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Dank und Tadel

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Die hier abgedruckte Rede hielt Herbert Eisenreich anläßlich der Verleihung des von der Industrie gestifteten Anton-Wild gans-Preises. Wir glauben, daß diese Ausführungen über den unmittelbaren Anlaß hinaus vielleicht beherzigenswert und jedenfalls diskussionswürdig sind und drucken sie deshalb im vollen Wortlaut hier ab.

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Die hier abgedruckte Rede hielt Herbert Eisenreich anläßlich der Verleihung des von der Industrie gestifteten Anton-Wild gans-Preises. Wir glauben, daß diese Ausführungen über den unmittelbaren Anlaß hinaus vielleicht beherzigenswert und jedenfalls diskussionswürdig sind und drucken sie deshalb im vollen Wortlaut hier ab.

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Meine Damen und Herren! Ob ich tatsächlich — wie ein sich kritisch gebärdender spätreifer Besserwisser im „Neuen Forum“ jüngst behauptet hat — ,,der Wortführer einer literarischen und politischen Reaktion“ bin, mag dahingestellt bleiben; altmodisch bin ich jedenfalls, und deshalb huldige ich der vielleicht nicht unbedingt progressiven, aber gewiß nicht ganz weltfremden Lebensregel: „Wenn man dir gibt, dann nimm; wenn man dir nimmt, dann schrei!“ Schlimmer noch: ich bringe sogar den völlig unzeitgemäßen Mut auf, für das, was man mir gibt — es sei denn, es sind Watschen —, mich zu bedanken. Hier hat man mir einen Preis gegeben, und ich danke also dafür. Mit dem Preis hat man mir Geld gegeben, und auch dafür danke ich. Ja: gerade auch für das Geld! Die. Verleihung des Preises kann ich doch wohl nur verstehen als eine Würdigung dessen, was ich bisher literarisch geleistet habe; in der mit dem Preis mir gegebenen Summe Geldes hingegen erblicke ich eine Art von Vorschuß, und nicht nur einen des Vertrauens. Geld selber ist ja nichts, sondern bedeutet etwas: 65 Groschen ein Salzstangerl, 7 Schilling ein Päckchen Tabak, 500.000 Schilling ein Eigenheim (zum Beispiel). Geld bedeutet, kurz gesagt, Freiheit — weshalb ja meist auch nur diejenigen es verachten, die es schon haben: ein Luxus kommt selten allein.

Der Schriftsteller hat es, üblicherweise, nicht, weil seine Arbeit ja nicht bezahlt, sondern nur honoriert wird — ganz abgesehen davon, daß gerade der Staat, der sich, wie unserer, die Schönheitsmaske des Kulturstaates anschminken will, den Schriftsteller nicht nur gesetzwidrig besteuert, 'sondern obendrein auch noch, und ohne verfassungsrechtliche Deckung, ständig partiell enteignet. Der Schriftsteller also hat's nicht, das Geld, und er hat somit keine Freiheit, worüber sehr viele Leute sich freuen, weil nahezu niemand die Freiheit des anderen mag, und schon gar nicht jemandes, der, was er denkt, auch zu sagen die Fähigkeit und die — ich gebe zu: aus der Not geborene — Unverfrorenheit hat. Wenn aber jemand Geld gibt jemandem, der es benützt zur Gewinnung eben der Freiheit, zu sagen was er denkt, dann wird nur derjenige nicht danken, sondern nörgeln, der sich selbst für bestechlich hält. Von jedem Geld, aber kaum von jedem Charakter wird man behaupten dürfen: non olet.

