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„Mut und Friedensliebe“

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Es ist nicht Nostalgie, wenn wir im Laufe der Jahre von Zeit zu Zeit innehalten und zurückblicken. Die Erfahrung lehrt, daß niemand die Zukunft vorhersehen oder planen kann, der nicht die Vergangenheit kennt, also den Boden rekognosziert hat, auf dem er steht. In diesem Sinne ist das Studium der Geschichte ein wesentlicher Beitrag zu guter Politik.

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Es ist nicht Nostalgie, wenn wir im Laufe der Jahre von Zeit zu Zeit innehalten und zurückblicken. Die Erfahrung lehrt, daß niemand die Zukunft vorhersehen oder planen kann, der nicht die Vergangenheit kennt, also den Boden rekognosziert hat, auf dem er steht. In diesem Sinne ist das Studium der Geschichte ein wesentlicher Beitrag zu guter Politik.

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Geschichtslosigkeit ist gefährlich. Die größten Irrungen unserer Zeit wären vermieden worden, hätten die

Verantwortlichen die Prämissen ihrer Entscheidungen zur Kenntnis genommen. Sie hätten dann nicht uralte Fehler wiederholt.

Ein Rückblick auf die letzten tausend Jahre zeigt eine Reihe von Kontrollpunkten, an denen man die Wellenbewegung der Geschichte ablesen kann. Genau vor tausend Jahren starb Otto der Große. Nach dem Verfall der Karolinger hatte er dem Reiche neue Kraft gegeben, hatte die Translatio Imperii vollzogen und Deutschland eine geordnete Verwaltung gegeben.

Drei Jahrhunderte nach Otto trat ein neuer Verfall ein: das Interregnum, die kaiserlose Zeit. Die Wahl Rudolf von Habsburgs zum deutschen König hat ihr ein Ende gesetzt und der Kaiseridee eine zeitgemäße Orientierung gegeben. Damals erhielt das Reich erneut eine Weltmission, die sich unter Rudolfs Nachfolgern auswirken sollte.

Die Bedeutung der Königskrönung von 1273 kann nicht verstanden werden, wenn man nicht die Probleme aufzeigt, die zur Wahl Rudolfs von Habsburg geführt haben. Man muß sich dabei die kaiserlose Zeit vor Augen halten, jene Epoche des tiefsten Verfalles zwischen 1245, dem Ende der Staufer, und 1273. Es waren Tage schwerster Krisen der Kirche, des Staates und, mit dem Staate, ganz Europas.

In ihrem Kampfe gegen die Staufer war die Kirche wohl anscheinend siegreich gewesen. Nach außenhin erschien der Papst 1245 als die mächtigste politische Gestalt des Westens. In Wirklichkeit jedoch hatte die Kirche durch die gewaltigen Anstrengungen gegen die deutsche Dynastie ihre Kräfte erschöpft.

Im Reiche selbst schien wohl der Einfluß der geistlichen Kurfürsten groß zu sein. Aber auch das war Schein. Denn auch die geistlichen Kurfürsten hingen von einer Wahl ab, bei der sie dem Domkapitel gegenüber eine Wahlkapitulation

unterschreiben mußten, die ihre Autorität von Anbeginn untergrub — das Schulbeispiel einer ungesunden „Demokratisierung in der Kirche“.

Stärker durch die Krise der Zeit gezeichnet als die Kirche war das Reich. Mit dem Ende der Staufer-Herrschaft zerfielen seine tragenden Institutionen. Ausländer wurden gewählt, die sich um ihr chaotisches Reich kaum mehr kümmerten. Die territorialen Fürsten, aber auch die kleineren Machthaber, hatten niemanden mehr über sich, es herrschte wirkliche Anarchie. Diese führte zu den typischen Reaktionen der Verfallszeiten.

Da ein oberster Rechtswahrer fehlte, schritten einzelne Gruppen zur gewaltsamen Selbsthilfe. Das wiederum förderte den unbeschränkten Gruppenegoismus. Liest man die Chroniken der Epoche, kann man nicht umhin, gewisse Parallelen zu unseren Tagen festzustellen. In den modernen Staatswesen gelingt es kleinen und entschlossenen Minderheiten, die große Mehrheit zu erpressen. Da sind der Luftpirat, der Geiselfänger, da sind kleine privilegierte Gruppen, deren Arbeitsniederlegung die Behörden unter Druck setzt. Die schwächliche Abwehr der Zuständigen beweist dabei zumeist deren schlechtes Gewissen, nicht frühzeitig für Gerechtigkeit gesorgt zu haben.

