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Die neue Kapuzinergruft

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Eine neue Begräbnisstätte für die Familie des letzten österreichischen Kaisers wird im Schweizer Kanton Aargau, der Ahnenheimat der Habsburger, entstehen und gleichsam die weltbekannte, aber längst „überfüllte“ Kaisergruft bei den Kapuzinern in Wien ergänzen, wo durch mehr als drei Jahrhunderte die Mitglieder der kaiserlichen Familie ihre letzte Ruhestätte fanden. Die in Zizers (Graubünden) lebende Kaiserinwitwe Zita hat die zuständigen Behörden ersucht, der lebenden Generation der Habsburger eine Begräbnisstätte in der Klosterkirche Muri einzuräumen.

Die Dynastie der Habsburger, „Haus Österreich“ genannt, die vom 13. bis zum 20. Jahrhundert, also durch sechseinhalb Jahrhunderte, das führende Herrschergeschlecht Europas war, stammt, ebenso wie die Vorarlberger, aus dem alemannischen Volkstum. Sie geht auf die im 11. Jahrhundert verbürgten Eticho-nen, alemannische Herzöge in Schwaben und im Elsaß, zurück, und im sogenannten „Eigen“, dem Gebiet des Zusammenflusses von Aare und Reuß im heutigen Kanton Aargau, ist um das Jahr 1020 die dem Geschlecht den Namen gebende Habichtsburg (Habsburg) an der burgundischen Grenze erbaut worden. Um die gleiche Zeit gründete der Etichone Radbot mit seiner Gattin Ita, einer lothringischen Herzogstochter, das eingangs erwähnte Kloster Muri. Sein Enkel Otto (gestorben 1111) nannte sich 1090 als erster „Graf von Habsburg“. Einer seiner Nachfahren karrf als Rudolf I. auf den deutschen Königsthron; dieser „Rudolf von Habsburg' (gestorben 1291) gilt als der eigentliche Ahnherr.

Die heutige dörfliche Industriesiedlung Muri zählt an die 3400 Einwohner, und von der auf einer Anhöhe gelegenen, 1027 gegründeten Bene-diktinerabtei sind nur noch Reste vorhanden, da das Kloster 1889 durch einen Brand zerstört wurde. Heute ist dort eine Pflegeanstalt untergebracht. Diese vom 934 gegründeten Kloster Einsiedeln besiedelte Benediktinerabtei ist als habs-burgisches Hauskloster die Stätte der ältesten und wichtigsten Aufzeichnungen über die frühe Geschichte des Etichonen- und Habsburgergeschlechtes, und zur Zeit des Investiturstreites und der Klosterreform zu einem Stützpunkt der von Cluny und Hirsau ausgehenden Reformbestrebungen geworden. Von hier stammen die im 12. Jahrhundert entstandenen, 1618 bekanntgewordenen Acta Murensia, die Annalen des Klosters, die mit den quellenkritischen Methoden des 17. und 18. Jahrhunderts durchforscht wurden, als aus der Ehe der Kaiserin Maria Theresia mit Franz Stephan von Lothringen das neue Haus Habs-burg-Lothringen hervorging; über die Etichonen erwies sich eine gemeinsame Abstammung des lothringischen Herzogshauses mit den Habsburgern. 1841 wurde durch Staatsverfügung das Kloster Muri aufgehoben. Die Benediktiner von Muri sind dann nach Gries bei Bozen (Südtirol) übersiedelt, wo sie nach ihrer Vertreibung aus der Schweiz das Priorat und ihren Haiuptsitz einrichteten. Die im 11. Jahrhundert erbaute Abteikirche von Muri wurde 1695 bis 1698 erneuert und gilt als ein Hauptwerk des Schweizer Barocks. Sie wird dem aus der Vorarlberger Barockbauschule (Bauhandwerkerzunft aus Au im Bregenzer Wald) stammenden Andreas Moosbrugger zugeschrieben, auf den auch Stift und Kirche von Einsiedeln zurückgeht und der von 1656 bis 1723 lebte; nach jüngsten Forschungen ist allerdings umstritten, ob Moosbrugger den Umbau vornahm. In der Loreto-kapelle der Klosterbasilika in Muri soll die für 18 Särge Platz bietende neue Habsburgergruft nach einem Projekt des Architekten Gustav Pilgrim, Muri, entstehen. Die Katholische Kirchgemeinde Muri hat mit großer Mehrheit die Kirchenpflege ermächtigt, einen Vertrag über die Habsburgergruft abzuschließen, wobei die Kosten der Herstellung und des Unterhaltes der Gruft ausschließlich zu Lasten der Familie Habsburg gehen. Die Kirchenpflege vertrat die Auffassung, den Nachkommen der Stifter des Klosters Muri sei die Loretokapelle als Akt der Dankbarkeit zur Verfügung zu stellen.

