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Die Insel Von Low ScHifer1

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Am Steig ober dem Hohlweg raschelt es. Dicht neben deinem Schuh liegt eine Eidechse, eine große, gleichmütige, liegt mitten in noch welkem, schon grünem Gras, ein übles, verlorenes Aststückchen, so häßlich verrenkt es Füße und Leib, so wulstig verdreht es den lauernden Kopf. Mit einem sanften Stämmlein tappst du hin, jäh flüchtet es, hat es sein Wesen wiedergewonnen, Anmut und Behendigkeit. Abermals raschelt es. Edelsteingrün funkelt, glitzert durch die bleichen Halme das Männdien. Und es raschelt bald wieder. Diesmal aber kannst du die Urheber nicht gleich finden und du mußt erst aufmerksam schauen. Nun hast du sie: eines, zwei, drei, ein viertes, ein fünftes. Erst eine halbe Spanne lang, noch stäbchendünn, flinke, lebeselige Eidechsenkinder, die ihn auch schon lieben, den warmen, sonnenfröhlichen Tag. I

Du gehst den Weinbergen entgegen und drüberher grüßt 'dich ein junger Pfirsichbaum. Seine zarte Krone trägt er voll milder, wundersamer Flammen, zierliche leuchtende Rosensträuße ohne Herkunft und Ubergang. Du siehst keine Blätter, nur Blüten, kein Hainichen Rasen grünt darunter, die Rebstöcke hocken noch verhuzelt und rissig, braun, ihr scheuer, grüner Anflug ist noch zu klein und blaß. Unzählige graue Pfähle stehen wetterdürr und tot, die gelbe Erde liegt noch nackt. So ist's, als blühten, als wüchsen die wunderbaren, lichtroten Pfirsichsträuße unvermittelt aus blankem Holz und winterkeuscher Erde. Du könntest stundenlang gehen und fändest nichts als rufende Flammenbüsche und darunter braune Rebstöcke und endlose Reihen grauer Spieße, nach Maß und Zahl gesetzt. Jede Spanne Grund hat hier der Mensch sich unterworfen.

Als du soeben diesen Gedanken faßtest, stieg es hinter gelb, braun und rosenrot tiefschwarzblau auf, eine Wand aus hohen, dichten, gertenschmalen Ästen. Steil fällt es darunter hinab, steil und wirr nach drei Seiten. In den vierten Rand der Senke münden letzte, sanfte Wellen neuer, ziehender Weinhügel. Deutlich kann man 's noch sehen: in den rechten Abhang hat einmal Jenland drei große Stufen geschlagen, Gstetten. Kleine Weingärten sollten es werden. Aber Steile und Schattenlage haben diesen Streifen Ursprung davor bewahrt, sterbend einzugehen in den Bann der Nutzbarkeit. Wo die Rebstöcke stehen sollten, ragen hohe, schlanke, dolchend-dörnende“ Akazien mit braunschwarzen, kraftvoll wuchernden Rinden, die Zweige über und über voll schwarzer, innen perlmutterglänzender, leise klappernder Schoten. Hoch hinaus greifen die schönen, speerschlanken, hoch kahlen Stämme. Dazwischen wallen mächtige weiche Polster aus der Tiefe, üppige, schimmernde Hollerstauden. Bald wird sie blühender, weißer Schaum zieren und krönen und im reichen Herbst werden schwarze Beerenscheiben sich schwer und leuchtend neigen.

Diese Senke — „Irre“ nennt sie der Weinb auer — ist bewahrt geblieben vor Maß und Schweiß, Schere und Haue, Grabscheit und Pflug. Insel ist sie, Insel der Erstgeburt, erfüllt von einer kleinen, wunderbaren Wildnis. Hieher haben sie sich zurückgezogen alle die, die hausen und blühen wollen nach eigenem Gesetz. Drüben stehen im blanken, wehrbaren Akaziendunkel fünf junge, lichte Birken. Birken mitten im Weingarten. Heller, mädchenhafter Schein

die weißen Stämme, milder, grüner Flitter , die Blätter. Rundum blaulachende, herzfrische Veilchen, an besonnten Grassäumen winzige weiße Erdbeerrosen. Wie ein in die Länge gezogenes Träublein reckt es sich daneben auf, neigt es sich tiefsattblau nach allen Seiten. Und jeder einzelne der aufgereihten Hyazinthenbecher quillt über vor honigdunklem Duft. Sogar eines der Gepflegten, der in sorgsame Hut Genommenen hat hieher gefunden, sich zurückgeflüchtet.

Unten im linken Hang steht ein hoher, von Schnee und Kälte gelbbraungrau gebleichter Knoblauchstengel. Die enggesteckten Samenzähne leuchten aus der Nähe wie poliertes, schönes Horn. Im Spätsommer sah ich ihn

schon, da schwebte die einsame Frucht wie ein dunkelblutiges, magisches Mal über vertrauten Gräsern.

Den Lerchen gehören die Äcker. Doch schallt ihr Gesang auch aus der „Irre“. Indessen: hier verbindet, untermalt er bloß. „Krökööököh!“ schreit es hohl, aber alles andere verlöschend vor spielerisch überlegener Stärke. Draußen auf dem anrainen-den Feld schreitet selbstherrlich ein goldfunkelnder König. Über das ganze, drei

Wegstunden breite Tal hinüber müßtest du gehen, zu den Waldbergen, bis du wieder auf Fasane träfest. „Zirp, zirp“, tönt es, als schlüge jemand heftig aber kurz auf ein dünnes erzenes Plättchen. Lautlos hebt sich

ein weißgrauer Schwinger aus dem Geäst, segelt hin, wendet, überkreist die Insel, zieht weit hinaus, kehrt zurück und am ■ linken Ausgang drüben, auf einem wilden, grünweißen Kirschbaum läßt er sich. Im wilden Holler melden Wildtauben. „Gruh — gruh — gruuh!“ Dein Schritt stöbert drei Hasen auf. Sie möchten sich schier erstoßen vor Geäst und Steile, so unvermutet kamst du ihnen. Dunkler Gleichmut beschwört drinnen weiter: „Gruh — gruuuh — gruuuuuh!“ Der Lerchengesang trilliert immerfort, da schreit vom rechten Abhang her ein Kuckuck und dein Ohr hört nur mehr ihn. Menschlich grüßend schallt sein Ruf, Laut der Kindheit, Urlaut der Musik. Ein Rotschwänzchen schlägt edel auf, zwei Elstern steigen aus den Kronen. Scharf zeichnen sich ihre funkelnden schwarzweißen Leiber in das sonnblaue Geleucht.

Die Insel wird noch viele Geheimnisse haben und du siehst, hörst, weißt sie nicht. Du bist ihr tief dankbar. Du befindest dich hier nicht im Überall, nicht im Umgeformten, Abgeschwächten. Du stehst an einem Anfang.

Du willst jetzt gehen, da wird dein Blick angezogen, festgehalten von einem unwahrscheinlichen Bild. Von dem ersten Weingarten her, der aus der „Irre“ emporzieht, bannen dich drei Farben mit fast beschwörender Fremdheit Eine Weingartenhütte, grau, regenverwaschen, mauerlos, strohgedeckt! Ihr Eingang ist ein dunkler, oben spitzer, unten hüftbreiter Spalt. Ein Kirschbaum, über und über blühend, strahlend weiß! Und gelbe, gelbe Erde! Mit Gewalt mußt du den Gedanken zusammenhalten, daß dies ein Bild an der Pulkau ist und nicht eines am Jangtsekiang. Denn es würde dich nicht überraschen, käme etwa von der Seite her ein Bauer, ein hageres Rind vor dem gelben, hölzernen Pflug, das Rind unter einem hölzernen Joch, und hätte der Bauer ein gelbes, knochiges Gesicht, schmal geschlitzte, dunkle Augen, gelbe Hände, und trüge er ein gelbes, kunstloses Gewand und einen gelben Hut, einen Hut wie eine umgedrehte, flache Schüssel. Grau, weiß, gelb, das ist die stille, zarte, landweite Trikolore aller blühenden Lößberge, an der Pulkau und im Donauland sowie in China.

Du lenkst heimzu. Da flattert's vor dir auf, graubraun, groß schwer, mit purren-den, windmachenden Schlägen — die Fasanhenne. Zwei Schritte vor dir saß sie in der Furche. , Geräuschvoll steuert sie zu den *Akazien. So faßt dein Blick nochmals das kleine, weltferne Geheimnis, das Singen, Rufen, Schweigen, Blühen und Wehen der Insel. Und rundum die gelbe, die grüne Unendlichkeit der Weingärten, Ackersaaten und all die weißen Kirschkronen und lichtroten Pfirsichsträuße von einem Himmelsrand zum anderen.

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