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Die Waxenbergerin

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Die Waxenbergerin Aloysia Silbereyssin, Laiensdiwester bei St. Ursula in Wien, wird in die Hofburg geholt, wo Ernst Rüdiger Graf Starhemberg durch einen vergifteten Türkenpfeil schwer verwundet liegt.

Wie wilde Fliegen und Bienvölker haust und donnert die Horde der vielhun-dert Wiener, die immerfort an die Wache anlaufen, stürmisch und erbärmlich rufen, man wollte ihnen doch sagen, wie es mit Seiner Gnaden stehe. „Hübsch ungleichen. Betet vor ihn! Gott hilft ihm, und eine brave Mannschaft steht für ihn ein. Macht kein Wesen und Wetter, ihr Schelmen, denn ein Kranker Ruhe braucht!“

Dann auf einmal steigt ein Ruf, durchdringend wie Wetterschlag: „Platz, gebet Platz! Von einer wunderwürdigen Phar-macopola komben Mitteln für unsern Grafen anl Gebet Platz diesem Weibsbild, sie bringt die Mittel!“

Ein Offizier im Küraß und Federhut, ein schwarzes Pflaster im Gesicht, kommt rasch auf die Sänfte zu. Muß ein hoher Herr sein der, denkt Aloysia herausspähend, machen große Diener vor seiner. Die Soldaten öffnen die Sänfte, und der Herr bietet dem Mädchen die Hand zum Aussteigen. Wenn der Schuh der Mhre van der Tilff nicht so drücken würde, 60 möchte sie der Hilfe geraten. Aber wie es ist, muß sie sie annehmen. Ein klein wenig hinkend geht sie an der Seite des Kriegsmannes durch das Tor, in dessen Wölbung gespenstiger Trommelklang, sie weiß nicht woher, summt. Der Herr aber, der sie führt — im Volk geht der Name um: Herzog Georg Friedrich zu Württemberg und Teck, Graf von Mömpelgart, tags zuvor auf der Bastion blessiert; weil er sieht, daß die Jungfrau mühsam geht, reicht er ihr den Ann hin. Sie spricht: „I tu Euch sehen danken, i geh mi schwer“, nimmt den Arm an, und der Herzog denkt, wie sie in ihrer Lieblichkeit sich auf ihn stützt: „Wenn es hinkende Engel gäbe, war sie ein solcher! Aber ich hab nur von hinkenden Teufeln gehört.“ Er führt sie über den Burgplatz, der von Soldaten umstellt ist, bis zum Gebäude gegen Süd; und es ist gut, daß sie auf seinen Arm sich stützen kann, denn auf dem zerklüfteten Boden, wo das Pflaster herausgerissen ist und die greulichen Trümmer, Schalen von Bomben und Haubitzen liegen, auch zwei verwesene Türkenschädel, könnte sie keinen sicheren Schritt tun mit dem zu kleinen Schuh.

Es fragt der Herr, der so groß fast wie der Graf Guido ist, zu ihr herunter: „Jungfrau, hat Sie Antitoxika? Sie weiß, der Türke hat unseren Grafen mit einem giftigen Pfeile wollen töten.“

„Heilö ja, dös war für söltari öselsköpf a gmahte Wiesen!“ sagte das Mädel. „Afa da Heiland is mächtiga als dö vabainte Pokasch.“ Der Herzog von Württemberg lächelt; er versteht sie hart, aber das Reden ist artig, und lieblich überaus ist ihr Angesicht.

