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DAS STERBEN DES ALTEN KAISERS

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In den ersten Novembertagen des Jahres 1916 stellt sich bei Kaiser Franz Joseph ein Husten ein, der den Patienten sehr quält, die Arbeitsfähigkeit aber nicht vermindert. Hofrat Dr. von Kerzl ist von Franz Josephs Gewichtabnahme — ein Kilogramm in der ersten Novemberwoche — beängstigt und beklagt sich bei der Erzherzogin Marie Valerie darüber, daß sich der Kaiser überarbeite. Die geistige Ueberbürdung wirke sich im Körperlichen aus. Am 9. November fühlt Franz Joseph sich sehr müde und hat 37,6 Grad Fieber. Fürst Montenuovo will den Professor Dr. Ortner zur Behandlung des Kranken zuziehen. Dr. Kerzl findet dies zwar nicht notwendig, stimmt aber zu. Am 11. November sind Marie Valerie und die Gräfin Trani beim Monarchen; sie finden ihn frisch und gesprächig, an allem interessiert. Kurz darnach aber steigt das Fieber auf 38,4 Grad, der Patient fühlt sich schwach und sagt zu seinem Leibarzt: „Diesmal wird es wohl zu Ende gehen.“ Fürst Montenuovo bittet die Erzherzogin Marie Valerie, wieder nach Wien zu kommen. Am nächsten “läge scheint es dem Kaiser wieder besser zu gehen, ja, Dr. Kerzl glaubt sogar, daß die Sorge um den Empfang des Sterbesakraments für ihren Vater verfrüht sei. Das Fieber ist vergangen, Franz Joseph hat wieder Appetit, ein ! kleiner Hoffnungsstrahl Jeuchtet freudebringend auf.- Alles erwartet,-daß es-auch dieses Mal mit dem.;bloßen Schrek-i keli vorübergehen'werde.' ' “

Aber am 15. November zeigt sich ein leichtes Fieber, und. Schmerzen im Rippenfell stellen sich ein. Zwei Tage später ist die Temperatur auf 38,5 Grad erhöht, doch der Herrscher sitzt wie alltäglich an seinem Schreibtisch und erledigt Akten. Als ihn die Erzherzogin Elisabeth aufsucht, geht ihr der Großvater wohl entgegen, aber das Aufstehen und Niedersetzen bereiten ihm große Mühe. Er muß selber gestehen, daß es ihm schlecht gehe.

Am Abend halten Dr. Kerzl, Professor Doktor Ortner, Fürst Montenuovo und Graf Paar ein Konzilium ab. Es wird ein entzündlicher Herd in der Lunge festgestellt und erklärt, daß von einer augenblicklichen Gefahr keine Rede sein könne.

Am 20. November ist Erzherzogin Marie Valerie bei ihrem Vater. Der Kaiser sitzt in einem der roten Fauteuils des äußeren Arbeitszimmers, steht als er seine Tochter eintreten sieht, mühsam auf und kommt ihr zur Tür entgegen. „Ich . fühle mich sehr schlecht“, klagt er, will sich aber beim Niedersetzen nicht helfen lassen. Auf die Bitte der Erzherzogin, nach Schönbrunn kommen zu dürfen, meint Franz Joseph fürsorglich: „Ja, ja, Montenuovo soll nur gut einheizen lassen, daß sich die Kinder nicht verkühlen. Heute ist ja der Geburtstag der zwei Mädchen.“ „Gestern war er“, wirft die Tochter ein. — „Ah so', meint der Kaiser bedauernd, „und ich habe erst heute telegraphiert.“ — „Wann darf ich heute nachmittag zu dir kommen?“ fragt Marie Valerie. „Ich habe aber keine Zeit“, wehrt der Monarch ab, „ich habe viel zu arbeiten.“ — „Ich darf aber doch fragen kommen, wie es dir geht?“ läßt die besorgte Erzherzogin nicht locker. „Also gut, nach meinem Essen, gegen 6 Uhr“, fügt sich der Vater. Als Franz Joseph aufsteht, um seine Tochter hinauszubegleiten, ist seine große Schwäche deutlich zu erkennen.

An diesem Abend stimmt Professor Doktor Ortner dem Sakramentempfang des Kaisers für den nächsten Mor| ~n zu Die Nacht vom 20. auf den 21. November verläuft gut; in der Früh steht das Fieberthermometer auf 38,1 Grad. Trotzdem arbeitet der Kaiser schon seit halb vier Uhr an seinem Schreibtisch. Um halb fünf Uhr meldet sich der diensthabende Flügeladjutant Oherst von Spänyik. Bald darauf erscheinen Hofrat Dr. Ortnei und Dr. von Kerzl. Sie stellen fest, daß das Fieber nicht gewichen sei und die Mattigkeit zugenommen habe. Da sich der Entzündungsherd aber nicht weiter ausgebreitet hat, fassen die Aerzte noch einige Hoffnung. Dann meldet sich der Erste Obersthofmeister; er muß. um seinen Herrn auf die bevorstehende kirchliche Zeremonie vorzubereiten, zur List greifen. Fürst Montenuovo meldet dem Kranken, der päpstliche Nuntius sei bei ihm erschienen, um sich im Namen des Heiligen Vaters nach dem Befinden des Kaisers zu erkundigen. Der Papst habe ihm seinen Segen entboten und der Burgpfarrer bitte, ihn überbringen zu dürfen. Könne er nach 10 Uhr, gleich nach dem Vortrage des Generals Bolfras, erscheinen? Ohne im mindesten verwundert oder ersehrocken zu sein, stimmt der Herrscher sogleich zu. Mit zitternder Hand notiert er sich die beabsichtigte Vorspräche des Priesters auf dem Zettel, auf dem alle Obliegenheiten des Tages vermerkt werden.

Es war ausgemacht, daß Burgpfarrer Dr. Seydl dem Kaiser mitteilen solle, er komme, um ihm den päpstlichen Segen zu überbringen. Es sei aber üblich, daß man vorher das heilige Sakrament empfange, um den vollkommenen Ablaß zu erlangen. Darum habe er auch das Aller-heiligste mitgebracht. Als Dr. Seydl dies vorbringt, wirft Franz Joseph ein, daß er schon gefrühstückt habe und daher auf die heilige Handlung nicht vorbereitet sei. „Ich habe alle Vollmachten“, klärt der Burgpfarrer auf, „und Eure Majestät haben schon wegen des hohen Alters das Privilegium, auch ohne nüchtern zu sein, die heilige Kommunion zu empfangen,“ Ohne weitere Einwendungen geht der Herrscher darauf ein.

Als Dr. Seydl das Arbeitszimmer des Kaisers verläßt, sagt er zu den ihn im Vorraum Erwartenden: „Es war wunderschön und tröstlich zu sehen, mit welcher Geistesklarheit er sich sammelte und in kurzer Zeit bereit war zur vollständigen, klarsten Beichte, obwohl eben vorher Bolfras ihn benommen gefunden hatte. Zur Kommunion wollte er niederknien, was ich jedoch nicht gestattete. So empfing er vor dem Schreibtisch im äußeren Arbeitszimmer sitzend in tiefer Andacht seinen Herrn und Heiland. Zum Abschied hat mir der Kaiser noch seine ganz besondere Freude über die Güte ausgedrückt, mit der der Heilige Vater an ihn gedacht hatte. Dann ging Seine Majestät, vom Kammerdiener nur leicht gestützt, in das innere Arbeitszimmer zurück.“

