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Das falsche Elisabeth-Klischee

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Ein neues Buch über die Kaiserin Elisabeth erschien unter dem Titel „Sissi“ im Amalthea-Verlag Wien- München. Es ist mit Bildern von wahrhaft dokumentarischem Wert verschwenderisch ausgestattet. Aber der Text, der den Bildern vorangeht, gibt nur neuerlich das übliche Klischee wider, das die Welt über die Kaiserin besitzt: Dieses Klischee zeigt eine Herrscherin, die eines der ersten Jahren ihrer Ehe von ihrer Schwiegermutter so gequält wird, daß sie davon ein Leck für das Leben davonträgt. Und die außerdem ver dammt ist, neben einem völlig unromantischen und fleißigen Mann zu leben, der für die hochfliegenden Träume dieses Wesens keinerlei Verständnis aufbrachte, so daß ihr nichts übrigblieb, als dieser Welt durch ein ewiges Fernsein vom Hof und durch ruheloses Herumfeisen !n Europa zu entfliehen. Dieses Klischee zeigt eine Herscherin, die eines der unglücklichsten Wesen der Welt war, obwohl sie doch berufen gewesen wäre, in einem Meer von Glück zu leben. Es ist ein Klischee, das unzerstörbar ist.

Aber das Klischee ist falsch. Natürlich war Kaiserin Elisabeth sehr unglücklich. Aber an ihrem Unglück war sie vielfach nicht unschuldig. Diese Kaiserin und Königin war vor allem keine gute Frau ihres Mannes. Von 44 Ehejahren weilte sie 40 Jahre kaum an seiner Seite und niemals vermochte sie ihm ein Heim zu schaffen, das auch Franz Joseph gebraucht hätte, um die Aufgaben seines Lebens besser lösen zu können. Durch ihre Heirat wurde sie die Frau eines Monarchen, der über elf

Nationen gebot, und es wäre ihre Pflicht gewesen, allen diesen elf Nationen mit gleichem Wohlwollen gegenüberzustehen. Aber sie bevorzugte eine einzige Nation, nämlich die Magyaren, wobei nicht vergessen werden darf, daß es gerade die Magyaren waren, die durch ihre Politik die Existenz der Monarchie schwer gefährdeten. Sie mied ängstlich den Hof, dem sie angehörte, aber die Geldmittel, die dieser Hof ihr zur Verfügung stellte, warf sie mit vollen Händen hinaus, um ihren Hobbys, wie Reisen, Pferden, Hunden und Bauten, frönen zu können. Alle diese Hobbys bezahlte sie nicht von ihrer nicht geringen Apanage, die sie sehr gut in Banken anlegte, sondern ließ diese von dem an sich sonst sparsamen Franz Joseph begleichen. Sie soll sogar anarchistische Zeitschriften finanziell unterstützt haben, wodurch sie indirekt mithalf, den Dolch ihres Mörders zu schleifen. Niemals hat Franz Joseph auch nur den leisesten Versuch unternommen, dieser Verschwendungssucht seiner Frau Einhalt zu gebieten. Franz Joseph, von dem behauptet wird, daß er für seine

Frau keinerlei Verständnis aufbrachte, war vielleicht der einzige, der sie wirklich verstand, indem er sie gewähren ließ.

Immer wieder wird erzählt, daß ihre Schwiegermutter sie in den ersten Jahren ihrer Ehe gequält und zerbrochen hat. Das Zusammenleben von Schwiegermutter und Schwiegertochter ist sicherlich nie einfach, aber die Geschichtswissenschaft hat längst herausgebracht, daß Erzherzogin Sophie nicht diese böse Schwiegermutter war, als die sie immer dargestellt wird. Sie wollte einfach Elisabeth beibringen, daß sie jetzt eine Herrscherin sei und deshalb Pflichten habe und nicht mehr ihr ungebundenes Zigeunerleben, das sie von zu Hause gewohnt war, fortsetzen könne.

Gewiß waren dadurch die ersten Ehejahre der Kaiserin nicht leicht. Aber viele andere Prinzessinnen standen vor dem gleichen Problem und haben dieses glänzend gelöst. Aber wahrscheinlich war auf Seiten Elisabeths gar keine große Liebe zu Franz Joseph vorhanden. Sie wollte vielleicht nur endlich aus ihrem kleinen Elternhaus heraus, vielleicht wollte sie nur endlich ein wirklich ungebundenes Leben führen, was ihr durch die Stellung als Kaiserin garantiert schien. Eine solche Einstellung ist natürlich eine zu dünne Basis für eine Ehe und so ist es nicht zu verwundern, daß diese Ehe bald zerbrach.