„Ihr meint, Jungfrau, ein gefundener Handel wäre es ihnen?“ — „Und na, dös-sel soll ihnen nit geraten“, spricht sie mit Nachdruck. „I han guete Mitteln, insa Herrigott valaßt ins net.“ Sie treten unter die Tür gen Süd, sie ist zerschmissen, hin und hin ist die Südwand aufgeklüftet. „Heili, da schaut's aus!“ spricht das Kind. „Is dössel die Burg? Wird afa da Kaisa wuin, wann er heimbkombt und siacht dös!“

„Weinen, meinestu?“ sagt der Herzog und möcht lachen über ihr landlerisches Reden, in dem eine heimliche holde Musik ist. — Die Wache rechts und links der Tür präsentiert, der Herzog führt Aloysia ins Tor. Da kommt mit Klang und Schall ein gewaffneter Mann über die finstere Stiege, in der ein Gang endet. „Ist sie da? Ist sie da? Höchste Zeit!“ Mit ein paar Sätzen ist der Mann über die Stiege herab und hat Aloysia beim Arm. „Vorwärts, du kommst zu lang!“ „Neue Gefahr?“ fragt der Herzog schnell. „Allerhöchste Gefahr, der Puls setzt aus. Mitten in der Beicht ist er von sich komben, liegt wie tot.“ Es ist der Hauptmann Guido. Der Herzog zieht das Mädchen rasch nach der Treppe, aber ihr Fuß tobt im kleinen Schuh, sie strauchelt.

.Du Sehn egge, was kriechst du wie ein Schnegg!“ drängte Guido ungestüm. „Lauf, lauf, lauf, lauf!“ Und er selbst rennt die Treppe zurück und stürmt treppauf, immer drei Staffel auf einmal nehmend.

„Mein Gott, laffen kann i net!“ ruft Aloysia in heller Angst. „Mi zwickt da oani Schuah soviel.“ „Tu'n aus!“ schreit Guido zurück. Eine Tür schallt zu mit Tos und Donner. Aloysia setzt sich auf die Stiege nieder, und die Hilfe des Herzogs abwehrend, zieht sie den Schuh der Mhe van der Tilff aus. Der Herzog nimmt den Schuh. „Wir verwahren diesen, Jungfrau.“ Sie aber ist schon wie ein Wiesel die Stiege hinangestoben, wo bleiches Licht ihr entgegenschimmert.

„Da ist sie. Endlich! Vorwärts marsch, marsch!“ ruft der Guido, ist bei ihr, packt wieder ihren Arm und wirbelt sie mehr, als er sie führt, in eine dunkle Antekammer, wo sie fast über eine Rüstung stolpert, die da mitten auf dem Estrich im Wege liegt.

Der Graf Guido öffnet eine zweite Tür, und Aloysia sieht ein helleres Gemach, behangen mit Tafeln aller Farben und Figuren vieler Arten. In dieser Kammer wimmelt es von Menschen. Sie weiß nicht, was für Leute das wohl sind; halbscheit scheinen's bürgerlich Gewandete, halbscheit Soldaten nach der Waffung. Und aus einem dritten Gemach, das auch voller Menschen ist, tritt ein Mann heraus, schwarz gekleidet, mit weißem Kragen, etwa einem Leutpriester ähnlich, hat aber einen Säbel umgegürtet. Dieser ruft mit durchdringender Stimme: „Jesu, Maria, ist sie da? Christ sei uns gnädig, sie ist da, Pharmacopola, von der Doktor Sorbait gesagt?“ Hätt sie das Wort nicht bei St. Ursula gehört, so verstund sie's nicht. „I wird Apothekaschwösta, ist da Vater Beinrichta gwest.“ „Schön, schön, schön!“ unterbricht der Mann. „Hastu Mitteln?“ Sie deutet auf das Schürzentaschel: „Da.“

„Komb Sie herein — Sie kennt mich nicht. Doktor Schmutz, der Philosophie, item der Rechte Doktor.“ „Ihr sads afa ein Soldat?“ fragt sie. „Vom Akademiekorps bin ich.“

Und sie meint, im Gemach des Grafen, wo sie und die Herren jetzt hineingehen, wird der Graf sein und etwan noch ein Priester zur geistlichen Hilf und ein Arzt. Aber auch dieses Gemach ist voll mic Kriegsvolk; auf dtn ersten Blick meint sie, es müßten ihrer mehrere Dutzend sein. Teils ohne Küraß, teils im Küraß sind sie, teils beten sie auf den Knien; auch Priester sind da, viele im Habit, einer im Röchet. Sie alle sprechen heimlich aufein- , ander zu. In einem Lehnsessel aber sitzt oder vielmehr liegt ein Mann. O ja, das ist der Graf! Sie kennt sein Angesicht gut von den gestochenen Bildern auf Flugzetteln, wie sie auch ins Kloster kommen. Das gemachte künstlich Haar, die Perücke, wie's der Adel trägt, liegt in der Stube auf dem Teppich; er hat den Küraß weg, der liegt wohl im Vorzimmer, wo sie angestanden; einen Rock an, die Krawatte hat er weg, die Brust offen; man legt viel Heiligtum, Gottespfennig auf seine Brust, die kerzenweiß ist und die keinen Schnaufer hebt; und das Gesicht, vom schwarzen, graulichten Haarsträhn umhangen — oh, wohl grabe Haar von Sarign! —, ist braun und blaß, mit schwarzen Bartstoppeln, und hängt auf die Brust wie des Heilandes Haupt am Kreuze. O Herr Gott, daß i net z'lang kam, denn solche G'sicht, sagt da Vater, macht oan der Tead an, so lang, so lang, spitzige weiße Nasen und die Zahn so blank und schreckbar als eines Totenschädel. Von einem Arm hängt der aufgeschnittene Ärmel. O weh, schaugt der Ann auch aus, blau, grien, greula. — Ein Herc in die Sechzig, schwarz nobel gewandet, mit großem Kragen, aber auch das Schwert zur Seite und ein grün und rot Brustband über dem Schalk, beugt sich zum armen Grafen, sticht eben mit dem Lanzettlein in seinen Arm; ein anderer seinesgleichen, aber lila, mit Schwert und Kragen, hält eine silberne Schüssel unter des Grafen Arm, es kommt kein Blut: der große und feine Herr in schwarzer Gewandung greift zu einem Bürstlein, das auf dem Tisch nädistbei liegt, streicht und streicht den Arm, und es kommen etle schwarze Tropfen mühselig übern Arm. Der schwarz Gewandete schüttelt das Haupt und ist bleich, fast wie der kranke Graf, und murmelt: „Das Blut stockt auf.“ Dann mit einem Ruck wendet er sich der Tür zu, durch die die Aloysia, vom Grafen Guido geführt, eben hereingekomme“n ist. „Gott sei gepriesen und gelobt sei sein Name!“ ruft er da überlaut: „Sie ist da!“ und alle Kriegshelden und Priester raunen nach: „Sie ist da, heran, Jungfrau, heran, es liegt die werte Christenheit in Zügen!“ Aloysia aber, etwas ungleichen Schrittes, da ein Schuh beschuht, der andere bloß, tritt schnell an den Armstuhl, wo der todwunde Held und die Christenheit in den Zügen liegt. Der Mann, der eben zu Ader gelassen hat, spricht: „Ist Sie die Aloysia von St. Ursula, hat Sie die Mitteln?“ „Die bin ich woll und die Mittel habe.“ Sie nimmt ihre Schätze rasch aus der Schürze, stelt alles auf den Tisch, der zwischen dem Lehnstuhl und einem Himmelbett steht und mit einer Erdkugel, mit Zirkel, Betbuch und Kruzifix beladen ist. „Weiß Sie die Anzeichen?“ spricht der Herr, in schwarz gewandet. „Jungfrau, Brust und Hände und sein Haupt sind kalt wie Eis, und er hat kaumb Atem mehr. Jungfrau, Jungfrau!“ Es ist wie ein Todesschrei eines Verschütteten aus tiefem Schacht. „Stirbt Starhemberg, so stirbt Europa. Jungfrau, alles liegt in deiner Hand, und deine Ehrwürdige Mutter, die ich gut kenne, ich bin Paul Sorbait, ein Niederländer, rühmte uns, du habest eine wunderbare Diagnosis, über einen Arzt, und in deiner Hand würde jede Arznei ein wirkliches Heilmittel. Wir Ärzte stehen auf dich an. Ich kaiserlicher Arzt weiß nicht mehr zu helfen. Diagnostiziere, greif zu, hilf!“

