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Der Turm der Welt
Langsam stieg ich die Treppe aufwärts, bis Zur Stube. Sie war leer. Papiere lagen Zerstreut umher. Ich lachte und zerriß
Das letzte Buch, darin seit Jahr und Tagen Die Brände wohl beschrieben standen und Der Himmel Zeichen. Alles war zerschlagen,
Tisch, Stuhl und Kasten, selbst der Schlüsselbund Zerbrochen. Fromme Bilder, wie mit Krallen Zerfetzt. Das Sprachrohr schien noch heil. Ein Fund,
Ein hoher Auftrag, früher nicht zu fallen, Eh ich gemeldet hatte, was die Nacht Noch für uns barg: das Aneinanderprallen
Der Mächte und der Geister hohe Schlacht
Um unser Herz. Ich stand im steilen Bogen.
Der Turm der Welt schien nah gerückt. Die Pracht
Der leuchtenden Terrassen ausgewogen und festlich. Die Posaunen schwiegen. Kein Getös verriet die Schlacht. Die Fratzen flogen
Nicht mehr. Daneben aber war kein Schein. Nicht eine Lampe unter mir, kein Flecken, Der dunkler schien denn alles. Wie aus Stein
War nun die Nacht gefügt. Dies ohne Schrecken, Geschrei und Kampfgetös. Kein Widerhall Von Wagen, auch kein Knall. Nur mehr die Ecken
Des Wimpergs nahm ich aus und den Zerfall Der Kalkfiale, die ich griff. Ich dachte Nicht an den Tod, noch an den letzten Fall
In eine Tiefe, die kein Lot vollbrachte,
Weil sie so wenig war wie meine Stadt, Der Mond und all die Sterne. Ich erwachte
Zu mir, gestärkt wie nach getaner Tat.
Ob sie noch ängstlich in den Kellern saßen, Ob keiner mehr daheim war, ob kein Rad
Mehr lief, ob in den unsichtbaren Gassen Nur Leichen lagen, vom Lemurenhauch Verdorrt, nun konnte ich das Ende fassen.
Ich hatte es geschaut, gespürt und auch Erbettelt, ich, der hundertmal zerfetzte Zeitwanderer. Vergebt, die ihr den Brauch
Des süßen Lebens liebtl Der nur Gehetzte
Fand lang nicht aus der Wirrnis. Er ertrug Zuviel, und keine Lüge war die letzte.
Und doch, gestärkt war ich zu jedem Flug, Bereit und sicher, daß die Nacht sich löse Und ich mich auch im Absturz nicht erschlug.
Ich wußte Gott, den Herrn, selbst im Getöse Der Totenstille, und ich stand am Rohr, Geduldig, daß ein Anruf mich erlöse.
Auch schon das Rauschen schwoll so schön im Ohr. Doch jetzt von fern und nahe, noch in einem Erreichte mich ein gnadenvoller Chor.
Dem Vater Dank und Lobpreis, Dank auch seinem, Dem Menschensohn, der dritte Dank dem Geist. Ein Hymnus klang, ein neues Lied aus reinem,
Gelöstem Wort, das in den Sternen kreist
Und wächst und fällt, das sich in hohen Chören Erneut und herrlich an sich selbst beweist.
Ich sprang ans Fenster. Es blieb klar zu hören, Es sang der finstre Dom, es widersang Mein Turm, das böse Schweigen zu beschwören.
Aus jedem Stein, aus meinem Herzen drang
Das Wort, doch menschlich, schaubar ohne Lichter Und brüderlich wie im Zusammenklang
Der Zeiten. Unbegreifliche Gesichter
Darunter, aber schön und stark, wie aus Dem JubA neu geprägt, jedes ein Richter
Nun über mich, gehärtet an dem Graus
Der Welt. O, daß sie kämpften, auch als Schatten Gen Himmel stießen über mich hinaus
Und über jeden Blick, bis an die Platten
Der letzten, höchsten Himmelsburg, darin Die Dinge alle Gottes Antlitz hatten.
O, daß ich nicht dabei war, nicht dahin
Selbst als ein Schatten flog! Auch den blutvollen War ich nicht ein Mitstreiter. Auch ihr Sinn
Stand schon zu hoch für mich, für meine Rolle • Des Schauens. Meine Mutter rief ich und Die je die Liebe übten, sich der Scholle
Hingaben oder irgendeinem Bund
Des reinen Lebens, alle unzerstörten,
Die in der Glut mit Aug und Ohr und Mund
Noch einem hohen Dasein zugehörten. Ich aber war geflohn, ich stand allein Auf meinem Turm, wohl über den Betörten,
Doch über jenen auch, die in den Reihn
Der Engel fochten, mit Lemuren rangen
Und mit dem Teufel. Mir ward, den Anschein
Zu schildern, aufgetragen. Doch mich zwangsn Nicht Vorwurf und Verdruß. Ich war bestellt Zur Schau. Ein Wortknecht, einer, der die Wangen
Hinhielt, wenn sie ihn schlugen, nur kein Held, Der fallen durfte. Das war längst beschlossen Auch ohne mich. Mein war die ganze Welt.
Dies sah ich: Aus dem fernen,Turme schössen Nun Flammen, und auf Feuerkränzen stieg Das Ungeheuer in die Nacht, zerflossen
Erst, dann aus Nacht geformt. Die-Erde schwieg. Noch glich das Tier der Riesenblutmaschine, Bald aber, hochgereckt und prall vom Sieg,
Schien's ein Lemur, der sich zur höchsten Zinne • Geläutert hatte. Auf der Kugel saß Er steif und riesig, mit erhabner Miene.
Er brüllte. Seine Riesenstimme fraß
Die Stille, den Gesang. Gleich den Posaunen Der Schlacht erscholl sie, übervoll vom Haß
Der ganzen Welt. Wie Bellen von Kartaunen
Ein blinder Massenaufschrei. Schrecklich scholl Der Widerhall noch bis ins letzte Raunen.
Und wo er aufbrach, war die Erde voll
Befreiter Schatten. Von den Gipfeln brachen Sie, Nebeln gleich, aus allen Tälern quoll
Es auf, aus Höhlen, Auen, aus den Brachen,
Aus jedem Baum. Sie kreisen erst, doch schon Erglühten sie und wälzten sich in flachen,
Gewaltigen Bogen um den Höllenthron,
Umwanden seine Stirne wie mit Kränzen Und jaulten wie ein Urweltsaxophon.
Der grinsende Lemur griff nach den Schwänzen Und stieß die Fauchenden in seihen Schlund. Mit jedem Bissen schwoll er, bis den Tänzen
Ein Ende ward gesetzt. Er glühte rund .
Und feist. Dann brüllte er zum zweiten Male, Doch diesmal klang's, als riefe der Abgrund
Der Erde zum barbarischen Finale.
Und wieder rasten aufgezerrte. Schatten Aus Dächern und Kaminen, wie der fahle
Glutschein mich sehen ließ, als Überratten Aus Prunkpalästen, Hütten. Jeder Schlot Gebar ein Qualmtier. Die Spielhäuser hatten
Rußfahnen ausgesteckt. Sie wuchsen rot Und grell, sie blähten sich und flogen Zu ihrem Herrn und spritzten Blut und Kot
Die Dächer hin. In Myriaden zogen
Sie nun heran, aus jeder Stadt der Welt
Ein wilder Schwärm. Die schweren Wolken bogen
Sich unter dem Gepfauch, und dicht umstellt
War bald das Tier, als hingen Bienenklumpen An ihm. Und wieder w;e von Brunst erhellt
Schien es ein Purpurmäntel, der aus Lumpen Gewebt gar prächtig glühte. Das Untier Verschlang sie haufenweis. Von tausend Pumpen
Gespeist, wuchs es ins Firmament, die Gier Verschonte nur den Mantel. Dieser blähte Sich ungeengt. Zu Häupten das Gewirr
Ward jetzt zur Krone. Leiernde Gebete
Entstiegen jenen Haufen. Doch sein Arm Ward längst zur Sense, die in Wolken mähte.
Gestirne fielen, lächerlich und arm
An Glanz, doch eine Handvoll Sterne setzte Er in die Krone. Also saß er warm
Und vollgefressen, wahrlich als der letzte
Fürst dieser Welt. An ihm zerbrach das All. Die Luft zerfiel, wenn er die Kiefer wetzte,
Und wurde Gift, denn alles ward Zerfall, Was er anäugte. Nur die Kathedrale Stand unberührt. Der böse überhall
Vermischte sich dem heimlichen Chorale,
Solang er still saß, schrumpfte die Gestalt. Doch wieder brüllte er, zum dritten Male,
Und diesmal mit unsäglicher Gewalt.