Bisher war die von Kaiser Mathias (1557 bis 1619) und seiner Gemahlin Anna von Tirol (1585 bis 1618) auf dem Neuen Markt in Wien beschlossene Kapuzinerkirche mit der Kaisergruft (Grundsteinlegung 1622 unter Kaiser Ferdinand II., Fertigstellung 1632/33) die letzte Ruhestätte der Habsburger, die mehrfach erweitert wurde. In den acht Grufträumen ruhen in 138 Sarkophagen 141 Personen, darunter 12 Kaiser und 16 Kaiserinnen. Als einzige Nicht-habsburgerin ist die Gräfin Karoline von Fuchs-Mollardt, eine Erzieherin der Kaiserin Maria Theresia, und als einzige Reformierte die Erzherzogin Henriette von Nassau-Weilburg 1829 dort bestattet worden; die Tochter des Nassauischen Fürsten Friedrich Wilhelm war die Gemahlin des an ihrer Seite beigesetzten Erzherzoges Karl, des Siegers voi\ Aspern, der 1809 den Ruf der Unbesiegbarkeit Napoleons zerstörte. In der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde Kaiser Franz Joseph I. 1916 als letzter beigesetzt. In der Ersten österreichischen Republik nahm die Kapuzinergruft 1931 und 1930 den Erzherzog Leopold Salvator und dessen Sohn Rainer Karl auf. In der nationalsozialistischen Zeit wurden 1942 Erzherzog Josef Ferdinand Salvator, Großherzog von Tos-cana, und 1944 Erzherzogin Maria Josefa, die Mutter Kaiser Karls, bei den Kapuzinern bestattet. Adolf Hitler ließ am 14. Dezember 1940 die in der Kaisergruft beigesetzte Leiche des Herzogs von Reichstadt (Königs von Rom) in den Invalidendom in Paris, an die Seite Napoleons, überführen; der Gewaltherrscher wußte freilich nicht, daß er damit den letzten, schriftlich niedergelegten Wunsch des unglücklichen Prinzen erfüllte. Am 23. April 1942 erschien beim damaligen Wiener Kapuzinerprovinzial, dem Vorarlberger Albin Fetzel (1969 als Zweiundneunzigjähriger verstorben), eine Kommission der Reichsstatt-halterei mit dem Begehren, die Reichsregierung wolle als Nachfolgerin des Religionsfonds die Verwaltung und Betreuung der Kaisergruft übernehmen. Provinzial Fetzel verwies auf das Treueverhältnis zwischen dem Kloster und dem Haus Habsburg; die Gruft sei familiärer Privatbesitz und das Servitut der Beisetzung der ehemals regierenden Familie sei seit 1929 im Grundbuch verankert. Ein Verzicht auf die Gruftbetreuung wäre Verletzung der Vertragstreue. Nur das Haus Habsburg könnte diesen Verzicht aussprechen. Die Beharrlichkeit des Klostervertreters setzte sich durch. Er mußte zwar seinen Standpunkt noch schriftlich begründen, doch blieb die Gruft in der Folgezeit von den Machthabern unbehelligt. An den letzten österreichischen Kaiser, Karl I., erinnert in der Kapuzinergruft nur eine Büste. Der unentwegt um den Frieden bemühte, 1922 verstorbene Herrscher selbst ist an seinem Sterbeort bei Funchal auf Madeira in der Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte beigesetzt.

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