Da sprach das Mädel mit heller Stimme: „Ist der mordianisch Pfeil aus dem Armb scho völlö heraußt, sambt dem Spitz?“

Der kaiserliche Arzt Sorbait, wie er sich nannte, nimmt vom Tische einen gläsernen Teller mit einem in zwei Stück zerbrochenen Pfeil, weist die zwei Teile der Jungfrau vor. „Dieser Pfeil ist aus der Wunde gezogen, Graf Guido zog ihn aus, den Spitz mit Mordshaken.“ „Widerhaken“, spricht Guido, „wir zogen den Pfeil auf der Bastei heraus.“ Und Aloysia mit ihren Augen, die klug und scharf, wie die eines kleinen, feinen Raubvogels im Kobernauser Wald sind, beschaut die Pfeiltrümmer, die das grünschillernde Gift der Heiden und Tropfen rotes Blut des Christenkriegers zeigten, schüttelte den Kopf, spricht kein Wort; und den Arzt gleichsam mit den Augen um Urlaub bittend, sucht sie, mit den Fingern ringsum die schwärzlich verfärbte Wundstelle im Oberarm des Grafen leise abtastend, herum, so wie einer herumsucht, wenn ein Schiefer tief im Fleische steckt; denn so hat es Hans Silbereiß, ihr Vater, im Brauch, wenn er zum Ausziehen von Splittern, Dornen oder Stacheln geholt wird. So hat er ja auch im Handl des Bernhard! den Beinstachel gefunden. Und während die Jungfrau nach dem feinen, kleinen Tramm Holz, das ihr an der Pfeilspitze zu fehlen schien, sucht, ist das Zimmer todstill, obwohl darin wohl zwanzig Männer sind.

Leise spricht jetzt das Mädel zu sich selber: „I moan, da obnet bei da Kugel is öbbs Harts.“ Doch ihr schlägt das Herz ganz ungestüm, denn ihr ist, der Graf, der Graf atmet nicht mehr? — Und während der Hauptmann Guido, das Angesicht voll tödlicher Sorge, die wie Himmel und Erde auf ihm wuchtet, zwischen sie und den Doktor Sorbait tritt und die Worte gierig fast von ihren Lippen trinkt, spricht sie heimlich und sanft zum verwundeten Mann, der wie ein Gestorbener scheint: „Geljo gräfliche Gnaden, erlaubst ma, daß i Enk mit man Messerl a weng stich und ein kleines Wündl mach, daß das bös Tramm ausgeht, wills Gott grats ma wohl wie es man Vadan gratn, so Euern Herrn Vata die Gicht ausstrichen in Waxenberg, dem Schlosse.“ Und wie das Wort an sein Ohr klingt, die Jungfrau wußte es wohl, warum sie es nannte, denn die Heimat nennen, hat schon manches gebrochene Herz wieder zum Schlagen bracht — da bewegt der Totenbleiche die blauen Lippen, als wollte er sagen, und kann nicht: Waxenberg.

