenden Kräfte.

DIE SCHÖSSE UND SÄBELHIEBE, die am 11. Juni 1903 im Belgrader Konak König Alexander und seine Gemahlin Draga Maschin niederstreckten, waren das erste Präludium zum Weltkrieg. Denn die Mörder des Königspaares haben mit ihrer Untat direkt in den Gang der europäischen Geschichte eingegriffen. Die Dynastie Obrenovic, die an jenem Tage ausgerottet wurde, war traditionell Österreich-und damit dreibundlreundlich gewesen. Die Intervention des österreichischen Gesandten Graten Khevenhüller hatte nach der Niederlage bei Sllvnitza Serbien und damit das Haus Obrenovic gerettet. Solange diese Familie in Serbien herrschte, konnte man daraul rechnen, daß der russisch-panslawistische Einfluß in diesem Teil des Balkans, dem Vorwerk zur ungarischen Tiefebene, nicht Fuß fassen werde. Damit war der traditionellen Schirmherrschaft Rußlands über Bulgarien ein politisches Gegengewicht gegeben, Bosnien gegen irredentistische Einflüsse abgeschirmt. Mit der Thronbesteigung König Peters I. aus der Dynastie Karageorgevic wendete sich das Blatt. Die Rivalitätsansprüche seiner Familie waren stets auf die russische Rückendeckung gestützt gewesen und von da an war in Belgrad der Einfluß der russischen Gesandtschalt dominierend. Schon fünf Jahre später zeigte die Annexionskrise die eingetretene Wandlung deutlich auf — Spannung folgte auf Spannung, die systematische Unterwühlung der südöstlichen Reichsteile der Monarchie hatte in Belgrad ihr von mächtigen Schutzherren unterstütztes Zentrum. Serbiens Sieg im Balkankrieg war so bereits eine klare Niederlage der Zentralmächte. Und die Schüsse, die am 28. Juni 1914 den österreichischen Thronfolger in Sarajewo töteten, waren gleichzeitig ein Nachhalt jener, vom 11. Juni 1903 und de- Beginn des ersten Weltkrieges.

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