Willkür führt zwangsläufig dazu, daß die produktivsten Elemente der Gemeinschaft — in der kaiserlosen Zeit waren es die reisenden Kaufleute und die arbeitsamen Bauern — durch die parasitären Kräfte unterdrückt werden. Das sollte uns nicht Wunder nehmen. Wer nutzbringend beschäftigt ist, sinnt nicht auf Gewalt. Er hat ja gar keine Zeit dazu. Der Raubritter, demgegenüber, lebt vom Arbeitsertrag anderer.

So entstand in der kaiserlosen Zeit eine echte Sehnsucht nach Wiederherstellung der Autorität. Das zeigte sioh nach der Wahl Rudolf von Habsburgs in der Begeisterung auch

seiner einstigen Gegner. Auch damals gab es also offensichtlich die heute so viel genannte schweigende Mehrheit, die leidet und hofft, bis jemand ihren Wünschen durch Werte und Taten Ausdruck verleiht.

Die Wahl Rudolf von Habsburgs erfolgte somit inmitten einer schweren Krise des Reiches und der Kirche, und der Aufstieg kam offensichtlich für viele unerwartet. So hielt man Rudolf von Habsburg zur Zeit seiner Wahl für einen „alten Mann“. Rudolf, geboren am 1. Mai 1218, war im Jahre 1273 55 Jahre alt, was zu seiner Zeit freilich beträchtlich mehr war als heute. Trotzdem sollte ihm eine 18jährige Regierungszeit beschieden sein. Es ist nicht erstaunlich, daß einige der Kurfürsten, die sich für den Habsburger entschieden, diesen nur als eine Übergangslösung ansahen.

Die zeitgenössische Erfahrung beweist uns die Unvernunft einer Altersbeschränkung für Politiker. Alle großen Leistungen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden nämlich von Menschen vollbracht, die bereits jenseits dieser Grenze standen. Ich brauche hier nur die Namen der Schuman, Adenauer, de Gaspari, de Gaulle oder eines Johannes XXIII. zu nennen, damit man erkenne, was Europa verloren hätte, wären diese Männer vor ihren im Alter vollbrachten Hochtaten ausgeschaltet worden.

Aber über diesen Altersfaktor hinaus zeigt uns die Wahl Rudolf von Habsburgs auch die Möglichkeit einer dramatischen Wende in der Entwicklung eines Volkes, wenn nur im gegebenen Augenblick die richtige Persönlichkeit auftritt, wenn sich also der Mensch mit seiner Zeit trifft.

Am 9. September 1273 traten die geistlichen Kurfürsten zu einer Vorwahl zusammen, die zu Rudolfs Gunsten ausfiel. Schon kurz darauf erschien am 20. September der Burggraf von Nürnberg, Friedrich von Zollern, im Lager Rudolfs vor Basel, um ihn zu fragen, ob er bereit sei, die Wahl anzunehmen. Rudolf war damals gerade in eine schwere Fehde mit dem Bischof von Basel verwickelt, die wohl aus den Hausmachtsbestrebungen der Habsburger im elsässisch-schweizerischen Raum entstanden war.

Rudolf von Habsburg antwortete ohne Zögern auf den Vorschlag Friedrichs von Zollern und nicht weniger schnell, innerhalb von Stunden, kam eine tiefgreifende seelische Wandlung über ihn. Schon am 22. September schloß er mit Basel einen Waffenstillstand und besuchte daraufhin die Stadt. Er wurde dort mit überschäumender Begeisterung aufgenommen, weil das Volk von ihm die Wiederherstellung der Ordnung erwartete. Er war nicht mehr der Gegner von gestern, er war bereits „der Kaiser“.

Kurz darauf, am 29. September, traten die vier rheinischen Kurfür-

sten in Frankfurt zusammen, um nunmehr amtlich und einstimmig, am 1. Oktober, Rudolf zum König zu wählen. Der Böhmenkönig Ottokar war nicht anwesend. An seiner Stelle übte der Herzog von Niederbayern das Stimmrecht aus. Rudolf, der kurz darauf in Frankfurt erschien, reiste mit den Fürsten nach Aachen, wo der Habsburger am 24. Oktober im traditionsreichen Münster auf dem Throne Karls des Großen im Rahmen einer grandiosen religiösen Zeremonie feierlich gekrönt wurde. Eli Monate darauf, am 20. September 1274, anerkannte Papst Gregor X. die Wahl. Sichtbarer Ausdruck des neuen Verhältnisses zwischen Kirche und Reich war dann das Treffen des deutschen Königs und des Papstes am 20. Oktober 1275, anläßlich der Einweihung des herrlichen Domes von Lausanne. Dort wurde zwischen beiden vereinbart, daß am 2. Februar 1276 die Kaiserkrönung in Rom stattfinden solle. Damit schien die Wiederherstellung des Reiches gelungen zu sein. Dem war aber nicht so. Gregor X. starb am 10. Jänner 1276 und damit wurde die Absprache zwischen ihm und Rudolf hinfällig. Trotzdem war diese Abmachung, langfristig gesehen, entscheidend genug, um dem Reich eine feste juridische Grundlage zu geben.

Man hat Rudolf des öfteren als einen „armen Grafen“ bezeichnet, als einen Mann also, der sozusagen durch Zufall, aus dem Nichts, an die erste Stelle des Reiches aufgestiegen sei. Diese Legende dürfte weitgehend auf Ottokars Propaganda gegen Rudolf zurückzuführen sein. Nach der Wahl des Habsburgers hatte nämlich der Böhmenkönig versucht, diese anzufechten, indem er behauptete, Rudolf sei als Graf nicht „ebenbürtig“, könne daher auch nicht gewählt werden. Hier erkennen wir einmal mehr die ge-schichtsformende Kraft der Propaganda, die sich auch in nachfolgenden Generationen auswirkt. In unseren Tagen schließlich wurde Propaganda im Dienste der Regierungen zu einem wahren System auf

psychologischer Grundlage entwickelt.

In Wirklichkeit war jedoch Rudolf vor seiner Wahl nach Ottokar der zweitbedeutendste Mann im Reiche, war als Persönlichkeit allgemein angesehen und besaß großen Einfluß. Ein Historiker hat als die drei wesentlichsten Charaktermerkmale dieses Herrschers Umsicht, Klugheit und Tatkraft genannt; man könnte auch noch Mut und Friedensliebe hinzufügen. Rudolf hat nie einen Kampf gescheut, war aber stets zur Versöhnung geneigt. Als ritterlicher Mensch vermied Rudolf Krieg und Kampf und als König ist er selten bis an die Grenze des Risikos gegangen. Er hat nicht an den falschen Satz „Viel Feind — viel Ehr'“ geglaubt.

Dabei war Rudolf ohne Zweifel ein großer Kriegsmann. Das erweist sich an der Art, in der er die Schlacht auf dem Marchfeld führte und auch an der Tatsache, daß man ihm noch als Siebzigjährigen jegliche Kühnheit zutraute. Er war eben noch ein wirklicher König, der persönlich an der Spitze des Geschehens und der Schlachtreihen steht, der Taten setzt, auch Fehler begeht, aber nicht zur juristischen Abstraktion wird. So gesehen, könnte man dem Worte Berechti-

gung nicht absprechen, die Monarchien seien gefallen, nachdem die Könige aufgehört hätten, auf den Schlachtfeldern zu kämpfen. Auch heute erklärt sich das bewundernswerte Uberleben der haschemiti-schen Monarchie in Jordanien nicht zuletzt daraus, daß König Hussein die ritterliche Tradition seiner Familie in die moderne Zeit übertragen hat und in allen großen Kämpfen stets bei seinen Truppen, in der ersten Linie stand, während die arabischen Präsidenten die Schlachten von 1967 in den Heldenkellern von Kairo oder Damaskus überlebten.

Sogar seine Feinde rühmten Rudolfs Zuverlässigkeit. Er stand eben fest zu seinen Grundsätzen, was ihm dann aber auch erlaubte, auf anderen Gebieten pragmatisch und wendig zu sein.

Zu diesen Charaktereigenschaften gesellten sich Vorsicht, Geduld, eine hohe Intelligenz, ein untrüglicher Sinn für politische Strategie. Die Geduld Rudolfs hat sich übrigens bis ins höchste Alter bewährt. In jedem Abschnitt der Geschichte ist es ein untrügliches Erkennungszeichen des echten Staatsmannes, wenn er in den letzten Tagen seines Lebens handelt, als habe er noch eine unerschöpfliche Reserve von Jahren vor sich. Geduld war und ist immer noch eines der entscheidendsten Elemente des Erfolges.

