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Der Tod im Leben des Herbert Zand

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„Manchen Schriftstellern kommt neben ihrem literarischen Rang noch eine andere Bedeutung zu: eine Generation zu symbolisieren. Herbert Zand kann als Schlüsselfigur jener Generation gelten, die in früher Jugend an die Fronten des Zweiten Weltkrieges geworfen wurde und, wenn sie zurückkam, in allen ihren Taten, Unterlassungen und Erlebnissen von den Jahren des Krieges gezeichnet blieb... Die Kriegsgeneration hatte zu einem Teil einen dicken Strich hinter das Entsetzen der Schlachtfelder und der Lager zu setzen versucht, man war mit großem Erfolg bemüht, die erlebten Schrecken mit Aktivität nach außen zu kompensieren; einer Aktivität, die leer bleiben mußte wie, das Wirtschaftswunder, das aus ihr entstand, weil sie die Folge einer Verdrängung war. Herbert Zand kann als jene Stimme seiner Generation gelten, die von dieser Generation verdrängt werden sollte. Herbert Zand lebte das heimliche, aufwendig verleugnete und doch wahre Schicksal seiner Generation und legte in seinen Schriften Zeugnis dafür ab.“

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„Manchen Schriftstellern kommt neben ihrem literarischen Rang noch eine andere Bedeutung zu: eine Generation zu symbolisieren. Herbert Zand kann als Schlüsselfigur jener Generation gelten, die in früher Jugend an die Fronten des Zweiten Weltkrieges geworfen wurde und, wenn sie zurückkam, in allen ihren Taten, Unterlassungen und Erlebnissen von den Jahren des Krieges gezeichnet blieb... Die Kriegsgeneration hatte zu einem Teil einen dicken Strich hinter das Entsetzen der Schlachtfelder und der Lager zu setzen versucht, man war mit großem Erfolg bemüht, die erlebten Schrecken mit Aktivität nach außen zu kompensieren; einer Aktivität, die leer bleiben mußte wie, das Wirtschaftswunder, das aus ihr entstand, weil sie die Folge einer Verdrängung war. Herbert Zand kann als jene Stimme seiner Generation gelten, die von dieser Generation verdrängt werden sollte. Herbert Zand lebte das heimliche, aufwendig verleugnete und doch wahre Schicksal seiner Generation und legte in seinen Schriften Zeugnis dafür ab.“

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So der Herausgeber dieser Schriften, Wolf gang Kraus, im Nachwort zu „Kerne des paradiesischen Apfels“, den aus dem Nachlaß gehobenen Aufzeichnungen Zands, die einen der fünf Bände der von Kraus edierten „Gesammelten Werke“ füllen; so also Wolf gang Kraus, der damit gesagt hat, was wesentlich über Herbert Zand zu sagen ist, aber wohl nur verstanden werden kann von jenen, die neben das Werk die Lebensdaten halten: Geboren 1923 als Sohn kleiner Bauern; nur acht Jahre Grundschulbildung, weitere Bildung als Autodidakt; als Soldat an der Front, knapp vor Kriegsende schwere Verwundung; nach der Heimkehr Beginn der literarischen Tätigkeit, schon 1950 bis 1952 lange Krankheitsperioden als Folge jener Verwundung; ab 1954, neben der eigenen Arbeit, zuerst Verlagslektor, später in der „österreichischen Gesellschaft für Literatur“ und beim ORF; 1968 lebensgefährliche Verschlechterung des Gesundheitszustands, vorerst Rettung durch künstliche Niere; Tod am 14. Juli 1970 durch ednen winzigen Granatsplitter, der in vielen Operationen nicht hatte entfernt werden können, eine permanente Eiterung verursachte, dadurch die Nieren versagen machte und also den ganzen Organismus tödlich vergiftete. Kürzer gesagt, gab es im Leben des Herbert Zand seit

1945, also fünfundzwanzig Jahre lang, zwei einander total widersprechende und dennoch innigst miteinander korrespondierende große Tendenzen: die schicksalhafte Krankheit zum Tode hin und der Wille zu geistig-sittlicher Rundung des Lebens.

Von diesem Kampf, von der biologischen Niederlage und von dem geistig-sittlichen Siege, handeln — und zwar in dem Material dieses Sieges: der dichtenden Sprache — die Tagebücher (von 1948 bis in die Woche vor dem Tod), deren essentielle Partien gut die Hälfte des Bandes ausmachen. Es ist nun, im schönsten Sinn des Wortes, rührend zu sehen, wie hier ein Intellekt sich selber organisiert und wie dieser Intellekt dann anwendbar gemacht und schließlich angewendet wird: nicht, damit man gebildet ist, sondern damit man das Leben besteht, und das hieß für Zand ganz konkret: den Tod. Der Prozeß der Reifung manifestiert sich denn auch weniger in vermehrter Kenntnis und tieferer Erkenntnis, sondern gewissermaßen formal, nämlich in der Haltung — der sprachlichen Haltung — den Erscheinungen des Lebens gegenüber. Schreibend lehrte Zand sich selber, wie man tapfer wird, und diese Lehre hat er uns hinterlassen.

Als sein Vermächtnis hat er allerdings nicht diese losen Notizen, sondern einen Essay (aus den Jahren

1966 bis 1969) betrachtet, der hier erstmals publiziert wird: „Einsame Freiheit oder Landleben und Zivilisation“, über das Bauerntum schlechthin und in dieser Zeit. Nun existiert zu diesem Thema an sich schon wenig, und dieses Wenige zehrt von falschen Mythen und kokettiert mit der Zivilisationsmüdigkeit des Städters. Zand hingegen sieht die Realität, und indem er sie voll akzeptiert, akzeptiert er auch ihre Veränderung:

„Eine enge Welt. Eine bewohnbare Welt. Eine menschliche Welt. Eine Welt, die es schon nicht mehr gibt, seit in den Häusern Radioapparate und Fernsehgeräte stehen, seit die Straßen im Winter von Schneepflügen und Schneefräsen geräumt werden. Eine Welt, die einmal überwunden werden mußte, weil sie den Menschen in zu engen Grenzen hielt, und die doch eine schöne Welt war, nach dem Maß des Menschen eingerichtet, nach seiner Sehweite, Greifweite, Fühlweite.“ Und angesichts der Veränderungen sogar: „Das Leben als Formel statt als Mythos, warum nicht?“

Trotz dieser äußersten Entferntheit von allem „Blut und Boden“, oder im Grunde eben deswegen, gelingen Zand verblüffende Einblicke in das Wesen des Bäuerlichen:

„Arbeit als Wertsystem, wobei der Ertrag der Arbeit erst in zweiter Linie gilt. Nicht Schönheit, nicht Luxus, nicht Erfolg, sondern Arbeit an sich, dieses Wertsystem kennt in seiner strengsten Ausprägung nur der Bauer. Der Aristokrat arbeitet nicht, der Bürger achtet auf den Erfolg, der Arbeiter kämpft um die Verringerung seiner Arbeitszeit. Für den Bauern hat die Arbeit einen anderen Wert: er erschafft sich erst durch die Arbeit, er sammelt Arbeit wie andere Geld oder Besitztümer. Die Arbeit ist seine Sprache. Die Arbeitszeit zu verringern, heißt ihn schweigsamer werden lassen.“

Von da gelangt Zand zu der scheinbar paradoxen, auf Passivität basierenden politischen Rolle des Bauerntums, zu dessen durch Resignation freigesetzten Kräften. Und er formuliert, was er als Kind zwar tagtäglich gesehen, doch damals durchaus nicht begriffen hat:

„Wenn das Maß der Vnterdrük-kung voll ist und überzogen wird, entsteht Freiheit... Eine Freiheit, vergleichbar der Freiheit christlicher Märtyrer, in letzter Konsequenz die Freiheit dessen, der den Tod gering achtet, die Schmerzen gering achtet und daher nicht mehr terrorisiert werden kann. Das Ende des Terrors, das Ende der Angst, die Erlösung auf Erden — wer hat die Kraft dazu? ... Etwas von dieser letzten und größten Freiheit war um meine Eltern... Sie verlangten im Grunde genommen nichts von dieser Welt — und waren ja schon selbst die Welt.“

Das „richtige Landgefühl“, meint Zand, fänden die Menschen erst wieder, wenn sie sich „überwältigen“ ließen, „und das ist etwas anderes, als sich beeindrucken zu lassen“. Eigentlich „kennt nur der das Land, der es bearbeitet, noch genauer, der es bearbeiten muß“. Die Möglichkeit, trotzdem „eine Beziehung (zu) gewinnen, die nicht ästhetisch ist, sondern existentiell“, hat der in die Stadt und in die Literatur abgewanderte Bauernbub Herbert Zand in diesem meisterlichen Stück beispielhaft vorgebildet.

Am Anfang und am Ende dieses Lebens, zuerst erfahren und zuletzt beschrieben, stand das Bauerntum, und in der Mitte war der Krieg mitsamt der unendlich langsam tötenden Verwundung. Auch dem Krieg ist ein Essay in diesem Band gewidmet, dem Anschein nach nur ein Bericht, und nur subjektiv Erlebtes . erinnernd, in den Pripet-Sümpfen und im Kessel von Brest-Litowsk 1944. Das —wie der Autor es nannte — „Gedächtnisprotokoll“ wurde 1953 verfaßt, als auf medizinische Heilung schon keine Hoffnung mehr bestand; und trotzdem wird da der Krieg nicht polemisch verurteilt, sondern wie wertfrei beschrieben:

„Wir erreichten das gegenüberliegende Ufer, kämmten den Steilhang und die andere Dorfhälfte durch. Wir erreichten die Höhe, und die Russen waren verschwunden. Doch tauchten sie unten an der Brücke wieder auf, gerade in dem Augenblick, in dem die Pak-Kanoniere ihr Geschütz über die Brücke brachten, und machten sie nieder. Unser Rückstoß kam zu spät.“

Aber gerade in solcher Nüchternheit wird jenes Grauen des Krieges eiskalt spürbar, von dem die professionellen Pazifisten, sowieso meist verhinderte Ritterkreuzträger, nur warmherzig faseln. Bei Zand bleibt der Krieg nicht Stoff, ja nicht einmal Thema per se, sondern wird zum Anlaß der Darstellung menschlicher Grundsituationen.

Abgerundet wird dieser Band durch einige (sehr diskrete) Selbstdarstellungen des Verfassers, auch im Gespräch mit Wolfgang Kraus, sowie durch wertvolle bio- und bibliographische Anmerkungen. Und es war richtig, ihn jetzt schon zu machen: zwar nach dem bedeutenden Roman „Letzte Ausfahrt“, aber noch vor den drei weiteren Bänden mit Prosa und Lyrik, die weniger bekannt oder überhaupt noch nicht gedruckt sind; denn selten eröffnet ein Autor mit Schriften über sich selbst seinen Lesern so viele und gehbare Zugänge in sein Werk wie hier Herbert Zand — ganz abgesehen davon, daß diesem Selbstzeugnis ein wahrhaft paradigmatischer Charakter eignet.

Herbert Zand: Kerne des paradiesischen Apfels. Aufzeichnungen. Mit einem Nachwort von Wolfgang Kraus. 266 Seiten. Europa-Verlag, Wien, Frankfurt, Zürich 1971.

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