Ich danke also aus subjektivem, doch auch aus objektivem Grund für die Zuerkennung des Preises. Ich bin — wie sollt' ich es leugnen? — glücklich darüber, daß ich diesen Preis bekommen habe, und ich bin glücklich darüber, daß — rund heraus gesagt — nicht irgend ein anderer ihn bekommen hat; ich meine damit: nicht einer von jenen, die jetzt das Wort führen dürfen, obwohl — oder etwa: weil? — sie keinen zusammenhängenden Satz formulieren können. Mit meinem Geld in der Tasche sollte mich, wird man mir raten, kalt lassen, was ringsum gelallt und gestammelt wird; indessen: es läßt mich nicht kalt, denn ich liebe die Literatur, und ich weiß, daß die Werke der Literatur nicht bloß aus der Kraft eines individuellen Schöpfers, sondern zugleich auch aus der Gunst eines kollektiven Klimas heraus entstehen: Sprachlosigkeit — im genauesten Sinn des Wortes — mag, wie etwa bei Hölderlin, am Ende, sie kann aber doch wohl unmöglich am Anfang literarischen Daseins stehen. Ich spreche, wohlgemerkt, nicht von der Qualität, ich polemisiere nicht gegen den etwa gespürten Mangel daran, ich will nicht der Pyramide die breite und notwendig flache Basis entziehen; ich spreche auch nicht von dem Unterschied zwischen Kunst und Kitsch oder dem zwischen Kunst und Kommerz, sondern von dem Unterschied zwischen Kunst und Chuzpe. Ich plädiere nicht — oder jedenfalls nicht primär — für das Gelungene gegen das Mißlungene, sondern für die Modernität gegen das Modische. Es dürfte bekannt sein, daß ich dem Thomas Bernhard mit einer gewissen Reserve gegenüberstehe; aber wiewohl die sein ganzes Oeuvre durchwaltende selbstzerstörerische Dynamik mir in ethischer wie in ästhetischer Hinsicht wider den Strich geht, würde ich mir, wo das nötig wäre, die Lippen fransig reden, um das Verständnis zu wecken für seine zwar monomanischen, aber heroischen Versuche, jene Kräfte zu artikulieren. Wen also meine ich dann aber, wird man mich fragen, mit meiner Polemik? Nun, ich antworte drauf, mit jener koketten Dame aus der „Dreigroschenoper“: Alle!

Alle — das heißt natürlich auch hier, wie dort: Alle mit einigen Ausnahmen. Mit Ausnahme beispielsweise von Anton Fuchs, dem mit dem Roman „Vom Morgen in die Nacht“ eine Reise durch das Gehirn gelungen ist, die als Bewußtseinsvermehrung zu Buche schlägt, also tatsächlich dem Fortschritte dient. Aber weit gefehlt, wenn man glaubt, die Avantgarde habe diesen wahrhaft modernen Roman dann als ihre Bibel oder wenigstens als ihr Kochbuch reklamiert! Sie hat ihn, im Gegen teü, totgeschwiegen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens einmal können die Modernisten nicht nur nicht dichten, sondern auch nicht denken, weil sie nicht gebildet, sondern belesen sind und überdies ihre Lesefrüchte mit Vorliebe bei solchen Gedankengutsbesitzern beziehen, die, wie etwa Lukäcs und überhaupt viele Marxisten — der Opa war immerhin ein verhinderter Lyriker! — des zum Verständnis von Kunst ab ovo nötigen Kunstverstandes entbehren (weshalb dann bei ihnen, nebenbei bemerkt, jeweilige Hilfswissenschaften mit einem angemaßten Totalitätsanspruch auftreten, man denke nur an die Soziologie). Sie haben das Buch einfach nicht kapiert. Und zweitens mußte dieser Roman von Fuchs den Modernisten sogar bei etwa vorhandenem Qualitätsgefühl als peinlich, ja als gefährlich erscheinen, weil er herausführt aus jenem Dämmerreich geminderten Bewußtseins, in dem sie selber, wie frühere Reaktionäre im Blut und Boden, sich eingenistet haben. Dieser Roman beweist nämlich, und zwar mit dem einzig unwiderlegbaren Argument: durch sein Vorhandensein, daß ein Bewußtseinszuwachs keineswegs auf Kosten der Sprache, sondern, wie eh und je, gerade in ihr, im sprachlichen Gestaltungsprozeß, erfolgt. Just den Gegensatz aber suggerieren die Modernisten: daß neues Bewußtsein in herkömmlicher Sprachgestalt nicht mehr ausdrückbar sei (oder so ähnlich halt). Man versteht, warum sie um Anton Fuchs einen Bogen machen...

