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Was sagt uns heute Maria Theresia?

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FURCHE-Beilage zur Eröffnung der Ausstellung im Wiener Schloß Schönbrunn

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FURCHE-Beilage zur Eröffnung der Ausstellung im Wiener Schloß Schönbrunn

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Man muß die Feste fallen lassen, wie man sie feiern will. Der 200. Todestag ist zweifellos ein „Aufhänger” zum Feiern. Der 250. Geburtstag wäre wohl auch einer gewesen, aber 1967 -zur Zeit der ÖVP-Alleinregierung -war man offenbar in Österreich noch nicht so weit, daß man einen großen Habsburger - oder „die” große Habsburgerin - hätte gebührend würdigen können. Hätte, man damit nicht die Proteste der Gegenseite provoziert, man übersehe bewußt die Qualen der einst von jenen Herrschern unterdrückten Völker?

Zum Unterschied von Österreich hat man sich in Belgien gerade in den letzten Jahrzehnten sehr gerne an die habs-burgische Vergangenheit erinnert und fand nichts dabei, das Konterfei der einstigen Landesfürstin aus (heute) fremder Dynastie auf Sonderbriefmarken in die Welt zu schicken. Mußte erst eine Frau an entscheidender Stelle stehen, um der Geschlechtsgenossin die späte Ehrung zu verschaffen?

Was sagt uns heute Maria Theresia?

Läßt sich überhaupt die berühmte Herrscherin des 18. Jahrhunderts in einen Raster stellen, der den geschichts-manipulierten Nachkommen im 20. Jahrhundert einen Vergleich gestattet? Die Frau einer Zeit, in der Kaiser und Könige über Untertanen herrschten - im günstigsten Fall im vollen Bewußtsein ihrer von Gott übernommenen Verantwortung, im wesentlich häufigeren Normalfall wie Besitzer über ihr Eigentum, das man notfalls auch, wenn man Geld brauchte, verkaufen konnte.

Zwar hat Maria Theresia nicht, wie ihr Zeitgenosse, der Kurfürst von Hessen, Soldaten in den amerikanischen Kolonialkrieg verkauft. .Was sich aber - vor ihrem „Amtsantritt” - rund um die Pragmatische Sanktion! um die Anerkennung der weiblichen Erbfolge in den Erbländern und ihre Verehelichung mit Franz von Lothringen abspielte, war auch nicht mehr als ein Kuhhandel, in dem die verhandelten Ländereien keine größere Rolle spielten als das Handelsobjekt auf dem Viehmarkt.

Barockmenschen jedoch aus der sozialen Sicht des 20. Jahrhunderts heraus zum Vorwurf zu machen, sie hätten kein Verständnis für ihre Mitmenschen gehabt, wäre genau so berechtigt, wie ihnen vorzuwerfen, sie hätten die Relativitätstheorie nicht gekannt.

Trotzdem - was sagt uns Maria Theresia heute? Als „emanzipierte” Frau, als „Politikerin”, als Österreicherin?

Mit Blick auf die Frauen, die Politiker, die Österreicher von heute?

„In ihrer Mischung von bäuerlicher Einfachheit und angestammter Würde gehörte sie viel mehr ins Barockzeitalter als in das Jahrhundert der Aufklä-, rung”, präzisiert der französische Historiker Viktor-Louis Tapie.

Demgegenüber stellt sein Wiener Kollege Adam Wandruszka fest: „Diese Kaiserin war eine große Reformerin, wenn man will, eine Revolutionärin. - Eine Revolutionärin mit Herzenstakt, weiblichem Charme, einem untrüglich sicheren Gefühl für die Grenzen des Möglichen und mit einem virtuosen Talent für Auswahl und Behandlung ihrer Mitarbeiter begabt.”

Ein Widerspruch? Nicht unbedingt.

Auch bedeutende Persönlichkeiten wurzeln in ihrer Zeit und wachsen über sie hinaus. Neue Zeiten, neue Strukturen anzupeilen, wird nur dann Erfolg haben, wenn man weiß, wo die Wurzeln stecken. Auch das sagt uns Maria Theresia.

Die kalte Ironie und der sarkastische Witz des „philosophischen Jahrhunderts” gingen Maria Theresia gegen den Strich. „Ich für meine Person liebe alles das nicht, was man Ironie nennt”, schrieb sie an ihren Sohn Joseph. „Niemals wird irgendjemand durch sie gebessert, wohl aber geärgert, und ich halte sie unvereinbar mit der Liebe des Nächsten.” Ihr Berater Emanuel Silva-

Tarouca versuchte, sie zu bremsen, damit sie nicht „von der Szylla allzuweitherzigen Entgegenkommens in die Charybdis verkrampfter eigensinniger Zurückhaltung” verfalle.

Welcher Politiker unserer Zeit wäre bereit, seine Denk- und Fühlkategorien nach den Kriterien der Nächstenliebe zu überprüfen und die „Volkstümlichkeit” nicht nach dem Wahlerfolg zu messen?

Maria Theresia war eine fromme, praktizierende Katholikin, mildtätig und freigebig, besonders, wenn es um Heiligtümer ging, die das Ziel von Wallfahrten bildeten, berichtet Tapie. Als Mensch ihrer Zeit verfügte sie über eine gehörige Portion Intoleranz, aber sie meinte es gut und konnte nicht anders.

