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Das essen der sommer der tod

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Die frau liegt da, äugen geschlossen, und schläft. Er liegt neben ihr und schaut sie an. Ihr anblick schreit ihm danach, gezeichnet zu werden, schnell, bevor die Stellung verändert, das leintuch verschoben ist, er angelt nach dem block, er, der maier.

Die schlafende frau, der schlafende körper, die schlafende lust— gleichzeitig malt er eine tote. Sie ist wie tot, sie sieht tot aus. Gezeichnet, ist sie wirklich tot, ihr schwarzes haar ein heiligenschein um ihren köpf. Sie liegt unter dem weißen leintuch, das ihren körper ganz bedeckt, glatt aufliegt auf beiden schultern.

Abweisend ist sie, woanders, streng, fremd. Sie lächelt nicht, sie hat nichts rührendes, sie liegt einfach da, schlafend tot. Jüdische nase, lider mit dunklen Wimpern, die augenbrauen dicke striche, krauses haar. Sie ist wie ein engel, aber man fürchtet sich doch.

Der tod ist ein hagerer gleichmütiger mann, sein blick geht in die ferne, seine haut ist fahl. Harte bartstoppeln, rötlich und grau. Die blauen äugen stehen eng beieinander. Die stimme ist dunkel und heiser, wie bewachsen von flechten, so alt, und leise, das haar kurz und unregelmäßig, mit nackten flecken auf dem beinfarbenen schädel.

Die großen hände greifen langsam. Er lehnt an der altdeutschen uhr, das goldene pendel mit dem gesicht der sonne schwingt langsam, hin und her, hin und her, gedankenverloren streicht er über die gedrechselten säulen mit diesen knotigen fingern. Manchmal, hebt er das windlicht vom boden, es flackert dann und zuckt die wand hoch, er stellt es wieder hin, die schatten wachsen.

Hier bin ich im kühlen, an einem ruhigen sommervormittag in meiner wohnung, wenig Verkehrslärm und taubengurren vom dach gegenüber, sehr blau der himmel. Im kühlen, wie die großmutter im kühlen sitzt in der wohnung nebenan, auch sie hat die tür offen, leichter zug, die uhr tickt, wie bei mir.

Blick hinaus auf den kaum benutzten gehsteig, zwischen dessen zerbrochenen fliesen Wegerich und hirtentäschel wachsen, der tisch mit seiner hell geriebenen holzplatte, die geraden sessel mit ihren bunten sitzpolstern, die weißen vorhänge und die topfe mit kräutern auf der fensterbank, sonne herein, vogelzwitschern.

Aber — dieser bretterboden, darunter lehm, kein keller. Dieses zimmer mit den naßkalten wänden. Erdfeuchte, schimmel, die wände hoch kriechend, jedes jähr ein stück weiter.

Und hier in der wohnung, hier raschelt und knistert es manchmal, laut fallen die bilder von den wänden neben mir. Ich höre ein wispern im nebenraum, ich renne hin, mit rasendem herzklopfen bis zur kehle herauf, ich stehe da, es ist nichts, mein keuchen laut im zimmer. Nachts, vorm einschlafen, höre ich sie lachen, kichern, sie treiben ihren spaß mit mir. „Wer ist da?" rufe ich - Stille.

Manchmal machen sie großes geschrei, ziehen flirrende fäden durch die luft, da meint man zwischen telegraf endrähte geraten zu sein! Mit den händen schlage ich um mich. Mit einem mal aber, wenn sie es wollen, ist die Spannung weg, das zimmer voll dumpfer, träger gleichgültigkeit. Sie sind ja überall, die toten, die wohnung ist voll von ihnen.

Ernst, streng, freudlos die be-wegungen, knapp, sparsam. Essenrichten. Immer etwas auf dem herd, der anrichte, dem tisch, eßbares. Essen und essensreste beseitigen und neues essen zubereiten, nach dem essen dieser satte Überdruß, dieser ekel. Daß manüberhaupt essen will! essen muß!

„Eßt! So eßt doch!"

„Es sind pariserschnitzel da. Und vergeßt das erdbeerkompott nicht! Schlag ist im kühlschrank! In der speis der salat!" Der mund-geruch nach dem fleischessen. Der ganze mund, der bauch voll verwesendem fleisch. Kopf voll wein, fett auf der zunge, kaffee, der sich einnistet in allen ritzen und höhlen, allen poren des mundinnenraums.

Der vater. das einzige, was er hat, was er vom leben hat, ist essen. Uber essen reden. Uber essen, das er gegessen hat, essen, das er heute mittag, heute abend, morgen, am sonntag zubereiten wird. Rezepte, zubereitungsarten von eßbarem. Sehr viel ist eßbar, fast alles ist eßbar. Er ißt allein in der küche. Teller und besteck und glas. „Magst wein oder lieber most?" Große schüssel salat, salat mit kernöl.

Nachdem die erdäpfel geschält, die schalen zum kompost, zum verrotten weggetan sind, zu ihm an den tisch setzen. „So nimm doch auch ein glas!" Hol ich die zweiliterflasche aus der speis, gieß den neuburger in eins der vom geschirrspüler lang schon zerkratzten, weißlichen, dickwandigen duralex-gläser, setz mich ihm gegenüber, schau ins glas, auf die tischplatte, nicht ihm zu beim essen. Steh inzwischen auf, mach mir zu schaffen in der küche, in dieser küche, in der immer etwas zu schaffen ist.

Küchenarbeit für töchter. Blitzschnell, flink, fleißig, älteste töchter, tochter meines vaters.

Mama ist so leicht ablenkbar, wie ein kind, mama beherrscht das nicht, küchenarbeit. Mama schaltet die kochplatte auf drei und geht hinaus, wäscheaufhängen oder telefonieren. Mama redet so gern, redet auf mich ein, sitzt auf der rosa marmorfenster-bank und will sich unterhalten mit mir, während die einbrenn schwarz wird, das rhabarberkom-pott überkocht, die erdäpfel zerfallen.

„Du sollst nicht so viel tun bei uns, du bist ja nur zu besuch!" Ich winke ab. Ich will alles machen, ich will die große sein, die wortkarge, die älteste, die mit dem überblick, besser als mama.

Ich hab es im griff, ich mach die arbeit, wo sie anfällt, sofort, schweigsam, schnell, lautlos. Ich, die älteste. Nächste in der genera-tionenfolge. — Wie erschöpft das macht. - '

Der vater mit dem geschirrtuch auf dem schoß, hühnerknochen, hasenknochen abnagend, gräten an den tellerrand schiebend, der vater mit dem grünfettigen mund, leicht schnalzend, fleischreste aus den zahnen saugend. Ich steh auf, ich beginn abzuräumen.

Mama sitzt mit einer meiner Schwestern beim fernsehen, als sie ein seufzen hören draußen in der küche. Sie sehen einander an. Beide haben es deutlich gehört, ein seufzen, bestimmt ein seufzen,

Die nächste der fünf Preisträger-Geschichten des Wettbewerbes für „Christliche Literatur", von der FURCHE gemeinsam mit dem Verlag Styria veranstaltet, stammt von einer steirischen Autorin.und noch einmal, es ist ein ächzen fast. Mama steht auf und geht in die küche hinaus, nichts. Oben im ersten stock fällt langsam eine tür ins schloß. Der hund bellt wie verrückt.

Eine schüssel, ein häfen, ein kü-bel voll glitschiger fischleiber, paar grashalme darunter, der vater stolz mit seiner beute. Kiemen schnappen noch, unbeweglich die hervorquellenden äugen, weinro-

Zeichnung von Erwin Bracher te punkte auf dem silber, kalte fische, steif, mit langsam sich heftig und ruckartig durchbiegenden rücken, schlangenkörperartig.

Fische, den anblick gewohnt von klein auf, fische in einem kü-bel in der küche. Chromstahlbek-ken und das blut der fische. Der vater mit dem fischermesser, der wuchtige holzgriff, der auf den köpf schlägt, schnell, fest, das messer ein hammer. Dann der köpf weggeschnitten, gequetschter f ischkopf auf dem brett, knak-kendes geräusch, kiemen, die nach außen springen, es geht ganz leicht.

Fische ausnehmen. Leichter schnitt vom after die silbrige brüst rauf bis zum köpf, mit den fingern die innereien lösen vom rosigen inneren, das ordentlich aussieht mit seinen durchscheinenden grätenreihen.

Der bauch wird gefüllt mit frischen kräutern, büschein von dill oder rosmarin, thymian oder sal-bei, ein wenig butterflocken darauf, dann in folie gewickelt ins rohr. Oder leicht in mehl gewendet, knusprig braun gebraten in heißem fett, die Schwanzflossen krustig, knirschend, gustostük-kerl. Oder paniert. Oder nur leicht in butter gebraten, petersilerdäp-fel dazu.

Die gebückte gestalt des vaters in der küche, sein graues haar, die brille mit dem krankenkassage-stell, der blick auf mich gerichtet plötzlich, die äugen traurig weit aufgerissen. Die westen und pull-over, alte-männer-westen in grau oder rostrot, verhaßtes rostrot, oder schwarzweiß meliert. Der vater vom neonlicht bestrahlt, dottergelbe kacheln vor sich, fische ausnehmend, fisch-blasen auf der abläge des chrom-stahlbeckens liegen lassend.

Als kinder haben wir sie zertreten, zerdrückt, die platzen mit einem leisen knall und lassen einen schleimigen fleck zurück. Rotes, fädiges blut im becken, darüber die neonröhre, cremeweißes reso-pal, kachelgelbe funderplatten, mama graust es vor den fischen. „Nie wascht er das becken aus!" Es bleiben schuppen oder f ischre-ste, verstopfen den ausguß, stinken.

Zeichensprache. Der vater steht auf vom fernsehen, kommt in die küche, besorgt „hast du schon was gessgn? du mußt was essen!" und richtet mir was. Wenn ich abends heimkomme, viel zu spät, mit schlechtem gewissen, brät er mir eine forelle, ein kotelett, hat immer etwas aufgehoben für mich von seinem abendessen.

Der salat schwimmt in öl, vollgesogen und lasch. Ich muß mich setzen, vor den fernseher, muß essen, er hat mir besteck und teller und glas auf den tisch gestellt. Essenrichten füreinander, spräche zwischen uns, spräche, die keiner sonst versteht, die der rest der fa-milie zu verstehen sich weigert.

Die großmutter hat immer pe-tersilie eingefrischt auf ihrer fensterbank. Oder es stehen gedünstete äpfel da zum auskühlen, oder rahm zum Sauerwerden. „Was kochst du heut? brauchst was?" Sie geht zum kühlschrank, nimmt bratfett, nimmt schmalz heraus, geht ins zimmer, bringt zucker, bringt eier.

Sie steckt mir Schokolade zu, lacht verschämt, sie steckt mir immer etwas zu, geld oder eßbares, sie lacht, verschränkt die arme, schaut mich an, strahlend, streift meinen arm, streicht mir schnell übers haar.

In der früh, um sechs oder sieben, geht sie auf den friedhof. „Bissel herrichten, blumengie-ßen, tagsüber ists zu heiß, verdunst ja alles gleich!" Und nach dem besuch beim grab des groß-vaters geht sie zum fleischhauer. „Heut mach ich eine blutwurst, mit gröst'te erdäpfel und salat! Das ist was feines!"

Kurz nach dem tod des großva-ters hört sie ihn in der küche. Ein rumoren, als schlurf te jemand mit filzpantoffeln durch die wohnung Und machte sich an der kredenz zu schaffen. Die großmutter ruft „gerti, bist du's?", aber die tante ist auch aufgewacht von den ge-räuschen und liegt in ihrem bett und horcht. „Ich weiß es" sagt die großmutter, „er war's. Er war wieder in der küche, er hat mir was sagen wollen."

Die Üppigkeit der pflanzen in den vasen, in den marmeladeglä-sern auf dem fensterbrett, dicke sträuße Vergißmeinnicht, oder violetter flieder oder rosa Pfingstrosen. Ableger der grünlilie mit weißen wurmwurzeln, an manche gläser legt sich schnell eine dichte, grelle algenschicht.

Unterm arm frisches brot, flachen zweikilolaib oder stange sandwich oder gestaubten wek-ken, im weißen hutpapier, der duft! Oder der korb, in dem gemü-se und obst und fleisch und milch heimgeschleppt werden, der grobe, schwere korb.

Im sommer das anfüllen der hohen, dunklen altstadtwohnung mit dem lebendigen von draußen. Obstkuchen backen, ein blech voll, puderzucker darüber, in Vierecke oder rauten schneiden, auf große platten häufen.

Mit zunehmender hitze wird das essen schnell verdorben in der wohnung, nichts darf stehenbleiben. Kaum hat man den pudding, das kompott übersehen, es nicht in den kühlschrank getan rechtzeitig, ist es schon bewachsen von langen weißgrünen härchen, von zartem hellen flaum, einem pelzchen am rand, oder kleinen punkten auf der gerunzelten Oberfläche.

Man zieht die balken vors fen-ster und spreizt die innenteile ab. Das licht wirkt südlich, kühlschattig, mit blick auf die roßka-stanienbäume auf dem kirchen-riegel, auf die grauen steine der kirchenmauer, streifen blitzender sonne. Laut klingen die kirchen-glocken mittags, oder nachmittags, wenn geläutet wird zu einem begräbnis.

Im hof stehen noch die alten breiten sessel mit ihrem eisenge-stell. Das brunnenhäuschen, schon windschief, wird mit grauem plastikdraht zusammengehalten, das abflußgitter unter dem rohr ist feucht. Die lehrmädchen aus dem geschäft im parterre leeren hier ihre kübel mit aufwasch-wasser herein, durch das zerfressene, dunkel rostigrote gitter.

Rundum steht saftig hohes gras. Das brunnenbecken aus stein, moosüberwachsen, dient als sok-kel für den müden asparagus mit seinen wenigen schleierartigen stauden, es steht unter dem gußeisernen Wasserhahn, aus dem nun kein tropfen mehr kommt.

Die katzen schleichen auf dem niedrigen dach der Waschküche umher und schauen in die kaffee-tassen, sie warten, daß etwas für sie abfällt und steigen über die stacheligen kastanienschalen vom vorigen herbst.

Der hof ist bewachsen von dickem, langstieligem löwenzahn. Weiter hinten, bei der werkstätte für landmaschinen, die lang schon keinen betrieb mehr hat, die fen-ster verhängt und voller Spinnweben, kleben plakate, vergilbt und zerrissen, und werben für firmen, die nicht mehr existieren.

Die schwalben schreien hoch oben in der luft. Hinten, wo die feuermauer ist, kann man das Storchennest sehen. Die dachrin-nen sind teilweise zerborsten. Unter die größten löcher und risse sind hölzerne tonnen gestellt fürs regenwasser, zum blumengießen. An den rändern des daches wächst gras.

Die blätter der mit zunehmenr dem alter immer lichter werdenden edelkastanie werfen gesprenkelten schatten auf das splittrige holz des tisches, hinten an der mauer wachsen maiglöckchen. Die akeleien werden von jähr zu jähr schöner. Die Schwertlilien werden noch eine zeit brauchen, bis sie ordentlich angewachsen sind, üppig das haus entlang wandern, ab und zu ihre knollig harten wurzeln aus der erde reckend.

Wenn man das große tor des hinterhofs aufsperrt, kommt man

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