Die ersten vier Jahre der Ehe waren aus einem anderen Grund für sie nicht leicht: sie brachte in diesen vier Jahren drei Kinder zur Welt, wovon das erste bald starb. Die beiden ersten Kinder waren Mädchen, was für Elisabeth sicherlich eine schwere Nervenbelastung darstellte. Nach der Geburt des Kronprinzen war sie wahrscheinlich mit ihren Nerven fertig und hatte einfach Angst vor einer neuen Schwangerschaft. Aber anstatt dies dem Kaiser zu sagen und an sein Verständnis zu appellieren, tat sie möglicherweise das ‘falscheste, was eine Frau in einem solchen Moment tun kann: sie wurde kühl und abweisend gegen ihn, so daß er den Eindruck bekommen mußte, sie liebe ihn nicht mehr. Wie viele Ehemänner bekam Franz Joseph in diesem Augenblick einen Schock, der üble Folgen nach sich ziehen mußte. Die einen beginnen sich einem mehr oder weniger hemmungslosen Alkoholgenuß zuzuwenden, um sich zu betäuben. Andere suchen Trost bei Frauen. Von Franz Joseph ist bekannt, daß er niemals auch nur die geringste Neigung zu Alkoholismus entwickelte. Auch von Frauengeschichten ist so gut wie nichts aus seinem Leben zu hören. Nur im Jahre 1859 soll er angeblich ein amouröses Abenteuer gehabt haben. Dies sei der Grund gewesen,

warum Elisabeth 1860 nach Madeira entfloh, womit ihr ruheloses Wanderleben begann. Es ist ein Gerücht, das bis heute nicht bestätigt ist. Aber selbst wenn es stimmt, ist es nur ein Zeichen, daß Franz Joseph innerlich schon verzweifelt gewesen sein muß. Eine zerbrochene Ehe hat aber vor allem im Berufsleben eines Mannes katastrophale Folgen. Denn ein Mann fängt dann an, das Vertrauen zu sich zu verlieren und macht einen Fehlgriff nach dem anderen. Auch bei Franz Joseph war es nicht anders. Von 1859 an machte er in der Politik viele „Schnitzer“. In diesem Jahr beginnt er den Krieg gegen Napoleon III. und Piemont, militärisch und diplomatisch schlecht vorbereitet. Er schließt völlig überraschend einen Frieden, obwohl die Situation für die Donaumonarchie anflng günstig zu werden. 1860 führt er überhastet das parlamentarische System auf der Grundlage des Föderalismus ein, und nach einem halben Jahr wandelte er es in ein zentralistisches System um. 1863 beginnt er den Krieg gegen Dänemark und läßt sich von Bismarck vollkommen ans Gängelband nehmen. 1866 hätte er den Zweifrontenkrieg vermeiden können, denn er war entschlossen, Venetien abzutreten. Hätte er dies rechtzeitig getan, dann hätte er die Neutralität Italiens damit erkauft und die Südarmee in Böhmen einsetzen können. Dadurch wäre die militärische Lage schon wesentlich besser gewesen. Aber auch nach der Schlacht bei König- grätz war Österreichs Lage nicht ungünstig. Die Cholera dezimierte die preußische Armee, die Intervention Napoleons III. stand vor der Tür, die österreichische Südarmee war in Anmarsch, Österreichs Armee hätte nach Ungarn ausweichen können. Franz Joseph hatte alle Chancen in der Hand, Bismarck nur mehr eine: rasch einen billigen Frieden zu schließen. Bismarck ergriff die Chance, und Franz Joseph fiel darauf herein. Und 1867 schuf Franz Joseph den Ausgleich mit Ungarn, der die Länder und Völker der Stephanskrone einer herrschsüchtigen magyarischen Schicht auslieferte, die die nichtungarischen Völker total magya- risierte und keinerlei Verständnis für soziale Fragen besaß.

Aber dieser Ausgleich von 1867 erscheint neben allen politischen Überlegungen auch als der gigantische

Versuch Franz Josephs, noch einmal das Herz seiner Frau zu erobern. Er kannte die Vorliebe seiner Frau für die Magyaren, und er suchte ihre Liebe nochmals zu gewinnen, indem er ihrer Magyaropholie nachgab und das Stephansreich den Magyaren überantwortete. Tatsächlich scheint sich nach der Krönung in Budapest eine Annäherung zwischen den beiden Ehegatten angebahnt zu haben, denn ein Jahr nach dem Ausgleich kam die Tochter Valerie zur Welt. In den Jahren nach dem Ausgleich scheinen die Beziehungen zwischen beiden Eheleuten gut und leidlich gewesen zu sein, und die Fehlgriffe Franz Josephs in der Politik hören auf.

