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Vor hundert Jahren

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Die politische Windstille nach dem Wiener Kongreß dauerte kaum drei Lustren. Di Pariser Julirevolution bildete das Signal zur Entfesselung der auf Reformen drängenden Bewegung der Geister. Karl X. wurde durch den aus der Gedankenwelt des Liberalismus hervorgebrochenen Aufstand genötigt, ins Exil zu flüchten. Dann war es der Nationalismus, der die Brüsseler, von den Franzosen angeeifert, zu einer Erhebung trieb, die zur Losreißung Belgiens vom Königreiche der Niederlande führte. Die gleiche Triebfeder bewog die Polen, sich trotz der ihnen von Alexander I. gewährten freiheitlichen Verfassung von der russischen' Herrschaft freimachen zu wollen; sie erklärten das Haus Romanow für abgesetzt, unterlagen jedoch nach mehrmonatigem Ringen den Streitkräften des Zarenreiches.

Die Sirenenklänge der Julirevolution drangen auch über die deutsche Westgrenze und fanden in Kurhessen, - Braunschweig und Hannover wie auch in Sachsen ein freudiges Echo: konstitutionelle Regierungsformen wurden in diesen Ländern erzwungen. Als aber die Redner auf dem Hambacher Volksfeste den deutschen Einheitsstaat mit republikanischer Spitze forderten, griff Metternich im Wege des Bundestages ein und hob die Preß- und Versammlungsfreiheit auf. Im Gegensatz zu jenen vieren hielt in Preußen König Friedrich Wilhelm m. an den Prinzipien der Heiligen Allianz fest. In Mittel- und Süditalien wurden revolutionäre Erhebungen durch zu Hilfe gerufene österreichische Truppen unterdrückt.

Wenn auch allgemach in Mitteleuropa wieder ein gewisser Gleichgewichtszustand eingetreten war, so glomm der Funke der erstickten Feuersbrunst doch weiter. Dies zeigte die Entwicklung der Dinge bis zum Beginn des Jahres 1847. Dieses fing unter bösen Vorzeichen an; infolge von Mißernten und dem gleichzeitigen Auftreten der Kartoffelkrankheit wurden viele Gebiete Europas von Hungersnöten heimgesucht.

Wie sah es nun im alten Österreich aus?

In dem deutschen Teile der Monarchie war die glückliche Biedermeierzeit zu Ende gegangen. Sie hatte eine Hochblüte geistiger Kultur für Wissenschaft und musische Künste bedeutet, doch war unter dem Drucke des strengen Polizeiregiments und der Zensur, wie überhaupt infolge der engherzigen Tätigkeit der Verwaltungsbehörden, die Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen ständig gewachsen. In den Erbländern rührten sich die Stände und strebten — vornehmlich in bezug auf das Steuerrecht — eine Erweiterung ihrer Befugnisse an. Immer schärfer lautete das Urteil über das Beharren auf überlebten Regierungsformen, immer dringlicher erscholl der Ruf nach zeitgemäßen Reformen. Die Schriften des Freiherrn von Andrian-Werburg, des Geniehauptmanns Möring und nicht in letzter Linie die der Poeten Grillparzer, Bauernfeld, Anastasius Grün und anderer taten ein übriges zur Verdammung der vormärziichen Methoden.

Die Grundursache allen Übels lag wohl in der Schwäche des staatlichen Machtzentrums: Ein Kaiser, der gutherzig, aber geistesschwach war, unter einer vormundschaftlichen Regierung, deren Mitglieder untereinander uneins waren! Nach dem Testament des Kaisers Franz hätte eigentlich Fürst Metternich die Staatsgeschäfte für Ferdinand fast unbeschränkt leiten sollen. Statt dessen war eine Staatskonferenz gebildet worden, deren Vorsitz Erzherzog Ludwig, der jüngste und am wenigsten befähigte Bruder des verewigten Monarchen, zu führen hatte. Der Prinz war auf die Grundsätze Franzens eingeschworen, besaß aber nicht die Autorität, seinen Willcn den arfderen Konferenzmitgliedern aufzuzwingen, überdies war er auch anderweitigen Einflüssen zugänglich und keineswegs entschlußfreudig. Metternich sollte sich nur auf die Leitung der Außenpolitik beschränken und der bisherige Staats- und Konferenzminister Graf Kolowrit auch weiterhin das Innenressort betreuen. Da aber der Graf nicht nur ein sachlicher, sondern auch ein persönlicher Gegner des Staatskanzler, war und dabei liberalen Neigungen huldigte, pflegte er den auf die unerläßliche Übereinstimmung der Innen-mit der Außenpolitik abzielenden Vorschlägen Metternichs in der Regel seine Zustimmung zu versagen. Unter diesen Umständen vermochte die Konferenz keine ersprießliche Tätigkeit zu entfalten. Die drei genannten Männer bildeten das angefochtene „Greisenregiment“. Zu ihnen war als viertes Konferenzmitglied Ferdinands Bruder, Erzherzog Franz Karl, getreten, ein wohlwollender aber ziemlich unbedeutender Prinz.

In Ungarn fand das absolutistische Regime nur in wesentlich gemildertem Maße Anwendung, denn die verbriefte alte Verfassung des Landes war aufrecht geblieben. Graf Isztvan Szechenyi und L a j o s K o s s u t h verkörperten die beiden polaren Richtungen, in denen sich der Magyarismus bewegte. Szechenyi, durch längeren Aufenthalt in England mit den freiheitlichen Institutionen des Britenreiches vertraut und infolge vieler Auslandsreisen ein Kenner westlicher Kultur, hatte in seinem engeren Vaterlande eine rege Reformtätigkeit entfaltet; er hatte die Donauschiffahrt organisiert, für die Regulierung des Stromes gesorgt, sich an der Gründung der Pester Akademie der Wissenschaften, des Nationaltheaters und -kasinos beteiligt und die Ausgestaltung des Verkehrswesens gefördert und überdies wertvolle Schriften verfaßt. Damit verdiente er sich den Namen des größten Ungarn. In sozialer Hinsicht gehörte er zu den gemäßigten Liberalen, in politischer galt er als Altkonservativer. Mit den zentrifugalen Tendenzen der Radikalen war er durchaus nicht einverstanden und ebenso wenig mit der Unterdrückung der nichtmagyarischen Nationalitäten. Selbst auf hoher Warte stehend, klagte er oft: „Unser Unglück ist's, daß wir keinen größeren Horizont besitzen, als es der Blick aus einem Komitatsfenster gestattet.“

Sein Gegenspieler K o s s u t h, der Fiskalsohn aus der slowakischen Turöcz, dessen Mutter bis zu ihrem Lebensende nur das heimatliche Idiom sprach, trat publizistisch zuerst als Schriftleiter einer Landtagszeitung und dann des „Pesti Hirlap“ in die Öffentlichkeit. Des Hochverrates angeklagt, hatte er mehrere Jahre als Gefangener in den Ofener Kasematten verbringen müssen. Um für eine neue Zeitungsgründung das hiezu nötige Privileg zu erhalten, sprach er in Wien bei Metternich vor. Aber trotz eifriger Loyalitätsversicherungen traute der Staatskanzler dem gefährlichen Publizisten nicht und wies ihn ab. Vielleicht hätte das österreichische Schicksal eine andere Wendung genommen, wenn der Wunsch des bald zu großem Einfluß gelangenden Mannes erfüllt worden wäre.

Während Szecheny im engsten Einvernehmen mit Metternich bestrebt war, die wirtschaftlichen Bande der beiden Reichshälften fester zu knüpfen, gründete Kos-suth einen Schutzbund zur Boykottierung der industriellen Erzeugnisse Zisleithaniens. Und während der Graf das Heil im Zusammengehen mit Wien erblickte, trachtete

Kossuth nach größtmöglichster Lockerung der Abhängigkeit.

Auf der apenninischen Halbinsel hatte nach dem Wiener Kongreß der Haß gegen die Fremdherrschaft zugenommen. Herrschten doch über große Gebietsteile Mitglieder der habsburgischen Kaiserfamilie: in Lom bardo-Venetien Erzherzog Rainer als Vize könig, in Toskana Großherzog Leopold II ein Neffe des Kaisers Franz, in Modena Herzog Franz IV. von Österreich-Este — ab Jänner 1848 Franz V. — und in Parma Marie Louise, Franzens Tochter, die Witwe Napoleons I., dann Witwe des Grafer, Adam Neipperg und jetzt Gemahlin de Grafen Karl Bombelles; und weiter die Bourbonen: im Königreiche beider Sizilien Ferdinand III. und in Lucca Herzog Kar!, später als Nachfolger Marie Louisens in Parma. Zusehends gewann der Einigung* gedanke Anhänger. Mazzini propagierte den republikanischen Einheitsstaat, Vin-cenzo Gioberti, einst Hofkaplan Carl Alberts, eine Föderation unter Vorsitz des Papstes, andere Wortführer einen Bund mit republikanischer Spitze und wieder andere eine Einigung unter piemontesisdiem Regime.

Wenn auch in Lombardo-Venetien lange Zeit hindurch Scheinruhe herrschte, lebte die Erinnerung an die Spielberggefangenen weiter, wofür au.h die tendenziösen Schriften Silvio Pellicos, Balbos, Azeglios und andere sorgten.

