6582681-1951_27_05.jpg
Digital In Arbeit

Franz Joseph und die Ungarn

Werbung
Werbung
Werbung

Herr Koloman von Kin.ya, der nach dem ersten Weltkrieg lange Jahre hindurch Außenminister Ungarns war, erzählte mir einmal von seinem ersten Besuch am Quai d'Orsay, wo sein französischer Kollege — damals Paul Boncour — ihn mit den Worten empfangen habe: .Um die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie tut mir entsetzlich leidl Aber was läßt 6ich jetzt tun? Die Eier haben wir zerschlagen. Können wir aus der Eierspeise wieder Eier machen?“ Genau das ist geschehen, nach dem zweiten Weltkrieg, mit Deutschland. Und die Westmächte versuchen es nun, aus der Eierspeise wieder ganze Eier zu machen: in der Gestalt der Vereinigten Staaten von Europal

In der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn war das bereits erreicht. Da hatte man im kleinen „Vereinigte Staaten von Europa“, wenn es so besser gefällt: eine mitteleuropäische Schweiz im großenl

An der Spitze des Reichs, von elf Nationen und Nationalitäten, verteilt über zwei Länder und 13 Provinzen, vereinigte die Person des Kaisers und Königs Franz Joseph die stärkste bindende Kraft. •

Wir Ungarn haben uns gegen den Franz Joseph des Jahres 48 mit den Waffen in der Hand erhoben, um ihn 20 Jahre später mit flammender Begeisterung zum König zu krönen. Franz Joseph, der im Jahre 1849 dreizehn ungarische Generale als Hochverräter hinrichten ließ, schenkte im Jahre 1896 der Stadt Budapest die Standbilder von zehn ungarischen Freiheitshelden, die in vergangenen Zeiten gegen die Herrschaft des Hauses Habsburg gekämpft hatten.

Diesem Entschluß des Herrschers war einige Wochen vorher ein Besuch vorangegangen, den der deutsche Kaiser — Wilhelm IL — in Budapest gemacht hatte. Franz Joseph empfing den Gast in der Ofener Burg. Natürlich gab es Im Laufe der Festlichkelten ein Großbankett zu Ehren des Kaisers. Nach dem ersten Gang erhob sich Kaiser Wilhelm und brachte, sehr gegen jede Etikette bei solchen Staatsgelegenheiten, einen gewaltigen Trinkspruch auf die ungarische Nation aus. Er pries die soldatischen Tugenden der Ungarn, ihre während der Türkenkriege zum Schutz Europas bewiesene Tapferkeit und Freiheitsliebe.

Der Trinkspruch erregte die ungarischen Herren zu solcher Begeisterung, daß sie — nicht weniger gegen alle Etikette — aufsprangen und den deutschen Kaiser mit lauten Eljen-Rufen hochleben ließen. Das war nun gegenüber dem Gastgeber und König Franz Joseph nicht eben taktvoll gehandelt. Der verbarg dies auch nicht, und das Bankett ging in einigermaßen gespannter Stimmung zu Ende. Mit um so größerer Zustimmung nahm die chauvinistische ungarische Presse und die ähnlich gestimmte Volksmeinung die Komplimente des deutschen Kaisers zur Kenntnis. Es hieß: diese Rede hätte rechtens König Franz Joseph halten sollen!

Der damalige ungarische Ministerpräsident, Baron Desiderius Bdnffy, schlug dem K“önig, um die Wirkung abzuschwächen, vor, er solle der Stadt Budapest Denkmäler jener Helden stiften, die Kaiser Wilhelm verherrlicht habe. Damit werde das Gemeinschaftsempfinden zwischen Herrscher und Nation hinsichtlich ihrer Wertschätzimg der Vergangenheit eindeutig erhärtet.

Nach einigem Zaudern nahm Franz Joseph den Vorschlag an, und der Ministerpräsident konnte im Parlament den großherzigen Entschluß des Königs als neuen Beweis seiner Hochachtung für das ungarische Volk feierlich bekanntgeben.

Ebenfalls mit Baron Banffy trug sich folgendes zu:

Bänffy sprach nur gebrochen deutsch. Als er einmal in Audienz beim Herrscher war, nahm Franz Joseph Anstoß an dem stockenden Vortrag und er unterbrach den Ministerpräsidenten herablassend:

„Lieber Bänffy, sprechen Sie doch ungarisch, dann verstehen wir uns leichter.“

„Nein, Majestät“, erwiderte Binffy, „so übe ich mich wenigstens im Deutschreden.“

„Nun“, antwortete der König erheitert, dann wäre es vielleicht doch zu empfehlen, wenn Sie für Ihre Übungen ein anderes Objekt suchen wollten.“

Franz Joseph hat so manche Wünsche der Ungarn abgelehnt, aber das ungarische Volk blickte mit Achtung und Liebe auf ihn. Nicht einmal der Name Kossuth, der den Freiheitskampf von '48 geführt hatte, wird im ungarischen Volks- und Soldatenlied so oft genannt wie der Franz Josephs, den wir als ersten ungarischen Soldaten und den ver-fassungstreuesten ungarischen König priesen.

