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Digital In Arbeit

Auf demVeitskerg von FRANZ JANTSCH

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13. Fortsetzung

Wegen Agnes habe ich mir Gedanken gemacht. Ob wir ihr nicht einen schlechten Dienst erweisen, wenn wir sie aus ihren Verhältnissen herausreißen, sie wird vielleicht unzufrieden sein, wenn sie wieder zu ihren Eltern zurück muß. Man soll keinen Menschen, auch kein Kind, entwurzeln. Wenn der Mutter etwas passieren sollte, dann würde noch immer die Pichlerin da sein. Vom Vater kann man nichts sagen, wie er sich stellen würde.

Agnes spricht selten von daheim. Sie ist eine Zigeunerin und ganz dem Augenblick und seinen Menschen hingegeben. Sie wechselt schnell von einem zum andern hinüber. Ich habe mir auch schon Vorwürfe gemacht, daß ich sie ihren Eltern entfremde. Sie fühlt sich doch besonders der Mutter irgendwie verbunden, wie ich aus gelegentlichen Äußerungen entnahm.

Ich werde fragen, ob ich sie nicht doch öfter zur Mutter führen darf, daß sie einander sehen. Ich will nicht, daß wir der armen Mutter das Herz ihres Kindes entfremden, während sie zu Tode krank ist.

Maria brachte einen Brief mit, in dem ich zu einer längeren Arbeit aufgefordert wurde. Das Thema liegt mir zwar, doch muß ich es mir überlegen, ob ich genug Eifer aufbringen würde, um es fertig zu bringen. Ich werde viel Bücher dazu brauchen. Ich würde ein halbes Jahr dazu brauchen und wäre dann wieder für einige Zeit mit Geld versorgt. Maria hatte die Schuhe, welche sie mir mitbrachte, in eine Zeitung gewickelt. Sie war nicht gerade neu, aber ich las sie trotzdem. Ich war neugierig, wie die Probleme der Zeit auf mich wirken würden, jetzt, da ich nur mit meinen eigenen beschäftigt war. Ich las vom Anfang bis zum Ende, vom Leitartikel bis zifr letzten Annonce, dann wartete ich auf das Echo aus meinem Innern.

Ich erinnerte mich, wie Hugo einmal gesagt hatte, nicht bloß einzelne stecken in Neurosen, wir alle, die ganze Generation sei von einer ungeheuren Neurose befallen. Gewaltige Krämpfe erschüttern heute Leib und Seele der Menschheit und es ist nicht sicher, ob und wann sie sich davon wieder erholt. Die äußeren Erschütterungen, wie Kriege und Revolutionen sind nur die Äußerungen eines tieferen Vorganges, der uns verborgen ist. Im Augenblick sind wir alle furchtbar müde, auch die Politiker und Strategen, und leben in einer Art Zwischenzeit, aber weh uns, wenn es wieder losgeht.

Geisteskrankheiten hat man früher all Besessenheit erklärt. Mir scheint, unser Geschlecht wird von vielen Dämonen gequält und zerrissen. Mich haben die Evangelienberichte von Besessenen interessiert, die ich vor kurzem gelesen habe. Alle Symptome sind bezeichnend. Die Besessenen seien von den Dämonen gehetzt und geschüttelt, heißt es dort, sie hätten unverständliche Worte ausgestoßen, hätten sich auf dem Boden gewälzt und sich die Kleider vom Leibe gerissen, sie hätten mit Steinen geworfen und unerträglichen Lärm gemacht. Christus aber hatte Gewalt über sie. Er drohte ihnen und jagte sie fort. Beruhigt, als neue Menschen saßen ihm dann die Geheilten zu Füßen.

Ich glaube, es wäre notwendig und schön, wenn er wieder käme und übers Land ginge heilend und predigend. Ich würde ihm gleich zugehen. Die Zeitung drückte ich auf einen Klumpen zusammen und steckte sie in den Ofen.

Wir müssen jeder einzelne für sich Heilung suchen ohne uns auf die Zeitläufte auszureden.

Das macht alles so schwierig, daß wir unser ganz persönliches Leben führen und andrerseits das große Leben der Menschheit als Beteiligte und Verantwortliche miterleben. Wie sich beides durchdringt, überschneidet und voneinander abhängt, können wir nicht überschauen. Es gibt ganz persönliche Entscheidungen und kollektive Entscheidungen: die Völker und Kulturen scheinen Wesen mit eigener Vernunft und Verantwortlichkeit zu sein. Der große und der kleine Lebensprozeß sind Dramen der Freiheit.

Es ist jetzt wieder so idyllisch wie am Anfang, nur war ich damals allein, jetzt sind wir zu dritt. Alles treibt einem Ende zu. Ich sehe Maria mit andern Augen an, sie 'ist mir näher gekommen, aber wir haben uns nicht ausgesprochen, unsere Lebensgemeinschaft ist noch nicht aufgenommen, wir treten einander nur wieder näher. Ich würde es gerne noch hinausschieben, aber es ist unnatürlich und ich kann es von ihr nicht verlangen. Als wir einige Tage so mitsammen verbracht hatten, sagte ich zu Maria:

„Ich habe bereits viele Stöße bekommen von innen und von außen, aber der letzte, große und entscheidende fehlt noch. Ich glaube, er wartet bereits auf mich. Laß noch einmal mich mit mir selber beschäftigen. Ich weiß, es war ein großer Egoismus, ich habe zuviel an mich und zu wenig an dich gedacht. Drum bist du mir im Innersten fremd geblieben. Ehe ist mehr, als daß zwei bloß beisammen wohnen. Eines will ich dir heute schon sagen: „Ich nehme die ganze Schuld auf mich. Verzeih mir. Ich habe dich gequält, ich habe dir die Schuld zugeschoben.“

Sie legte die Hand auf meine und sagte: „Das sollst du nicht sagen. Es tut mir weh. wenn du dich so verdemütigst. Ich wollte soviel mit dir reden, aber du ließest mich nicht an dich heran. Du verschlössest dein Herz vor mir. Darunter litt ich; dann rührte sich mein Stolz und ich wurde hart, ja' grausam. Aber ich habe dich immer geliebt.“

„Ich danke dir. Das andere will ich dir alles später sagen. Um das will ich dich bitten: Laß mich für einige Tage fortgehen. Dort hinten in die dunklen Wälder über dem Strom. Sie locken mich schon, seitdem ich da bin. Du weißt, bei den primitiven Völkern, zum Beispiel den Indianern, war es Brauch, daß der Mann in die Berge ging und fastete, wenn er in eine Krise geraten war. Dort ließ er den großen Geist zu sich sprechen und geläutert kehrte er dann wieder zu den Seinen zurück. Hugo hat oft gesagt, so eine Einrichtung brauchten auch wir. Du wirst hierbleiben und meinen Weg mit guten Gedanken und Gefühlen begleiten.“

Wir schliefen zum letzten Male unter einem Dache. Am Morgen läutete ich noch, Maria stand neben mir. Ich trug den Propheten in die Kirche und stellte ihn an einen passenden Platz am Seitenaltar.

„Manchmal kannst du vor ihm eine Kerze anzünden und an mich denken.“

Ich ging zur Steiningerin und bat sie, sie möchte wegen der Tiere einige Male des Tages kommen, weil Maria nicht alles machen kann. Agnes weinte mir keine Träne nach, als ich den Hügel hinabstieg. Maria wollte mich begleiten, aber ich bat sie, unter dem Nußbaum zu bleiben. Dort könnte sie mir am besten nachsehen.

Ich ging die paar Schritte zur Donau und bat den Fischer, der am Ufer sein Haus hatte, mich überzusetzen.

„Muß es gleich sein?“

„Ja, auf der Stelle.“

Da ließ er mich ins Boot steigen und stieß vom Lande. Als wir aus der Au ins offene Wasser kamen, hörte ich einen hellen Schrei auf dem Hügel. Agnes hatte mich entdeckt. Nun winkten sie, und ich winkte ihnen zurück. Es waren keine zehn Minuten vergangen, als wir das andere Ufer erreichten. Ich verabschiedete mich vom Fischer und sagte ihm noch, daß ich eines Tages an derselben Stelle sein würde und daß er mich dann auf mein Rufen holen möge.

Durchs Ufergestrüpp stieg ich auf die Ebene, und auf einem Feldweg wanderte ich den Wäldern entgegen, die sich mächtig vor mir erhoben. Immer, wenn ich mich umwandte, sah ich die beiden winken. Nach einer halben Stunde Weges verließ ich die Ebene und stieg über Wiesen den ersten Rücken hinauf. Ganz oben, wo der Hochwald begann, schaute ich zurück. Klein aber deutlich sah ich die Veitskapelle über dem Strom, der sich wie eine silberne Schlange um die scheibenförmige Ebene wand. Zum Winken war es zu weit. Nach einer Weile trat ich in den stillen Wald.

(Fortsetzung folgt)

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