Zur Intelligenz und zur Beherrschung der politischen Strategie gesellte sich bei Rudolf der Geist eines sparsamen und umsichtigen Hausvaters. Obwohl vor allem Krieger, kannte sich Rudolf von Habsburg in Finanzwesen und Wirtschaft sehr wohl aus. Zwar fand er sich trotz großer Reichtümer fast immer in finanzieller Bedrängnis, doch dürfte das darauf zurückzuführen gewesen sein, daß der Herrscher, wie ein weitschauender Kaufmann, die Überschüsse stets in neuen Unternehmen anlegte, die erst viel später Ertrag bringen konnten. Dies erwies sich nicht nur in seiner Reichspolitik, sondern nicht weniger in seiner Planung für den Donauraum.

Ein Charakterbild König Rudolfs

wäre unvollkommen, erwähnte man nicht seine tiefe Religiosität, sein Gottvertrauen und nicht zuletzt auch seine Freundschaft mit den Bettelorden. Mit Franziskanern und Dominikanern, besonders mit den ersteren verstand er sich bestens und ebenso unterstützten diese ihn wirkungsvoll in seinen Bestrebungen.

Rudolf war in vielen Zügen ein franziskanischer Mensch. Das zeigt sich in seiner allen Zeitgenossen auffallenden Einfachheit, in der Schlichtheit seiner Kleidung, seiner Mäßigkeit beim Genuß von Speise und Trank und in seiner geringen Neigung zu Lustbarkeiten. Seine einzige wirkliche Entspannung war, soviel man weiß, das Schachspiel. Alle Chronisten heben seine tiefe Verehrung des Altarsakraments und der Mutter des Herrn hervor. Es ist also kein Zufall, wenn die Heere Rudolfs vor der entscheidenden Schlacht von Dürnkrut unter dem Absingen eines Marienliedes in den Kampf zogen. Diese religiöse Einstellung begründete auch Rudolfs durchaus gesundes Verhältnis zum Tode, das bei seinem letzten Ritt nach Speyer zutage trat. Religiosität war aber auch ein Fundament seines

langfristigen politischen Erfolges. In seinem natürlichen und schlichten Auftreten entsprach Rudolf übrigens weit mehr den Bedürfnissen seiner Zeit als der prunkliebende Ottokar, der dem Stile seiner Lebensführung nach noch der Vergangenheit angehörte. Was zudem Rudolfs äußere Erscheinung anbelangt, so hat man mit Recht gesagt, sie sei einer steinernen Figur an einem gotischen Portal vergleichbar gewesen.

Wie schon erwähnt, kann man die Staatskunst Rudolfs als kraftvolle Friedenspolitik bezeichnen. Um das Reich zu kräftigen, sah sich Rudolf gezwungen, sogleich nach seiner Königskrönung alles seit 1245 usurpierte Reichsgut zurückzufordern. Hierbei gab er selbst das beste Beispiel, indem er die für ihn so wichtigen Städte Colmar, Mühlhausen und Kaisersberg im Elsaß dem Reich zurückerstattete.

Für die Stärkung des Königtums war eine Gesundung der Finanzen wesentliche Vorbedingung. Diesem Ziele sollte 1274 die Steuerreform im Elsaß und in Schwaben dienen, eine Reform, die allerdings nicht über ihre Anfänge hinaus gedieh. Wichtig für die weitere Zukunft war dabei der Entschluß Rudolfs, nicht, wie bisher, eine Pauschalsteuer einzu-heben, sondern eine direkte Steuer von 3Vs Prozent auf das Vermögen. Damit wurde zum erstenmal Steuergerechtigkeit zwischen den Mächtigen und den weniger Mächtigen angestrebt.

Man liest des öfteren von einem Plan zur Reorganisation des Reiches, von einer angeblichen Denkschrift des Daminikanergenerals Humbert von Romans aus dem Jahre 1274. Eine in die Einzelheiten gehende Geschichtsforschung hat diese Schrift als apokryph erkannt. Das ist aber, im ganzen gesehen, nicht so wesentlich. Der Gedanke nämlich, der in dem apokryphen Dokument zum Ausdruck kam, die Konzeption des einen Heiligen Reiohes mit seinen drei Königreichen Germanien, Burgund und Italien, mit seiner Krone, die im Hause Habsburg erblich sei,

enthüllt die Vorstellungen, die damals gehegt wurden und die wir in vielen politischen Entscheidungen Rudolfs wiedererkennen. Hier sind zweifellos Ansätze einer bewußten Europapolitik gegeben, wenn man auch im 13. Jahrhundert noch nicht, wie später unter Karl V., von „Europa“ sprach, sondern fast ausschließlich den Ausdruck „Christenheit“ oder „Christliches Abendland“ gebrauchte.