Es gehört zu meinen liebsten Erinnerungen, daß ich zweimal längere Zeit hindurch in der Nähe des Kaiser-Königs weilen und ihn aus nächster Nähe sehen durfte.

Im Jahre 1 08 besuchte der USA-Präsident Theodore Roosevelt, der erste dieses Namens, nach seiner ersten Präsidentschaft die größeren Hauptstädte Europas und machte seine Aufwartung in der Wiener Burg bei Franz Joseph.

In Roosevelt pulste noch das Blut der alten Cowboys, und noch stolzer als auf seine Präsidentschaft war er darauf, daß er im Kubakrieg als Oberst eine freiwillige Reiterabteilung geführt und an ihrer Spitze zum Sieg der amerikanischen Waffen entscheidend beigetragen hatte.

Franz Joseph kannte diese Schwäche seines Gastes und lud ihn zur Besichtigung eines in Wien stationierten ungarischen Husarenregiments ein. Die Reitervorführung fand auf der Schmelz statt: einer ihrer Höhepunkte war die gemeinsame Attacke dreier Husareneskadronen. In breitem Karree sprengten 300 Reiter mit brausendem Hurra in Blitzschnelle, die gezückten Säbel vorgestreckt, wie ein Wettersturm einher. Man hatte bei diesem Anblick das Empfinden, keine Macht der Welt könne die Reitermasse zum Stehen bringen.

Uns, die wir von einer Ecke des Exerzierplatzes aus der Übung folgten, gerann das Blut. Denn die Attacke wälzte sich geradewegs dorthin, wo der Kaiser mit Roosevelt und dem Gefolge stand. Wir hatten das Empfinden, Augenzeugen eines entsetzlichen Unglücks zu sein, denn nur noch 30 bis 40 Meter trennte die in rasendem Galopp heranjagenden Schwadronen von der Gruppe des Herrschers und seines Gastes. Wir sahen, wie Roosevelt erschreckt und nervös beide Arme hob, als wolle er die gräßliche Gefahr so abwehren. Nur der Kaiser stand in Habt-Acht-Stellung unbewegt. Und wie auf einen Wink von ihm erstarrte, kaum ein paar Schritte vor ihnen, auf ein schmetternd gegebenes Kommando hin der Reitersturm: die Schwadronen standen mauergleich. Weißer Schaum flockte den Pferden von den Trensen, ihre Sehnen zitterten vor Anstrengung. Die Gesichter der Männer funkelten vor Stolz, die Säbel blitzten salutierend auf. Roosevelt war außer sich vor Begeisterung. Dergleichen hatte er wohl nicht einmal in Kuba gesehen...

• . • • •

Durch einen Zufall stand ich bei einer anderen Gelegenheit eine halbe Stunde lang neben dem Kaiser, drei Schritte weit von ihm. Das war im Jahre 1907 in Sarajevo, als der Kaiser nach der Annexion Bosniens und der Herzegowina dort einen Staatsbesuch machte. Er empfing auf dem Hauptplatz der Stadt, nahe am Bahnhof, Ehrenabordnungen der Bewohnerschaft. Bei der Organisation klappte etwas nicht, die Volksmenge durchbrach die Sperrkette der Schutzleute, einige Augenblicke lang herrschte kopfloses Durcheinander. Ich bemerkte plötzlich, daß ich in der unmittelbarsten Nähe des Kaisers stand. Rings um mich Generalität und hohe Regierungsbeamte in großer Aufmachung. Erstaunte Blicke streiften mich in meinem Straßenanzug. Auch mir war nicht ganz wohl zumute. Aber niemand fragte nach dem Wer und Wieso. Vielleicht hielt man mich für einen Wiener Detektiv, der zum persönlichen Sicherheitsdienst des Kaisers beordert war.

Schon zogen die Abordnungen vor dem Kaiser auf. Voran der Stadtrat, die Vertreter der Kirchen, dann der mohammedanische bosnische Adel in Gewändern von strahlender Pracht. Lauter schöne, hochgewachsene Männer in roten und blauen Seidenkaftanen, am Gürtel edel-6teinbeladene Krummsäbel, so traten sie wie aus fernen, längstvergangenen Jahrhunderten hervor...

Der Kaiser antwortete jeder Abordnung mit ein paar herzlichen Worten. Baron Burian, der gerneinsame Finanzminister, in ungarischer Edelmannstracht, stand neben dem Kaiser, den Wortlaut der Antworten in der Hand, und reichte ihm der Reihe nach die Blätter. Franz Joseph las mit lauter, klarer Stimme, während die Menge ihn stürmisch feierte.

Es war der Osten, der hier vor dem Kaiser und König erschien, um ihm zu huldigen und zu danken für die Fürsorge der gemeinsamen Regierungsform, welche Frieden und Kultur, Ordnung und Sicherheit bis in die Welt der rauhen, wilden bosnischen Berge brachte ...

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung