Uber alles und jedes einzelne sich beklagen — das Zahnweh, den lärmenden Nachbarn, die Schwäche des Willens vor süßen Törtchen, den Stau auf der Autobahn, und so weiter — ist das Kriterium des Optimisten; der nämlich insgeheim, wider sein besseres Wissen, doch hofft, daß alles und jedes ihm günstig verlaufe; und völlig natürlicherweise ständig enttäuscht wird, ständig ums Recht auf sein Glück sich geprellt sieht, und deshalb ständig beleidigt ist; und, als ständiger Nörgler und Raunzer, der oberflächlichen Anschauung für einen Pessimisten gilt. Wo hingegen der Pessimist,
1.Demosthenes war berühmt für den auch akustischen Stil seiner Rede, genauer gesagt: für den Rhythmus derselben; wobei das ganze Geheimnis darin bestand, die Folge von mehr als zwei kurzen Silben, wo immer möglich, zu meiden.Doch in dem Maße, in dem wir vom Hören zum Lesen wechselten, ging uns das Ohr für solche Feinheiten langsam verloren, und wir genieren uns heute schon nicht mehr, einmal betonte Silben zu häufen und dann wieder meh-rere unbetonte verplätschern zu lassen; obwohl doch schon oft zur besseren Hörbarkeit auch des Geschriebenen völlig genügte, das Dativ-E wieder in
Das Denken denkt über sich selber nach, nicht über das Los des Menschen, nicht über den Weinbau, nicht über Gesetz und Gewalt, und nicht über Krankheit und deren Heilung, et cetera. Jedweder Gegenstand ist bloß vorgeschoben: so wie man, um des Lichtes gewahr und inne zu werden, einen (festen, flüssigen oder gasförmigen) Körper in den Lichtkegel bringen muß. Dann wird zwar, dem Augenschein, dieser Körper sichtbar — zum Beispiel der Rauch aus meiner Tabakspfeife oder derMond am Himmel -, aber was eigentlich sichtbar wird, ist dasjenige, was diesen Körper sichtbar macht: das sonst
Der Sozialismus hat, neben zahllosen anderen Übeln, die Isolierung der Gegenwart, mithin die Nichtigkeit jeweils gegenwärtigen Daseins, verschuldet: die Einschränkung des Begriffs des Sozialen, als Gegensatz zu dem Begriff des Historischen, auf die horizontale Dimension. Das heißt: auf die Ebene dessen, was jeweils derzeitig ist; auf die jedesmalige Mitwelt: als ob irgendeine, gleich welche, dem Konti-nuum extrahierte Aktualität etwas anderes als ein Abstraktum wäre! Und: als ob Genossenschaft nicht auch zu Eltern und Großeltern wie auch zu Kindern und Enkeln walte, und zwar eben so
Eüher, bis sie im Kriegsjahr 944 eingestellt wurde, hatte er die „Lokomotive“ gelesen, und seither hatte er sich damit begnügen müssen, in den alten, jahrgangsweise gebundenen Heften zu blättern; er kannte sie schon halb auswendig. Nun aber gab es also wieder eine Eisenbahn-Zeitschrift, und er fühlte sich wieder neu verknüpft, gleichsam wieder neu verquickt mit dem einzigen Traum seines kargen Lebens, mit seiner Jugend, mit dem ewigenAnteil von Jugend in seinem ganzen nun sich neigenden Dasein.Von den Fenstern der väterlichen Wohnung in Maria Anzbach hatte er als Knabe schon
In einem Briefe, soeben, wollte ich schreiben: „Ich hasse es“, aber ich schrieb: „I hate it“. Doch nicht, um mein Urteil bezüglich der Sache zu mildern, sondern aus plötzlicher Scheu vor dem Wort: vor dem deutschen Wort „hassen“, nicht vor dem englischen „hate“, dem lateinischen „odisse“, mithin nicht vor dem Begriff.Ich spürte bloß wieder einmal, daß den Wörtern der fremden Sprache geringere Schwerkraft eignet als denen der Muttersprache: es bleibt das Gesagte gewissermaßen beim Worte allein; man denkt in der fremden Sprache vergleichsweise wertneutral, im
In einem überaus hellen Wachtraum, wie unter sommerlicher Mittagssonne, sah ich eine Gegend, wie wir sie aus unserer erdkundlichen Erfahrung nicht kennen: Auf eine horizontweite Ebe-\ ne waren, hier einer und dort einer, wie von übermenschlicher Laune, einzelne Berge vom Rang der höchsten Alpengipfel gestellt; unvermittelt ragten sie empor, entrückt ihrer haltenden Umgebung von kleineren Brüdern, aus denen sie gleichsam hervorgewachsen, von denen sie gleichsam gestützt und genährt erschienen, in der uns vertrauten Landschaft. Bei näherem Zusehn bemerkte ich, daß die Ebene nichts als
Hans Weigel beginnt eine Parodie auf mich mit dem (klein geschriebenen) Wörtchen „und”, und er schließt auch (ohne schließenden Punkt) mit „und”. Und wahrlich, er hat mich damit ganz genau getroffen: das „und” ist mein liebstes und deshalb mein öftest verwendetes Wort; und ich weiß auch warum.Ich weiß nämlich — und ich weiß das im wörtlichsten Wortsinn ab ovo —, daß alles zerteilt und getrennt ist, jedes von jedem und jedes von allem geschieden; und daß diese Ursache unseres Daseins die Ursache unseres Leidens am Dasein: so daß wir nach Aufhebung dieser, doch ohne
Den Schweigenden kann man nicht überhören noch kann man ihn widerlegen, man kann ihn bloß totschweigen — also das tun, wozu er die Schwätzer hat bringen wollen.•Kunst ist ein Stück Natur, in ein Stück einer andern Natur verwandelt.*Ob jemand, der - sagen wir — Himmelfreundpointner heißt, schon des Namens wegen ein komplizierterer Mensch ist als einer, der — sogen wir — Glaser heißt? Wird ein Meier, ein Müller, ein Schmied — wie auch immer geschrieben — zu anderweitiger Differenzierung getrieben; wenn ja, wo hin, bis in welche Exzesse? Wie kompensiert ein Gütl, ein
Sind die Zivildiener bloß „vaterlandslose Gesellen” oder verlangt nicht die Bibel von den Christen Ge-waltlosigkeit? Extremstandpunkte können auch zur Klärung beitragen.
In früheren — meist sehr viel XXI. härteren—Zeiten war man im Trubel, in einer Hetzjagd, man war unter Druck, man war angespannt, war überlastet, entsprechend nervös, überreizt, konfus, kaputt, man war allenfalls überfordert (und hätte sich schon vor sich selber geniert, dies auszuposaunen). Doch seit jeder Affe und Laffe die Universität beziehen darf, ja sogar muß, auf daß er nur ja den jeweils modernsten Aberglauben erwerbe, ist man tagaus und nachtein gestreßt.Man hat zwar bloß nicht genug studiert für die Prüfung, man hat zwar bloß nicht die Termine exakt kalkuliert, und
Bei Bräune hat man um 1900 noch an eine Krankheit (Angina, und Diphtherie) gedacht; und ich, doch da steh' ich wohl ziemlich allein, ich denke auch heute noch an eine Krankheit:Im Hinblick über die anfang-und endlos die Kontinente säumenden Badestrände, wo kaum noch jemand im Wasser plantscht, vom Schwimmen schon gleich zu schweigen, kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, daß die abendländische Menschheit nichts weiter mehr weiß, als die letzten Reste von Hirn aus dem Kopfe sich schmelzen zu lassen: dem Sonnenbrand nicht mehr nur außen, auch innen sich aussetzend, bis zur
Wo keine Form ist, ist das Nichts", sagt der österreichische Dichter A. P. Gütersloh; und wir getrauen uns, diese philosophische Sentenz auch durchaus dinglich zu interpretieren.Wenn wir uns, wo auch immer wir uns gerade befinden mögen, ohne Befangenheit umsehen, trifft unser Blick auf Formen: das sei die Taste meiner Schreibmaschine, das sei die Türklinke, das sei die Karosserie des Autos. Und weiter kommt uns zu Bewußtsein, daß, was wir Form nennen, im Grunde nichts anderes ist als eine Entsprechung zuerst zum Menschen und dann zur Natur überhaupt: die Taste meiner
Wir lagen in Frankreich südlich der Loire, und wir alle wußten natürlich: die Invasion steht bevor. Wir wußten das bis zum Überdruß. Am Abend des strahlend schönen 5. Juni war ich noch schwimmen in dem Flüßchen Thouet und kehrte zu spät in die Unterkunft zurück, aber der Kompaniefeldwebel drückte ein Auge zu.Am folgenden Morgen gab's den Alarm, und am Abend war ich wiederum schwimmen, und wieder kam ich zu spät zurück, und wurde also belehrt: „Sie brauchen nicht zu glauben, daß der Zapfenstreich nicht mehr gilt, nur weil wir jetzt die Invasion haben."Ach ja, die Posten
Die Figur des Hamlet ist voll innerer Logik. Der im Kern seines Wesens, in dem Komplex seiner Wertbegriffe, zutiefst getroffene, ja von Anfang an tödlich verletzte unfreiwillige Held der Affaire redet und handelt ja keineswegs irr und wirr; im Gegenteil: sein Denken ist von schärfster sittlicher Sensibilität, und wenn er nicht tut, was jeder andere täte, dann offenbart sich darin eine äußerste sittliche Konsequenz. „Der Rest ist Schweigen", was sonst? Und wie die Titelfigur, so ist auch das Stück voll innerer Logik — bis auf die Erscheinung des For-tinbras ganz am Ende.Der
Der Heilige dieser Epoche — den wir uns freilich nicht einfach bestellen können wie einen neuen Bürgermeister, wie einen neuen Kanzler —, der Heilige unserer Zeit, der in Wahrheit Neue Mensch, wie könnte er aussehn?Nun, er muß aussehn wie jeder tatsächlich Heilige: nicht bloß anders als seine Zeit; denn anders als ihre Zeit sind ja auch die Mitläufer, anders sind auch die Reaktionäre so wie auch die Utopisten. Er muß Negation sein, aber die konstruktive Negation seiner Zeit. Er muß äußerster Gegen-Satz, äußerstes Gegen-Bild seiner Epoche sein, wenn auch gleich als das reifste
Neben dem Eckermann ist der Nachsommer" das wohl profundest kritische Buch unsres ganzen Schrifttums: das wohl einzige wahrheitlich pessimistische Sprachkunstwerk deutscher Zunge. Denn Stifters Roman zeigt uns nicht die wirkliche Welt als geheilte Welt; sondern bildet die heile Welt, die wir alle brauchen, um unsre wirkliche Welt nicht versehentlich für eine heile zu halten.Je lauter ich unterm Schreiben denke, desto leiser mein Stil.Ich möchte lieber, wenn's Gott gefällt, wie der Don Quixote sterben, anstatt wie Hamlet, wenngleich jene er-stere Art, als die gleichsam zivile, die
Die höflichste Art von Schweigsamkeit: sein eigenes Zimmer nicht mehr verlassen.Beim Lesen besonders gescheiter, um nicht zu sagen gelehrter Bücher kann ich mich selten der Vorstellung von der örtlichkeit, wo der Verfasser gedacht und gedichtet, entziehen; die Bilder drängen sich, gleichsam als sichtbare Resümees, mir geradezu auf; und dem entsprechend rubriziere ich nicht mehr, wie einst gelernt, unter Idealismus, Materialismus, Realismus et cetera, nicht unter Neu-Platonis-mus, Thomismus, Positivismus, Phänomenologie und so weiter, sondern ich scheide in Vorzimmer-Philosophie,
Mein Onkel Alfred — er ist darin im Krieg geblieben, im eingeschlossenen Budapest —, der Onkel Alfred also stopfte sich selber die Zigaretten; und schenkte mir manchmal ein paar der Bilder, welche den Hülsen, als Anreiz zum Kaufe, beigelegt waren. Meistens zeigten sie Szenen aus der Geschichte, doch damals, zur Zeit des Abessinien-Krieges, Soldaten der beiden Seiten im Kampfe: die Italiener in ihrem Olivgrün, die regulären Truppen des Negus in Khaki und die Stammeskrieger im Burnus, mit Flinten und Lanzen erbärmlich bewaffnet gegen die Tanks und Maschinengewehre der fremden
Ein Leser bemängelte in FURCHE Nr. 48 den Ausdruck „lange Jahrzehnte". Die Kritik veranlaßte Herbert Eisenreich zu den folgenden Reflexionen.Es ist nur natürlich, daß in dem Maße, in dem das öffentliche Geschwätz um sich greift, die Sprache verludert. Was Anlaß zu größter Sorge gibt, zu Sorge um unser Denken, um unsere geistige Lebensfähigkeit, ist der rapide Schwund, der Verlust der Anschaulichkeit.Was man bei Wieland tadelte: seine verwirrende Vielf alt der Stile, das habe man, wie ich soeben lese, „bemängelt“. Es kann aber, was des Guten zu viel ist, ein Mangel nicht sein,
Sich als Künstler versuchen, fürwahr ein fatales Unterfangen: sich der Versuchung aussetzen nicht etwa bloß, alles besser wissen, sondern viel mehr, alles besser können zu wollen.Für Abrüstung: für die Ächtung der Hieb- und Stichworte.Mit dem Don Quixote, welcher so selten gelesen wie häufig zitiert wird, assoziieren wir, geradezu unvermeidlicher Weise, den Kampf gegen Windmühlen. Und verdrängen damit jene Niederlage, wo eine Herde von Schweinen über den Ritter trampelt — was aber freilich das unausweichliche Schicksal jedes Ritters in räudiger Zeit ist (und deshalb wollen wir
Die ewige Leier all derer, die das Latein aus den Schulen verbannen wollen, um die allgemeine Vertrottelung zu fördern und also Untertanenmentalität zu züchten: Der Wissensstoff sei so immens gewachsen, daß man zu Gunsten anderer Fächer die „tote Sprache“ einsparen müsse.Im Verhältnis zu welcher Epoche, bitte, hat denn der Wissensstoff sich vermehrt? Zu 1950? ZurVorkriegszeit? Zum 19. Jahrhundert? Zur Renaissance? Zum Hellenismus?Im Altertum, jedenfalls, sind die Gelehrten wie ihre Schüler gleichsam vor einem einzigen, allerdings riesigen, unbeschriebenen Blatt Papier gesessen, und
In den älteren Romanen begegnen noch Stolze, in den neuesten bloß Beleidigte. Ebenso steht es wohl um die Autoren selber, man vergleiche zum Beispiel den Thomas Bernhard mit Joseph Conrad.Beim Wiederlesen von Büchern entdecken wir staunend, daß wir damals just jene Seiten glatt überblättert haben, auf denen damals geschrieben stand: „tua res agi- tur“. Ach, wie wenig also wird jetzt diese zweite Lektüre uns nützen? Erfahren wir lesend wirklich nur, was wir schon wissen? Erinnerungen an das, was wir damals schon hätten gewußt haben sollen: Mahnung an irgend etwas, von dem wir
„Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt“ — so sind die gefährlichsten Ideen nicht die falschen Ideen, sondern die richtigen Ideen, nicht ganz zu Ende gedacht.Wenn man „Frechheiten“ liest für „Freiheiten“: ist das dann immer bloß nur ein Druckfehler?„Mir fehlen die Worte", das sagen bloß jene, die auch ansonsten mehr reden als sagen.Die Welt des Thomas Bernhard ist grau in grau, also spannungslos, völlig problemlos, also bequem erträglich (wie der Verkaufserfolg seiner Bücher und Stücke stringent beweist); zumindest nicht weniger
Der Leser, der, wenn er sich portraitiert meint, beleidigt ist, sollte bedenken, daß der Autor nie etvjas anderes als ein Selbstportrait liefert; selbst wenn er das Material dazu von auswärts bezieht. Er schließt, wie man sagt, von sich auf andere. Übrigens gibt’s für den Autor kein größeres Lob als ein solches Betroffensein eines Lesers, welcher damit ja bestätigt: sua res agitur. Was nicht im Grunde von jedem han delt, im Grunde nicht jeden von uns betrifft, das wäre nicht wert gewesen, geschrieben zu werden; und ist auch nicht wert, gelesen zu werden: ist also keiner Aufregung
Seit Jahrzehnten zitiere ich, mir wie auch anderen, Hölderlins Ode an Heidelberg also: „Lange liebt’ ich dich schon,wollte dich, mir zur Lust, Mutter nennen, und dirweihen ein kunstlos Lied, Du, der Vaterlandsstädte , Ringsum schönste, so weitich sah." : Also falsch, denn geschrieben steht: „lieb ich dich schon, möchte dich", und dann „schenken" statt „weihen", und endlich: „der Vaterlandsstädte/Ländlichschönste, so viel ich sah." Doch bei allen Göttern Griechenlands! ich behaupte nicht bloß, dem Gedicht nicht geschadet, sondern darüber hinaus, es verbessert zu haben: Das
Der autobiographische Juckreiz gehört zum halb fertigen Menschen; er ist zu lokalisieren in der Diskrepanz zwischen dem biologisch Gewordenen und dem geistig und sittlich Werdenden. Er gehört zum Ubertritt aus der Jugend in das Erwachsensein, eben so wie der suizidale Juckreiz: beides als ein Zu-wichtig-Nehmen der eigenen Person und des eigenen Schicksals: hier es vernichten wollend, und dort es verewigen wollend. Selbst die später ganz Großen, dann ganz Objektiven, sind der Versuchung direkter Darstellung ihrer selbst nicht entgangen, Goethe als „Werther” mag da als Beispiel stehen;
Literatur und Leben verhalten sich so zu einander wie Henne und Ei. Das eine geht aus dem andern hervor, und was zuallererst da gewesen, wird nie je ergründet werden.Aber die Literatur - so höre ich einwenden - ist doch logischerweise erst nach dem Leben gekommen, als ein Reflex auf eben dieses Leben.Gewiß, wenn man den Begriff des Lebens rein biologisch faßt. Aber Leben alsein definierbarer Wert ist doch wohl erst entstanden als Folge der Literatur. Kraß ausgedrück: Ohne den Vorgang der Literatur war das Leben nicht lebenswert - oder sagen wir so: das Leben des Menschen war nicht in
An Adalbert Stifters „Nachsommer" ist der Verfasser verhältnismäßig spät geraten. Früher, seit seinen Knabenjahren schon, hatte er die „Bunten Steine" und andere kleinere Werke, wie sie in den „Studien" gesammelt sind, gelesen und studiert; der große Roman aber stand, halb Drohung und halb Verlockung, lange Zeit unberührt im Bücherschrank.Was dann am „Nachsommer" überraschte, war die im Vergleich zu den früheren Werken unpoetische Sprache; ja, bei fortschreitender und wiederholter Lektüre wurde deutlich, daß hier nicht nur auf das eigentlich Poetische
Vor zwei, drei Jahrzehnten ist es in Mode gekommen, den französischen Romancier Gustave Flaubert ins L'art-pour-l'art-Winkerl zu stellen: Man bewunderte ihn allenfalls wie einen dressierten Affen, aber seine Bücher zu lesen galt nicht als schick. Wir hätten, so hieß es mehr oder minder unverblümt, andere Sorgen als Flaubert einerseits, die Madame Bo-vary oder gar der heilige Antonius anderseits.Und in der Tat: Unsere Sorge gilt nur noch dem Geld und, mehr pro forma, der Gesundheit - dies zweite nämlich nur, um unseren Sinn für höhere Werte als das Geld ist, uns und der Umwelt zu
Stil ist die Beschränkung, die die Sprache der Phantasie auferlegt.Gott gab die Psychologie den Menschen, damit sie sich erkennen und ihre Fehler beseitigen; aber die Menschen gebrauchen sie, um Gott zu erklären und ihre Fehler zu entschuldigen.Die Psychoanalytiker amputieren sich die Zehen, damit sie in den Kinderschuhen steckenbleiben können.Wer nicht teilen will, verweigert auch sich seinen Teil.Unter dem Vorwand der Liebe wird die Sprache oft vergewaltigt, bis sie tot ist und dafür verleiht die Kulturwelt Preise: moderne Kopfprämien.Der Stolz, in einem Reiche zu leben, in dem die
Aus den hie ästhetischen, hie ideologischen Konformismen der deutschen Nachkriegsliteratur ist Albert Vigoleis Thelen einst ausgebrochen als - nein, durchaus nicht als ein enfant terrible, er war da ja immerhin runde fünfzig, sondern als einer, der statt die Sprache als ein Vehikel von Meinungen und Gesinnungen zu benützen, von der Sprache sich bewegen ließ, bewegen in jeder Bedeutung des Wortes. Die „Insel des zweiten Gesichts“, dieser Schau-Platz seiner „angewandten Erinnerungen“, quillt zwar geradezu über von Stoff, aber ist nicht gestorben mit diesem Stoff; denn sie lebt in
Flaubert, von einem kürzlich verstorbenen Freunde redend, schreibt an einen der noch lebenden, sein Herz sei nur mehr ein einziger großer Friedhof. So fühle auch ich schon, seit sie schier reihenweise wegsterben: nächste und nahe Verwandte sowie die Meister und die Kumpane, die Partner und die Vertrauten in Kunst und Leben: die Mutter, dann Reinhard Federmann, plötzlich Kurt Moldovan, jüngst mein liebster Cousin, und der Botschafter Hartl, und William S. Schlamm, dann Erich Landgrebe - nein, ich mag nicht mehr zählen! - und eben jetzt, am 10. November 1979, Friedrich Torberg.Fast
Man weiß es oft gar nicht, aber die Tatsache bleibt: daß der Mensch auch seelische Bedürfnisse hat. Den Zugang zur Seele nun (und damit auch schon deren Bestandteil) bilden die Sinne, und uns will scheinen, ės ließe die Menschheit sich in Sinnes-Gruppen einteilen: je nach demjenigen Sinn, der als Kanal zur Speisung der Seele vorwiegend benützt wird.Beim Wiener ist es der optische Sinn. Das mag im ersten Augenblick befremdlich, ja unrichtig klingen: gilt der Wiener doch als zutiefst musikalisch - musikalisch in einem derart großen Maß, daß ihm darüber die Fähigkeit des Lesens, so
Das klingt zuerst einmal wie eine simple mathematische Gleichung, geradezu volksschülerhaft: vier Viertel, ein Ganzes. Indessen, auf unser Heimatland angewendet, wollen wir diesen Titel nicht quantitativ, sondern qualitativ verstanden sehen: über den selbstverständlichen Sachverhalt hinaus, daß vier Viertel rechnerisch ein Ganzes ergeben, wollen wir damit die eigentliche Besonderheit des Bundeslandes Oberösterreich aufs knappste formulieren; die nämlich, daß es, dieses Bundesland, nicht durch irgendein Einzelnes und Einmaliges groß beherrscht und unverwechselbar charakterisiert wird
Der bekannte Publizist und Schriftsteller Herbert Eisenreich zieht aus der Lektüre eines neuen Buches von David Irving ebenso persönliche wie - auf den ersten Blick - überraschende Schlüsse.
Wenn der Mensch mit archälogogi-schem Spaten in seiner Vergangenheit wühlt, dann stößt er selbst dort, wo alle anderen Zeugnisse einstigen Lebens zu Staub zerbröselt sind, unweigerlich doch auf die noch kenntlichen Reste eines Gotteshauses. Und oftmals sind's nicht die Reste von einem einzigen, sondern von mehreren Tempeln und Kirchen, deren Fundamente da ineinander geschachtelt sind und übereinander ruhen, also Zeugnis gebend davon, wie einst die jeweils neue Religion in der älteren sich buchstäblich eingenistet hat und aus ihr herausgewachsen ist, bis sie selber zum Nährboden neuen
Ernst Vasovec hat einen neuen großen Roman geschrieben, „Sodom oder Das Vorbestimmte und das Zugefügte“. Franz Richter hat das Buch für die FURCHE in der Nummer 45/78 bereits kurz besprochen. Herbert Eisenreich hat sich mit diesem Roman nun genauer auseinandergesetzt.
Am 6. Mai 1976, als in ganz Mitteleuropa die Erde bebte, hat das kleine Friaul nicht nur Menschenleben eingebüßt, sondern auch eine Menge seiner Kunstschätze und Kulturgüter - Schätze und Güter, die, wie ein italienischer Korrespondent damals sagte, niemand in Italien gekannt zu haben schien. Und, wie wir hinzufügen müssen, niemand in Europa. Man war da doch immer nur eilig durchgefahren, hinunter nach Rom, nach Venedig zumindest, zum Strand von Caorle, und auch nach Triest, nach Rijeka, nach Split, oder umgekehrt über die Alpen gen Norden. Verweilt sind immer nur wenige dort, so der
Nichts in der Literatur scheint so rätselhaft zu sein wie der Kriminalroman, und das nicht nur, weil Detektiv und Leser ein Rätsel lösen müssen. Genauso gerätselt wird, mehr oder minder gescheit, auch darüber, was denn das überhaupt sei, ein Kriminalroman, und wodurch er gut oder schlecht sei. Raymond Chandler gibt uns die einfachste Antwort: Ein Kriminalroman ist ein Roman, also die erzählerische Verflechtung menschlicher Schicksale, und ein guter Kriminalroman ist ein gut geschriebener Roman.
„Kein Mensch fährt zum Nordpol. Aber jeder geht ins Büro, zankt sich mit seiner Frau und ißt Kohlsuppe.” Mit diesem Bonmot hat Anton Tschechow sich verteidigt gegen den Vorwurf, daß er nur das Kleine, das Alltägliche, das Banale zu schildern vermöge. Und in der Tat, auf den ersten Blick scheint er schlecht abzuschneiden im Vergleich mit seinen großen Zeitgenossen: mit Tolstois kolossaler Erinnerung an die napoleonische Zeit; mit Dostojewskis prophetischem Blick auf den kommenden Menschentypus hin; mit dem in deutschen Landen allerdings kaum bekannten Lesskow auch, der die elementaren Regungen der russischen Seele in Novellen von shakespearischer Gewalt erhellt hat.
Was hat man nicht alles gefeiert, was hat man nicht alles - teils freudig, teils traurig - erinnert in diesem vergangenen Jahr 1976! Doderers Todestag vor zehn Jahren und seinen Geburtstag vor 80. Die Volkserhebung in Ungarn vor 20 Jahren. 100 Jahre Bay- reuther Festspiele. 200 Jahre Vereinigte Staaten, 200 Jahre Burgtheater. Und immerhin auch, 1000 Jahre Babenberger. Kaum - also eigentlich überhaupt nicht - gedacht aber hat man des Jahres, in dem das siechende Römische Weltreich offiziell, und noch dazu in einem Vorgang von unerhörtester Banalität, liquidiert, die staatsrechtliche
Heimito von Doderer pflegte zu sagen, daß die Sprache, im Gegensatz zur Musik und zur Malerei, auf zweierlei Weise anwendbar sei: gestaltweise und zerlegungsweise. Dies nützend, hat er nicht nur erzählt, sondern auch seziert, vor allem im Tagebuch. Ja, er ging oft im Gespräch so weit, apodiktisch zu postulieren, der Schriftsteller müsse unbedingt Tagebuchschreiber sein, ohne Tagebuch ginge es gar nicht...Anderseits aber lebt Doderers Epik durchaus nur von dem, was er, nach seinem Lehrer Hermann Swoboda, „freisteigende Vorstellungen“ genannt hat; von dem, was aus der Tiefe des
Die Regierungspartei verteidigt das 43-Milliarden-Defizit des Bundeshaushalts 1977 mit dem durch die „weltwirtschaftliche Situation“ verursachten „engen Spielraum in der Budgetpolitik“. Sie verschweigt dabei aber, daß ihr Finanzminister es weitaus leichter hätte, ein ausgeglichenes Budget zu erstellen, als seine Ressortkollegen in sämtlichen anderen Ländern, da er ja einen Ausgabeposten weniger hat: den der Landesverteidigung. Denn die knapp 4 Prozent, die Österreich dafür erübrigt, sind eine Quantite ne-gligeable, und zwar sowohl in der Relation zum Gesamtbudget als auch in der
Der Rezensent hat fast das ganze Jahr 45 im Lazarett verbracht und den deutschen Zusammenbruch also nur aus der Bett-Perspektive wahrgenommen. Er hat sich zwar damals schon ausmalen können, wie das da draußen wohl zugeht; und später hat er vieles darüber gelesen. Aber trotzdem hat Wolfgang Paul, der populärhistorische Rekonstrukteur der Marne-Schlacht 1914 („Entscheidung im September“) und Chronist des „Gefrierfleisch-Winters“ 1941/42 („Erfrorener Sieg“), trotzdem also hat Wolfgang Paul dem Rezensenten ein pak-kendes und in manchen Aspekten neues Bild von jenem „Endkampf
Das Leben ist, wie jedermann weiß und niemand wahrhaben will, von Natur aus ungerecht; und zwar auch dort, wo ständig kritische Maßstäbe angelegt und Wertordnungen konstituiert werden, etwa in den Künsten. Ja, das literarische Leben darf geradezu als ein Beispiel stehen für die eingangs behauptete Ungerechtigkeit des Lebens schlechthin, da nämlich erst die Zeit, dieser einzige Kunstrichter von unantastbarer Integrität und Autorität, die Dinge an ihren Platz rückt. Im jeweils aktuellen literarischen Leben hingegen steht oft ein Oberstes zuunterst, Kleinigkeiten werfen, infolge ihrer
„Hundert Jahre Einsamkeit“ hat, wie man so sagt, Furore gemacht: Die Krise des Romans sei überwunden, die große Epik wiedergekehrt, und was man halt sonst noch zu jubeln pflegt, wenn verschollen gewähnte Grundgesetze wieder in ihre Rechte treten. Gabriel Garcia Marquez avancierte, nachdem Curt Meyer-Clason ihn eingedeutscht hatte, zum Protagonisten der Kunst des zweckfreien, absichtslosen Erzählens.Gewiß nicht zu Unrecht, wie auch der „Laubsturm“ beweist, der jetzt erst übersetzte Erstling des damals Neunzehnjährigen. Dem Werk haften Mängel an: Drei Menschen — ein alternder
Ich bin befangen. Dort habe ich, vor runid 50 Jahren, meine ersten Schritte getan, dort habe ich, vor rund 25 Jahren, mein erstes Buch gesehrieben, dort habe ich gelebt, mit Unterbrechungen, in den vierziger Jahren: im Krieg, in der Nachkriegszeit — dort: nicht grad in dem Schloß und nioht grad in Hagenberg, aber in Pregarten, dem „Bluimental“ Franz Turniers in seinem Roman „Ein Schloß in Österreich“. Und ich weiß nun nicht: habe ich lesend mitgelebt, weil ich die Gegend kenne: die Dörfer und Märkte, den Fluß, die Wälder, das Viadukt, sogar an den Kohlenhaufen vorm Bahnhof
Der Generalstabs-Major X — worunter wir uns einen deutschen oder jugoslawischen oder ungarischen Offizier vorstellen wollen — erhält den Auftrag, einen Bericht über die personelle und materielle Stärke sowie über die operativen Pläne und taktischen Regeln des österreichischen Bundesheeres zu verfassen. Major X, von seinem Generalstabschef dazu ermächtigt, veranlaßt nun die militärischen und zivilen Geheimdienste seines Landes, ihre Agenten entsprechend anzusetzen.Einem naiven Präsenzdiener zahlt man ein paar Halbe Bier, bis er ausplaudert, daß seine Jägerkompanie über sechs schwere Panzerabwehrrohre und zwei mittlere Granatwerfer verfügt. Ein Wachtmeister, der einmal in einen unaufgeklärten Verkehrsunfall mit Fahrerflucht verwickelt war, wird erpreßt und nennt die Zahl der in Enns stationierten Unteroffiziersschüler. Ein Panzersoldat, den man wegen der veralteten Kampffahrzeuge hänselt, prahlt damit, daß sein Bataillon bereits auf den neuen Jagdpanzer „Kürassier“ umgerüstet worden sei. Ein ehemaliger Berufsoffizier, der verärgert ausgeschieden ist, macht aus seinem Herzen keine Mördergrube und erzählt jedem, der's wissen will, daß Österreichs Bundesheer nicht die Grenzen schützen, sondern höchstens das Alpenmassiv verteidigen könne. Ein als türkischer Gastarbeiter verkleideter Spion photographiert aus dem Knopfloch eine SAAB 105. Und eine Mata Hari jr. lacht sich den General Spannocchi an, um ihm den Operationsplan aus dem Nachtkastelladel zu stehlen.Ja, so vollzieht sich das also — allerdings nur im Kolportageroman letzter Kategorie. In Wirklichkeit läßt Major X nur einen Haufen bedruckten Papiers herbeischaffen: Bundesgesetzblätter, Parlamentsberichte, Zeitungsausschnitte, offizielle und offiziöse Bücher, Broschüren, Periodica, und einen Atlas.
Es wird übers Fernsehen viel gesehimpft. Es verderbe die Augen, sagen die einen; die Jugend, sagen die andern. Hausfrauen klagen über die Kürzung ihres Wirtschaftsgeldes zugunsten der Raten für den Apparat, und die Zeitungen klagen darüber, daß ihnen das Inseratengeschäft verloren geht, während den Kinobesitzern die Leinwand zum Hungertuch wird, an dem sie vernehmbar nagen. Kulturbewußte Menschen mokieren sich über das Programm: zu viel Fußball, zu viel Löwinger, zu viel Quiz, zu viel Politik, zu viel Show, zu viel Mord und Totschlag, zu viel Reklame, und viel zu wenig Erbauung und
Daß man, wenn man etwas lernen will, zuerst einmal lernen gelernt haben muß, und wie man das Lernen erlernt, hat der Wiener Journalist Sebastian Leitner vor einigenJahren in einem beherzenswerten Buch dargelegt. In logischer Konsequenz stellt er nun die Frage, ob auch das Leben erlernbar sei, und bejaht sie mit einem neuen Buch:„So lernt man Leben.“ Der viel zitierte „Trost der Philosophie“ sei — so Leitner — ein schwacher Trost, wenn man höchst konkret an Platzangst oder an Impotenzfurcht leidet, wenn man vor mehr als drei Menschen nicht zu reden wagt, sich trotz beginnendem
Die Nation erbebt: Toni Brandl im ersten Durchgang gestürzt!„Ein Omen?“ fragte, nur scheinbar besorgt, der „Express“ und erläuterte: „Ein Allround-Athlet wieKilly wächst da zweifellos nicht heran. Unser Toni wird sich entscheiden müssen, ob er ein Abfahrer oder ein Torläufer sein will.“ „Aber er sei eben“, schrieb das „Tagblatt“, „leider kein Taktiker, sondern ein Draufgänger: hätte auf sicheren Platz statt auf wackeligen Sieg spekulieren müssen.“ In Garmisch war er dann immerhin Neunter geworden, aber der Sturz in Madonna bewegte noch lange die Gemüter. Die
Wenn der slowakische Aufstand des Jahres 1944 (Seite 132) nach Slowenien verlegt wird, mit gleich zwei Fehlern in der Schreibung des Ortsnamens Banskä-Bystrica — darf man dann noch glauben, daß „Stalins ““besanöerer Liebling“, L. S. Mechlis, „in BeTijas Datschä seine Aktentasche vergißt“, deren Inhalt dann als Beweismaterial für eine jüdische Weltverschwörung gegen das Sowjetregime dient? Was überhaupt darf man einem Buch glauben, das einerseits die israelischen Geheimdienste als die wohl besten der Welt qualifiziert und anderseits die intimsten Intimitäten just dieser
Einen Hamburger von einem Stuttgarter, einen Basler von einem Wiener zu unterscheiden, ist keine Kunst. Denn trotz der Völkerwanderungen der Kriegs- und Nachkriegszeit gibt es ihn noch, den typischen Berliner oder den typischen Münch--ner. Aber gibt es auch den typischen Jerusalemer, merkbar unterschieden und unterscheidbar von den Bewohnern von Tel Aviv oder Haifa? Israel war und ist ja nicht bloß ein Schmelztiegel, sondern ein Dampfkochtopf, den, wenn die Ventile klemmen, der Überdruck zu sprengen droht In ein ethnisch schon vorher bunt gemischtes Land haben all die Immigranten ihre
Apropos Kassner: Er ist es gewesen, für den sich Hofmannsthal ein halbes Leben lang einsetzte, um ihm den Nobel-Preis-für Literatur zu verschaffen. Vergebens, wie man weiß. Er selbst hätte ihn höchstwahrscheinlich durch Empfehlung von Kollegen aus Frankreich, Italien, Skandinavien und England erhalten. Aber H. v. H. verzichtete, ergriff jedenfalls keinerlei Initiative. Ist den Schriftstellern und Dichtern in aller Welt, den geistig Schaffenden und Kulturträgern schon aufgefallen, wie konsequent die schwedische Akademie; die österreichische Literatur und ihre Repräsentanten vernachlässigt, geradezu , ignoriert hat? (Wobei wir die deutschsprachigen Prager Autoren hier wohl zu Recht einbeziehen.) Weder Rilke rtbch Werfel, weder Schnitzler, Stefan Zweig oder Broch, weder Robert Musil, Joseph Roth noch ödön von Horväth oder Franz Theodor Csokor wurden je genannt. — Von den Jüngstverstorbenen seien nur Gütersloh und Doderer erwähnt, deren Werk sich mit manchem der letzten Nobelpreisträger sehr wohl messen kann. — TrakI ist zu jung gestorben, und Kafka war zu seinen Lebzeiten zu wenig bekannt. Aber die übrigen hier Genannten? Fast fällt es schwer, an „Ubersehen“ und „Zufall“ zu glauben. Denn was wäre nicht nur die deutschsprachige, sondern auch die europäische Literatur dieser ersten Jahrhunderthälfte ohne die Österreicher? „Größe ist, was wir nicht sind?“ So hatte es der große Schweizer Historiker Jacob Burckhardt nicht gemeint... Helmut A. Fiechtner
Der Geschichtenerzähler Theodor Weißenborn handelt von der Unfähigkeit, zu lieben — und zwar mit der Penetranz, die den Schriftsteller merkbar vom Dilettanten unterscheidet. Zum Dichter wird man ja stets nur um eines einzigen Themas willen — bei Doderer etwa war das der Umweg, bei Hemingway das Bestehn in der Niederlage. Der Dichter hat, im genauesten Wortsinn, keine Wahl, nicht einmal beim Stoffe. Paradigmatisch lebt er, im Schreiben, etwas, das in seiner Zeit und in seiner Welt vorhanden ist und just in ihm sich konkretisieren, sich aussprechen will.Von der Unfähigkeit, zu lieben
1965 verfaßte der französische Soziologe Georges Friedmann — selbst Jude — ein Buch von verblüffender Dummheit: „Das Ende des jüdischen Volkes?“ (deutsch 1968 bei Rowohlt). Er traktiert darin die nicht eben neuen Thesen, daß durch die Existenz eines Judenstaates die Judai-zität verlorengehe: in Israel selbst durch „Normalisierung“, und in der Diaspora durch totale Assimilation — Thesen, die zwei Jahre später, im Juni-Krieg 1967, eklatant widerlegt worden sind. Immerhin kann man aus diesem Buch erfahren, was in Israel wirklich übel ist, denn nur dieses findet des Autors
„Verwandlungskünste“ hat Mario Szenessy einen frühen Roman genannt, „Lauter falsche Pässe“ einen anderen, und' auch „Otto der Akrobat“ als Titel eines Erzählun'gsban-des weist in die Richtung, wo keineswegs alles mit rechten Dingen zugeht. Dagegen nimmt ein „Hut im Gras“ sich geradezu harmlos aus. Doch ist er, dieser Hut, gerade dies nicht, sondern ist ein kriminalistisches Indiz, und obendrein ein — wie bei Szenessy nicht anders zu erwarten — täuschendes. Der russische Geheimdienstagent Beck hat diesen Hut nämlich — nein, dieser Hut gehört seinem Vorgesetzten
Vom Balkan ist selbst in Österreich nicht sehr viel mehr bekannt, als daß er am Rennweg beginnt. Schon wo er endet — am Bosporus? Auf Zypern? In Bagdad? —, vermag mit Sicherheit niemand zu sagen, zumal Metternich keine diesbezügliche Äußerung hinterlassen hat. Und erst recht gehn die Meinungen darüber auseinander, was gleichsam spirituell unter diesen Begriff zu fassen wäre. Also behilft man sich mit Kriterien wie Schlamperei und Korruption — als ob es dasselbe sei, in Hamburg oder in Banja Luka kein Billett zu lösen! —, man wittert abwechselnd Knoblauch und Verschwörung,
Der Schriftsteller Arnos Elon, weithin bekannt geworden durch sein Sachbuch über die „Gründer und Söhne“ des Staates Israel, hat sich eine phantastische Geschichte ausgedacht: die Geschichte eines jüdischen Jules Verne. Er nennt ihn Theodor Herzl, schildert ihn uns als einen assimilierten Juden mit einer fast manischen Deutschtümelei, macht ihn, der sich zum Theaterdichter berufen fühlt, m einem Journalisten im Sold der „Neuen Freien Presse“, führt ihn vor unseren Augen durch alle standesgemäßen Höhen und Tiefen sowohl im Privatleben wie im Beruf, und läßt ihn plötzlich
Mein lieber Onkel Torberg, die Tante Jolesch, Sie wissen es, war. meine Großmama, wenn auch nur fast, weil sie leider dann doch nicht den Mann geheiratet hat, der später mein Großpapa wurde. Ich habe sie trotzdem geliebt, oder eben deshalb, nur ist sie zu früh gestorben, ich habe sie kaum gekannt. Und ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie mir was erzählen von ihr — und von überhaupt damals. Zum Beispiel aus Ischl vom Kaiser Franz Joseph und jenem Juden, der seinen Hut auf dem Kopf behielt, und der Kaiser erahnte, warum der das tat. Denn dieser vom gesamteuropäischen Schwachsinn aus dem
Über Juden und Judentum emotionslos zu sprechen, wie über die alten Griechen oder die heutigen Schwaben, will partout nicht gelingen. Hier bricht der alte Antisemitismus durch, da versperren echte oder imaginierte Schuldkomplexe den Blick, dort drängt der Philosemitismus die Juden erneut ins Ghetto, dann wieder spielt man Israel gegen die Diaspora aus oder umgekehrt. Die Frage nach der Wirklichkeit wird kaum gestellt, wiewohl Antworten von jüdischer wie von nichtjüdischer Seite vor liegen, vom Erlebnisbericht über Studien bis zum Lexikon.
Aus Wien,kam unlängst, von der Lungauer Kulturvereinigung eingeladen, Oskar Bottoli angereist, der heute vielleicht bedeutendste Bildhauer Österreichs. In seinem Kombi transportierte er etliche kleine Bronzefiguren, ein Dutzend Bronzereliefs sowie Drucke und Zeichnungen, die er dann eigenhändig stellte und hängte. Zur Vernissage gab es weißen und roten Wein, aber keine der üblichen Phrasen. Stattdessen las aus eigenen Werken Ernst Kein, der neben H. C. Artmann einzige legitime Mundartdichter Wiens, der aber, im Gegensatz zu Artmann, kein sentimentaler Selbstdarsteller, sondern ein
„In einem Bericht wurde darauf hingewiesen, daß ein jüdischer Mischling ersten Gorades als Luftschutzwart eingesetzt worden sei. Nach FühlungnahmemitdemReichs-luftfahrtainisteriuni hat daraufhin das Präsidium des Reichsiuftschutz-bundes die nachgeordneten Dienststellen erneut darauf hingewiesen, daß auf die Vermeidung des Einsatzes jüdischer Mischlinge als Luftschutzwarte noch mehr als bisher zu achten sei.“ Das teilte die nationalsozialistische Partei-Kahziei am 14. März 1942 mit —genau zu der Zeit also, da die Alliierten mit der systematischen Zerbombung der deutschen Städte
Eine (vergleichsweise freilich harmlose) Folge der „Endlösung“ war, in deutschen Landen und darüber hinaus, die Tabuisierung der Judenfrage: die psychische Hemmung, ja Unfähigkeit, über Juden und Judentum, unter welchem Aspekt auch immer, seriös zu diskutieren. Diese Art von Philosemitismus schuf aber nur ein neues Ghetto.Über die Juden so neutral zu sprechen wie — sagen wir — über die Perser, gelingt dem Buch „Das Judentum“ in Kindlers Kulturgeschichte. Der Autor Johann Maier — Österreicher, Jahrgang 1933, Studium der evangelischen Theologie sowie der Judaistik,
Wenn es, verblüffenderweise, im Jahr 2000 noch denkende Menschen geben sollte, dann wird man unsere Epoche, die in den kommenden Krisen wohl zu Ende gehen dürfte, vielleicht als eine wesentlich konformistische charakterisieren. Man wird das — im doppelten Wortsinn: duldende — Arrangement der Massen mit dem Terror eines Stalin und eines Hitler, aber auch mit dem Terror des Journalismus und der Werbung erinnern. Man wird gewiß auch des paradoxen Phänomens gedenken, daß die Outsider nur noch herdenweise auftraten: auf den Beat-Festivals wie in den studentischen Demonstrationen. Es war
Der deutsche Schriftsteller Ernst Erich Noth war 24 Jahre jung, als er, politisch verfolgt, im Jahr 1933 Deutschland verließ. Der Krieg verschlug ihn nach den USA, wo er nicht nur zum Universitätsprofessor avancierte, sondern auch verdienstvoll wirkte mit seiner internationalen Literaturzeitschrift „Books Abroad”. Zuvor aber hatte er in Frankreich eine neue Heimat gefunden, und zwar nicht bloß durch ein Dach über dem Kopf, sondern wesentlich durch den Übertritt in die fremde Sprache, worüber er in seinen ,.Erinnerungen eines Deutschen” zwar nur kurz, aber nachdenkenswert berichtet:
(Die Wogen haben sich nahezu geglättet, man kann wieder in Buhe darüber reden — über das Bundesheer nämlich, und man kann rückblickend die Frage stellen: Was wurde im Fall Wandl verschwiegen? Herbert Eisenreich jedenfalls stellt diese Frage im folgenden.)
Vor ein paar Jahren in Wien: ein Kreis befreundeter Literaten und Journalisten (neben Österreichern einer aus Belgrad, einer aus Budapest, einer aus Triest, ein Deutscher aus Alt-Österreich) darüber plaudernd, was eigentlich den Umgang mit Deutschen oft so unerquicklich mache. Nach kurzer Beratung einhellig: die schier krankhafte Sucht, in den Wunden am eigenen Volkskörper herumzus’tochern, anstatt sie vernarben zu lassen. Bismarck wurde zitiert — „eine alte nationale Gewohnheit, diese Kritik bei uns”, „eine starke Neigung zur Unzufriedenheit” — und dann Böme: „Ich bin ein
Die Frau eines Prominenten läßt sich scheiden und macht ein Buch daraus — das gibt zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß. Ruth Dayan indessen zerstreut die Bedenken solcher Art schon nach wenigen Seiten. Sie wil nichts enthüHen, wUl weder sich noch den Mann verteidigen, weder den Mann noch sich an- klagen, wil alerhöchstens ein wenig erklären; nämlich was das heißt, mit einer Legende verheiratet zu sein. Und wenn sie etwas sucht, das nach 36 Jahren zur Trennung geführt hat, dann sucht sie nicht jemandes Schuld, sondern sucht die Ursachen — in ihrem Charakter genauso wie in dem
Einen „schwarzen Oktober“ hat Moshe Dayan den Arabern beim Ausbruch des vierten Israel-Kriegs prophezeit, und „Schwarzer Oktober“ nennen die deutschen Journalisten Werner Meyer und Carl Schmidt-Polex ihre Darstellung dieses Krieges. Ihr Buch erschien schon 1973, als einschließlich der Wunden noch alles offen war, und so riskierten sie Mängel und Irrtümer. In der Bescheidung jedoch, „nicht die große, umfassende Geschichte eines Krieges liefern“ zu wollen, „sondern Bilder aus der Schlacht; Reportagen und Hintergründe, Tragödien und auch Grotesken“-: in dieser Bescheidung
Heerführer werden mindestens des Krieges und politisierenden jahrzehntelang nicht nach ihren Phantasten. Man wird zwar dem Leistungen beurteilt, sondern einzig Autor unmöglich folgen können,danach, ob sie den Krieg gewonnen oder verloren haben: Foch oder Mon'tgomery stehen auf dem Denkmalsockel, Conrad oder Manstein tragen mit an irgendeiner „Kriegsschuld“.Geradezu als ein Synonym für die deutsche Niederlage von 1918 fungiert der General Erich Ludendorff. Dem verläßlichen Urteil Liddell Harts zufolge, hat er tatsächlich in der zweiten Kriegshälfte „nacht mehr die klare
Der Bieremst, der in Deutschland gemeinhin für Literatur gilt, muß einem rechtschaffen auf die Nerven gehen, wenn man, wie Mario Szenessy, mehrere Sprachen studiert und ^gelehrt hat und wenn man zu allem Überfluß aus Ungarn stammt. Und wenn man gar, wie Mario Szenessy, selber schreiben kann, dann macht man's besser.So geschehen mit dem Roman „Lauter falsche Pässe“, von dem Herbert Rosenidorfer, zweifellos fachkundig, konstatiert, er sei „die Fälschung einer Fälschung“ und eben deshalb „gediegene Wahrheit“.Was und wie da gefälscht wird und, außer vom Autor selbst, von wem
Der Verfasser dieses Artikels, unser ständiger Mitarbeiter Herbert Eisenreich, hat im Herbst 1970, als die von Bundeskanzler Kreisky geplante Demontage des österreichischen Bundesheeres konkret sich abzuzeichnen begann, m dieser Zeitung eine Artikelserie geschrieben, in der er behauptet hat, was jetzt, in den jüngsten Nummern von „profil“, von dem 1968 aus der CSSR geflüchteten Polit-General Sejna bestätigt worden ist: daß ein nicht oder nur mangelhaft abwehrbereites Österreich von den Strategen des Warschauer Paktes behandelt wird, wie wenn es zum unumstrittenen Einflußbereich des
Um die Jahrhundertwende und auch noch später erschienen in der „Neuen Freien Presse“ zu Wien und in anderen Blättern des deutschen Sprachraums zahlreiche Aufsätze zur modernen Wohnkultur im besonderen und zur modernen Lebenskultur überhaupt, die'ihren Verfasser, den jungen Architekten Adolf Loos, in den Ruf brachten, der „Moderne“ in den Rücken zu lallen. Die „Moderne“, das waren damals neben anderm: Jugendstil und Secession, Deutscher Werkbund und Wiener Werkstätten. Und in der Tat: er war nicht grad zimperlich, der junge und auch noch der alte Adolf Loos, im polemischen Umgang mit den Exponenten jener „Moderne“; so prophezeite er 1910 einem Witzblatt, das sich über seinen grundlegenden Essay „Ornament und Verbrechen“ lustig gemacht hatte: „Und ich sage dir,( es wird die Zeit kommen, in der die Einrichtung einer Zelle vom Hoftapezierer Schulze oder vom Professor Van de Velde als Strafverschärfung gelten wird.“
Wenn man von Beit She'an ein paar Kilometer gen Westen, in Richtung Afula, fährt, hat man linkerhand die Gilboa-Höhen, bis 1967 die Grenze zwischen dem israelischen Galiläa und dem jordanischen Samaria. Die Ebene des Jordantales steigt da sanft zum Fuß dieses steilen Hügelzuges an, und man betritt, zwischen Feldern rechts und den Bergen links, eine schmale Zone, die von der Straße her etwa den Eindruck eines verträumten englischen Parkes macht. Tatsächlich aber befindet man sich an einer Stätte landwirtschaftlicher und kleinindustrieller Betriebsamkeit: in dem Kibbuz Hefziba.
„Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davorsteht“, sagt Karl Kraus; und er hat, wie uns gebrannten Kindern scheinen muß, so unrecht nicht. Da aber trotzdem die Menschen ihr tägliches Tun nicht an diesem selbst, sondern an ihren Träumen orientieren, muß offenbar ein Bedürfnis nach Träumen, nach Idealen und nach Utopien bestehen, das wir nicht ignorieren dürfen, sondern erforschen sollten, um es, dieses Bedürfnis, in nicht größerem, aber auch nicht geringerem Maß, als unserem täglichen Tun von Nutzen ist, stillen zu können.Das Wort Utopie, aus dem Griechischen
Schon als Außenminister hatte Bruno Kreisky erkannt, daß Kultur nicht ein zierender Schnörkel, der harten Tatsachenwelt ist, sondern ein zwar heimlich, aber doch mächtig wirkendes Element des gesellschaftlichen Lebens; und eben deshalb auch ein Element von staatspolitischer Relevanz im allgemeinen und von außenpolitischer Relevanz im besonderen. In logischer Konsequenz dieser zweifellos richtigen Erkenntnis forcierte er, was seine Amtsvorgänger ziemlich vernachlässigt hatten: die Repräsentierung Österreichs dem Ausland gegenüber und im Ausland selbst auch durch Österreichs
Aus welchem Grund und zu welchem Zweck auch immer jemand nach Israel kommt, er wird eines nicht übersehen können: daß auf diesem kleinen Fleckchen Erde die Zeugnisse religiösen Geistes gehäuft sind wie nirgendwo sonst. Heiliges Land in voller Anschaulichkeit. Die Juden, auch wenn ihnen von ihrem Tempel nichts als die Klagemauer geblieben war, sehnten sich aus zwei Jahrtausenden Diaspora hierher zurück. Die Christen in all ihrer Gespaltenheit empfinden doch Einigkeit im Hinblick auf Nazareth, Bethlehem und insbesondere Jerusalem. Und nach Mekka und Medina bilden El-Aksa-Moschee und
Sie schaute schon nicht mehr hoch, als er aufstand und das Lokal verließ. Sie wußte, daß es zu spät war, hochzuschauen, hinzublicken, ihm einen Augenblick zu widmen; dafür war es zu spät, und es war zu spät für alles. Das wußte sie jetzt wieder, als er aufstand und fortging.Zwei Stunden vorher, da hatte ihn der nächtliche Müßiggang in dieses Viertel getrieben und schließlich hier abgesetzt, und er war ohne alle Absicht gewesen, ohne Ziel und bestimmte Vorstellung, ohne Gedanken. Nicht einmal die eine Absicht, einen erfreulichen Tag auf erfreuliche Weise zu beschließen, hatte er
Der Paul-Zsolnay-Verlag hatte in das Theater der Courage gelockt: „Freu dich mit Peter Hammerschlag!“ Und er hatte damit nicht zuviel versprochen: die Freude war groß.Sie war indes nicht ungetrübt, weil der Abend ja nicht nur daran erinnerte, daß Peter Hammerschlag gelebt hatte, sondern notabene auch daran, daß er gewaltsam um dieses sein Leben gebracht worden war. Und dies nicht eigentlich um seines Judentums, sondern um seines Wie-nertums willen: der schon nach Jugoslawien Gerettete kehrte in einer Art Heimweh zurück und fiel prompt der SA in die Mörderhände.Und nun also hatten
Die Sozialistische Partei Österreichs und die seit 1970 von ihr gestellten Regierungen haben niemals die Absicht gehabt, das Bundesheer derart zu reformieren, daß es ein brauchbares Instrument der Außenpolitik im allgemeinen und der Neutralitätspolitik im besonderen abgibt. Ihr Ziel war vielmehr, die Armee möglichst rasch und gründlich zu ruinieren — vielleicht mit dem Fernziel, in diesen Ruinen eine parteihörige Streitmacht, gewissermaßen eine Rosarote Armee, zu etablieren. Das ist vom Verfasser dieses Artikels in dieser Zeitung schon Vor zwei Jahren behauptet und, soweit möglich, bewiesen worden; und was damals erst prognostiziert, aber noch nicht exakt bewiesen werden konnte, ist mittlerweile von anderer Seite bestätigt worden: ex-pressis verbis von Bundeskanzler Kreisky -und dessen Befehlsempfänger Lütgendorf, und durch die Tatsachen selber. Seit Ende 1971 existiert ein Heer, das diesen Namen verdient, nur noch in den Phrasen von Regierungschef und Verteidigungsminister, und einer Wiedergeburt des Bundesheeres hat die Regierung mehrere Riegel vorgeschoben: den einer pazifistischneutralistischen Moral; den einer finanziellen Unterdotierung bislang unvorstellbaren Ausmaßes; und den der Wehrgesetznovelle 1971, die ja nicht nur den Leerlauf institutionalisiert, sondern auch die Heranbildung von Kaderpersonal legislatorisch verbaut.
George Saiko (1892 bis 1962) war ein schwieriger Mensch; und mehr noch als den andern hat er sich's selber schwer gemacht — zu schwer sogar.Um es kurz vorweg zu nehmen: Ein begnadeter Erzähler von Kraft und Saft und Substanz wollte partout nicht an diese seine Fähigkeit glauben; wollte nicht glauben, daß eine in voller Anschaulichkeit vor uns hingestellte Sache schon nicht mehr bloß nur diese Sache ist, sondern über sich hinaus weist auf ein Allgemeines; daß also im konkreten Liebespaar die Liebe selbst gemeint. Ist, im konkreten Sterben dieses einen da der Tod überhaupt sich
Obwohl er mehr als ein Dutzend Bücher publiziert hat — von Schüttelreimen über Calderon-Nachdich-tungen bis zur Kulturkritik — gilt der inzwischen pensionierte Diplomat Eugen Gürster gemeinhin nicht für einen Literaten. Dabei ist er durchaus ein Homme de lettres im besten Sinn: Nicht einer, der an die Stelle des Lebens das Schreiben getan, sondern einer, der schreibend erst eigentlich zum Leben gekommen ist. Eben dadurch aber paßt er nicht recht in das mehr von Ideologie als von der nie ganz faßbaren Wirklichkeit gezeichnete Bilderbuch der deutschen
Wer etwa behauptet, Opposition bedeute, partout und durchaus dagegen zu sein: der ist kein Demokrat, sondern ein Dummkopf. Die Opposition ist auch nicht bloß Kontrollinstanz, eine Art Wachstumsbremse der in den Himmel der Utopie strebenden Bäume der Regierung. Sie ist, so paradox das auch klingt, das eigentlich konstruktive Element im politischen Betrieb der parlamentarischen Demokratie. Es eignet nämlich jeder Regierung, eben weil sie regiert, die Tendenz zur Schlamperei — ein Phänomen, das überall in der Natur beobachtet werden kann: wer nicht mehr kämpfen zu müssen glaubt, wird
In „Gruppenbild mit Dame“, seinem jüngsten Roman, verkürzt Heinrich Boll sich selbst zum „Verf.“, der wissenschaftlich tuenden Abbreviatur für „Verfasser“; doch hätte er beser getan, sich überhaupt hinter einem Pseudonym zu verschanzen, etwa: Courths-Mahlers Erben, oder: Rudolf G. Binding ä la mode, denn: „Leni hat die fast unverwüstliche Brust einer Frau, die zärtlich geliebt worden ist und auf deren Brust Gedichte geschrieben worden sind“, was nicht nur für die Syntax auch der folgenden 390 Seiten nur Schlimmstes befürchten läßt. Von dieser Frau mit der „Brust
Unter dem 18. November 1950 notiert Heimito von Doderer in seinem (inzwischen publizierten) Tagebuch: „Vorher in der — von Hans Weigel veranlaßten — Lesung aus Arbeiten junger Talente... Eindruck, in summa: ,1m Scheffelhaus' (von Walter Toman) — eine begabte Groteske. Ferner Eisenreich und vielleicht auch Federmann...“ Ich kannte Doderer damals noch nicht einmal dem Namen nach, und man kann sich meine Verwunderung denken, als ich ein halbes Jahr später, unmittelbar vor meiner ersten Reise nach Deutschland, durch Weigel ein von Doderer an seinen Münchner Verleger gerichtetes Empfehlungsschreiben mitbekam. Ich las dann einige Passagen der soeben erschienenen „Strudelhofstiege“, schrieb begeistert einen Brief, und ward im Herbst 1951 erstmals in die Buchfeldgasse eingeladen.
