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Was kann die Frangoise Sagan dafür?

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Liebe Irene Sinus f

Du hast Dich also darüber geärgert, daß ich sagte, ich finde es verwerflich, diesen „Illustriertenschmus“ zu schreiben? Und Du findest zwanzig Gründe, warum Du, gerade Du es tun mußt: Deinen Mann, der einmal ein berühmter Maler werden möchte und einstweilen nicht genug Geld hat, sich Leinwand und Farbe zu kaufen, Euer Kind (das Ihr noch nicht habt, einstweilen habt Ihr bloß ein Auto), Eure Reisen (Dein Mann muß Afrika gesehen haben, sonst kann er nicht malen), und was das alles für seltsame Gründe sind. Wenn ich Deinen Brief richtig verstanden habe — und ich habe ihn mehrmals gelesen, ehe ich nun antworte —, liegt Dir nicht viel an meiner Antwort — an dem, was ich Dir zu sagen habe, ein ernster Mensch einem ernsten Menschen. Denn das, was Du da alles vorbringst — so habe ich es verstanden —, sagst Du in erster Linie Dir selber, um Dich vor Dir selbst zu rechtfertigen für das, was D tust. Wenn ich Dir trotzdem so ausführlich antworte, geschieht es, weil ich glaube, daß Du diesen Brief mit dem Einsatz Deiner ganzen Persönlichkeit geschrieben hast, und solche Briefe verdienen eine entsprechende Antwort, nicht wahr?

Warum soll es so verwerflich sein, diesen „Illustriertenschmus“ zu schreiben, diese Fortsetzungsromane für die Wochenblätter, diese „Rosen aus Isfahan“ und diese „Sterne über Nizza“? Weil das, was Du als Schriftsteller oder als Publizist tust, hundert- und tausendfach stärkere und weitere Wirkung haben kann und wird als das, was Du als Mensch im täglichen Leben tust. Ein Beispiel: die nihilistische Unlust, die die Bücher eines Samuel Beckett oder — in weit verdünntem Maße! — einer Francoise Sagan verbreiten, hat eine wahrlich millionen-haft größere Auswirkung als die nihilistische Unlust einer lebensüberdrüssigen, zänkischen Hausfrau, die tagaus, tagein ihren Mann sekkiert, was sich noch bis zu dessen Büro-kcJlefefjji jjnd kftf^uaden^ auswirken mag. Bei Beckett kaniv man sich wenigstens am bis JflSß'iJöftÖfiUtausgeyitgtM SjjbsftrfrsB.en,>?; dessen Vollendung in genauem' und gewolltem Gegensatz steht zum nichtssagenden und nichtssagen-wollenden Inhalt — bei der Sagan schon haben wir diese Freude nicht mehr.

Was kann die Sagan dafür, daß sie nicht besser schreibt, als sie schreibt? Es ist nicht ihre Schuld, daß sie Millionen Leser findet, daß sie übersetzt und verfilmt wird, wirst Du sagen. Ist es nicht ungerecht, sie mit jener Frau zu vergleichen, die ihrem Mann das Leben vergällt?

Ich glaube, wir müssen bei der Erörterung der „Schuldfrage“ nicht nur an die Absicht denken, mit der jemand eine Tat begeht, sondern auch an die Wirkung, die sie haben kann. Ich möchte es so sägen: Unsere Verantwortung wird um so größer, je ärger die Folgen, je weiterreichender die Wirkung einer Handlung, die wir unternehmen, sein können. Jeder, der die Intelligenz hat, zu schreiben, muß auch über die Intelligenz verfügen, zu sehen, was er mit dem Geschriebenen auszurichten und anzurichten vermag.

Ich möchte nun auf ein Mißverständnis in Deinem Brief eingehen. Sicher habe ich gesagt, daß es mir nicht gefällt, daß Du diesen „Illustriertenschmus“ erzeugst. Aber ich habe bestimmt nicht gesagt, Du solltest, anstatt Kitsch zu machen, ernsthaft zu schreiben (oder gar: zu dichten) versuchen. Das habe ich sicher nicht getan! Wenn Du also gegen mich polemisierst und meinst, Du müßtest mich überzeugen, daß Du für eine ernsthafte Schriftstellerin nicht das nötige Zeug — das heißt: die nötige Begabung, Opferbereitschaft, Demut, Selbstkritik und den nötigen Fleiß — besitzt, so geht das ins Leere. Bei Gott, ich habe noch keinem Menschen geraten, er solle Schriftsteller oder gar Dichter werden. Wer fragt, ob er Schriftsteller werden soll, ob er Begabung habe usw. — dem muß man abraten. Nur der, der seiner selbst so sicher ist (obwohl er natürlich sich irren kann.'), daß er sich durch keine Enttäuschungen, keinen Rückschlag abhalten läßt, das zu schreiben, was er — und nur er! — für richtig hält: nur der hat einige Chancen, ein brauchbarer Schriftsteller zu werden.

