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Begegnung mit Gertrud von Le Fort

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Grausam war dieser Winter: aschgrau, streng und gefährlich. Man konnte selten ruhig schlafen mit diesem Gedröhn der Lawinen im Ohr. Das altersbraune Holzhaus, in dem ich wohne, liegt eintausendzweihundert Meter hoch auf einem Steilhang. Zuweilen versank man bis über die Hüften in dem lockeren Neuschnee, und der Weg ins Dorf ist weit. Eisige Stürme fauchten ums Haus, und ich wartete sehnsüchtig darauf, zu Gertrud von Le Fort zu fahren — sie hatte mich schon vor längerer Zeit eingeladen. Endlich war's dann soweit. Es kamen sonnige Tage und der Zug brachte mich über die Grenze.

Grüne Wiesen flogen bei den Fenstern vorbei — wie tat dieses Grün den Augen wohl nach sieben Monaten Winter! Zuweilen zuckten rote Kirchtürme auf, Bäche wanden sich in zartblauen Schlingen durchs Gras. Später wellten sich Hügel, sie wurden immer höher, zerfetzter Schnee lag auf den Kuppen. Und nun: glänzendweiße Berge, breite Kronen; hingeschwungen in schöner Bewegtheit — das Allgäugebirge. Mir klopfte das Herz nicht weniger stark wie in den Kindertagen, da ich von erregenden Abenteuern träumte.

Oberstdorf; ein kleiner Bahnhof, aber ich sah wenig von dem Ort — in mir konzentrierte sich alles auf diese Begegnung mit der großen Dichterin. In einem Zimmer voll Blumen und seltenen Pflanzen wartete ich. Sonne flutete herein und in den Regalen die Bücher hatten alle Farben, durch die Fenster strömte heiter Brokatglanz der Berge. Ein dicker, grauweißer Kater streicht um die Blumentöpfe. Mit königlicher Grandezza läßt er es sich gefallen, daß man ihn streichelt. Nun aber lauscht er, denn die Stimme der Herrin ist zu hören: zart und klingend. Zuerst, wenn Gertrud von Le Fort einem entgegenkommt, sieht man ihre Augen. Rund, groß, durchdringend — ja, die Augen einer Dichterin. Frühlingsneil, klar, und dennoch verschleiert, geheimnisvoll. Ihr Lächeln blüht nicht langsam auf, es blitzt auf und erhellt wunderbar die großflächige Landschaft dieses Gesichts. Jung ist dieses Antlitz geblieben, seherisch-eindringlich ist dieser Blick. Kein Ehrgeiz flackert darin, nichts, das die Güter dieser Erde begehrt. Wie leicht gelingt es ihr doch, mich zum Sprechen zu bringen — sie fragt und fragt —, sie will wissen, wie die Schriftsteller in Österreich leben. Was könnte man darüber allzu Gutes berichten? Ich muß immer ihre große, freie Stirn ansehen, das schaumgraue Haar, das sich wie eine Meereswelle bauscht, die zarten Hände, die weibliches und männliches in sich vereinen. Wir trinken hellroten Tee und das Herz wird in ihrer Nähe so frei und leicht.

Der Himmel ist wolkenlos, glänzend, verklärt, schattenlos ruhen die Berge darin — während ich an der Seite der Dichterin gehen darf durch schimmernde Wiesen, an einem ungebärdigen Bach entlang. Gertrud von Le Fort spricht von der Barmherzigkeit. „Der Welt fehlt das mütterliche Erbarmen“, sagt sie. „Denn der Zerstörungswille dieser Welt zerschellt nur am Erbarmen und einzig an ihm. Aber was sind Frauentränen? Ein Mann müßte barmherzig sein, dann bewegt sich die Welt.“ Sie wendet mir ihr helles Gesicht zu. „Die wirkliche Welt ist doch jene, in der man alles Lebendige ungestraft zertreten kann, das holdeste Blütenbäumchen und das lieblichste Kind, sobald es einer grausam bösen Macht gefällt. Nicht das mütterliche Herz regiert — sondern der nackte Wille zu Gewalt und Macht. Da ist die ständige Bereitschaft zur Zerstörung —“

Wie froh bin ich, daß die Dichterin in dieser wunderbaren Landschaft lebt! Unberührte Einsamkeit; und doch hat die Landschaft etwas Helles und Sanftes. Ebene Wege führen bis zu den Bergen hin, die dann jäh und steil ansteigen. Bretter und winzige Brücken überqueren den schneegrellen Bach. Waldbäume stehen in einem Park, der unvermutet in goldweißgefleckte Hänge übergeht, Milde und Kraft paaren sich. Und bei allen Fenstern ihres Hauses drängen sie herein, die blütenweißen Berge; der meterhohe Christusdorn ist von ihrem Licht überfunkelt, es blenden die Rücken der vielen Bücher und das üppige '?-riin der Pflanzen ist voll Heiterkeit; und auch das dunkle Kreuz ist davon beglänzt; das alte Holz leuchtet.

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