In Wahrheit verhält sich die Sache natürlich so, daß jeder, der mit der Grammatik nicht zu Rande kommt, eine neue Poetik draus macht; und daß jeder, der nichts zu sagen hat, das Nichtssagende als angeblich anders Unsagbares, angeblich verfremdet also, von sich gibt: dieser Schmäh ist so alt wie die Literaturgeschichte. Und nicht minder alt ist das im weiteren Sinn reaktionäre, im engeren Sinn faschistoide Manöver, vor der — um Stifter zu zitieren — „schrecklichen Gewalt der Tatsachen“ in einen infantilen, ja womöglich embryonalen Bewußtseinszustand zurückzuschrumpfen, um aus dieser natürlich schutzbedürftigen Position heraus die Leistung, zu der man sich selber nicht fähig fühlt, recht ungestraft hassen und diffamieren zu dürfen. Auch die Kraftmeierei als Alibi der Sentimentalität, die Uniformierung als Tarnung der personalen Verantwortungsangst: auch das ist nicht grade neu, in der Literatur so wenig wie im übrigen Leben. Man brauchte sich also- nicht viel irritieren zu lassen davon; am allerwenigsten hier in Österreich, wo, wenn Musil recht hat, „immer nur ein Genie für einen Lümmel, aber niemals, wie es anderswo vorkam, schon der Lümmel für ein Genie gehalten wurde“.

Aber Musil ist tot und Kakanien auch, und vielleicht durch den Fremdenverkehr, der leider nicht auf gewöhnliche, also ehrliche Hausmeister beschränkt bleibt, sondern auch solche von geistigen Heiligtümern in seinem Sog mit herein zieht, vielleicht also durch den Fremdenverkehr, der uns nicht nur Devisen, sondern auch Parolen bringt, die wir, im Gegensatz zu jenen, nicht einwechseln können, sondern dann selber ausgeben müssen; kurzum, es ist hier, wodurch auch immer, eine völlige Abkehr von jenem gewiß nicht grad idealen, doch realistischen Prinzip verursacht worden, mit der Folge, daß heutzutage nahezu jeder, dem die Befassung mit Dingen der Kunst obliegt oder aufgenötigt wird, alles Neue — de facto, weil ja nichts wirklich neu ist, das ihm als neu Erscheinende oder auch nur als neu Offerierte — ungeachtet des eigenen Geschmacks und des eigenen Urteils für gut und wahr und schön .erklärt, und zwar um so emphatischer, je rüder und krauser, je banaler und degoutanter, je ordinärer und primitiver dies angeblich Neue sich präsentiert. Egal, ob einer den Goethe oder den Ganghofer auf dem Nachtkastel liegen hat: in einer Jury wie beim Pausengeplauder, als Lektor wie auch als ein Mann aus dem Volk vor der Kamera, redigierend und rezensierend und diskutierend rühmt er nicht das, was er, sondern das, was man gerade liest — auch wenn es ihn, so er's aus Angst vor Blamage dann auch selber liest, bis zum Einschlafen langweilt. Die Jüngsten, soweit ich das sehe, prüfen sehr kritisch; die Alten hingegen gieren, in einer Art Torschlußpanik, danach, in dem modischen Zirkus mithopsen oder zumindest mithumpeln zu dürfen: nicht unbedingt als Akteure — man muß ja der Jugend ihre Chance geben, sagen sie —, aber als Manager, Förderer, Gönner, fast möchte man meinen: als Musen. Glatzköpfe biedern den Unfrisierten sich an, Greise buhlen um Rotzbuben: man will lieber kindisch als alt sein. Und ist dadurch alt und kindisch zugleich, und obendrein auch noch gemeingefährlich. Denn diese taumelige Verbrüderung derer, denen die Zähne ausgefallen sind, mit denen, die noch gar keine haben; dies gekünstelte Stottern, diese provozierte verbale Fehlleistung, diese in einem einzigen permanenten Lapsus linguae laut werdende Angst davor, nicht mehr dabei sein zu dürfen; kurz: dieses Kapitulieren vor einem an sich konfusen und deshalb nach vorn statt nach hinten flüchtenden Gegner zeitigt, auch wenn es im einzelnen stets nur als individuelle Verjüngungskur gedacht war, durchaus nicht den jeweils gewünschten, sondern auch einen im allgemeinen nicht wünschenswerten Effekt: Der bessere Teil der Jugend wird, was der andere laut ausposaunt, glauben müssen, daß es tatsächlich nicht wert sei, dem nachzuleben, was Ältere vorgelebt haben; während die anderen, die Pfiffigen, schon sich in Unschuld die Hände waschen, da ihr Geschäft ja besorgt wird von solchen, die unter Lenins Kategorie der „nützlichen Idioten“ fallen: die Leiche schaufelt sich selbst ihr Grab.

