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Ich

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Übertragung aus dem Ukrainischen von Dromyr

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Übertragung aus dem Ukrainischen von Dromyr

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2 Fortsetzung und Schluß

… Und gegen Abend war der südliche Teil vom Feinde genommen. Wir mußten nach Norden abrücken und die Stadt räumen. Obwohl den Aufständischen befohlen war, sich bis zum Abend zu halten. Und sie sind standhaft auf den Wällen, auf den Wegen zur Stellung, auf den Straßenkreuzungen und in den schweigsamen Winkeln an den Stadttoren gefallen.

…Und warum nicht?

…Es folgte eine überhastete Räumung, ein hartnäckiges Feuergefecht.

Und schließlich fiel ich vor Müdigkeit um.

… Aber plötztlich tauchte das Gesicht meiner Mutter auf und ich hörte von neuem ihre besorgte und traurige Stimme.

Ich streife das Haar zurück und mit weitgeöffneten Augen blicke ich auf den Stadtturm. Und wieder begann es zu dämmern und wieder brannten die Dörfer.

…Das schwarze Kommunetribunal bereitete sich zur Flucht vor. Schwerbeladene Wagen, Trosse wandern, die Massen strömen eilends nach Norden. Nur unser einsamer Panzerzug starb in der Stille des Waldes und hielt an der rechten Flanke die feindlichen Regimenter auf.

‘… Andruscha war irgendwohin verschwunden. Dr. Tahabat sitzt ruhig auf dem Kanapee und trinkt Wein. Schweigend befolgt er meine Befehle und blickt von Zeit zu Zeit ironisch lächelnd auf das Bild des Fürsten. Aber diesen Blick spüre ich gerade auf mir und er macht mich nervös und unruhig.

…Die Sonne ist untergegangen. Die Nacht zieht herauf. Auf den Wällen spielen sich schon Nahkämpfe ab. Und monoton rattert das MG! Die öden Fürstenzimmer ersterben im Warten.

Ich sehe auf den Doktor und ertrage den Blick auf das alte Porträt nicht. Scharf sage ich: Dr. Tahabat! In einer Stunde muß ich den letzten Teil der Gefangenen liquidieren. Ich muß die Abordnung empfangen.

Da lächelte er ironisch und sagt gleichgültig: Nun, was denn? Gut! Ich errege mich, aber der Doktor blickt mich höhnisch an und lächelt. Oh, er hat unbedingt verstanden, worum es sich handelt, in dieser Partie der Verurteilten befindet sich meine Mutter.

Ich: Seien Sie so freundlich und verlassen Sie das Zimmer!

Der Doktor: Nun meinetwegen, gut!

Dann kann ich nicht an mich halten und beginne zu toben: Dr. Tahabat, zum letzten Male warne ich Sie: spielen Sie sich nicht mit mir!

Aber meine Stimme bricht und etwas gluckst in meiner Kehle. Mit Gewalt’ versuche ich, meine Mauserpistole zu fassen und auf der Stelle mit “dem Doktor Schluß zu machen, aber plötzlich fühle ich mich erbärmlich feige, und ich erkenne, daß mich der letzte Wille verläßt. Ich setze mich auf das Kanapee und blicke kläglich wie ein geschlagener Hund auf Dr. Tahabat.

… Aber die Minuten vergehen! Mari muß sich entschließen. Neuerdings reiße ich mich wieder zusammen und zum letzten Male blicke ich auf das aufgeblasene Porträt der Fürstin. Es ist dunkel.

… Die Begleitung der Verurteilten!

Der Wächter tritt ein und meldet: Die Verurteilten sind hergeführt. Die Erschießung ist außerhalb der Stadt am Rande des Waldes vorgesehen.

Hinter den fernen Linien des Horizonts hervor trat der Mond. Er schwamm dann auf den stillen blauen Bächen die zwischen den weißen Wolken dahinströmten und warf dunkelgelbe, sprühende Reflexe. Um Mitternacht überschritt er den Zenit und blieb über dem gähnenden Abgrund stehen.