50 Jahre österreichisches Burgenland — das wollte auch literarisch gefeiert sein. Und was tat man im fernen Eisenstadt, dort bei den Tschuschen fast? Raffte man eitel zusammen, was guten Willens, doch eher kunstlos die Heimat pries? Befriedigte man den Ehrgeiz lokaler Dichter und Denker? Wurzelte man jetzt erst recht im oberflächlich entnazifizierten Blut und Boden?Im Gegenteil: Eine schier allzu diskrete Redaktion versammelte in einem großformatigen Almanach von rund 150 Seiten solche Literatur, die unabhängig von Verfasser und Gegenstand in einem geistigen Bezug zum Burgenland steht.
„Manchen Schriftstellern kommt neben ihrem literarischen Rang noch eine andere Bedeutung zu: eine Generation zu symbolisieren. Herbert Zand kann als Schlüsselfigur jener Generation gelten, die in früher Jugend an die Fronten des Zweiten Weltkrieges geworfen wurde und, wenn sie zurückkam, in allen ihren Taten, Unterlassungen und Erlebnissen von den Jahren des Krieges gezeichnet blieb... Die Kriegsgeneration hatte zu einem Teil einen dicken Strich hinter das Entsetzen der Schlachtfelder und der Lager zu setzen versucht, man war mit großem Erfolg bemüht, die erlebten Schrecken mit Aktivität nach außen zu kompensieren; einer Aktivität, die leer bleiben mußte wie, das Wirtschaftswunder, das aus ihr entstand, weil sie die Folge einer Verdrängung war. Herbert Zand kann als jene Stimme seiner Generation gelten, die von dieser Generation verdrängt werden sollte. Herbert Zand lebte das heimliche, aufwendig verleugnete und doch wahre Schicksal seiner Generation und legte in seinen Schriften Zeugnis dafür ab.“
Beide Eindrücke sind symptomatisch. Die Ungarn, zumal die älteren, leben noch immer getreu ihrem Image, aber sie leben faktisch in einer Welt, in der nahezu nichts mehr normal funktioniert, und sie haben begonnen, zu resignieren. Es ist nicht ein politischer Druck, der etwa auf ihnen lastet — Kädär hat ja weitgehend verwirklichen können, was der glücklose Imre Nagy einst versprochen hat —, sondern es ist das durch und durch Unpraktische der sozialistischen Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, das, weil das Unpraktische im elementarsten Sinn inhuman ist, die Menschen zu
„Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davorsteht“, sagt Karl Kraus; und er hat, wie uns gebrannten Kindern scheinen muß, so unrecht nicht. Da aber trotzdem die Menschen ihr tägliches Tun nicht an diesem selbst, sondern an ihren Träumen orientieren, muß offenbar ein Bedürfnis nach Träumen, nach Idealen, kurz: nach Utopien bestehen, das wir nicht ignorieren dürfen, sondern erforschen sollten, um es, dieses Bedürfnis, in nicht größerem, aber auch nicht geringerem Maß, als unserem täglichen Tun von Nutzen ist, stillen zu können.
Wo die Kommunisten noch nicht an der Macht sind, werden h. l. Kaster 10 sie nicht müde zu behaupten, daß der politischen Reaktion — Was kommt nach Athenagoras? und dafür gilt ihnen alles vom Rechtsradikalismus bis weit in die Sozialdemokratie hinein —, daß der politischen Reaktion also stand der Gesellschaft in Bilder einer (nicht existenten) heilen Welt umfälsche.
Der bisher vorwiegend durch Hörspiele bekanntgewordene Schriftsteller Otto Grünmandl bewegt sich durchaus in der skurrilen Tradition seiner Heimat Tirol, wenn er sich ein „Ministerium für Sprichwörter“ er- grübelt — dies nämlich ist der Titel seines soeben bei S. Fischer erschienenen ersten Romans. In diesem „Geheimen Ministerium“ dient unser Ich-Erzähler und berichtet von seinen Erfahrungen. Es wird dort, kurz gesagt, jede mit Sprichwörtern, Redensarten, Floskeln und Phrasen mögliche Manipulation modellmäßig durchexerziert und insbesondere die Darstellung des
George Saiko schöpft aus dem Fundus abgelebter Vergangenheit: so in seinem ersten Roman — „Auf dem Floß“ — aus der Epoche kurz nach dem Untergang der Donaumonarchie, wo das Feudale zwar noch da war, aber im verengten Raum und bei veränderter politischer und sozialer Struktur doch nur noch sich selbst parodierte — insbesondere der Fürst Alexander, der in seinem ländlichen Umkreis zwar noch souverän gebietet, im Persönlichen aber aus eigener Kraft sein Lebensschiff zu steuern sich nicht mehr imstande fühlt. Deshalb braucht er Joschko bei sich, seinen Diener, einen aufs
Im Mittelmeerraum wurde nicht nur die Demokratie geboren, im Mittelmeerraum wuchs nicht nur das erste große Weltreich der Weltgeschichte heran (jedenfalls war es viele Jahrhunderte lang im Bewußtsein der Abendländer das erste), der Mittelmeerraum war auch nicht nur Entstehungsort dreier Weltreligionen, von denen eine die Religion des Abendlandes wurde: Heute hat der Mittelmeerraum eine neue Bedeutung für Europa und die Welt. Ein großer Teil jener Krisenherde, von denen immer wieder weltpolitische Erschütterungen ausgehen, liegt am Mittelmeer. Gleichzeitig aber bildet heute das Mittelmeer jenen Raum, in dem nahezu alle Staatsideen geboren wurden; der aber heute ein Gebiet ist, an dessen Küsten mehr Diktaturen als Demokratien liegen. Es gibt, mit Ausnahme von Italien, Frankreich, Israel und dem Libanon, heute so gut wie keine funktionierende Demokratie rund um das Mittelmeer, von Griechenland, wo einst die Demokratie geboren wurde, über die Türkei, wo sie bis vor kurzem hochgehalten wurde, über die Kette der arabischen Staaten, Spanien und Portugal — bis hin zu den kommunistischen Balkanstaaten. (Die Redaktion.)
Als 1953 der damals junge österreichische Schriftsteller Herbert Zand das Buch „Letzte Ausfahrt. Roman der Eingekesselten“ vorlegte, mochte man es, schon des Untertitels wegen, für eine jener Abrechnungen halten, die den im Kriege Besiegten so leicht von den Lippen fließen. Zu solcher Alibdliteratur gehört dieser Roman aber nicht einmal auf der Ebene des Tatsacheninhalts, wiewohl die Dinge des Krieges präziser und, wenn man will: realistischer gezeichnet sind als in jenen Literaturprodukten, die mit dem Appeal realistischer Authentizität für sich Reklame machten. Denn unser Autor
Just als die bundesdeutsche Außenpolitik bei der Motivation ihrer Ost-Geschäfte begann, sich in Menschlichkeit zu überkugeln, schrieb in Dresden eine offenbar ältere Dame an einen ihr persönlich unbekannten Schweizer Schriftsteller diesen Brief:„Sehr geehrter Herr …,ich komme mit einer herzlichen Bitte. Mit vielen Schioierig- keiten habe ich es geschafft, P. Celan, Aichinger, Bachmann mir zu verschaffen. Hier gibt es die alle nicht zu kaufen. Leider! Nun hätte ich so gern den von Ihnen gelesen. Können Sie mir zu diesen Gedichten verhelfen? Es kann ein gebrauchtes Exemplar sein.