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IWAN WADIMOWITSCH TRÄGT EINEN KOLLEGEN ZU GRABE

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Gehen wir doch etwas langsamer. Meine Schuhe sind so eng, und wir haben noch ein ganzes Stück. Ja, eine böse Geschichte. Gerade jetzt am Ersten saßen wir noch zusammen in der Selbstkosten-Kommission. Er war vor dem Vortrag ein bißchen nervös — und wie hat er sich dann-gefreut, als alles glatt ging! Hätte er geahnt, der Arme, was ihn zwei Wochen später erwartete... Wer ist denn das da vorn am Sarg? Ach, Kondakow! Sieh mal an! Ob er fürs Präsidium hier ist oder rein privat? Ich kenne ihn nur telefonisch. Persönlich haben wir uns nie gesehen. Noch ziemlich jung... In dem Alter schon im Präsidium zu sitzen — nicht schlecht... In letzter Zeit haben sich da ganz neue Leute breitgemacht — lauter unbekannte Leute. Sollen ja viele aus dem Parteiapparat in die Wirtschaft geschickt worden sein. Und die kommen sich dann ziemlich vor... Ach. Manchmal denke ich — vielleicht ist er auch zur rechten Zeit gestorben. Im Kollegium waren sie ja auch in letzter Zeit nicht gerade sehr freundlich zu ihm. Mit wem Ärger, mit mir? Das ist eine glatte Lüge. Mir ist er nie in die Quere gekommen. Ich war ehrlich erschüttert, als ich von seinem Tod hörte. Was für eine ungeheuerliche Lüge! Ich weiß genau, von wem Sie das haben. Krugljakowski hat Ihnen das erzählt. Nein, nein, streiten Sie nicht ab, das kann nur Krugljakowski gewesen sein. Verstehe nicht, wozu der solche Gerüchte in die Welt setzt. Sie sind schon der dritte, von dem ich das höre. Mit dem muß ich mal ein Wörtchen reden ... Wo, meinen Sie, im Krematorium? Nein, im Krematorium noch nicht, aber so schon zum drittenmal. Das erste Mal war ich — na, da war ein Kollege gestorben. Dann bei Pjotr Borissowitsch; waren Sie denn damals nicht dabei? Das war eine schöne Totenfeier! Ein Haufen Menschen, Kränze, Musik, ein Vertreter des Präsidiums, Fahnen. Schade, daß er selbst nichts mehr davon hatte...

