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Ein EinlceJirtag

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Liebe Elisabeth!

Deinem Wunsche gemäß habe ich einen Einkehrtag besucht, obwohl ich als halbe Heidin nicht recht dorthin passen dürfte. Immerhin, ich bin gegangen. Jetzt erwartest Du sicher begeisterte Worte wie: Endlich den Seelenfrieden gefunden, der schönste Tag meines Lebens, irrende Seele heimgekehrt, keimender Ordensberuf usw. Bedaure, führen wir nicht. Aber laß Dir umständlich erzählen, wie es war.

Das Kloster, wo die Sache vor sich ging, kennst Du ja: helle Räume, große Zimmer, breite Gänge und kleine Waschschüsseln. Die Nonne an der Haustür hat zwar große Augen bei meinem Anblick gemacht und ich kam erst später darauf, daß da wohl meine Kriegsbemalung schuld war. Aber weißt Du, ich hatte wirklich vergessen, daß ich ja zu einem frommen Zweck hergekommen war; ich bin das halt gar nicht gewöhnt. Vielleicht hat ihr auch mein Hut nicht recht gepaßt, er ist ja auch wirklich ein bisserl verrückt. Nun gut, man hat mir ein hübsches Zimmer gezeigt. Ich habe zuerst gemeint, es wäre für mich allein und war eher befremdet, als auf einmal eine ältere Dame eintrat, einen mürrischen Blick auf mich und ihre Sachen auf das zweite Bett warf. Ich habe es daraufhin auch nicht für nötig gefunden, nett mit ihr zu sein, schließlich bin ich ja die Jüngere. Sie ist übrigens sofort wieder gegangen.

Ich bin ihr nach, denn sie sah so zielbewußt aus, daß ich gleich merkte, die hat was Wichtiges vor! Sie verschwand hinter einer hohen Tür, und diese Tür kam mir verdächtig vor. Daher zögerte ich eine Weile davor, ging aber dann doch hinein und war in der Kapelle. Dort fand ich meine rreundin in einem kleinen Streit mit einer anderen begriffen. Beide versteiften sich auf den gleichen Platz ganz vorn, obwohl die Kapelle ziemlich groß ist. Als kluges Mädchen zog ich die nötige Lehre und belegte einen Platz mehr im Hintergrund. -In Ermangelung eines Bessererr legte ich meinen “Schal-bki, ich . fand ihn dann sauber zusammengefaltet auf dem Harmonium, das noch weiter hinten stand lind auf meinem Platz saß jemand anderer. Aber ich habe keinen Krach geschlagen (bewundere mich, bitte!), sondern mich halt woandershin gesetzt.

Meine Zimmergefährtin hatte inzwischen die andere von ihrem Thron gestoßen und saß nun mit funkelnden Augen und gesträubtem Gefieder auf dem Platz. Da sich sonst nichts ergab, ging ich wieder auf mein Zimmer und fand das Leben eher langweilig. Auf dem Gang draußen zwitscherten inzwischen viele Stimmen und immer wieder öffnete sich die Türe, und Obdachlose wollten hereinströmen. Ich konnte mir diese merkwürdige Anziehungskraft nicht erklären, bis ich nach einer Viertelstunde eine sieghafte Tenorstimme auf dem Gang erschallen hörte. Ich dachte mir: Aha, das ist der Einkehrmann, und schoß sofort neugierig hinaus, aber er verschwand gerade im Zimmer gegenüber und ich sah nur ein schwarz wallendes Gewand. Dafür wußte ich, warum gerade mein Zimmer so begehrt war. Und warum mich manche so bös anschauten, als sie es von mir besetzt fanden. Sag einmal, könnt ihr frommen Leute auch eifersüchtig sein? Wo ihr doch so abgeklärt seid?

Also gut, dann läutete es heftig und alles ging zur Kapelle. Als ich hinkam, war sie schon ziemlich voll und mir fiel der Menschenfresser im Märchen ein, der immer sagt: Ich rieche, rieche Menschenfleisch. Ein paar Lufthungrige stürzten sich an die Fenster und wollten sie aufreißen (es war ein milder Apriltag), aber da erhob sich wütend gezischter Widerspruch. Sag einmal, warum habt ihr so viel Angst vor frischer Luft? Jedenfalls, die Damen mit Watte in den Ohren siegten, und ich überlegte, ob ich einen Protestohnmachtsanfall mimen solle. Gegen Schluß des Gottesdienstes wäre übrigens beinahe ein echter draus geworden.

Dann war das Frühstück und ich musterte meine Miteinkehrlinge. O Pein, es waren nur ein paar andere meines Schlages da, ich meine äußerlich. Aber etwas ist mir aufgefallen: man hat vielen von den „anderen“ die Einsamkeit schon am Gesicht angesehen. Weißt Du, so abgekapselt sein vom Leben. Mir kam vor, als wären sie ganz versponnen in ihre eigenen Gedanken und Komplexe. So schrecklich ungelöst. Woher kommt das? Wenn von eurem Glauben, dann verzichte ich dankend. Sei nicht böse, Liebling, aber ihr seid manchmal keine Reklame für eure Weltanschauung. ,