Es hat viel zu der Tragödie des Reiches beigetragen, daß die letzten Staufer allzu sehr dem Machtrausch erlegen waren, ihre Außenpolitik zu einer über ihre Mittel hinausgehenden Weltpolitik ausweiten zu wollen. In richtiger Einschätzung der Gegebenheiten trachtete daher Rudolf von Habsburg, außenpolitisch ebenso wie innenpolitisch eine Frontbegradigung durchzuführen, entgegen also den übermäßigen Prätentionen der Stauf er einen erfolgreichen Rückzug anzutreten. Zu diesem seinen Entschluß hat zweifellos die Erkenntnis beigetragen, daß man in einem Reich wie dem deutschen die zentripetalen Kräfte nicht überfordern dürfe.

Drehscheibe des Reiches waren zu jener Zeit das Elsaß und das Rheintal. Für das Haus Habsburg wiederum wurde im Gefolge der Politik Rudolfs der Donauraum zum Mittelpunkt der Macht. Dazu kamen die vorderösterreichischen Lande, das Quellengebiet der Donau, als Brücke zum Zentrum der Reichspolitik.

Diese machtpolitische Struktur erinnert an die Gegebenheiten des heutigen Europa, da wiederum das Rheintal zum Mittelpunkt der gesamteuropäischen Entwicklung in einer Zeit wurde, in welcher der starke Druck aus dem Osten weite europäische Gebiete dem Erdteil entfremdet hat.

Entscheidend für Rudolfs Hausmachtpolitik war aber Österreich und waren die geopolitisch mit Österreich verbundenen Königreiche Böhmen und Ungarn.

Der große Gegenspieler Rudolf von Hahsburgs war König Pfemysl Ottokar von Böhmen, eine der bedeutendsten Gestalten seiner Zeit.

Die Geschichtsschreiber haben ihn nicht selten als einen Raubritter größeren Formates dargestellt, was durchaus nicht zutrifft. Er war auch kein Tyrann, wie vielfach behauptet wurde, er verfolgte vielmehr in Mitteleuropa eine ähnliche Politik wie Rudolf im Westen. Allerdings waren seine Rechtstitel fragwürdiger als jene des Habsburgers. So eignete er sich das Herzogtum Krain und die Mark Aqueleia im Jahre 1272 mit Gewalt an. Dazu kam, daß der .goldene König“, wie man ihn nannte, offensichtlich seine eigene Macht überschätzte und die Zeichen der Zeit nicht erkannte. So hat er die Reichsacht, die am 24. Juni 1275 in Augsburg über ihn verhängt wurde, auf eine für ihn gefährliche Weise unterschätzt. Kaum war nämlich über Ottokar die Reichsacht wegen Nichtrückgabe reichischer Lehen ausgesprochen worden, brachen auch schon Unruhen gegen ihn in seinen eigenen Ländern aus, wandten sich der Erzbischof Friedrich von Salzburg und seine Suf-fragane in Passau und Regensburg gegen ihn, weil er ihre Rechte angetastet hatte. Dazu kam wenig später die Rebellion der steirischen Adeligen, die sich am 19. November 1276 im Kloster Rain zu Vasallen Rudolfs erklärten. Ebenso waren die Wiener Zünfte habsburgisch gesinnt und nur die unverbrüchliche Treue des Bürgermeisters Paltram gegenüber Ottokar konnte es verhindern, daß auch die Donaustadt sich vom Böhmenkönig abwandte.

Unter dem Eindruck dieser Entwicklung schloß Ottokar vor Wien am 26. November 1276 mit Rudolf einen Frieden, in welchem er auf alle unrechtmäßig erworbenen Gebiete verzichtete; Rudolf seinerseits legte große Mäßigung an den Tag und belehnte Ottokar mit dessen eigenen Stammlanden.

