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Das aoldeneVolk

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Ach, ‘das war jene Zeit, da ich des Wanderns redlich müde geworden war. Von Hannes, meinem Kameraden, hatte ich mich getrennt, zwar ohne Streit, dennoch war es ein Bruch gewesen und das Alleinsein wurde mir schwer. Ringsum war Mai und eine schwere Pracht von neuem Grün und weißen Blüten. In mir aber war lustlose Müdigkeit, und derweil ich den Hügelkamm erstieg, wo ich unter den blühenden Kastanien rasten wollte, überdachte ich mein Leben und wie wenig ich bisher zu einem rechten Ende gebracht hätte und wie es wohl an der Zeit wäre, zu Ruhe, Ziel und Bescheidung zu kommen. Ach, ich war redlich müde und Rast und Schlaf unter den Kastanien oben mochten gut tun. Schritt für Schritt stieg ich den Pfad aufwärts.

Da lag im gedämpften Licht ein tiefes, grünes Tal vor mir. Der späte Schein des blauschattigen Wolkenhimmels lag auf den Hängen. Häuschen standen verstreut auf dem grünen Grund des Tales. Über ihren im Grün der Bäume ertrunkenen Dächern stiegen helle Wiesen den Berg hinauf. Zarte goldene Birkenbäumchen standen an den Rainen; zwischen dem dunklen Wacholder lagen oder grasten die behäbigen schwarzbunten Kühe. Es mochte bald Abend werden.

Ich stieg einen braunen Hügelhang hinab. Viele Blumen standen an meinem Weg, Blumen mit blassen Gesichtern und großen Augen und solche, auf die schon Schatten fielen, daß ihre rosigen dünnen Blättchen gleich nackten, fleischlosen Ärmchen schimmerten. Der Weg kletterte zwischen großen Steinen abwärts. Ein Bach rauschte in der Tiefe. Schöne Gärten nahmen den Steig in ihre Büsche hinein.

Wie dunkel dieser späte Nachmittag geworden war!

Ich ging den schmalen Weg entlang der Gärten, die überquollen von den Fliederblüten. Mein Kopf war schwer, vielleicht vom schwülen Duft, der aus den vollen Hecken kam. Der stand wie süßer, drückender Rauch über den Gärten. Die Luft war warm. Qualmende Wolken hingen tief in das westliche Tal herein.

Vielleicht kommt nachts ein Regen, dachte ich, ein langer, warmer Sommerregen.

Heiß und faulig hing der Geruch des alten Flieders in den Zweigen. Die Hecken an den Zäunen wucherten dicht und hoch und nur die Bäume legen über die grüne Wildnis hinaus und rundeten.ihr Laub in die unbewegte Luft. Ich sah durch die Lücken der Blätter in verborgene Gärten, darinnen schon der Abend hing. Über hohem Gras und regungslos glühenden Blumenbeeten höben sich die Schatten der Stämme. Bunt, still und heimlich waren diese Gärten. Leere, weiße Bänke an den gepflegten Wegen, dahinter schimmerte manchmal die Wand eines kleinen Hauses.

In einem der Gärten ging eine junge Frau mit nackten Füßen über die Beete. Die Erde unter ihren Füßen war schwer und schwarz. Wie seltsam schön war das Gesicht der Frau: ein goldner Schimmer lag auf ihrer Haut, sie hatte goldene Augen unter der Krone ihres Haares. Ihre Bewegungen waren sacht. Sie beugte sich hinab und sammelte Erdbeeren in ihren Korb. Sonderbar, daß es hier schon Erdbeeren gab! Der Saum ihres Kleides reifte die Blätterbüschel auf dem Boden. Das Kleid leuchtete weiß im Grün.

Ich stieg von meinem Steig auf die Dorfstraße hinauf. Ich war sehr müde und hier wollte ich bleiben.

So saß ich denn in der Schenke des Dorfes an dem langen, roh gezimmerten Tisch. Es war ill im Raum. Die Balken an der Decke waren an manchen Stellen ganz schwarz, als wären sie verkohlt. In braunen Rahmen hingen alte Sprüche an den Wänden. Die Bänke waren blank, die Lehnen glatt gescheuert. Zu meinen Füßen saß eine große Katze auf dem Sandboden und sah mich unverwandt an. Hinter dem Schenktisch stand der Wirt. Er sprach nicht, hatte nur auf meinen Gruß genickt und mir schweigend das Bier gebracht. Jetzt lehnte er wieder im Fenster, sah auf die Straße hinaus. Die lag weiß im Abendlicht da. Ich war der einzige Gast.

Draußen ging ein Regenschauer nieder. In der Stube wurde es fa finster. Einmal fuhr auf der Straße ein Wagen vorbei, das klirrende Tönen der Räder und des Geschirrs klang wie melancholisches Geläut. Starke, braune Pferde, triefend vom Regenguß, zogen den Wagen, auf dem ein Junge in rotem Wams hockte, das Kinn in die Hand gestützt.

Dann war wieder Stille. Auch der Regen ließ nach.