Wie Du weißt, habe ich eine Zeitlang als Redakteur gearbeitet. Es war entsetzlich, den wöchentlichen Gedichteinlauf anzusehen. Wer dichtet nicht alles! Wer schreibt nicht alles mit seinem Herzblut, und es schmeckt wie abgestandene Limonade: anempfunden, nachempfunden, lauwarm, aus zweiter Hand, aus zweitem Munde. Nein, ich rate keinem Menschen, sich als Schriftsteller zu versuchen.

Was ich Dir - wie jedem anderen — raten kann, ist dies: Schreibe nicht, schreibe auf keinen Fall, wenn Du nicht unbedingt Dich dazu berufen fühlst, so sehr, daß Du nachts nicht schlafen kannst, wenn Du nicht das gestaltest, was Dich an Stoffen bedrängt. Und flüchte nicht, wenn Du zur Schriftstellerin nicht taugst, in Ersatzhandlungen — schreibe also keine Kolportageromane, schreibe keinen Kitsch, wenn Du Dir selber darüber klar bist, daß es Kolportage, daß es Kitsch ist.

Liebe Irene, Du schreibst: „Außerdem ist es meines Erachtens genau so geistige Prostitution, acht Stunden in einem stinkigen Büro zu sitzen, Formulare auszufüllen, blöden Parteienverkehr zu machen und mit Leuten zusammen zu sein, deren Bürokratensinn einen die Wände hinauftreiben kann. Ich arbeite durchschnittlich höchstens zwei Stunden am Tag für die Zeitungen und bekomme dafür doppelt soviel als eine Tipse, die ich bestenfalls abgeben könnte.“

Dazu möchte ich sagen: In einem stinkigen Büro zu sitzen halte ich für eine recht unangenehme Sache, aber keinesfalls für „geistige Prostitution“, wie Du schreibst. Es ist einem zuwider, man fühlt sich dort vielleicht vergewaltigt — aber man prostituiert sich nicht! Und außerdem, was tut man nicht alles, um sich durchzuschlagen, vieles, was man nicht will! Aber es muß eben sein, will man sich am Leben erhalten.

Daß es angenehmer, leichter, bequemer ist, nui zwei Stunden am Tage zu arbeiten (noch dazu bei doppelter Bezahlung!), daran zweifle ich nicht. Aber es ist nicht ethisch wertvoller! Ebensowenig, wie die Rosemarie Nitribitt in ihrer Frankfurter Nobelwohnung ethisch wertvoller war als ihre arme Kollegin am Hauptbahnhof oder sonstwo auf der Gasse. Es ging ihr besser, aber sie war deswegen kein besserer Mensch.

Ja, wirst Du nun sagen, alles recht schön und gut — aber ist es denn wirklich so verwerflich, diesen „Illustriertenschmus“ zu schreiben? Ich sage: ja. Ich halte nichts — wohlgemerkt: nichts — für unanständiger und unsittlicher, als schlecht zu schreiben, das heißt bewußt Kitsch, Schund, Schmus zu schreiben.

Ich habe dafür folgende Argumente:

1. Eines der Hauptübel unserer Zeit ist, daß die Begriffe nicht mehr stimmen, daß Wort. Sinn und Wirklichkeit auseinanderfallen. Was heißt Friede, Volksdemokratie, Verständigung? Ueberau etwas anderes. „Wenn aber Worte aufhören, eng an den Dingen zu haften, stürzen Königreiche ein, Weltreiche verfallen und schwinden“, sagt Ezra Pound. Der Schreiber des „Illustriertenschmuses“, der Verfasser von Kolportageromanen trägt insofern zu dieser Situation bei, als er die Sprache verschlampt, immer wieder gezwungen ist, bewußt die Unwahrheit zu sagen, zu mogeln, wenn er Menschen schildert, sie sprechen läßt, die Motive ihrer Handlungen dem Leser plausibel macht und so weiter. Von der ersten Zeile an stimmen Wort und Wahrheit nicht zusammen — und die Lüge triumphiert.

2. Ein Mensch, der bewußt die Unwahrheit sagt, schadet sich selbst. Wenigstens am Anfang weißt Du, daß es nicht wahr ist, was Du schreibst (wenn Du es auch irgendwie vor Dir zu entschuldigen versuchst). Und wenn Du später nicht mehr merkst, daß es erlogen ist, was Du schreibst — um so schlimmer! „Was nützte es, wenn ich die ganze Welt gewänne und nehme doch Schaden an meiner Seele!“

3. Das, was in den Illustrierten und diversen Wochenblättern erscheint, lesen und glauben tausende, hunderttausende Leute, wie sie das glauben, was sie im Film sehen! Ihre Seelen werden von dem Schwulst vergiftet, zunächst unbewußt, beginnen sie ihr LeLen darnach auszurichten, und schließlich können sie gar nicht mehr anders denken und empfinden als in Wen-lungen dieses Schwulstes.

Du weißt selber am besten, wie stark die Illustrierten- und Wochenblattgeschichten, die Scheinideale, die dort präsentiert werden, die Lebensweise der mondänen Badeorte und Villenviertel von der Cote d'Azur bis Hollywood und die Idole unserer Zeit, Filmstars und Sportler, Mannequins und Millionäre, Hochstapler und Exprinzen, das Verhalten (behaviour, wie die Amerikaner sagen) der Menschen formen, ihre Wachträume und ihre Art, zu reden. Diese Film-, Schallplatten- und Illustriertenwelt ist wie ein Spinnennetz: sie fängt die so verführbare menschliche Seele ein und gibt sie nicht mehr frei.

Wie oft kommt es vor, daß die Leser den Idealgestalten dieser Welt nacheifern — und scheitern. Dafür drei Beispiele.

Neulich hörte man von einer Halbstarkenschießerei, bei der die Halbstarken schließlich von der Polizei überwältigt wurden, obwohl sie sich genau so verhielten wie die Helden im Film!

Die Liebe mag — zweites Beispiel — am Anfang genau so schön und problemlos sein wie in Euren Illustriertenromanen. Wer aber, auf diese vorgegaukelten Idealbilder vertrauend, 'sich im alltäglichen Leben darauf verläßt — wie rasch wird der enttäuscht sein. Mädchen begehen Selbstmord, verzweifeln, werden zynisch, werfen sich weg („Mir ist jetzt alles Wurscht! Alle Männer sind schlecht!“) — man braucht nur die Mittagsblätter einer einzigen Woche herauszunehmen, um einige solcher Fälle, die vor dem Richter, im Krankenhaus oder auf der Prosektur enden, nachweisen zu können.

Drittes Beispiel: Eine Zeitungsmeldune vor etwa zehn Jahren, sie blieb mir in der Erinnerung, ich schrieb damals ein Gedicht darüber: Der sechsjährige Dickie Bonham ging zu irgendeinem Abgrund und sprang hinab, da er glaubte, fliegen zu können wie die Mickymaus. Als man ihn fand, lebte er noch, aber er starb kurze Zeit später. Er hatte ein paar Trickfilme mit fliegenden Menschen und Tieren gesehen.

Es heißt immer, der Mensch braucht leichte Lektüre, um sich zu entspannen, um zu versessen, um den Sorgen des Alltags entfliehen zu können. Ich glaube es nicht Ich glaube vielmehr, daß mit dieser Flucht vor der Realität die große Schizophrenie unserer Zeit beginnt.

Was ich weiß, ist dies: Jeder, der nach einem Trickfilm oder einem Schundroman glaubt, selber fliegen zu können“, wird unweigerlich abstürzen. Jeder, der sich mit den Helden dieser Kolportageromane identifiziert (und wer tut das nicht?), wird scheitern, weil er nicht so ist wie diese Helden (wer ist schon ein Eddie Constan-tine oder ein Gary Cooper, wie der Film sie zeigt?). Jeder, der durch diese Wochenblätter ein falsches Menschenbild bekommt, wird enttäuscht werden. Er wird sich getäuscht fühlen, weil er es nicht lernt, im Partner des täglichen Lebens das Du, den Menschen mit all seinen Schwächen, zu sehen und zu lieben. Das ist ihm, der „Entspannung“ gewöhnt ist, zu anstrengend — er ist platinblonde oder brünette, erotisch so anziehende Wunschpuppen gewöhnt, die immer vorausberechenbar reagieren — und nicht wirkliche Menschen in ihrer oft unbegreiflichen Vielfalt. Das ist's, was ich gegen diese Romane und Berichte habe: der Leser wird durch sie in ein harmloses, verniedlichtes Weltbild eingesponnen, das ihn daran hindert, die Probleme des realen Lebens richtig zu sehen und zu meistern. Sie werden dem wirklichen Leben immer weniger gewachsen sein, werden über die alltäglichen Fußangeln stolpern, die es im „Illustriertenschmus“ nicht gibt. Sie werden scheitern, weil sie glauben, es müsse alles so schön und romantisch weitergehen, wie es in den wirklichkeitsarmen, limonadigen, dünnluftigen Wochenblättchen weitergeht.

Ja, wirst Du fragen — was soll denn der einfache Mann von der Straße dann lesen? Du wirst ihm doch nicht Ezra Pound empfehlen wollen? Darauf sage ich: Er soll die anständigen Wochenzeitungen lesen — auch solche gibt es —, die echte Probleme in allgemeinverständlicher Form behandeln. Ueberall gibt es durchaus saubere Familienblätter, die zwar keine „Sensationen“ bringen, wohl aber Themen aufgreifen, die in der Oeffentlichkeit) diskutiert werden und genug Lese- und Gesprächsstoff enthalten.

Liebe Irene, ich muß schließen. Vielleicht wirst Du mir in manchem recht geben. Vielleicht auch — ich hoffe es — kannst Du Dich eines Tages zu dem Entschluß durchringen, wenn Du schon unbedingt vom Schreiben leben willst, damit zu beginnen, kleine Reportagen über die Wirklichkeit zu schreiben, in einfachen Worten, die nicht vom Tatsächlichen abweichen. Das wird Dir zwar mehr als zwei Stunden Zeit am Tage kosten, aber es wäre eine Tätigkeit, für die Dich niemand angreifen kann. Ich würde mich freuen, wenn Du diesen Weg gingest. Leb wohl!

Herzlichst grüßt Dein ,

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