Zu seinem Unglück war aber Ottokar innerlich keineswegs zum Frieden bereit. Kurz nach dem Abkommen von Wien versuchte er, die Polen auf seine Seite zu ziehen, indem er an die slawische Solidarität appellierte. Rudolf hatte seine deutschen Streitkräfte fast vollzäh-

lig entlassen. Als daher Ottokar erneut zum Schlage ausholte, konnte der Habsburger nur mit seinen eigenen Scharen, allerdings auch mit bedeutenden österreichischen Kontingenten, rechnen. Entscheidend war jedoch die Tatsache, daß sich auch die Ungarn zu Rudolf gesellten.

Die Niederlage des Böhmenkönigs bei Dürnkrut und sein Tod hatten tiefgreifende Auswirkungen für Österreich, für Deutschland und für Europa. Im Verfolg der Ereignisse wurde zum erstenmal die Politik der Sudetenländer von der Donau her bestimmt. Zugleich erkannte man in Österreich, daß eine habsburgische Herrschaft in Böhmen die Sicherheit der Donauländer dauernd gewährleisten würde. Aber auch hier wollte Rudolf nichts überstürzen. Vorsichtig und schrittweise bereitete er eine fernere Zukunft in Richtung auf Böhmen und Ungarn vor, ohne den letzten Schritt zu unternehmen, der damals wahrscheinlich voreilig gewesen wäre. Somit erfolgte denn auf dem Augsburger Reichstag von 1282 nur die Belehnung der beiden Söhne Rudolfs mit Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain und der Mark Aqueleia zu ungeteilten Händen. Wenig später freilich sicherte der Vertrag von Rheinfelden am 1. Juni 1283 Albrecht und seinen Erben die Alleinherrschaft. Man kann daher mit Recht von Albrecht als dem ersten habsburgischen Herrscher in Österreich sprechen.

Die Folgen der Schlacht von Dürnkrut und der Belehnung Albrechts wurden bestimmend für die fernere Europapolitik. Das Schwergewicht der Herrschaft Habsburgs war damit von West nach Ost verschoben worden, während der Name „Österreich“ sich nach dem Westen, so insbesondere durch den Begriff „Vorderösterreich“, ausdehnte, österreichisches Wesen wirkte erstmals weit hinaus, bis an den Rhein. Österreich wurde zu einem weltpolitischen Begriff und das Land selbst, das bisher eine Existenz jenseits der Ereignisse geführt hatte, wurde in das Geschehen des Westens einbezogen.

Vor allem stellte sich für Rudolf

das Problem der inneren Verwaltung. Daher sein Bestreben, ein modernes System von ver- und absetzbaren Berufsbeamten zu schaffen. Ein wichtiger Faktor bei dieser inneren Erneuerung des Reiches waren die Städte. Im gleichen Zuge wurde auch auf die Mitarbeit des Bauernstandes ein immer größeres Gewicht gelegt.

Um den inneren Frieden zu erringen, war es notwendig, die Raubritter zu vernichten und den Städten einen maßgeblichen Einfluß auf die Politik des Reiches zu sichern. Ein entscheidender Schritt in diesem Sinne erfolgte kurz vor Rudolfs Tod bei dem Nürnberger Städteparlament. Dieses gewährte Rudolf die finanzielle Grundlage seiner Herrschaft, indem es ihm für die damalige Zeit bedeutende Mittel zusprach. Offensichtlich bezahlten damit die städtischen Bürger nicht nur ihre neue Rolle in der Führung des Reiches, sondern anerkannten auch, daß der König, trotz der schweren Steuerbelastung, ihre Möglichkeiten keineswegs überforderte.

Uberblickt man nach 700 Jahren das Leben und das Werk Rudolf von Habsburgs, so findet man darin nicht wenig Grund für Zutrauen in unsere eigene Zeit. Nichts ist so schwarz und hoffnungslos wie es zu sein scheint. Die „kaiserlose Zeit“, betrachtet in der Perspektive ihrer Epoche, war zweifellos eine ärgere Verfallsperiode als unsere Tage es sind. Europa hat auch in unseren Tagen keinen Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Verfall von gestern kann zur Größe von morgen führen. Ein Aufstieg freilich ist nur möglich, wenn wir echten Erneuerungswillen mit Mut verbinden, wenn wir durch unser Handeln und Wirken den Weg jener vorbereiten, die den Blick und die Fähigkeit haben, das Schicksal zu wenden, Europa zu verjüngen und diesem Erdteil, in dem noch so viele Kräfte schlummern, eine neue Periode des Aufstieges und der Größe sichern. Karl der Große, Rudolf von Habsburg sind nicht nur Geschichte. Sie haben allzeit noch eine Zukunft.

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