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Mit dem Staat verbunden

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Am 18. August 1830 in Schönbrunn geboren, genoß der Knabe, in dem man bei der Krankheit und Kinderlosigkeit Kaiser Ferdinands von Anfang an mit Recht den künftigen Herrscher vermutete, eine überaus sorgfältige Erziehung, deren Leitung vor allem in den Händen der begabten und ehrgeizigen Mutter lag. Der Knabe zeigte ausgesprochen gute, wenn auch keineswegs geniale Anlagen, und was ihm an diesen gebrach, wurde durch Bereitwilligkeit, sich jeder, auch der schwersten Aufgabe zu unterziehen und in sie geistig einzudringen, um sie zu bewältigen, durch rasche und gute Auffassung, durch Vorliebe für das Klare und durch ein ausgezeichnetes Gedächtnis weitgehend ersetzt. Ein vorbildlicher Diener des Staates, den er regierte, ist Kaiser Franz Joseph sein ganzes Leben hindurch gewesen, und niemals hat er das Interesse dieses Staates Familienangelegenheiten oder gar persönlichen Neigungen gegenüber hintangesetzt. Bei großen Familientragödien (Kaiser Maximilian von Mexiko, Kronprinz Rudolf, Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand — höchstens Kaiserin Elisabeth ausgenommen!) waren es fast durchweg Gesichtspunkte des Staates, nicht der Familie, die Probleme aufgeworfen und gewaltsamen Lösungen zugeführt haben. — Nach der Spannung des Krimkrieges und nach den Niederlagen der Jahre 1859 und 1866 war die Okkupation Bosnien-Herzegowinas im Jahre 1878 der einzige sichtbare europäische Erfolg, und die äußere Politik der österreichisch-ungarischen Monarchie war auch später nicht durchweg von günstigen Sternen begleitet. Sie ist schließlich in eine Sackgasse geraten, aus der es 1914 keinen anderen Ausweg gab als eine Kriegserklärung, die dem Todesurteil über den eigenen Staat gleichkam, dem nichts anderes übrigblieb, als „anständig unterzugehen“. Das Leben des Kaisers blieb mit dem Schicksal seines Staates verbunden, wie es bei nur wenigen Herrscherpersönlichkeiten der Weltgeschichte der Fall war. Dies zeigt unter anderem ein Ausspruch am Ende seines Lebens: Tisza sei vielleicht der größte Staatsmann, der ihm, Kaiser Franz Joseph, je begegnet sei — Felix Schwarzenberg höchstens ausgenommen! — Man könnte diesen Satz zur Grundlage eines Buches machen, um Kaiser Franz Joseph als politische Persönlichkeit zu analysieren.

im „Zeitalter des Hochkapitalismus“ sowie eine Kultur- und Geistesentfaltung, die ihresgleichen sucht. Die Wissenschaft und die Hochschulen Österreichs hatten vorher und auch nachher kaum jemals bedeutendere Vertreter zu verzeichnen als in Zeitalter Kaiser Franz Josephs. Anregend und immer wieder neue Lösungsversuche heischend, aber auch störend und belastend, trat zu all diesen Problemen die Nationalitätenfrage, die, sich weiter entwik- kelnd, immer schwerer und schwerer lösbar in Erscheinung trat und an der, wie viele behaupten, das alte Österreich schließlich in erster Linie zugrunde gegangen ist — eine Behauptung, die gleichwohl nur eine Teilwahrheit darstellt.

Sorgen der Innenpolitik

Daß auch in der inneren Politik die Sorgen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zunahmen, ist bekannt. Dem Kaiser war kein geruhsames Alter beschieden. Die Neuorganisation der Verwaltung zur Zeit des Neo-Absolutismus durch Alexander Bach, ein in weite Zukunft vorausweisendes Werk, bildete den Anfang, das Allgemeine und Gleiche Wahlrecht des Jahres 1907 den schöpferischen Aus- 1 klang dieser Entwicklung. Parallel į damit lief eine eindrucksvolle, sozial 1 und wirtschaftlich bedeutsame k Periode der Geschichte Österreichs

Kapitän und Erster Steuermann

Woran liegt es aber schließlich, daß diese lange Zeit von Schwarzenberg bis Tisza, von Bach, bis Koebler und Max Vladimir Beck, von der Postkutsche bis zum Flugzeug, vom Reichstag zu Kremsier und seinen Aspekten über das Nationalitätenproblem bis zur „Unabhängigkeitspartei“ in Ungarn und zu den deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen der Jahre 1913 und 1914 unter Ministerpräsidenten Stürgkh usw. trotz einer geradezu verwirrenden Vielheit uns heute nicht nur als Einheit erscheint, sondern tatsächlich eine Einheit in sich gewesen ist?

Vor allem und vielleicht ausschließlich am Herrscher, der nicht nur der Kapitän, sondern die ganze Zeit hin durch gleichzeitig auch der Erste Steuermann seines Staatsschiffes gewesen ist! Es gibt keine historische Persönlichkeit, die für die franzisko- josephinische Zeit so wichtig, so charakteristisch und auch in bezug auf schöpferische und in die Zukunft weisende Aspekte so bedeutungsvoll, vielleicht sogar so ausschließlich ent scheidend gewesen wäre wie der Kaiser selbst. Wo er zukunftweisende Entwicklungen zu begreifen imstande war, wo er einer andersgearteten religiösen Überzeugung begegnete, wo er einen lauteren, treuen, durch und durch verläßlichen Charakter zu erkennen glaubte — selbst bis in die humorvollen Andeutungen über seine Person in Witzblättern (!) —, zeigte er sich großzügig und duldsam. Wo es um das Ansehen des Staates oder um die Wahrheit des religiösen Glaubens überhaupt ging, um Mangel an Korrektheit der Berufsausübung und Pflichterfüllung auch beim jüngsten Diener des Staates und selbst bei Rekruten — und auch bei Anspielungen auf seine hochverehrte und sehr geliebte Gattin, die Kaiserin (!) —, da zeigte er sich unnachsichtig; wo es um Probleme ging, die machtvoll in Erscheinung traten, aber gleichwohl seinen nüchternen Hausverstand überstiegen, dort nahm das Wesen des Kaisers in der Regel jenen Zug der Abgeschlossenheit, der Unnahbarkeit, der Unpersönlichkeit an, der ihm in späteren Jahren — abgesehen von seinem Verhalten gegenüber Kindern — nachgesagt wurde.

So dürftig und so unzureichend dieses hier skizzierte Dreierschema wirken mag — wir halten es doch für den geeigneten Ausgangspunkt, in die Frage einzudringen, warum der Kaiser manche Entwicklungen mit Sympathie, ja mit Wärme gefördert, andere wieder ohne tieferes Verständnis wohlwollend begünstigt hat, weil er sich als Herrscher dazu verpflichtet fühlte, und warum er schließlich wieder ändere Tendenzen in fortschrittlicher Richtung letzten Endes doch nicht verhinderte. Der Kaiser war sicher nicht nur Freund, sondern im eigentlichen Sinne Träger der Tradition, und er hat sicher mit Hemmungen, ja sogar mit Widerstreben Stück um Stück davon nur dann aufgegeben, wenn es ihm unvermeidlich schien. Aber in dem Augenblick, da der Kaiser die Neuerungen sanktioniert hatte, wurde daran nicht gerüttelt, und niemals hat der Kaiser zum Beispiel in der Verfassungsentwicklung ein feierlich verbrieftes Versprechen in Österreich oder in Ungarn je wieder zurückgenommen.

Haltung!

Dies führt zu jener Eigenschaft, durch die der Kaiser möglicherweise alle seine Zeitgenossen überragt hat, durch das, was man nicht anders denn als Haltung bezeichnen kann. Haltung hat der Kaiser mehr besessen als irgendein Mitglied seiner Familie weiblichen oder männlichen Geschlechts — bis zum heutigen

Tage! Sie gab ihm die Kraft, gelassen zu bleiben, auch wenn es in seiner Umgebung Erregung gab, die Kraft, sich selbst völlig in der Gewalt zu haben, wenn das Schicksal, das er aus der Hand Gottes demütig auf sich nahm, ihm den einzigen Sohn oder die innigstgeliebte Gattin raubte und ihm die Niederlage von

Königgrätz oder den Ausbruch des ersten Weltkrieges nicht ersparte. Die Haltung des jungen Kaisers war wohl eine Haltung anderer Art als die des hohen Alters — aber das eine war in seiner Art ebenso wie das andere —, und diese Haltung des Kaisers war das Geheimnis, welches sein heterogenes Zeitalter letzten Endes zusammenhielt, und gleichzeitig der feste Grund für eine Entwicklung, die bis heute nicht zu Ende ist, wenn wir etwa an die großen Kulturinstitute denken, die in franzisko-josephinischer Zeit entstanden sind und die nach dem Tode des Kaisers bis zum heutigen Tage an

Bedeutung nur zugenommen haben. Wie viele 100-Jahr-Jubilläen von Gründungen, Schulen, Spitälern und sogar Firmen haben wir bloß in den Jahren 1948 bis 1966 erlebt, und wir sind noch lange nicht zu Ende damit! Ein großer Teil aller heute in Österreich geltenden Gesetze stammt aus franzisko-josephinischer Zeit, und die Rechte der österreichischen Staatsbürger sind im Grunde noch immer dieselben wie in der Zeit von 1867 bis 1918. Sogar die Demokratie des Jahres 1907 begann — unter Kaiser Franz Joseph — um mehr als ein Jahrzehnt früher als die Republik, in der wir heute leben.

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