6568891-1950_10_09.jpg
Digital In Arbeit

Wenn der Fölin kommt

Werbung
Werbung
Werbung

Ich schaue aus meinem Fenster. Es geht weit hinein in das Land, das noch so stark leuchtet, als wäre darin immer nur Winter gewesen. An den Obstbäumen will ich vorbeischauen, weil ich alle Baume auswendig weiß, schon von Kind auf. Ja, den Gartenzaun hat der Schnee niedergelegt, die alten mürben Latten sollen sich in seiner Stille ausschlafen! Lieber guter, alter Zaun, schlafe!

So redet der Schnee, ganz heimlich. Aber ich höre ihn, wie er sich mit jedem Ding verschwiegen bespricht! überall hat er ein lispelndes Wort keck und locker in'die Winde geblasen, er will die Erde noch lange für sich haben. Er sitzt auch am Baum und läßt sich vom Ast wie seine weiße Frucht schaukeln! Ja, so steht der Obstgarten vor mir; er ist ein seltener Vorhang, der das weite Land durchscheinen läßt. Hält er nicht ein Geheimnis versteckt?

Gestern ist nur der Wind durch den Obstgarten geschlichen, dann wagte er sich über den blitzblanken Hügel suchend und neugierig vor, von dort ist er dann jäh in den Graben gefallen. Ich höre ihn noch über den unerwarteten Sturz klagen! Er muß erst gegen Abend über alle Wälder und Wege, die bis zum fernen Gebirge hin einander ablösen oder begleiten, das eine Ende des Himmels erreicht haben! Eine so weite Fahrt hat der Wind schon viele Tage gemacht. Er ging immer im Spiel seiner eigenen Spur nach, als probiere er diesen Gang täglich. Der ist ihm auch gestern gelungen. Darum kehrt er nicht mehr aus dem Gebirge in unseren Bauerngarten zfurück.

Ich kann lauschen wie ich will: die alten Bäume sind leer, kein Hauch bewegt sie. Dafür ist ein neuer Klang vor dem Hause. Der geht wie eine Trommel und hält auch an. Der läuft ein Wettrennen durch die Münder der Traufen! Es ist ein wilder Gesang, der'den Tag so voller Musik macht, daß er fast zu klein wird als Kelter der Stimmen. An die Dachrinne ist ein Bart aus Eis angewachsen. Aus seinen Haarspitzen lockt die Sonne Perle um Perle, die langsam niedertropfen. Ich höre mitten durch den Gesang, den die Traufen ausspeien, das

Aufschlagen der einzelnen Tropfen, die aus dem Bart an der Dachrinne fallen, sie klingen jeder einzelne wie ein Stück Silber. In jedem fällt der Winter seinem eigenen Tod zu. Die Luft riecht schon nach Erde. In den Ästen werden die weißen Früchte reif und lösen sich daraus los. Das Licht steigt wie mit riesenhaften Schwingen auf die prallen Bäuche der Hügel. Ihr Leib schält sich aus dem weißen Fürtuch und glänzt schamhaft in alle Fenster. Uberall, wo ihr nicht die Schatten vorstehen, liegt mit einmal die Erde bloß, als wollte sie ruckweise aus dem Schnee herausschlüpfen!

Nur die Mulden halten den Winter noch zähe zurück, über sie muß der Föhn gehen, der kann die letzte Gefrier austreiben.

Wenn der Wind vom Gebirge nicht mehr in unseren Garten zurückkommt, weiß ich, daß der Föhn — oder wie die Kärntner ihn nennen, den „Jauk“ — nicht mehr weit ist! Der Vater meint wohl, es werde noch lang hergehen, bis die Erde wieder gut und warm wäre. Aber er hat unrecht. Dieweil er aus dem Haus tritt, den Pflug für die erste reife Stunde des Jahres zu richten, warte ich auf den Sprung des jungen und übermütigen Bruders, der jedem Frühjahr'der Berge dem Gras und der Knospe vorauseilt. Ja, er ist mein Bruder, der Jauk, jedes Jahr muß ich mit meinem Herzen auf ihn warten ...

Er wird mein offenes Fenster zuknallen, daß die Scherben davon abfallen, so derb springt er her und läßt sich nicht aufhalten. .

Ich kenne ihn schon. Ich schließe frühzeitig das Fenster. Es hat so weit offen gestanden, als sollte das Land ins Haus hereinschlürfen! Manchmal riecht die Luft schon süß wie ein Apfel, man meint, hinter den Bergen stünde ein Herbst, der heimlich einkehre bei einem. Aber ihm folgt auch schon die Kühle hart auf dem Fuße, die läßt wieder schwer an das Wundertätige glauben. Es ist plötzlich, als schlafe sich hinter den aperen Feldstreifen der Winter im Berg aus, von dem er seine langen, steifen Finger herabstreckt. Sein kalter Hauch verschreckt noch jeder frühen Blume das Aufblühen. Und der Vater hat vielleicht recht mit dem zögernden Wort: man kann noch keinen weiten Weg machen, und die durchscheinende Bläue ist nur eine Täuschung. Manchmal ist der Schnee in der Ferne zinnern gefärbt, man muß ihn schrecklich anschauen. Und der grüne Flaum, der die Wiesen beschläft, ist noch keine ganz wahre Kündung. Die alten Frauen sagen sogar, es treibe der Teufel damit nur einen furchtbaren Schalk; er rühre Herz und Gemüt durcheinander, da hätte er es dann leicht mit seinen finsteren Vorsätzen.

Ich zieh den Riegel des Fensters fester an mich, als zöge ich gegen allen Spruch und wider alles Mißtrauen das Frühjahr zu mir in die leuchtende Stube.

Draußen richtet der Vater alle Geräte, prüft sie und stellt den Pflug wie zur Gegenwehr hin, damit die letzte Härte, die die Erde noch hat, aufhöre. Aber kann er es leugnen: vor ihm berühren sich Winter und Frühling wie die Hände zweier Liebender. Die Zeit ist gekommen. Ich muß hinauslaufen, daß ich sie höre. Vom Gebirg kommt es gelblich und weiß her, Gewölk sinkt wie ein riesiger Vogelschwarm aus zittriger Höhe. Das Fenster klirrt leise; der Baum bebt in den Spitzen und man weiß, daß jetzt ein Geheimstes seine Wurzel durchströmt. Das steigt wie ein warmer Segen herauf und geht in die Luft über. Das Fenster klirrt immer vor den Winden, die wie feine Harfen anschlagen. Aber sie singen nun überall so. Aus allen Türen werden jetzt die Bauern hinaustreten, weil mit der Erde ein frohes Wunder geschieht. Und mancher vernimmt aus der Luft ein Schlagen wie von mächtigen Flügeln. Stoß um Stoß fällt der Wind trunken aus seinem Versteck. Viele Stimmen streiten um einen Vorrang.

Der heiße Atem, von dem der stürmende Tag lebt, jagt Schnee und Eis aus. Ein Brauttanz rauscht durch das Land, Wasser orgelt im Weg, die Wiesen trinken es schaumweiß wie Milch ein. Vom Gebirg stöhnt und johlt es ausgelassen herab. Dort ringt sich eine Geburt los, in der Fels und Schnee und Himmel sich wägen, als hielte Gott seine ewige Waage zwischenhin in die gewaltige Stunde. Er läßt das Herz voll werden im Rausch und Gesang, der vielmal kommt und geht und nirgends aufhören will. Manchmal ist es ein sanftes Hingleiten über die Erde, die sich darin immer zum Fest richtet, manchmal jauchzt es befreit auf wie nach entbundenem Schmerz, der alle

Gewalten entfesselt. Aber hinter jedem Windstoß geht eine köstliche Ahnung durchs Blut, die es mitten in das Werden hineinwiegt, und immer fällt es lauter und wärmer dem ausgelassenen Rufer entgegen. Der steht im ganzen Land vor Türen und Fenstern. Atemlos schreit er mit jungem, frischem Maul fort: Jauk ... Jauk ... Jauk ...

Er ruft immer seinen eigenen Namen.

In der Nacht scheucht ein großes Murren im Gebirge viel Schnee fort. Am Tag versteckt es manchmal seine hohle Stimme im Eisen des gleitenden Pfluges; wie es aber an die Schneide der Pflugschar gerät, stirbt es.

Der Bauer geht hinaus, sein Gewand weht an ihm wie die Flügel eines mächtigen Falters.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung