Franz Joseph, ein Phantom

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IM NOVEMBER 2016 JÄHRT SICH DER TODESTAG VON KAISER FRANZ JOSEPH, DEM LÄNGSTDIENENDEN MONARCHEN DER HABSBURGER, ZUM HUNDERTSTEN MAL. SEIN TOD MARKIERT EINE ZEITENWENDE NICHT NUR IN DER ÖSTERREICHISCHEN, SONDERN AUCH IN DER EUROPÄISCHEN GESCHICHTE.

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IM NOVEMBER 2016 JÄHRT SICH DER TODESTAG VON KAISER FRANZ JOSEPH, DEM LÄNGSTDIENENDEN MONARCHEN DER HABSBURGER, ZUM HUNDERTSTEN MAL. SEIN TOD MARKIERT EINE ZEITENWENDE NICHT NUR IN DER ÖSTERREICHISCHEN, SONDERN AUCH IN DER EUROPÄISCHEN GESCHICHTE.

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Der 1830 geborene Habsburger Franz Joseph hat einen denkbar weiten Weg genommen: vom Despoten zur Vaterfigur. Einer, der 1848 mit Kanonen für Ruhe sorgte, und 1914 mit der Feder einen Weltkrieg eröffnete. Vom blutjungen, als Kaiser hergerichteten 18-Jährigen zum guten alten Herrn in Schönbrunn. Am 21. November 2016 jährt sich sein Tod zum hundertsten Mal.

Franz Joseph I. verwaltete eine Ära großer Kulturleistungen, mit denen er selbst sich nicht belastete. Der Beherrscher der Donaumonarchie war ein nüchterner Schreibtischtyp, der indes am Ende und von Teilen der Nachwelt so sehr verehrt wurde, dass sein Bewunderer, der Schriftsteller Joseph Roth sagen konnte: "Österreich-Ungarn, das ist jenes Stück Erde, das der liebe Gott Kaiser Franz-Joseph anvertraut hat." Vielleicht der letzte Monarch alten Typs, ein apostolischer Herrscher von Gottes Gnaden. Mehr Mythos als Mensch? Jedenfalls einer, dessen Nachruhm bisweilen groteske Züge hat. Banalitäten inklusive.

Wenn man in Bad Ischl in die enge Schulgasse neben der Pfarrkirche einbiegt, gelangt man in ein hübsches Kaffeehaus, das originellerweise Katharina heißt - nach der großen russischen Zarin des 18. Jahrhunderts! Ein bunter Fleck in der Salzkammergutmetropole, in der doch sonst alles ausschließlich vom Fluidum der Habsburger bestimmt ist. 83 seiner 86 Sommer verbrachte Franz Joseph auf Sommerfrische in Ischl, ja er wurde wie seine drei jüngeren Brüder sogar hier gezeugt. Wir nehmen im nostalgisch gestalteten Café Katharina eine Jause zu uns und kommen mit dem Wirt ins Gespräch. Vor welchem der vielen hier ausgestellten authentischen Bilder historischer Persönlichkeiten werden denn Ihre Gäste wohl am liebsten fotografiert? Wortlos deutet er vorbei an den Reproduktionen schöner Gemälde auf ein kleines Bildchen an der Wand hinter der Bar - ein simples Szenenfoto aus einem "Sissi"-Film! Romy Schneider und Karlheinz Böhm geben das Kaiserpaar - nein, sie sind das Kaiserpaar! Vor diesem, und fast nur vor diesem Foto als Hintergrund schießen die Touristen aus Japan, den USA und anderer Herren Länder ihre Selfies! Die Darstellungen der tatsächlichen historischen Personen lassen sie links liegen. Plötzlich erinnere ich mich an einen Wiener Touristen in Budapest, der angesichts einer kunstvollen Büste der Kaiserin Elisabeth ausrief: "Ah! Da ist's ja, die Romy!".

Dabei war die Regierungszeit des echten Kaisers alles andere als ein Kitschroman.

GOTTESGNADENTUM

Das Bewusstsein für das Gottesgnadentum des Herrschers bekam Franz Joseph frühzeitig von Lehrern wie Metternich eingeimpft. Zeitlebens blieb er als Kaiser gegenüber dem Gedanken an eine Teilhabe der Bevölkerung an der Macht skeptisch bis feindselig eingestellt, auch wenn er ab 1860 schrittweise diverse Verfassungen zulassen musste. Vielleicht erklärt das auch seine politische Langlebigkeit: Ein wie aus der Zeit gefallener, konsequent antimodernistischer Monarch, der nicht um Popularität heischte, mochte zeitlos und genau dadurch unsterblich wirken.

Die Armee und das Waidwerk waren seine großen Leidenschaften. Auf das Militär, die wichtigste Stütze seiner Herrschaft, verließ er sich ganz besonders, was kommende politische Entscheidungen und auch Fehleinschätzungen bis 1914 erklärt; und als passionierter Jäger erlegte er während 66 Ischler Sommern 50.556 Tiere.

Für des Kaisers Fantasielosigkeit sprechen in den Augen seiner Kritiker die pedantische Pflichterfüllung am Schreibtisch ab den frühen Morgenstunden, seine Beratungsresistenz und angebliche Unbelehrbarkeit in politischen wie privaten Angelegenheiten.

Entsprang das alles sturem Eigensinn oder konsequenter Geradlinigkeit? Der typische Fall eines historischen Vexierbildes. Dass die erste Aufgabe des Neulings 1848/49 ausgerechnet war, die revolutionären Tumulte im Reich niederzuschlagen, wurde zur schweren politischen Hypothek. Als der ungarische Ministerpräsident und Revolutionär Graf Lajos Batthyány dem jungen Kaiser huldigen wollte, wurde er in Pest auf Betreiben des österreichischen Generals Haynau gleichzeitig mit dreizehn ungarischen Revolutionsführern und Generälen (diese in Arad) hingerichtet. Jener 6. Oktober 1849 ging als ein bitterer Tag in die ungarische Geschichte ein und schuf Märtyrer und Nationalhelden, die über viele Generationen verehrt wurden und werden.

SCHICKSALSSCHLÄGE

Diese und andere Bluttaten wurden im Namen des Kaisers verübt. Viele Menschen verfluchten Franz Joseph in den Tagen der Gräuel, aber besonders wirkungsvoll soll es Batthyánys Frau getan haben: "Himmel und Hölle sollen sein Glück vernichten, sein Geschlecht soll vom Erdboden verschwinden, und er selbst soll heimgesucht werden in den Personen derer, die er liebt! Sein Leben sei der Zerstörung geweiht und seine Kinder sollen elend zugrunde gehen!" Und so geschah es auch. Franz Joseph konnte ja angesichts dieser Verwünschung nichts anderes als Pech im Leben haben! So sehen es zumindest Fatalisten. Nach einem versuchten Attentat auf ihn selbst starben nacheinander Bruder Max, Sohn Rudolf, Frau Elisabeth und Thronfolger Franz Ferdinand durch äußere Gewalt. Viele Menschen litten par distance mit.

Einen realpolitischen Hintergrund hatte die Liebe zum Kaiser vor allem für die "kleinen Völker". Sie band Slowaken, Ukrainer, Slowenen, Bosnier, Kroaten, Rumänen und Juden - und sogar so manche Tschechen und Polen - an ein Österreich, das ihnen Schutz vor der Übermacht der großen Nationalitäten, vor allem der Magyaren und der Deutschen, versprach. Franz Joseph schien der Garant dafür zu sein und regierte in einem komplizierten Schaukelspiel durch eine Balance der Gewichte. Bis zum Weltkrieg.

Er begann ihn zwar von Einflüsterern angetrieben, doch sehenden Auges, tat so, als sei es ein weiterer Balkankrieg, unterschätzte wohl die Gegner und überschätzte ganz sicherlich die österreichische Armee. Oder doch nicht? "Wenn wir schon zugrunde gehen müssen, dann wenigstens anständig!" soll er 1915 gesagt haben. Wenigstens eine Vision

Der alte Kaiser starb mitten im Krieg am 21. November 1916 mit 86 Jahren. Möglicherweise war er einfach zu jung, als er die Macht erhielt, und zu alt, als sie ihm der Tod aus der Hand nahm.

Der Autor ist Wissenschaftsjournalist (ORF). Im März 2016 erscheint bei Amalthea sein Buch "Franz Josephs Land. Eine kleine Geschichte Österreichs".

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