Na schön, und dann waren die Vorträge. Ich habe nicht alles verstanden, aber schließlich kann man von mir auch nicht mehr verlangen. Da kreuzt auf einmal während des Vortrages eine weibliche Gestalt auf, durchschreitet feierlich den Mittelgang und bleibt vorn betont stehen. Worauf sie der Pfarrer ebenfalls betont befremdet anschaut und sie bittet, doch Platz zu nehmen. Sie sagt darauf, sie wäre schwerhörig und müsse darum vorn stehen. Ich schwöre Dir, der Pfarrer hat nicht besonders laut mit ihr geredet und sie hat ihn trotzdem verstanden. Und außerdem: kann sie nicht pünktlich kommen? Und wenn schon unpünktlich, kann sie nicht bis zur Pause warten? Übrigens bin ich beim letzten Vortrag neben ihr gesessen (ich wollte aus weiblicher Neugier den Pfarrer besser sehen und hab' mich nach vorn gesetzt; aber es war mühsam, dieses Ziel zu erreichen) und da hat sie während des Vortrages einen Rosenkranz mit vielen Medaillen drauf hervorgezogen und damit andauernd geklappert. Ihr seid schon manchmal komisch. Aber halt, ich will Dich nicht beleidigen. Sagen wir: es gibt bei euch auch komische Menschen, ist's so recht? Vielleicht ist das eine Gefahr bei frommen Menschen, daß sie leicht unmöglich werden. Woher kommt das eigentlich? Aber halt, ich weiß es ja! Stell Dir vor, auf einmal kam mir der Glanzgedanke, mit dem Pfarrer zu reden. Weißt Du, daß es der erste Pfarrer war, mit dem ich gesprochen habe? Also gut, ich habe gesehen (und er hat es auch gesagt, daß man mit mir reden kann. Man nennt das „eine Aussprache haben“), daß auf dem Gang immer ein paar Leute ohne Aussprache umherstanden und einer solchen harrten. Da fällt mir übrigens ein: er hat gesagt, man solle Stillschweigen halten. Aber ich habe gemerkt, daß ein paar ganz unbekümmert tratschten. Ich hab' das wirklich als taktlos empfunden und hab' mich geärgert. Du kannst das als erstes Anzeichen frommer Gesinnung anschauen (daß man sich über die andern ärgert). Ehrlich gesagt, im letzten Augenblick wäre ich beinahe wieder umgekehrt, denn als vor mir ein Aussprachling das Zimmer des Pfarrers verließ, hörte ich eine eher gehässige Stimme sagen: Die war wieder eine Stunde hhgJbti ihmtAber dafür rbdb'ich einen guten Start gehabt, denn ich hab' mich so geärgert, daß ich drinnen gleich fließend losgelegt habe: Herr Pfarrer, ich habe mir einen Einkehrtag ganz anders vorgestellt. Ich hab' gedacht, die Leute werden in tiefem Ernst und christlicher Liebe in sich gehen, aber für manche scheint dieser Einkehrtag mehr Vergnügen zu sein, eine Art religiöser Unterhaltungstag. Und ich finde es anstößig, wenn sich reife Frauen albern benehmen. Ich vergöttere reife Frauen, weil ich selber keine bin, aber dieses Gehusche und Gekichere und Geschwätze geht einem auf die Nerven. Und die abweisende und mürrische Art von manchen auch. Und dieses Angestarrtwerden! Soll sich doch jede um sich selber und ihr Seelenheil kümmern! Und in der Kapelle war die Luft sehr schlecht. Ich hab' noch einiges vorgebracht. Als Antwort sagt er: Sie sind nicht oft bei solchen Veranstaltungen? Nein, warum? frag' ich. Sonst wären Sie es schon gewohnt, sagt er. Und dann hat er gar milde Worte gesagt, daß der eigentliche Wert des Menschen nicht von seinem Gehaben und Benehmen abhänge. Dann fragt er mich, was ich bin, und ich sag': Musikstudentin, und er fragt, ob ich Bruckner gern hab', und ich sag': abgöttisch, und er meint: na, sehen Sie, wenn Sie die äußere Erscheinung von Bruckner und seinen verzopften Briefstil hernehmen, die hätten wirklich nicht darauf schließen lassen, was für ein Mann er eigentlich war. Darauf wußte ich nichts zu sagen, und das hat er geschickt ausgenutzt und hat weiterhin seine Schaf lein verteidigt: Sehen Sie, es stimmt ja, was Sie sagen. Aber diese Leute sind vermutlich durch ihre seelische Einsamkeit so geworden. Wenn auf jemandem viel herumgetrampelt wird, dann verkriecht er sich leicht in sich selber und nimmt auf die andern keine Rücksicht mehr. Und dann wird noch mehr auf ihm herumgehackt und er verkriecht sich noch mehr. Hier könnte nur viel herzliche Liebe helfen, aber wer bringt die schon für solch ein verschrobenes Geschöpf auf? Unbedingt recht haben Sie, wenn Sie die unernste Art mancher verurteilen. Aber ich kann doch nicht erwachsene Menschen wie kleine Kinder ständig ermahnen, daß sie das Schwätzen unterlassen sollen. Und was die verschiedenen Taktlosigkeiten und Formlosigkeiten angeht: sehen Sie, richtige Weltmenschen, die in dieser Welt alles sehen, werden hier freilich gewandter und geschmeidiger sein. Ob aber auch ehrlicher? Leute hingegen, die ihren Schwerpunkt im Jenseitigen haben, werden kaum die sichtbare Welt samt ihren geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen so entsetzlich ernst nehmen. Man kann nicht zwei Herren dienen. Sehr Begabte werden es vielleicht treffen, aber wer ist schon sehr begabt? Im übrigen: Sie sollten besser Einkehrtage nicht mitmachen, es fehlen die Voraussetzungen. Wenn aber, dann müßten Sie so viel inneres Streben haben, daß Sie sich durch Äußerlichkeiten nicht beirren lassen. Die Menschen sind einmal so und werden immer so sein, und wer sich darüber ärgert, der müßte sich zu einer weisen Nachsicht erziehen, sonst ärgert er sich vielleicht einmal zu Tode“/

Und damit war ich entlassen und ging eher klein vöndännefl, denn irgendwo hat er ja recht, wenn auch natürlich nicht ganz. Aber, um Dir eine Freude zu machen: zum nächsten Einkehrtag komm' ich wieder. Und weil ich mich bis dorthin zu einer weisen Nachsicht erzogen haben werde, so können mir die sauren Gesichter und verschlossenen Kapellenfenster nichts mehr anhaben, und ich werde beträchtlich geläuterter nach Hause gehen.

Herzlich grüßt Dich

Deine Helga.

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