König Carl Albert von Sardinien-Piemont. ursprünglich ein straffer Absolutist und Anhänger der Habsburgermonarchie, war ins nationale, österreichfeindliche, und dann, langsam und zögernd, eine Schmälerung seiner Herrscherrechte besorgend, auch ins liberale Lager hinübergeglitten. Diesem stand auch der Großherzog von Toskana nahe; bald sollte er trotz Metternichs Abmahnung eine Reihe liberaler Verfügungen treffen. Systemtreu blieben die Estes. Der stärkste nationalistische Antrieb ging vom Kirchenstaate aus. Nach dem Tode des Papstes Gregor XVI. (1. Juni 1846) war der erst 54jährige Kardinal Graf Mastai-Feretti, einst Ffusarenoffizier, zum Oberhaupt der Kirche gewählt worden. Als Pius IX. ge-_ wann er durch seine reformfreundlichen Ansichten und insbesondere durch eine alsbald erlassene Amnestie im Fluge große Be liebtheit, die sich allmählich zu einem form liehen Kult seiner Person steigerte. Die öffentliche Meinung erhob ihn zum Haupt der italienischen Umsturzbewegung, die nunmehr auch von England eifrigst gefördert wurde.

Fürst Metternich sah das europäische Stabilitätssystem ernstlich bedroht, um dessen Aufrechterhaltung er — ebenso wie der Zar Nikolaus als Schutzherr der europäischen Gesellschaftsordnung — bemüht war. Wenn Grillparzer den Staatskanzler als glänzenden Diplomaten, aber schlechten Politiker bezeichnet, trifft dies hinsichtlidi der Außenpolitik wohl nicht zu. Vieles — auch aus der letzten Zeit von Metternidis Wirken — spricht zu seinen Gunsten. So die meisterhafte Behandlung Nikolaus' I. Trotz zuweilen eintretender Verstimmungen sicherte sich der Fürst doch immer wieder die Unterstützung des gewaltigen Selbstherrschers, ohne eine allzu weitgehende Bevormundung Österreichs zuzulassen, deren Versuche er geschickt abzulehnen verstand. Er hatte sich seit 1840 mit Nikolaus verbündet, als es galt, den neuen Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. von dessen als gefährlich erachteten Verfassungsplänen abzuhalten. Dies gelang zwar nicht, denn der Romantiker auf dem Thron berief im Februar 1847 den Vereinigten Landtag ein, aber Metternich gewann nunmehr in dem Zaren, der sich von seinem Schwager abwandte, einen um so festeren Partner. Auch Frankreich gegenüber schlug der Kanzler richtige Wege ein. Sosehr ihm das aus der Revolu tion hervorgegangene Bürgerkönigtum mißfiel, ließ er es gelegentlich der orientalischen Frage doch nicht zu einem endgültigen Bruche kommen. Die Wandlungsfähigkeit

Louis Philipps, der seine republikanischen Helfer abgeschüttelt und einen Großteil der alten Herrscherrechte zurückerobert hatte, erleichterte dem Fürsten die Verwirklichung der Absicht, die Beziehungen zu Frankreich zu bessern, um so mehr als der Minister Guizot nahezu völlig in die Bahnen des Stabilitätsprinzips einlenkte. Das Verhältnis zu Louis Philipp erfuhr auch dadurch keine Trübung, daß der Plan des Königs, seinen ältesten Sohn mit der Tochter des Siegers bei Aspern zu vermählen, an dem Widerstande Metternichs scheiterte. Zu unsicher erschien der Pariser Boden. Wiederholt fanden Attentate auf den König statt, so daß es keineswegs verlockte, wieder eine Erzherzogin nach Frankreich heiraten zu lassen. Mit England stand man in Wien gut, wenn die Tories, und schlecht, wenn die Whigs am Ruder waren.

Anders ist das innerpolitische Wirken Metternichs zu bewerten. Mit der Verurteilung hat Grillparzer recht. Der Fürst erkannte eben nicht, daß die Zeit längst abgelaufen war, in der der Bestand des österreichischen Vielvölkerreiches nur durch den Absolutismus gesichert werden konnte, und daß die wirksamste Bekämpfung revolutionärer Bestrebungen in der Einführung von fortschrittlichen Reformen bestehe. Da der Fürst keine Kämpfernatur war, fühlte er sich nicht stark genug, die Zerfahrenheit im Schöße der Staatskonferenz zu beseitigen. Er wich vor den Gegenmeinungen Kolowrats zurück, teils weil er vom eigentlichen Verwaltungsgeschäft zu wenig verstand und teils weil der Graf häufig die Unterstützung einzelner Mitglieder der Kaiserfamilie bei seinem Auftreten gegen den Kanzler fand. Auch war dessen Tatkraft durch eine schwere im Jahre 1839 überstandene Krankheit geschwächt und überdies lähmte der ihm eigene Doktrinarismus seinen Handlungswillen.

Das österreichische Staatsschiff trieb ziemlich steuerlos schweren Stürmen entgegen ..

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