Mich warf es hin, die hohe Stube bebte, Die Scheiben klirrten. Der uralte Wald
Des Dachstuhls ächzte. Als der Sturm verebbte, Stand ich sogleich und sicher, und ich sah, Wie sich ein Steinhund unter mir belebte.
Was ich erwartet hatte, es geschah:
Die Wasserspeier lösten sich und krochen Die Wand hinab, das Dach hinan, und da
Lag einer auf den Vieren wie zerbrochen,
Und einer jaulte. Quietschen und Gebrüll, Als hätten sie ein fettes Schwein gestochen.
Die andern fauchten. Ringsum ward es still.
Sie glühten wie von innen, spieen Flammen Aus ihren Schnauzen. Doch ihr Feuer fiel
Ins Leere, auch als sie sich jetzt mitsammen Hinwarfen und aufkreisend meinen Turm Wie eine Klippe mit Gejaul umschwammen.
Sie heulten tödlich nah. Ihr Flammensturm
Blies das Gerumpel in die Luft. Es schwebte Seltsam. Aus dem Bettwinkel kroch ein Wurm
Mit Hörnern auf der Schnauze. Staub verklebte Ihm das Geschau. Mit Urgebrüll sprang er In den Nachtabgrund. Selbst das Dunkel bebte
Und spie um mich ein ganzes Höllenheer.
Gehörnte Hunde und verkrümmte Drachen, Fischkatzen, Fiederaffen, ein Schweinsbär
Mit Menschenohren. Aus dem überwachen, Gehetzten Sinn ward jede Fratze mir Enthüllt. In diesem Hexensabbath brachen
Die Sünden vieler Beter auf, das Tier Des Neids, der Lüge, alle Eifersüchte Der Prediger, ihr Machtrausch, das Geschwür
Der Heuchelei und die geheimen Flüchte Der Tempelhändler, blinde Eiferei, Verlorenes Maß und falsche Wortgewichte.
Die Sündenflut vom ersten Hahnenschrei
Bis zu der eignen Feigheit. Sie verzogen Sich nach dem Tier. Ich stand noch- von Gespei'
Bespritzt. Doch sie umkreisten nun im Bogen
Sein Haupt, gleich einem Heiligenschein. Die Zeit Schrie auf. Aus den Vergangenheiten zogen
Sie diesen Glanz, und ihre Trunkenheit
Besang das Tier mit brüllenden Chorälen, Als ihren Herrn in Zeit und Ewigkeit.
Und Massen sah ich aus dem Abgrund quellen Und den umtanzen, der da Masse war. Kaiser und Könige und Spießgesellen,
Feldherrn und Händler, eine Riesenschar
Von Weisen, Dichtern, giftige Tyrannen, Werkleute. Bettler. Alles sah ich klar
Und nah, wie sie den Affentanz begannen, Sich neigten, knieten, opferten, ihr Blut Verspritzten und sein Grinsen sich gewannen.
Ich kannte viele, sah die Meisterbrut
Voran, das Blindenvolk, die Kettenknechte, Die tauben Brenner und die dunkle Flut
Der ganz Gemeinen, die sich jedem Rechte Und jeder Pflicht entzogen, sah das Tier Sie haufenweis verschlingen. Das Geflechte
Zerriß nicht. Sie vermehrten sich. Wie Bier
Soff es ihr Blut. Ihm wuchsen hundert Hände, Und hundert Mäuler brachen auf. Die Gier
War nicht zu stillen, und ich sah kein Ende. Denn neue Heere schoben sich heran. Sie schrien: Sieg und brüllten die Legende
Vom Turm und boten sich zum Fräße an.
Die Wasserspeier kreisten, und die Sterne Durchglühten seinen Pelz. Sein Reich begann
Nun wirklich. Nirgendwo blieb eine Ferne, Die mich noch bergen konnte. Der Lemur Besaß die Welt und fraß sie bis zum Kerne.
Im Turme unter mir schlug jetzt die«Uhr,
Langsam und rührend. Ungezählte Schläge, Wie eine Glocke, die gen Himmel fuhr.
Am dem Buch .Der Turm der Welt', Ein Epos. Verlag Herold, Wien VTT!
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