Im verschlafenen Österreich wähnt man natürlich noch immer, daß die Gesundheit und Stabilität eines Staatswesens nur in der Höhe des Bruttonationalprodukts, in der Prozentzahl der Beschäftigten, in der Bilanz des Außenhandels, nicht aber primär im Zustand der Intelligentia dieses Staates sich ausdrücke: als ob Deutschland, Frankreich, die USA, und drüben die CSSR und Ungarn uns keine Lehren erteilt hätten! Der Geist gilt hier immer noch nur als Nebensache, als nutzloser Schnörkel an eines Hochofens harter Kontur. Und deshalb packt keinen das Grausen, wenn die zu geistiger Führung Berufenen plötzlich zu Kriechern degenerieren, über deren wülig gekrümmte Buckel die literarisch posierende Minderheit, die es zwar immer gegeben hat, aber nur so gegeben hat wie das Muttermal auf der Haut der Schönheitskönigin, aus der Kloake, auf neudeutsch: dem Underground, hinauf in die weichen Fauteuils des Establishments klettert. Auf diesem wahrhaftig nicht mehr ungewöhnlichen Wege gelangen nun die an die wirklich wirksamen Hebel des Machtapparates, die, weil sie vorher schon keine, und sei's auch noch so subjektive und eo ipso anzweifelbare, Wertordnung hatten, im Gebrauch ihrer Macht schon grundsätzlich nicht nach Wert, sondern nur nach Nutzen verfahren werden — nach eigenem Nutzen, versteht sich!

Und eigentlich, wenn auch leider, haben sie recht. Denn wenn eine Vätergeneration, und zwar nur deshalb, weil sie bei ihren diversen Engagements ein paarmal auf die Nase gefallen ist, den hierarchischen Gedanken preisgibt zugunsten dessen, was man, um eine wissenschaftlich klingende Ausrede für die eigene Feigheit zu haben, als pluralistische Gesellschaft bezeichnet — früher hätte man ein Gemeinwesen ohne konventionale Prioritäten schlicht einen Saustall genannt —: dann gilt, wie auf jedem sinkenden Schiff, halt nur noch die Losung: Rette sich, wer kann! Und wer kann schon? Natürlich nur der, den keine Wertordnung bindet.

Ich — angesichts solcher Aktionen tatsächlich ein Reaktionär <— bin trotzdem dagegen. Und danke deshalb noch einmal für die Zuerkennung dieses Preises. Man hat damit nicht nur mich, der ich rede, sondern zugleich auch die schweigende Mehrheit ermuntert und ermutigt, dem alten Establishment vor allem schon deshalb den Rücken zu kehren, um dem neuen die Stirne zu bieten.

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