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Zuwendung als Sprungbrett

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Die Menschenfreundlichkeit Gottes bewegt leider oft nicht einmal den Durchschnittsmenschen. Kann man diese Botschaft Menschen nahebringen, die unter schwierigen Bedingungen leben - etwa im Gefängnis?

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Die Menschenfreundlichkeit Gottes bewegt leider oft nicht einmal den Durchschnittsmenschen. Kann man diese Botschaft Menschen nahebringen, die unter schwierigen Bedingungen leben - etwa im Gefängnis?

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FURCHE: Kann man als Gefängnisseelsorger den Menschen überhaupt bessern?

ANTON EDER: Eines muß uns klar sein: Bessern kann jeder nur sich selber. Einen anderen kann ich nicht bessern. Man kann aber versuchen, ein Beispiel zu geben, das dem anderen eine Brücke baut. Und damit das gelingt, gilt sicher eines: Es geht mit Güte — aber nie mit Härte. Davon bin ich überzeugt.

Das Gefangenenhaus bessert den Menschen nicht. Und sollte sich einer dort bessern, so geschieht das trotz des Gefangenenhauses und nicht durch das Gefangenenhaus. Das heißt nicht, daß es keine Gefangenenhäuser geben soll. Aber sie dienen nicht der Besserung. Hätte ich nur die Besserung im Auge, müßte ich auf Gefängnisse verzichten.

FURCHE:Haben Sie erlebt, daß sich jemand verändert hat?

EDER: Ja. Diese Erfahrung habe ich schon gemacht — auch wenn man da keine statistisch gültige Aussage machen kann. Schließlich weiß man ja nie, wann sich jemand gebessert hat und wie.

Wenn wir uns nun vor Weih-

,,Hätte ich es mir gern überlegt, wollte aber nicht feig sein“ nachten auf die Liebe Gottes, die wir ja nachahmen wollen, besinnen, so muß uns klar sein, daß diese Liebe sicher das einzige Mittel ist, einen Menschen zu erziehen. Ich spreche von der echten Güte. Sie bedeutet nicht, daß man sich alles gefallen läßt. Sie kann vielmehr auch streng sein. Wichtig ist, daß der andere Mensch ganz bejaht wird.

FURCHE: Bewirkt Zuwendung also Veränderung?

EDER: Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Situation. Da war ein Häftling, der einfach durchgedreht hatte. Er hatte eine Scheibe zerschlagen, hielt damals eine Scherbe in der Hand und verkündete laut, er würde jeden, der näherkäme, umbringen. Man hatte daraufhin die Zelle zugesperrt.

Unüberlegt hatte ich gesagt, ich würde zu ihm gehen. Als ich erfuhr, wie die Situation sich tatsächlich darstellte, hätte ich es mir gern überlegt. Aber dann wollte ich nicht feig sein. Ich bin also in die Zelle hinein.

Der Gefangene hat getobt. Ich habe zuerst nur zugehört. Dann ergab sich ein langes Gespräch. Und zum Schluß hat der Häftling geweint. Er hatte erwartet, man würde mit ihm schreien, ihn zusammenschlagen. Aber daß da jemand kam, der versucht hat, ihn zu verstehen, das hat den Umschwung gebracht.

Und ich habe mich tatsächlich in diesen Menschen hineindenken können. Ich wäre der erste, der im Gefängnis durchdrehen würde. Durchzudrehen, wenn man eingesperrt ist, ist eigentlich ganz etwas Normales. Wer alles hinnimmt, der ist an alles angepaßt.

Mit diesem Menschen bin ich dann ganz gut Freund geworden. Er hat später auch an einem Glaubenskurs teilgenommen.

FURCHE: Ein Einzelfall?

EDER: Ein anderer Fall: Wir hatten eine Terroristin im Gefangenenhaus. Sie war ein Mensch, der sich total versperrt hat. Man hatte den Eindruck, sie sei das ihrem Image schuldig. Das Götz-Zitat war das Mindeste, was sie dem Psychologen, der sie betreuen wollte, gesagt hat. Sie hat einfach alles und alle abgelehnt. Mit Kirche wollte sie natürlich auch überhaupt nichts zu tun haben.

Bei irgendeiner Gelegenheit hat mich dann der damalige Justizminister Christian Broda gebeten, mit dieser Frau zu reden.

Ich bin also ohne große Erwartungen hingegangen, habe mich als Gefängnisseelsorger vorgestellt, worauf sie mir sofort erklärt hat, so jemanden könne sie überhaupt nicht brauchen.

Unser erster Kontakt war kein gutes Gespräch. Aber sie hat mich wenigstens nicht hinausgeschmissen. Und das war schon etwas. Vielleicht war es darauf zurückzuführen, daß ich ihr ein paar Zigaretten aufgewartet hatte.

Dann bin ich wieder hingegangen. Wir haben miteinander zu reden begonnen. Und mit der Zeit war ich der einzige Mensch, den sie akzeptiert hat. Im weiteren Gefolge habe ich dann ihre Familie kennengelernt und konnte auch bewirken, daß sie aus der Einzelhaft nach Schwarzau, ins Frauengefängnis, überstellt worden ist.

Ehrlich gesagt: Uber Fragen des Glaubens wollte sie mit mir nicht sprechen. Aber menschlich konnten wir eine Brücke zueinander schlagen.

FURCHE: Aber bringt das den menschenfreundlichen Gott nahe?

EDER: Dazu noch ein Erlebnis: Da war ein Verbrecher, dessen Tat in allen Medien breitgewalzt worden war. Er war ein „Star“ im Gefängnis, hat sich gefühlt wie der Schwerverbrecher schlechthin und sich auch dementsprechend aufgeführt. Zu zweit und zu

,,Die Teilnehmerwaren wie die .Lamperln'. Es war ein Wunder der Gnade“ dritt haben ihn die Wärter in den Hof geführt. Anfangs war er sogar gefesselt.

In Wirklichkeit war er gar nicht so wild. Er hatte ja auch niemanden umgelegt — wie man das heute bei Bankräubern erlebt.

Auch zu ihm wurde ich einmal geschickt. Es war wirklich nicht „Liebe auf den ersten Blick“. Er war äußerst skeptisch. Aber auch mit ihm ergab sich langsam eine menschliche Basis. Lange Zeit haben wir nicht über Fragen des Glaubens gesprochen. Dazu fehlten einfach zunächst die Grundlagen. Aber dann hat er sogar da einen großen Schritt gemacht. Ein Cursillo war da ausschlaggebend.

FURCHE:Ein Glaubenskurs im Gefängnis?

EDER: Ja, es ist wie ein Wunder. Als die Idee der Abhaltung eines solchen Kurses im Gefängnis geboren wurde, waren die Beamten äußerst skeptisch. Es war ja geradezu unvorstellbar, daß da 30 Gefangene in einem Raum ohne Aufsicht durch einen Beamten nur mit dem Geistlichen und ein paar Laienhelfern (die noch dazu von auswärts kamen) Zusammensein sollten! Das hatte es damals vor mehr als 12 Jahren noch nie gegeben. Man rechnete sicher mit einem Aufstand.

Wir haben aber dennoch versuchen dürfen. Und von Anfang an war in dem Geschehen Spannung, Ruhe und Ordnung. Zu Mittag sind allen, die das miterlebt haben, die Augen herausgefallen. Die Teilnehmer waren wie die „Lamperln“. Es war ein Wunder der Gnade.

Sicher waren nicht alle für ihr Leben verändert. So leicht sind die Dinge auch wieder nicht. Aber es herrschte tiefe Betroffenheit. Diese Gefangenen haben einfach die Atmosphäre der Güte, die da geherrscht hat, tief erfahren. Pater Josef Cascales, der den Kurs geleitet hat, spricht Gott sei Dank so, daß man ihm abnimmt, was er sagt. Und das war wesentlich.

Die Gefangenen hatten das noch nie erlebt, daß jemand so offen mit ihnen gesprochen hat. Daß ihnen jemand die Wahrheit — aber in Liebe — gesagt hat und dabei auch über ihre Schuld gesprochen hat. Und nicht nur über das Versagen der Umwelt.

Ja, das war überwältigend. Und die Wirkung war auch anhaltend. Die Erfahrung, daß Menschen sich ihnen zugewendet haben, war entscheidend. Das hat eine Brük-ke gebaut zu Gott, der sich zuwendet.

FURCHE: Und welche Erfahrung haben Sie mit Resozialisierung nach der Entlassung gemacht?

EDER: Als wir mit dem Projekt Resozialisierung in Heimen beginnen wollten, hat man uns allgemein den baldigen Tod dieser Projekte vorhergesagt. Warum? Weil fast ausschließlich unausge-bildete Laien als Helfer mitwirken sollten: ohne psychologische, ohne pädagogische Schulung.

Aber es hat dann doch geklappt. Denn eines hatten alle: ein gutes Herz. Sicher hätten wir uns mit einer guten Schulung viel an Fehlern erspart. Ich will also nichts gegen eine gediegene Ausbildung sagen. Aber wir haben bis heute — und das sind immerhin bald 20 Jahre—nicht Schiffbruch erlitten, weil da Menschen so viel „Menschenfreundlichkeit“ investiert haben.

Ich erinnere mich noch genau an einen Heiligen Abend. Da bekamen die Heimbewohner ihre Pakete. Und dabei hat mir einer von ihnen gesagt: „Herr Rektor, zum Schluß is' des Packel von an, bei dem i einbrochn hab'!“ Diesem Mann ist da schlagartig bewußt geworden, daß es Menschen gibt, die ihm etwas Gutes tun, ohne etwas dafür zu wollen. Das ist für viele Menschen, die im Gefängnis landen, unfaßbar.

Man muß sich nur vorstellen, aus welcher Welt viele von ihnen kommen. Eine 27jährige Prostituierte hat mir einmal gesagt — ich werde das nie vergessen: „Herr

„Sie ist in meinen Augen eine Heilige, einfach und extrem hilfsbereit“

Pfarrer, mi' hat no' nie jemand gern g'habt. Meine Mutter net, mei Vota net... Männer hab i g'hobt, jede Menge. Aber kein einziger hat mi' gern g'habt.“

Da kann man nicht einfach sagen, das sei ein Luder. Da wird vielmehr klar, daß es sich um einen ganz armen Menschen handelt. Was wäre mit uns geschehen, wenn uns niemand geliebt hätte?

FURCHE: Und solchen Menschen kann menschliche Zuwendung helfen?

EDER: Unter den Mitarbeitern waren und sind einmalige Persönlichkeiten. Da gab es ein Ehepaar, jung, mit einem kleinen Kind. Die haben ihre Wohnung aufgegeben, ihren bisherigen Beruf — und sind in das Heim zu den Strafentlassenen gezogen! Das war eine einmalige Berufung. Das kann man nicht einfach nachahmen.

Und sie waren dann für die Männer da, haben Weihnachten mit ihnen gefeiert.

Oder zwei alte Frauen. Sie arbeiten immer noch mit. Eine von ihnen ist weit über 80. Sie ist in meinen Augen eine Heilige, einfach, schlicht, extrem hilfsbereit. Sie haben Großes geleistet. Sind Boten des menschenfreundlichen Gottes, denen man ihre Botschaft abnimmt.

Msgr. Anton Eder ist Dechant, seit acht Jahren Pfarrer in Stockerau und war viele Jahre hindurch Gefängnisseelsorger in Wien. Mit ihm sprach Christof Gaspari.

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