Trotzdem begann schon unter ihrer Herrschaft auch für die Kirche ein neues Zeitalter, das der „katholischen Aufklärung” und des „Josephinismus”, das die Epoche des Barockkatholizismus ablöste, ergänzt Wandruszka.

Schon die strenggläubige Kaiserin, nicht erst ihr aufgeklärter Sohn, hat die Gründung neuer Klöster erschwert, die Steuerfreiheit des Klerus aufgehoben, Visitationen durch päpstliche Legaten untersagt und der Aufhebung des Jesuitenordens zugestimmt.

Ausuferungen kirchlichen Lebens, die nichts mehr mit der Verkündung der Glaubenswahrheiten zu tun hatten, verleiteten die Herrscherin, den Zugriff des Staates auf die Kirche zu verstärken. Wäre es andernfalls zur Explosion innerhalb der Kirche gekommen, wie 200 Jahre zuvor? M üssen Reformen der Kirche immer von außen aufgezwungen werden?

Ihre Ehe mit Franz von Lothringen war von Anfang an eine Liebesheirat, eine der glücklichsten Fürstenehen dieser Zeit. In 20 Jahren 16 Kinder - das lag nicht nur in der Tradition der Habsburger. „Man kann nicht genug davon haben”, schrieb sie an eine ihrer Schwiegertöchter.

Obwohl sie selbst unter den Seitensprüngen ihres Gatten litt, schrieb sie ihrer ähnlich gequälten Tochter Maria Amalia: „Alles Glück der Ehe besteht in Vertrauen und beständigen Gefälligkeiten. Die törichte Liebe vergeht bald; aber man muß sich achten, sich gegenseitig, wo immer möglich, nützlich sein. Der eine muß sich als der wahre Freund des andern erweisen, um die Unfälle dieses Lebens ertragen und die Wohl-j fahrt des Hauses begründen zu können . . Alle Ehen würden glücklich sein, wenn man sich so benehmen würde.”

Die junge Maria Theresia war keine Friedensfürstin, wie Bilder der gnädigen historischen Legende es ausmalen, stellt Magenschab fest. „Sie war eine durch und durch kämpferische Natur, eine Frau ohne Kompromisse, wenn sie einen militärischen Vorteil witterte.”

Und doch schrieb Mathias Claudius zu ihrem Tod:

„Sie machte Frieden! Das ist mein Gedicht.

War ihres Volkes Lust und ihres Volkes Segen.

Und ging getrost und voller Zuversicht dem Tod als ihrem Freund entgegen. Ein Welteroberer kann das nicht. Sie machte Frieden! Das ist mein Gedicht.”

Das war nach dem Frieden von Te-schen, mit dem sie kurz vor ihrem Tod den Bayrischen Erbfolgekrieg durch Verhandlungen statt Schlachten, und diesmal relativ erfolgreich für Österreich, abschloß.

In diesen 40 Jahren, die dazwischen liegen, brachte sie nicht nur 16 Kinder zur Welt, führte sie nicht nur vier Kriege, gewann sie vor dem Innviertel Gali-zien und die Bukowina für Österreich; sie reformierte auch den Staat, die Verwaltung, die Armee. Sie führte eine sechsjährige Volksschule für alle Kinder ein - in Böhmen mit tschechischer Unterrichtssprache -, sie richtete Hauptschulen in den Bezirkshauptstädten ein, Vorstufen der späteren Mittelschulen. Sie ließ die Universitäten neu organisieren. Die Wiener Medizinische Schule erlebte unter ihrem Leibarzt (und vielbeschäftigtem Geburtshelfer) ihre erste Blütezeit.

Zwei Beweggründe führten zu diesen Reformen, erklärt Tapie: der Bedarf des Staates an besser ausgebildeten Untertanen und der Respekt vor dem Menschen, der ein natürliches Anrecht auf Bildung hat. Welche anderen Gründe sollten heute zur Bildungsreform motivieren (wenn man das Wort „Untertanen” durch „Bürger” ersetzt)?

Maria Theresia, die Tochter einer protestantischen Braunsenweigerin,die Enkelin einer Pfälzerin; die gebürtige Wienerin, die Deutsch im Wiener Dialekt sprach und mit einer sehr eigenwilligen Rechtschreibung schrieb - sie war ihrer ganzen Natur nach die „typische Österreicherin”, bis hin zur Unfähigkeit, ihre vielfältigen Aufgabenbereiche - Kindererziehung und Staatsgeschäfte, Mahlzeiten im Familienkreis und Diplomatenempfänge - säuberlich zu trennen. Aber sie stand über den Nationen und Völkern. Für sie war die Dynastie das Entscheidende.

„Der staatliche, der dynastische und der familiäre Bereich wurden gleicherweise beherrscht von der konkreten, lebensvollen Gestalt der Mutter, die Oberhaupt der Dynastie, Mutter ihrer großen Familie und Landesmutter zugleich war, und auf die sich alle jene gemüthaften Kräfte ihrer Untertanen konzentrierten, die durch die Zurückdrängung und Beschneidung der barok-ken Frömmigkeit freigeworden waren. Vielleicht liegt darin der tiefste Grund für die starke Wirkung, die Maria Theresia, die kaiserliche große Mutter Österreichs, auf Mit- und Nachwelt ausübte”, schließt Adam Wandruszka.

Und der Nachwelt bleibt die Frage übrig, ob nicht auch dem ausgehenden 20. Jahrhundert eine solche, in ihrer Tradition wurzelnde, über ihre Zeit hinausblickende Mutterfigur gut täte.

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