Aber dann muß Elisabeth selbst bemerkt haben, daß sie unfähig sei, eine gute Frau ihres Mannes zu sein, daß sie nicht imstande war, Franz Joseph die Atmosphäre eines guten Heimes zu schaffen, die voll ist von Geborgenheit und durchsetzt mit einem Hauch von Zärtlichkeit, in welcher Atmosphäre sich ein Mann von seinen Sorgen ausruhen und Kraft für die Lösung kommender Probleme finden kann. Sie scheint begriffen zu haben, daß das Heim, in dem ihr Mann leben mußte, von einer eisigen Kälte durchweht ist. Und sie scheint begriffen zu haben, daß es in dieser Form nicht weitergehen könne. Und in diesem Augenblick führte sie ihrem Mann eine Seelenfreundin in der Person der Burgschauspielerin Katharina

Schratt zu. Diese Freundschaft, die bis zum Tode Franz Josephs währte, schuf für den Kaiser endlich jenes Heim, das auch er für sein Leben benötigte. Von diesem Augenblick an wird er jene weise, großartige Herr schergestalt, als die er in der Erinnerung fortlebt.

Aber diese Freundschaft war natürlich kein Ersatz für eine Ehe. Sie half Franz Joseph nur, dieses schwere Kreuz besser tragen, was er mit unendlicher Noblesse tat. Ein Beispiel, das man nur bewundern, aber kaum nachahmen kann. Sein eigener Sohn vermochte es nicht und schoß sich deshalb eine Kugel durch den Kopf.

Von dem Zusammenbruch seiner Ehe hat sich Franz Joseph nie erholt. Er blieb ein gebrochener Mensch, der nicht mehr an sich und darüber hinaus auch nicht mehr an den Bestand der Monarchie glaubte. Erschütternd kommt dies in den Worten zum Ausdruck, die der alte Kaiser zu Beginn des ersten Weltkrieges sprach: „Wenn die Monarchie schon zugrunde gehen muß, dann soll sie es wenigstens in Ehren tun.“

Es war wahrscheinlich diese zerbrochene Ehe, die Franz Josef unfähig machte, so viele Probleme der Habsburgermonarchie endgültig zu lösen. Vor allem die Vorherrschaft der madj arischen Gentry, deren Politik die Doppelmonarchie aufs schwerste gefährdete, endgültig zu brechen. Ferner die Umwandlung der Monarchie in einen Bund völlig gleichberechtigter Völker. Franz Joseph unternahm immer wieder Anläufe zu diesen Schritten, wie es zum Beispiel der berühmte Armeebefehl von Chlopy und die Einsetzung des Ministeriums Khuen-Fejer- variy war, sowie die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes in der österreichischen Reichshälfte. Aber um die weiteren nötigen Schritte zu tun, fehlte ihm die Kraft.

Ob Kaiserin Elisabeth jemals ahnte, welche Verantwortung sie nicht nur gegenüber ihrem Mann, sondern auch gegenüber der Existenz der Monarchie besaß? Kaum. Denn sonst hätte sie, die Tochter eines armen bayrischen Geschlechtes, deren Vater lieber Direktor eines Wanderzirkus gewesen wäre als Herzog in Bayern, nicht dieses Leben führen können. Sie hat für ihr Verhalten nur eine einzige Entschuldigung: daß sie aus einer Familie kam, in der immer wieder schwere psychische Störungen auftraten. Audi wird ihr häufig eine nicht geringe lesbische Veranlagung zugeschrieben, was vieles erklären würde.

Aus der Ehe Franz Josefs ist nur wieder ersichtlich, daß es die anonyme Kraft der Frauen ist, die Männer zugrunde richten kann oder aus Männern das herausholt, was an Talenten in ihnen verborgen ist.

Aber mit monotoner Gleichmäßigkeit wird immer nur wieder von dem Unglück und der Tragödie dieser Kaiserin gesprochen. Niemals aber wird von dem Unglück gesprochen, daß sie heraufbeschwor. Denn die Geschichte der Monarchie wäre vielleicht anders verlaufen, wenn sie eine gute Frau gewesen wäre. Wer endlich wird dieses falsche Klischee zerstören und die Geschichte so darstellen, wie es wirklich war?

SISSI. Die Geschichte der Kaiserin Elisabeth von Österreich. Von Raymond Chevrier und Perre Walejfe. Amalthea-Verlag, Wien-München. 55 Seiten Text, 111 Abbildungen, S 95.—.

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