…. In der Stadt dauerte energisches Geplänkel an.

… Wir schritten über die Straße, die nach Norden führt. Ich werde niemals die schweigende Prozession der dunklen Menge zur Richtstätte vergessen.

In unserem Rücken knarrten die Räder der MG-Wagen. Als Vorposten schritten die begleitenden Kommunisten, dann folgte der Haufen der Nonnen; als Nachhut — schritt ich, ein begleitender Kommunist und Dr. Tahabat.

…Aber wir hatten die richtigen „Versailler“ angetroffen! Den ganzen Weg über sprach keine der Nonnen auch nur ein einziges Wort. Es waren Fanatiker! Ich schritt auf der Straße wie damals, ohne Ziel. Und an meiner Seite schritten die Wächter meiner Seele: der Doktor und der Degenerierte. Ich blickte auf die Menge, aber ich sah dort nichts.

Dafür fühlte ich: dort geht deine Mutter mit gesenktem Kopf. Ich fühlte, die Pfefferminze duftet. Ich streichelte ihren lieben Kopf mit den Silberhaaren.

Aber plötzlich wuchs vor mir eine weite Ferne auf. Dann wollte ich — und es quälte mich schmerzlich — auf die Knie QOL’ Brillanten, Silber und Platin kauft zu Höchstpreisen altrenommierte Juwelentlrma Kurt BRÜCK, VI., Hirscheng. 2, Mezz., von 9 biß 15 Uhr — Beratung über versetzten Schmuck.

sinken und im flehentlichen Gebet auf die gezackten Silhouetten des schwarzen Kommunetribunals blicken.

Ich senkte den Kopf und schritt auf der Todesstraße weiter, hinter mir knarrten die MG-Wagen.

Und plötzlich erhob ich das Haupt: Was ist das? Eine Halluzination? War das nicht die Stimme meiner Mutter?

Und neuerdings erkenne ich in mir einen nichtswürdigen Menschen, und ich erkenne, daß mich irgend etwas unter dem Herzen quält. Nicht schluchzen, mit siedenden Tränen wollte ich weinen, so wie in der Kindheit an der warmen Brust meiner Mutter.

Und es loderte in mir auf: Führe ich sie nicht zur Erschießung?

Was ist das: die Wirklichkeit oder Halluzination?

Aber es war Wirklichkeit, die tatsächliche Wirklichkeit des Lebens — wild und grausam wie ein Rudel hungriger Wölfe. Das war ausweglose Wirklichkeit, der man nicht entrinnen kann wie dem Tod selbst.

Oder ist es vielleicht ein Irrtum? Vielleicht muß man anders handeln?

Ach, das ist Leichsinnigkeit. Das ist die feste Lebensregel: errare humanum est. Was willst du noch mehr? Irre! Und irre eben so und nicht so!

Und welche Fehler können es sein?

Und in der Tat, es war Wirklichkeit wie ein Rudel hungriger Wölfe. Aber das war auch der einzige Weg zu den weiten Seen der unbekannten, wunderschönen Kommune.

… Und dann brannte ich im Feuer des Fanatismus und fest schritt ich auf der mitternächtlichen Straße dahin.

… Die schweigende Prozession näherte sich dem Walde. Ich erinnere mich nicht, wie man die Nonnen aufstellte, ich erinnere mich: der Doktor trat auf mich zu, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: Ihre Mutter ist dort. Machen Sie, was Sie wollen.

Ich blickte auf: aus der Menge sonderte sich eine Gestalt ab und schritt leise auf den Waldrand zu.

… Der Mond stand im Zenit und hing über dem gähnenden Abgrund. Weiter in die grüne, dunkelgelbe Verschollenheit zög sich die tote Straße. Rechterhand schimmerte matt die Wachabteilung meines Bataillons. Und in diesem Moment entstand ein dichtes Feuer -1- das Geplänkel lebte von neuem wieder auf. Die Aufständischen setzten sich ab, das bemerkte der Feind. In der Seite krepierte ein Geschoß.

Ich zog aus der Revolvertasche meine Pistole und schritt eilig auf die einsame Gestalt zu, und dann, erinnere ich mich, blitzten kurze Feuer auf: so machte man mit den Nonnen Schluß.

Und dann erinnere ich mich: aus dem Walde traf der Panzerzug auf das Getümmel. Es dröhnte der Wald.

Plötzlich bricht es los — einmal, zweimal, und dann wumm, wumm. Die feindlichen Regimenter drängen. Man muß sich beeilen.-Aber ich gehe und gehe und die einsame Gestalt meiner Mutter ist immer dort. Sie steht mit erhobenen Händen und blickt bekümmert auf mich. Ich eile auf diesen verzauberten unerträglichen Waldsaum zu und meine Mutter ist immer noch dort, immer dort.

Plötzlich ist es leer. Nur der Mond gießt sein silbernes Licht vom Zenit. Ich halte in den Händen die Pistole, aber meine Hand ist’schwach geworden und gleich werde ich siedende Tränen vergießen wie in der Kindheit an der warmen Brust meiner Mutter.

Ich versuche zu schreien: Mutter! Ich sage dir: Komm zu mir her. Ith muß dich töten.

Mein Gehirn zerschneidet eine unfrohe Stimme. Ich höre wieder, wie meine Mutter spricht, daß ich, ihr inniggeliebter Sohn, mich zu sehr quäle.

Was ist das? Ist das nicht neuerdings eine Halluzination? Ich werfe den Kopf.

Ja, es war eine Halluzination! Ich stand schon ‘ lange an dem leeren Waldsaum meiner Mutter gegenüber und blickte sie an. Sie’ schwieg.

… Der Panzerzug brüllte im Walde auf. Die Feuer erhoben sich. Ein Gewitter zog auf. Der Feind ging zum Angriff über. Die Aufständischen wichen zurück … Dann erfasse ich, vom Feuer einer unbestimmbaren, unerträglichen Freude erfaßt, den Hals meiner Mutter und preßte ihren Kopf anmeine Brust. Dann erhob ich die Pistole, setzte sie an die Schläfe und drückte den Hahn. Wie eine abgeschnittene Ähre sank sie auf mich. Ich legte sie auf die Erde und blickte mich wild um. Ringsherum war es leer. Nur von der Seite dunkelten die dunkeln Leiber der Nonnen herüber. Unweit dröhnten die Geschütze.

…Ich Steckte die Hand in die Tasche und da erinnerte ich mich, daß ich in den Fürstengemächern etwas vergessen hatte.

Oh, wie bin ich dumm! dachte ich.

Dann werde ich mir wieder bewußt.

Wo sind denn die Leute?

Nun Ja, ich muß zu meinem Bataillon eilen. Und eilends begebe ich mich auf den Weg.

Aber ich hatte noch nicht drei Schritte getan, als mich irgend etwas zurückhielt.

Ich erschauerte und lief zu der Leiche meiner Mutter zurück. Ich sank vor ihr auf die Knie und blickte ihr aufmerksam ins Gesicht. Aber es war tot. Ich erinnere mich, daß über die Wange ein dunkler Blutstrom floß.

Finsternis!

Und plötzlich höre ich: Nun, mein Kommunist, steh auf! Es ist Zeit zum Bataillon! Ich blickte auf und sah vor mir den Degenerierten.

Ja, ja, gleich komme ich. Ja, für mich ist es schon länger Zeit.

Dann brachte ich den Riemen meiner Pistole in Ordnung und machte mich neuerdings auf den Weg.

In der Steppe standen wie ferne Helden die berittenen Aufständischen. Ich lief mit vorgebeugtem Kopf dorthin.

… Ein Gewitter zog auf. Irgendwo drangen helle Stellen am Himmel durch. Leise erstarb der Mond am Zenit. Von hinten drängten sich die Wolken nach. Ein hartnäckiges, verbissenes Schießen begann.

… Ich blieb inmitten der toten Steppe stehen.

Dort, in der unendlich weiten Ferne brannten unbewußt die stillen Seen der fernen Kommune.

Ende

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