Und zwanzig Mannesleut im Zimmer des Kaisers Leopoldus wagen nicht zu atmen. — Und vor dem Walle geht Feuer auf und rollt der Donner hin. — Die Waxenbergerin langt in ihre Kleidertasche, wo sie ihr kleines bißlein Arbeitszeug hat, langt ein kleines Messerlein in Horn gefaßt hervor; da tritt der kaiserliche Doktor heran und will ihr eine Lanzette reichen, „und na“ schüttelt sie den Kopf, „mei Messerl ist schön rain“, und sie führt einen kräftigen Schnitt durch die nicht große, aber schaurig zackige Wunde. Und dann segnet sie sich groß über Angesicht und Brust, und alle Kriegsleute und alle Mönche segnen sich wie sie; und nachdem sie mit der Hand um die Wunde herum mit zartem, festem Griff getastet und geschoben, setzt sie ihren roten Mund an die giftige Wunde und beginnt zu saugen, denn so hat es der Vater gemacht, wenn ein Trümmel oder ein Dornstachel allzu tief im Fleisch war. Jetzt rasselt der Atem der Kriegsmänner, und die Rosenkränze der Mönche heben und klappern, und Sorbait, der große Arzt von Wien, spricht: „Leben umb Leben!“ Und mit all ihrer Kraft und jungen Gewalt saugt das Mädchen und fühlt das Trümmlein Giftpfeil sich rühren. — Abermals spricht sie sacht, wie ein Mütterlein zum Kinde, zum Grafen: „Bitt ga schön, Herr Graf, verstattet gnädiglich, also hat mein Vater Enkan Herrn Vater umb den Hals genomben in Waxenberg“, und horch, wie fern, fern aus einem Grabe jetzt hört man des Grafen Stimme: „Waxenberg“. Aloysia aber legt ihren jungen, holden Arm, in dem die Kraft des Landes und Volkes des Grafen ist, um seine zusammengebrochene Gestalt, fest um die rechte Schulter des Helden, und es ist, als umfasse ein Rosenbusch ein kaltes Felsgestein, ihm Leben einzuhauchen, und als sitze eine Taube auf dem Felsennest, da ein wilder Falke sich quält, und stocherte mit dem Schnäblein ihm des Jägers Eisen aus dem Herzen.

Es ist vielleicht 60 lang, als man langsam betete ein Vaterunser; doch den Kriegem und den Mönchen ist es, als schlage die Uhr, die eben brummend aushebt, hallo, media septima post meridies —, Ewigkeit. Da tut das Mädchen einen Ruck, läßt die Hand von der Schulter des Helden sinken, richtet sich groß auf, und aus ihrem Mund vorsichtig ein kleines Trümm-chen Holz, grün schillernd wie ein Splitterlein Glas, holend und es zwischen Daumen und Zeigefinger zeigend, spricht sie: „Dössel is gwen — dös Luadaszeug!“ und sie legt's in die Glasschale zum zerbrochenen Pfeil. Da ging ein gewaltiges Aufatmen und Raunen, wie der Sturm der Vorbote des Wetters, durch das Zimmer; er erhebt sich und ehebald stockt er wieder, denn was geschieht? Der Graf, der schon fast eiskalt, ohne Atem, wie tot war — ein wenig, wie um eine Wimpernbreite öffnet er die Augen, und man vernimmt nun, alle im Zimmer vernehmen es, wie er spricht, so, wie wohl Lazarus sprach: „Herr!“ als er so, von den Binden umschnürt, aus dem Grabe zutage kam, mit einem tiefen Aufatmen: „Wie ist mir geschehen? Ich war krank!“

„Jawohl, allergnädigster unser Herr“, rief freudig der kaiserliche Arzt, dem die Tränen in den fahlen Bart rollen, „und wir alle waren sterbenskrank mit Euch, aber nun, geliebter Herr, seid Ihr kuriert und wir alle mit Euch.“

„Ich war in Waxenberg auf der Wiese, die Luft kurierte mich“, sprach der Graf und hob etwas sein graues Haupt. Aloysia aber, die Knie beugend und ihn klug und lieblich anblickend, rief hell: „Halt ja! Die Luft va da Wiesen von Waxenberg macht den Herrn Grafen gsund.“ Und sie greift ohne weiteres nach dem Bürstlein, das der verzagte Arzt auf den Boden fallen gelassen hat, und bürstet kräftig und doch zart den braunlichten hageren Arm; und sieh, wo früher die Lanzette einstach und nur ein schwarzer Tropfen kam, schießt jetzt ein heller Strahl purpurfarbenes Heldenblut hervor, daß der Arzt nicht rasch genug das silberne Becken unterhalten kann. Als dies geschah und der Kranke, nun auf dem Sessel sich.ganz aufrichtend, mit leise verstohlenem Lachen sagte: „Ist heunt gut Aderlassen?“ — da brach das freudige Wetter los, da begann das ganze Gemach zu rufen, die Kriegsmänner, Offiziere, Unteroffiziere, sich um den Grafen und um seine Retterin drängend, schrien gewaltig: „Hoch und Heil Ernestus!“ Der Herzog von Württemberg und der Graf Guido von Starhemberg zogen ihre Schwerter aus und senkten sie vor der Jungfrau wie vor einer Königin oder Kaiserin, und riefen: „Heil der Jungfrau, sie hat des Grafen heiliges Leben errettet und Wien und die Christenheit!“

Die Jungfrau aber ist unterdes vom Lehnstuhl des Helden etwas zurückgetreten, denn der Doktor Sorbait ist da und verbindet die Aderlaßwunde. Und er befiehlt ihr, mit einem Schluck Wasser, das trüb genug, doch mit Wein verbessert ist, den Mund ins silberne Becken zu spülen, „daß dir das Gift nicht schade“.

Dies getan, spricht sie herzlich: „Da seind meine Mitteln“, und sie zeigt die Flasche auf dem Tisch, „daß Se. gräfliche Gnaden ihm in Herz anbindt, dar edle Herr schnell bei Kraft ist, so reibet dem gnädigen Herrn die Herzgrube emsig mit diesem Mittel“, sie reicht Sorbait das rote, aus dem Glasel leuchtende Ameis- und Arnikamittel. — „Und dadl is ein guet Weindl, zur Kräftigung, welches mein Vater aus Hetscherln distillieret, müssen die Hetscherl wohl drei Monat auf und nieder tanzen.“ Sorgsam zieht sie ein Flaschl heraus, das mit flüssigem Gold gefüllt erscheint. Ach, sie wollte etwas davon für die arme Georgina sparen, aber des Herrn Grafen heiliges Leben über alles!

Ein großer geistlicher Mann, ein Jesuiter, sie kennt ihn sogleich an dem schwarzlangen Gewand und Rosenkranz, tritt zum Grafen heran: „Euer hochgräfliche Gnaden, Sie waren nahe dem Paradies; aber wir alle wären in der Hölle der Türken kommen durch Eure Himmelfahrt. Stärkt Euch mit dem Trunk dieser braven Jungfrau!“

Der Graf, dem Rektor Sorbait, den Pack der Gottespfennige beiseite schiebend, das Herz mit dem Arnika gewaschen hat und dem jetzt Guido vom Johannisbeerwein in einem Becherchen reicht, spricht mit noch matter, aber wohl vernehmbarer Stimme: „Es wird wohl der Türke gemerkt haben, daß in der Stadt eine Sorge war, und wenn's mit dem Pfeil abgeredet war, so wußten sie's noch besser, und daß sie nicht schießen, ist dessem ein Zeichen, sie wollten stürmen, wenn ich tot war. General von Schärffenberg und Ihr, Kommandant Schuster, macht euch auf die Wasserkunsthastion und führt Bläser und Trommler hin, lasset tapfer blasen, trommeln und schreit ihnen durch das Sprechrohr, der Starhemberg laßt alle Janissaires, Tima-rioten schön grüßen sowie dero Adschi-badschi, Sakkabaschi und Wekkelichar-dschi, nicht minder den heiligen Koch* kessel, und es gehe ihm ausgezeichnet.*

Als Starhemberg, der in den schweren Tagen Wiens selten oder nie einen Witz machte, diesen Calembourg mit matter Stimme, aber schalkischem Lächeln zum besten gab, da dröhnte die Stube vom Gelächter der Helden, das so gewaltig scholl • wie der griechischen Götter asbestos gelos bei Homer.

Aus „Die Waxenbergerin“. Ein Roman aus dem Türkenjahr 1683. Verlag Herold, Wien 1950.

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