Um halb zwölf erscheinen der Thronfolger und Erzherzogin Zita in Schönbrunn; sie erklären, nur dann das Arbeitszimmer betreten zu wollen, wenn der Monarch ruhig sitzenbleiben und sich nicht ermüden würde. Oberst Spänyik meldet dem Kaiser den hohen Besuch und sieht, wie der Kranke aufsteht und sich umziehen will. Der Oberst berichtet, was ihm der Erzherzog gesägt hat, aber Franz Jose,ph meint, es sei unmöglich, eine Dame sitzend zu empfangen. Nur schwer gelingt es dem Flügeladjutanten, seinen Allerhöchsten Herrn zu bewegen, daß er sich nicht von seinem Stuhl erhebe. Schließlich fügt sich der Monarch. „Nun gut, wenn es nicht anders möglich ist, so soll es sein.“ Das Thronfolgerpaar verweilt bei dem Kranken nur wenige Minuten. Franz Joseph beklagt sich über sein Befinden, spricht aber die Hoffnung auf baldige Genesung aus, denn er habe zum Kranksein keine Zeit. Er spricht über die erfreulichen Truppenerfolge in Rumänien und äußert sich hocherfreut über die Teilnahme des Heiligen Vaters an seinem Gesundheitszustand.

Kurz nach dem Essen wird Erzherzogin Marie Valerie vc.i Hofrat Dr. von Kerzl angerufen. Er habe d;n Kaiser vor dem Schreibtisch sitzend, ganz in sich zusammengesunken und fast über den Sessel überhängend gefunden und 39,5 Grad Fieber festgestellt. Der Vortrag des Kabinetts-direkto: • Freiherrn von Schießl muß entfallen, weil der Monarch nicht mehr zu arbeiten vermag. Franz Joseph verbringt einige Zeit im Lehnstuhl, setzt sich aber wieder zum Schreibtisch, um seine laufenden Geschäfte zu erledigen. Mit Wachsender Besorgnis sieht Oberst Spänyik, der den Kaiser vom Nebenzimmer aus durch einen Spiegel beobachtet, wie Franz Joseph in seiner Müdigkeit den Kopf bald auf den rechten, bald auf den linken Arm sinken läßt. Die Feder, die sich der Herrscher von seinem Kammerdiener hat reichen lassen, fällt zu Boden. Der Kaiser legt das Haupt in die Hand und schläft ein.

Aber die kräftige Natur des Monarchen behält noch einmal die Oberhand. Um 16 Uhr rafft er sich wieder auf, der Leibkammerdiener muß ihm wieder die Feder in die Hand geben und der Kaiser arbeitet im Fauteuil, der auf Befehl Dr. Kerzls zum Schreibtisch geschoben worden ist, weiter. Sobald die letzte Unterschrift gesetzt ist, ordnet der Monarch seine Akten und sperrt die Mappe zu.

Nachdem der Kranke noch ein wenig von seinem Sechsuhrdiner zu sich genommen hat, wird der Erzherzogin Marie Valerie erlaubt, das Arbeitszimmer zu betreten. Fürst Montenuovo hat ihr zuvor geraten, nicht bedrückt und erschreckt zu erscheinen, und deshalb sagte sie gleich bei der Türe: „Ich höre, daß du doch etwas besser gegessen hast als zu Mittag. Geht es dir jetzt etwas besser?“ — „Oh, schlecht, sehr schlecht“, antwortet ihr Väter mit matter Stimme. Innerlich ist die Erzherzogin über den Wandel im. Aussehen des Kaisers zutiefst betroffen. Noch am Morgen in seinem Aeußeren wie in seinem Wesen wie immer, sitzt der Monarch nun mit dem Kopf zurückgelehnt im gepolsterten Lehnstuhl, den Rock geöffnet, die Wangen vom Fieber dunkel gerötet, sein ganzer Ausdruck greisenhaft matt — das Bild eines Schwerkranken.

Marie Valerie setzt sich auf ihren gewohnten Platz und bemüht sielv in ihrer Stimme nicht die Angst Um das Leben ihres Vaters zu verraten. „Ich wollte nur fragen, wie es dir geht, aber du darfst nicht sprechen und ich werde auch gleich wieder fortgehen, um dich nicht zu ermüden.“ — „Ja, das wird nützlich sein“, antwortet Franz Joseph. Die Erzhtrzogin steht auf, um sich zu verabschieden. Da sagt der Kaiser und König: „Ich habe meine Andacht verrichtet...“ Dann sucht er mühsam nach Worten. „ ... der Burgpfarrer war da ... päpstlichen Segen gebracht... und auch die Messe ...“ — „Die heilige Kommunion“, hilft Marie Valerie nach. Der Monarch nickt: „Ja, ja.“ Will der Sterbende mit diesen schlichten Worten seiner Lieblingstochter zu verstehen geben, daß sie beruhigt sein dürfe, weil er alle seine irdischen Angelegenheiten in Ordnung gebracht habe?

Die Erzherzogin bleibt stumm, küßt ihrem Vater die geliebte, fieberheiße Hand und wünscht ihm eine recht gute Nacht. Dann verläßt sie den stillgewordenen Raum.

Nun verlangen die Aerzte, daß der Kranke zu Bett gebracht werde. Daß es zwei Stunden vor der gewohnten Zeit sei, werde er nicht merken. Die beiden Kammerdiener stellen den Lehnstuhl mit dem Kaiser vor den Betschemel. Franz Joseph versucht niederzuknien, wie er es am Morgen noch getan. Aber er fühlt, daß er nicht mehr genug Kraft habe und gesteht: „Es geht nicht.“ So betet er denn sitzend vor dem Betstuhl, auf dem ,noch das Kruzifix von seiner ersten heiligen Kommunion her steht. Dann mahnen die Kammerdiener: „Majestät, jetzt war' aber doch Zeit, sich niederzulegen!“ — „Ich habe noch viel zu arbeiten“, erwidert der Monarch, läßt es aber geschehen, daß ihn die beiden Getreuen entkleiden.

Die Aerzte kommen und helfen bei dem Zubettbringen des Kranken, das wegen des Kaisers großer Schwäche und Hilflosigkeit qualvoll ist. Franz Joseph weiß nicht mehr, wo das Kopfende seines Lagers ist, denn das Bewußtsein beginnt sich zu trüben. Dr. Ortner und Dr. von Kerzl stellen fest, daß sich die Entzündung der Lunge ausgebreitet habe, das Herz aber noch verhältnismäßig kräftig sei.

Als der Kopf des Monarchen auf dem einen dünnen Polster wie immer ruht, fragt der Leibkammerdiener Ketterl wie allabendlich: „Haben Eure Majestät noch Befehle?“ worauf Franz Joseph wie sonst bestimmt und laut sagt: „Morgen früh um halb vier Uhr!“

Das Schlafzimmer des Herrschers füllt sich mit Menschen. Das Thronfolgerpaar — Erzherzog Karl in der Uniform eines k. u. k. Großadmirals —, die Erzherzoginnen Maria Josepha und Maria Theresia, Erzherzog Franz Salvator, Fürst Montenuovo, Generaloberst Graf Paar, die Flügeladjutanten Oberst von Spänyik und Oberst Graf Hoyos, Hofrat Freiherr von Pri-leszky und die beiden Leibkammerdiener — sie alle wissen, daß es die letzten Stunden ihres Herrn sind.

Erzherzogin Marie Valerie wird gerufen und erschrickt vor der Vielzahl der Anwesenden. Sie muß an den Ausspruch ihres Vaters beim Ableben des Erzherzogs Rainer denken: „Es ist schrecklich, wenn dem armen Sterbenden so viele zuschauen!“ Franz Joseph erwacht und verlangt zu trinken. Da ihm niemand die Tasse Tee richtig zu reichen vermag, nimmt sie der Leibkammerdiener Ketterl, hebt das Kissen, und es glückt ihm, dem Kaiser einige Tropfen einzuflößen. Lächelnd flüstert der Monarch: „Warum geht's denn jetzt?“ Ketterl fragt seinen Herrn, ob er gut liege. „Ja, es ist gut“, antwortet der Sterbende kaum noch hörbar.

Der Atem wird kurz, das Bewußtsein trübt sich. Dr. Ortner gibt dem Schweratmenden eine Koffeininjektion, um die Herztätigkeit anzuregen, aber Franz Joseph weiß von der Tätigkeit des Arztes nichts mehr. Er verfällt in einen tiefen Schlaf, und in den Anwesenden regt sich die leise Hoffnung, daß doch noch alles wieder gut werden könne.

Um 20.30 Uhr wird der Hofburgpfarrer gerufen, um dem Sterbenden das Sakrament der Letzten Oelung. zu spenden. Er reicht der Erzherzogin Marie Valerie das Sterbekreuz, das so viele Kaiser in ihren letzten Stunden tröstete, und sie hält es ihrem Vater an die Lippen. „Mein Jesus, Barmherzigkeit!“ betet sie und legt dem Kaiser und König das Kreuz in die erkaltende Hand, die sie in die ihrige bettet.

Die heilige Handlung ist beendet. Die Atemzüge des Sterbenden werden immer kürzer, immer leiser. Die Anwesenden knien nieder, eine unmeßbare Spanne Zeit rinnt dahin... dem einfachen eisernen Soldatenbett nähert sich der Tod.

Unmittelbar vor dem Krankenlager knien neben der Erzherzogin Marie Valerie die Erzherzoginnen Maria Josepha und Maria Theresia, Erzherzog Karl und dessen Gemahlin, weiter rückwärts Graf Paar, Fürst Montenuovo, die beiden Aerzte und die Dienerschaft.

Ganz still ist es im Raum, still wie in einer Kapelle.

Den müden Körper des Monarchen schüttelt plötzlich ein Hustenanfall, der Sterbende richtet sich auf und sinkt dann zurück, das Atmen wird noch leiser und hört auf. „Atmet er noch?“ fragt die Kaisertochter den Hofrat Dr. von Kerzl. Der Leibarzt beugt sich über seinen Herrn und horcht an seinem Herzen. „Ich höre nichts mehr“, sagt er mit zugeschnürter Kehle. „Et lux perpetua luceat ei!“ betet Weihbischof Doktor Seydl und, so leise diese Worte auch gesprochen werden, so sind sie doch wie eine laute Klage. Das Herz des Kaisers und Königs schlägt nicht mehr, das Herz, das auch das Herz eines großen, mächtigen Reiches war.

„Drücke ihm die Augen zu“, flüstert Maria Theresia der Lieblingstochter des Dahingegangenen zu. Mit zitternder Hand erfüllt Marie Valerie diese Kindespflicht. Es ist 21.05 Uhr des 21. November 1916. Der Vorraum vor dem Schlafgemach des Toten füllt sich mit Menschen. Frau Katharina Schratt ist unter ihnen und es will scheinen, als bliebe sie, die dem Verewigten in so vielen Stunden des Leides und der Freude Trost, Stütze und Kamerad war, unbeachtet. Da tritt Karl — der Kaiser — auf sie zu, reicht ihr ritterlich den Arm und führt sie an das Sterbelager des Herrschers. Stumm legt sie zwei weiße Rosen auf die Brust des Toten.

Der junge Kaiser und König nimmt die Beileidskundgebungen des Hofstaates entgegen, dann huldigen sie ihm, ihrem neuen Herrscher und Herrn.

In den Alleen und im Schönbrunner Schloßpark stehen die Menschen in erregten Gruppen und starren auf die erleuchteten Fenster der Vorderfront, in die rechte Ecke des Gebäudeflügels, in dem sich das Arbeitszimmer und das Schlafgemach des Kaisers befinden. Plötzlich kommt Bewegung in die Soldaten der Schloßwache. Einige Lakaien laufen über den Hof und einer von ihnen teilt dem diensthabenden Hauptmann mit, daß der Herrscher soeben verstorben sei. Die traurige Botschaft geht von Mund zu Mund, Telephon und Telegraph tragen sie in alle Himmelsrichtungen.

Der tote Monarch liegt auf seinem einfachen Soldatenbett, das Kreuz in den gefalteten Händen, zwei Rosen über dem weißen Linnen, die ehrwürdigen Greisenzüge friedlich und gütig. Später wird er mit der österreichischen Feldmarschalluniform — dem weißen Waffenrock und roten Hosen mit goldenen Borten — bekleidet. Auf dem Rock sind der Hausorden vom Goldenen Vlies und die vier erzenen Medaillen, die Franz Joseph gewöhnlich zu tragen pflegte, befestigt. So bleibt der Verewigte einige Tage auf dem Totenbett im Schönbrunner Sterbezimmer aufgebahrt, dem Publikum, das in einem nicht enden wollenden Zuge herbeiströmt, frei zugänglich.

Dann wird der Leichnam nach einem neuen Verfahren mit Paraffin einbalsamiert, in einen prunkvollen Kupfersarg gelegt und in die Kapelle der Wiener Hofburg übergeführt. Drei Tage bleibt er dort auf dem Schaubett öffentlich ausgestellt, von den herrlichsten Blumen und Kränzen mit prunkvollen Schleifen umgeben.

Am 30.-November, einem klaren und sonnighellen Spätherbsttag, wird der Sarg geschlossen und auf den prächtigen, ganz schwarzen Galawagen gehoben, dem acht Rappen vorgespannt sind. Ihm fahren ungezählte Kranzwagen und die Kutschen mit den höchsten Hofwürdenträgern voraus. Der Leiche folgen die Wagen der allerhöchsten und höchsten Leidtragenden, das junge Kaiserpaar mit dem Kronprinzen, die Könige von Bayern, Sachsen, Bulgarien, der deutsche Kronprinz und die Mitglieder des Erz-hauses. Inmitten von Abordnungen, Leibgarden und Hofbediensteten bewegt sich der Zug durch den äußeren Burghof zur Ringstraße und nimmt in einem großen Bogen den Weg über den Franz-Josephs-Kai durch die Rotenturmstraße zur Kathedrale von St. Stephan. Dort vollzieht der Wiener Fürsterzbischof Dr. Piffl unter zahlreicher geistlicher Assistenz die Trauerzeremonie in besonders feierlicher Weise. Von St. Stephan zur Kapuzinergruft folgt der Trauerzug dem Galaleichenwagen zu Fuß. Als erste schreiten der junge Kaiser und dessen Gemahlin, zwischen den beiden der vierjährige Kronprinz Otto, ein blondgelocktes, hübsches Kind, eine Freude für die vielen Tausende, die als Zuschauer die Gehsteige in dichten Reihen säumen. Kaiser Karl trägt den langen Generalsmantel, den goldbetreßten Federhut in der rechten Hand, die schlanke Kaiserin ist tiefst verschleiert.

An die Pforte des Kapuzinerklosters pocht Fürst Montenuovo mit goldenem Stabe. Sein kaiserlicher Herr begehre nach sechsundachtzig Jahren irdischer Pilgerfahrt Einlaß in die Ruhestätte seiner Ahnen. Das Tor öffnet sich, die Mönche nehmen, was an dem greisen Herrscher sterblich ist, in ihre treue Obhut und Sorge. Dann schließt sich die Pforte der Gruft für immer für den Kaiser von Oesterreich, König von Böhmen und Apostolischen König von Ungarn.

Die Kirchenglocken Wiens läuten, die Stadt hält in bitterem Weh den Atem an, mit ihr die Völker des vielsprachigen Reiches. Gilt der dumpfe, erzene Klang de Grabsjeläutes nur dem Verklärten, der zu seinen Vorfahren heimgefunden hat. oder auch der Monorchie, für die sein Herz schlug, bis es müde und still wurde?

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