Wenn ich mal dran bin, kommen bestimmt nicht so viele. Obgleich — man könnte es natürlich einrichten... Viel hängt ja von den Beziehungen zu den Kollegen ab... Ja, das war wirklich schön! Besonders als der Sarg so langsam hinuntergelassen wurde. Sind Sie mal unten im Keller gewesen, an den Öfen, wo man durchs Fensterchen gucken kann? Ich auch nicht. Verstehe nicht, was es da zu sehen gibt. Es heißt ja, daß sich die Leiche krümmt. Wer erzählte mir denn das neulich... Irgendwelche Tölpel hatten die Frau eines verantwortlichen Funktionärs überredet, ■ einen Blick hineinzuwerfen. Nur so, um den lieben Mann noch mal zu sehen. Na ja, natürlich ein Ohnmachtsanfall. Diese Idioten! Ich nehme meine Frau nie zu solchen Sachen mit. Ist nichts für Frauen. Außerdem ist ihr Vater schon ziemlich alt... Ja, da lebt man so, arbeitet, zappelt fröhlich herum, und auf einmal heißt es: Bitte schön, in die Kiste. Und ab geht's. Der Nächste bitte! Nein, wissen Sie, ich wünsche mir nur, daß es schnell geht. Ein Zugunglück oder so, und fertig... Das ist die Schwester seiner Frau. Hübsch, wie? Ihr Mann ist bei der Handelsvertretung oder so was ähnlichem, deshalb ist sie so gut angezogen. Erinnern Sie mich doch nachher, ich muß Ihnen unbedingt die Geschichte von den beiden Juden und Kalinin erzählen. Konterrevolutionär, aber furchtbar komisch. Möchte wissen, wer sich diese Sachen immer ausdenkt... Nein, jetzt geht es nicht, das fällt auf. Lieber auf dem Heimweg... Er soll ja schon seit langem eine Herzerweiterung gehabt haben. Geschont hat er sich nie, und da kam es denn eben. Ich verstehe das sehr gut, mit mir wird es eines Tages auch so kommen... Nein, besondere Krankheiten habe ich nicht, aber wissen Sie, manchmal, wenn wir abends gerade so schön beim Feiern sind, beginnen mir plötzlich wie wahnsinnig die Hände zu jucken. Ganz unverständlich. Neulich passierte mir das im Theater, ich wollte schon mitten in der Vorstellung rausrennen. Doch dann war's mit einemmal vorbei... Ach, die Ärzte — aus denen kriegt man doch nichts heraus! Professor Segalowitsch sagt: Versuchen Sie, nicht zu kratzen, die Sache ist einfach nervös. Ich bitte Sie, was heißt das: Einfach nervös! “Ich muß doch wissen, was daraus werden kann! So furchtbar wichtig ist mir meine Gesundheit ja gar nicht, aber ich bin doch ein Rädchen in dem großen Apparat, habe schließlich ein ganzes Amt auf meinen Schultern! Ich frage ihn, was er mir für eine Diät verschreibt, was ich essen darf, was nicht. Da meint er nur: „Das hat keine Bedeutung.“ Für die hat nichts Bedeutung! Sollen uns vor Krankheiten bewahren und benutzen die Krankheiten, um uns zu quälen. Nur gut, daß ich so auf mich aufpasse und vernünftig lebe. Ein lauwarmes Bad nach der Arbeit, und an den freien Tagen unbedingte Ruhe. Und dann rate ich Ihnen noch eins: Nie vor dem Essen rauchen. Sehr wichtig! Dieses Jahr werde ich wohl meinen Urlaub früher nehmen. Wohin wollen Sie fahren? Nein, ich fahre wohl wieder ans Schwarze Meer. Ach, da fällt mir ein — Sie müssen mich unbedingt erinnern, daß ich Ihnen den Witz von den drei Damen am Strand erzähle... Ja, traurig ist die Sache, wirklich sehr traurig... Er war doch eigentlich ein sehr anständiger Kerl. Hat niemand je übelgewollt. Nachfolger? Ich weiß nicht... Offiziell weiß ich nichts, aber streng vertraulich kann ich Ihnen sagen — Swenzjanski. Schon beschlossen. Ja, ich war selbst erstaunt. Dabei hatte ich schon Mjatnikow zur Beförderung gratuliert. Und Mjatnikow schien das auch in Ordnung zu finden. Schwieg nur und lächelte... Im letzten Augenblick hat man dann alles umgeschmissen. Man wollte einen energischen, operativen Menschen für die direkte praktische Leitung haben. Doch schließlich hätte ja Mjatnikow einen Stellvertreter speziell für die praktische Arbeit bekommen können. Immerhin stellt Mjatnikow etwas dar... Was machen Sie denn übermorgen? Wissen Sie was, kommen Sie doch zu mir... Nein, nichts Besonderes, nur ein paar Kollegen. Wir haben unsere neue Wohnung noch nicht begossen, und das wird dann so eine Art Einstand. Eigentlich wollten wir uns ja schon heute treffen, aber da kam die Beerdigung dazwischen. Wäre doch ein bißchen peinlich gewesen ... Wir dachten uns jedenfalls, etwas später ist es besser. Wir sind ganz unter uns. Sergej Solomonowitsch hat auch zugesagt... Was ich sagen wollte — jetzt holen sie ja viele in die Politabteilungen raus aufs Land... Ich wäre auch so gern gegangen, mich nehmen sie aber wegen meiner Krankheit nicht. Als ich ihnen mein Attest vor die Nase legte, guckten sie sich so komisch an und lasen gar nicht weiter... Ich bedauerte schon, ihnen das Ding überhaupt gebracht zu haben. Diese verfluchten Schuhe martern mich heute! Gehen wir doch ein bißchen langsamer, damit wir zurückbleiben, mein Wagen fährt da hinten. Wir ruhen uns aus, und vor dem Krematorium werden wir dann wieder rüstig ausschreiten.

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