6776805-1969_25_19.jpg
Digital In Arbeit

Wacht im Osten

19451960198020002020

Mehr als ein Jahrhundert, bevor der Begriff Österreich zum erstenmal in einer Urkunde aufgetreten ist, wurde Pitten genannt. Die Nonne Peretcunda, die Enkelin des mächtigen, später aber eines angeblichen Verrates wegen abgesetzten Markgrafen R a t p o t, schenkte im Jahre 869 ein weit zusammenhängendes, bereits kultiviertes Land in Pitten dem Hochstift Freising. Diese Stiftung wurde vom Grafen K u n d h a r, dem vermutlichen Onkel Peretcundas und Sohn Ratpots, angefochten. Eine endgültige Entscheidung über diesen Streitfall erfolgte bei einem Hoftag in der Pfalz zu Baden, den Karlmann, der Sohn König Ludwigs des Deutschen, in diesem Jahr abgehalten hat.

19451960198020002020

Mehr als ein Jahrhundert, bevor der Begriff Österreich zum erstenmal in einer Urkunde aufgetreten ist, wurde Pitten genannt. Die Nonne Peretcunda, die Enkelin des mächtigen, später aber eines angeblichen Verrates wegen abgesetzten Markgrafen R a t p o t, schenkte im Jahre 869 ein weit zusammenhängendes, bereits kultiviertes Land in Pitten dem Hochstift Freising. Diese Stiftung wurde vom Grafen K u n d h a r, dem vermutlichen Onkel Peretcundas und Sohn Ratpots, angefochten. Eine endgültige Entscheidung über diesen Streitfall erfolgte bei einem Hoftag in der Pfalz zu Baden, den Karlmann, der Sohn König Ludwigs des Deutschen, in diesem Jahr abgehalten hat.

Werbung
Werbung
Werbung

Das 1100-Jahr-Jubiläuni der ersten Namensnennung, wird vom Markt Pitten vom 27. Juni bis 6. Juli in einer Reihe von Festlichkeiten begangen werden, und mit Recht besinnt sich der historisch bedeutsame Ort im heutigen Niederösterreich aus diesem Anlaß seiner großen Vergangenheit. Carl Plank, der sich seit Jahrzehnten liebevoll mit diesem Raum beschäftigt, sagt, daß Pitten nach der Zerstörung Carnuntums im Vorland der karolingischen Ostmark lange Zeit hindurch jene Rolle übernommen hat, die das Militärlager bis zum Abzug der Eskorten von der Dqnaugrenze für die Römerherr-scbaft gespielt hatte. Und tatsächlich muß das dunkle Wissen um die Vorgänge in jenem südöstlichen Teil des Deutschen Reiches mit seinem Mittelpunkt in Pitten aus einer Zeit, in der wenig Urkunden die Geschichte aufheEen, noch viele Jahrhunderte nachgeklungen haben. Wie anders wäre es zu erklären, daß der Sänger der Klage zum „Nibelungenlied“ Pittens und seiner Burg so.ehrenvoll, gedenkt. Ein anderer Chronist, ein unbekannter Mönch' des Beheäikti-nerklosters Lambach, aber sagt etwa zu der gleichen Zeit einer alten Haustradition zufolge von Fitten, daß es einst „eine bebannte und berühmte Stadt gewesen sei, die gleichsam als Mittelpunkt und Mutter der Burgen gegen Pannonien hin im Süden zum Schutz gegen feindliche Einfälle und Verheerungen durch die Pannonier gegründet worden ist“. Wir wissen nicht, wann die Burg Pitten gegründet worden ist, ob auf dem heutigen ScMoßberg, der neuesten Geschichtsforschungen zufolge dem Ort und dem Fluß den Namen gegeben hat, schon eine Römerwarte oder ein Awarenring bestanden hat, ob schon Ratpot oder gar einer seiner Vorgänger ein „festes Haus“ auf dem Hügel errichtet hatte oder ob erst nach der Befreiung des Pittner Landes aus den Händen der Ungarn der das Leithagefilde weithin beherrschende Berg eine Veste erhalten hat. Bleiben wir geschichtlich genau, so finden wir die Burg erst 1094 zum erstenmal erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit der Pfarrkirche Pitten, die unterhalb der Veste liegt. Diese wird dabei als etwas bereits Bekanntes vorausgesetzt, kann also seit langem bestanden und Vorläufer in der Römer- und Awarenzeit gehabt haben.

Die Reihe der Markgrafen, denen auch das Pittner Vorland unterstellt war, führt Gerold, der Bruder Hildegardis, der Gattin Karls des Großen, an. Nach 799 folgten ihm in raschem Wechsel andere Mächtige, die meist auf dem Feld der Ehren gefallen sind. Länger regierte schon Markgraf Gerold IL, der bis 832 nachweisbar ist, sowie sein Nachfolger Ratpot, der bis 856 wirkte und schon zu diesem Zeitpunkt seinem Sohn Friedarat das zusammenhängende kultivierte weite Land um Pitten übergeben haben mußte. Schon anfangs des 10. Jahrhunderts, nach einem Chronisten im Jahre 907, wurde die, Veste. Pitten von den Ungarn besetzt und damit die hoffnungsvoll begonnene karolingiscbe Besiedlung des Raumes mit vorwiegend bayrischen Zuwanderern jäh unterbunden. Erst Graf Gottfried aus dem Geschlecht der Wels-Lam-baeher konnte die Magyaren 1042 in einer Schlacht bei Pitten schlagen, und ein Jahr später mußte der ungarische König Aba das Land bis zur Leithagrenze zurückgeben. Gottfried, der nun den Titel eines Markgrafen führte, aber hat für seinen Sieg alles Land um Pitten erhalten, das nicht schon an die Kirche und an den Adel vergeben worden war. Das ihm zugewiesene Waldland reichte vom Semmering und Wechsel dm Süden bis zur Fiestiing im Norden, zu den steirisch-österreichischein Kalkalpen im Westen und bis zur neu geschaffenen Ungarngrenze im Osten. Nach dem gewaltsamen Tod Gottfrieds erhielt dessen Tochter die Burg und die reichen Allode ihres Vaters. Sie vermählte sich 1060 mit dem Grafen Eckbert von FormbachNeuburg. Und damit begann die glanzvollste Epoche Pittens. Zwar mußte Eckbert I. infolge seines Konfliktes mit dem Kaiser Heinrich IV. von seinen Besitzungen in Bayern und um Pitten zunächst weichen und vorübergehend mit seiner Gattin zum König Bela nach Ungarn flüchten, doch nach seiner Aussöhnung mit dem Kaiser wurde er wieder in seine Rechte, Güter und Burgen einr gesetzt.

Ungefähr 100 Jahre herrschten die Formbacher Grafen, die für die von ihnen verwaltete Grafschaft den Amtsiaitel „Grafen von Pitten“ erhielten, auf Pitten, und der Nachfolger des ersten Eckbert verlegte seinen ständigen Wohnsitz dorthin und hat zweifellos seinen Residenzsitz zu einer repräsentativen Burg ausgebaut, um der Abwicklung der Amtsgeschäfte und den vielerlei Kriegs-erforderndssen gerecht werden zu können, denn die Grafen von Pitten hatten ja ihre Gaurichter, Mindsteria-len, Hofkapläne, Kämmerer, Truch-sesse, Marschälle, Schenken, Schultheißen und Zolleinnehmer. Da das Hinterland der Waldmark, wie die Grafschaft Pitten damals häufig genannt wurde, gegenüber den Siedlungsmittelpunkten bisher benachteiligt war, erfolgte nun die extensive und intensive Erschließung und Rodung bis in die hintersten Winkel des 'waldreichen Gebietes. Der beachtliche Burgengürtel der Gegend wurde ausgebaut und zusammen mit den Grundherren, Ministerialen und einer „ breiten Schicht ritterlicher Leute, die als jeweilige Donfgründer anzusehen sind, machte die deutsche Kolonisation große Fortschritte. Da die Trä-ge¥' dieser 'RöaüngSäfbe' die'“Ministerialen der “PÄiFoMßacher waren, mag es zu dieser Zeit sehr hoch auf der Burg Von Pitten hergegangen sein.