Ein zahmes Eichhörnchen lief durch die Stube. Raschelnd huschte es an den nußholzenen Wandleisten entlang, hüpfte an der leisen Katze vorüber, kletterte auf die Stühle und zwischen die Schalen auf den Tisch. Langsam kam es näher und näher und schaute mich mit großen Augen an. Ich wühlte in meinem Ranzen, streute dem schönen Tierchen einige Brocken hin. Doch wenn ich versuchte, behutsam die Hand auszustrecken, um es zu streicheln, hüpfte es scheu zurück.

Es dämmerte. Ich trank den Rest des schwarzen Bieres aus und packte langsam zusammen. Da wandte sich der Wirt ab und mir’ zu. Er war ein junger und hübscher Mensch, und ich mußte daran denken, wie wunderlich hier alle aussähen. Gleich Sonnenschein lag ein goldener Glanz auf der Haut der Hände, des Gesichts und auf den Haaren. Ich fragte den Mann, ob er hier jemanden wüßte, der Arbeit für einen Gärtnerburschen hätte. Er sah mich an und nickte. Und dann nannte er mir einen alten Gärtner am oberen Ende des Dorfes; er beschrieb mir den Weg.

Ich nahm mein Ränzel auf und dankte ihm. Meine Füße waren müde vom weiten Weg und jetzt auch beschwert von dem starken Bier. Ich trat durch die niedere Tür in den Abend hinaus.

Lässig schlenderte ich die Dorfstraße entlang. Oben auf den Waldkämmen der Hänge hing das letzte Tageslicht, schwefelgelbe Wolken standen am Himmel.

Mir war so seltsam schwül zu Mute, als stünde mir eine schwere Entscheidung bevor, vielleicht war es nur die regensatte Luft des dunkelfarbenen Abends. Seitwärts der Straße rauschte und gurgelte ein Bach durch die wuchernden Wände des Weiden- und Pappelgestrüpps. Ich ging mit träumenden Augen das Wasser entlang, und sah zu, wie kleine Stücke Holz vorüberschwammen, sich in den Wirbeln drehten und in den Uferwurzeln hängenblieben. Und mir war, als sähe ich weiße und goldene Gesichter aus dem Bachgrund schauen, mit sprudelnden Lippen lockend; streifende Hände winkten. Schmale Füße, wie die der beerensuchenden Frau im Garten, und weiße Rücken glitten durch das Wasser dahin. Und manchmal fiel eine Federflocke von den blühenden Sträuchern auf den Spiegel, saß gleich einem losen Falter auf der glänzenden Flut.

Menschen kamen die Straße herabgeschlendert, gingen ihren abendlichen Gang in die Schenke. Der goldene Glanz ihrer Haut schien nur der Widerschein ihrer ruhigen, wunschlosen Seele zu sein. Viele junge Mädchen, schlank und groß in ihren leichten Kleidern, gingen Arm in Arm unter den hohen Bäumen. Sie sprachen kaum und lachten nur leise. Es war ein ruhiger Abend und nur der Bach rauschte laut.

Am Himmel löschten die letzten Lichter aus, als ich den Garten und das Haus des Meisters fand. Sie lagen ganz oben, wo das Tal enger und dunkler wurde. Riesenhoch standen da die schwarzen Bäume, der Bach rauschte lauter. Ich kam an einem verfallenen, unbewohnten Mauerwerk vorbei, es mochte eine alte Mühle sein, denn das Wasser schoß brausend über ein geborstenes Wehr. Dann fand ich den Steig und sah das Häuschen zwischen den Obstbäumen. Auf der Bank davor saßen zwei alte Leutchen, der Gärtner und seine Frau.

Ich grüßte, brachte meine Bitte vor und wies mein Wanderbüchlein. Der Alte lächelte und sah mich lange an. Dann sagte er mit einer leisen, alten Stimme:

„Das brauch ich nicht. Es ist nur: will Er dann, wenn ich Ihn in Arbeit nehme, bei uns bleiben? Seh’ Er! Wir zwei sind alt und werden es bald nicht mehr schaffen; wohl hilft die Tochter, doch das reicht nicht aus. Und unser Tal ist schön; es blieb noch jeder hier, der einmal hereingekommen. Hier ist’s sehr still und ich wurde hier alt. Es lebt sich gut hier, und was wir hier beginnen, führen wir alles zu Ende. Seht, das muß ich wohl verlangen von Ihm, Er müßt hier bleiben und den Garten bewahren und nie verlassen, und Er wird sehen, es ist gut bleiben da.”

Der alte Gärtner mit den weißen Haaren hatte sein gutes, offenes Gesicht zu mir aufgehoben und sah midi an:

„Besdhlaf Er es und morgen sag’ Er mir seinen Entschluß!”

Sein altes Weibchen, das ihn während seiner Rede nikend angesehen hatte, schaute nun auch auf mich und lächelte. Drüben, in der dunklen Tür, erschien für kurze Zeit ein kindliches Mädchen im dämmrigen Licht und verschwand gleich wieder im Haus.

(Schluß folgt)

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