Mit Eckbert III., der 1158 bei der Belagerung von Mailand im Gefolge Kaiser Friedrich Barbarossas den Heldentod erlitten hat, erlosch dieses bedeutsame Geschlecht, das den Kaisern und Königen versippt und mit ihnen blutsverwandt war, und Otto von Freising nannte diesen letzten Sproß der Formbach-Pittner den „edelsten Grafen, ausgezeichnet durch Seelenadel und Tapferkeit wie durch Reichtum“. Während der Herrschaft Eckberts HI. war durch den Erzbischof Konrad I. von Salzburg am 23. Oktober 1144 dem Probst Gerhoch von Reichersberg am Inn aller Zehent zugesprochen worden, soweit die Grafschaft und das Eigen Eckberts in der Waldmark reichte. Damit wurde eine nun mehr als 800 Jahre dauernde segensreiche Kulturarbeit der Augustinerchorherrn von Reichersberg eingeleitet, die in diesem Raum bis auf den heutigen Tag fortdauert. Als nach dem Aussterben dieses berühmten Geschlechts der Grafen von Pitten der reiche Besitz auf einen Vetter Eckberts und damit auf die Markgrafen von Steiermark überging — was einen erheblichen Zuzug steirischer Ministerialen zur Folge hatte —, versank auch der Glanz der Burg von Pitten. Wohl verlieh der steirische Markgraf Ottokar III. dem verdienten Geschlecht der Rotingin-Schwarzauer das Ritterlehen über die Burg, aber die neuen Grafen von Pitten korinten' 'sich, nicht mehr -'mit deflt'frühe1 ren ' Besinn V'mtM gMacnT und Reichtum vergleichen. Bereits 1192 starben die steiriscben Fürsten mit Herzog Ottokar IV. aus. Der gesamte territoriale Besitz der Waldmark Pitten gelangte nun mit den dazugehörigen Ministerialen an den Babenberger Herzog Leopold V., der die Gründung der künstlichen Stadtfestung Wiener Neustadt vorantrieb, womit Fitten, die landesherrliche Burg, ihre Vormachtstellung und Bedeutung vollends verlor. Nach dem Tod Friedrichs des Streitbaren folgte das Interregnum. König Przemysl Ottokar brachte dann das Gebiet von Pitten zum erstenmal vorübergehend zu Österreich, Als er 1278 sein Leben verlor, nahmen die Habsburger die Burg in Besitz, die nun oft als Pfandobjekt diente. Von den zahlreichen Belagerungen der Burg ist die ruhmvollste jene durch den ungarischen König Matthias Corvinus. Die Veste konnte erst nach völliger Aushungerung und heldenhaftem vierjährigem Widerstand zur Übergabe gezwungen werden. Auf einem alten Gedenkstein mit den Worten „Wolf Teufel, Hauptmann zu Pitten, 1485“ ist dieser Heldentat ein Erinnerungsmal gesetzt. Die Veste Pitten, wie sie sich heute dem Beschauer darbietet, ist im wesentlichen von einem Nachkommen des Burghauptmanns Wolfgang Teufel Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts für den Pulverkrieg umgestaltet worden. Auch der einst 56 Meter tiefe Burgbrunnen entstammt der Initiative und Tatkraft eines Sprosses dieses Geschlechts. NiSEh manche berühmte Besitzer hat 6M Schloß ■ Pitten “dehÄpStereri Jahrhunderten aufzuweisen. Den Teufel folgten die aus Spanien stemmenden Grafen Hoyos. Von diesen kaufte die Gräfin Napoli, die jüngste Schwester Napoleons I., die Burg. Sie war nach der Erschießung ihres Gatten, des Königs von Neapel, mit fünf Schiffen geflohen, von denen sie die zwei wertvollsten vor der Verfolgung der Engländer retten und die Schätze nach Österreich bringen konnte. Wie unter dem Geschlecht der Teufel blieben Pitten und die benachbarte Herrschaft Frohsdorf weiterhin vereint. Dies auch dann, als 1844 der neue Burgherr, Graf Chambord, der letzte Sproß der älteren linde der Bourbonen, die Burg erwarb. Dieser sollte nach dem Deutsch-Französischen Krieg als Heinrich V. auf den Thron Frankreichs erhoben werden, lehnte aber die Berufung ab. Er war mit Maria Theresia von Österreich-Este vermählt. Bis in die jüngste Zeit blieb die Burg im Besitz der Habsburger.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung