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Dämonie und Verklärung

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Zu dem gleichnamigen Buch von Reinhold Schneider. Bergland-Verlag in Wien

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Zu dem gleichnamigen Buch von Reinhold Schneider. Bergland-Verlag in Wien

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Der bekannte religiöse Denker und Schriftsteller hält in zehn Essays über Goethe, Schiller, Hölderlin, Novalis, Kleist, Brentano, Lenau, Droste-Hülshoff, Eichendorff und Grillparzer Zwiesprache mit diesen Dichtem des 19. Jahrhunderts, deren Wesen und Werk durch die Katastrophe zweier Weltkriege mit den Massengräbern und Ruinen eines verwüsteten Europa in einer anderen Sicht erscheint als bisher. Daß diese Sicht und Sichtung durch die christliche Offenbarungswahrheit bestimmt wird, ist für Schneider selbstverständlich. Stellt Goethes „Faust“ auch heute das heilige Buch dar, das es noch am Beginn des ersten Weltkrieges für zahllose Menschen gewesen ist, die mit dieser geistigen Waffenrüstung ins Feld gezogen sind? Heute bewegen uns die Wahrheiten des Prologs und Epilogs mehr als das mit dem Fluch vielfacher Zerstörung belastete Leben eines Fausts, und wir ahnen, daß der faustische Mensch Europas nur dann noch einen Weg vor sich hat, wenn die von Faust für die praktische Gestaltung seines Lebens mißachtete und verratene Gottheit eine Macht in seinem Leben wird. „Faustens Rettung" durch die Liebe von oben darf künftighin nicht mehr Freibrief sein für ein Leben nach Fausts Vorbild.

Im „Wallenstein-Bild“ Schillers weist Schneider auf den Widerspruch hin, der durch die Darstellung des Fniedländers geht, der sowohl als Held wie als Rebell gefeiert wird, womit die klare und sittliche Führung des Volkes durch unsichere Maßstäbe verwirrt wird, während Schiller in der Vision vom Jüngsten Gericht in den „Räubern“ nicht nur eines seiner größten Bilder geschaffen hat, sondern worin mit eindeutiger Klarheit die ewige Ordnung sichtbar wird, auf die hinzuweisen des Dichters heilige Sendung ist. — An „Hölderlins Deutschlandbild" macht der Verfasser die ganze Not des deutschen Volkes im 19. Jahrhundert offenbar: das Auseinanderbrechen deutscher Geschichte und christlichen Glaubens, woran Hölderlin zugrunde gegangen ist. — Demgegenüber sah es Novalis als seine Lebensaufgabe an, den deutschen Geist mit Christus zu versöhnen, nachdem dieser Dichter in den Grenzsituationen des Lebens und in den Begegnungen mit dem Tod zu tiefsten Wahrheiten vorgedrungen war. Seine Schrift „Christenheit oder Europa“ ist eine Wegweisung, die beim Wiederaufbau unseres Kontinents nicht unbeachtet bleiben kann.

An „Kleists Ende“ macht Schneider deutlich, wie dieser edle Geist an der Spannung zwischen Maßlosigkeit und Hingabe (Penthesilea und Käthchen), zwischen tiefer Empfindung und starrer preußischer Lebensform (Prinz von Homburg) zerstört worden ist. Weder Idealismus noch Preußentum haben die Dämonie dieses Zwiespalts zu bändigen vermocht, einer Dämonie, die glaubte, daß der Mensch das Recht der freien Verfügung über Leben und Tod besitzt. — Clemens Brentano erfährt seine entscheidende Wende, als er durch die Bekehrung zu Christus von der dämonischen Romantik seines rastlosen und gequälten Daseins erlöst wird.

„Lenaus geistiges Schicksal" ist nicht nur bestimmt durch eine Anlage zur Schwermut, die ihn besonders die Melancholie der Landschaft und das Leid der Kreatur empfinden läßt und in dämonischer Weise den Mächten des Untergangs ausliefert, sondern auch durch eine bewußte Christlichkeit, die immer wieder in seinem Werk sichtbar wird. Aber er zerbrach an dem Widerspruch zwischen Glauben und einem Leben, das diesen Glauben nicht verwirklichen konnte, obschon er das Kreuz „höchstes Bild auf Erden" nennt. — Was Lenau nicht vermochte, gelang der Droste, der Verzicht und die Überwindung durch die Kraft des Glaubens. Aber aus der gleichen Quelle gelang ihr noch ein anderes: die Bändigung der Mächte des Todesreiches und der unheimlichen lockenden Gewalten der Natur, zu denen sie sich besonders hingezogen fühlte. Ihr Gedichtband „Das geistliche Jahr" ist bleibendes Zeugnis ihres Ringens um die Verwirklichung der Heilsbotschaft in ihrem Laben. — „Eichendorffs Welt- gafühl“ macht sowohl die Schöpfung durchsichtig für die hintergründige Welt der Schöpfers wie auch die Geschichte als den Kampf aufrührerischer Freigeisterei gegen die Mächte des Glaubens und der Liebe und ist dessen gewiß, daß einmal Schöpfung und Geschichte mitsamt dem Herzen des Menschen sich vereinen werden zum Lobe des Schöpfers.

„Grillparzers Epilog auf die Geschichte“ kommt vor allem in den politischen Dramen zur österreichischen Geschichte zum Ausdruck, in denen sich immer wieder die priesterliche Sendung des Dichters enthüllt, Wächter und Wegweiser der unzerstörbaren Ordnungen Gottes zu sein. Das „Friedensreich der Libussa", das nicht durch das dämonische Trotzen auf dem selbstherrlichen Recht, sondern durch dienende Liebe sich verwirklicht und wo die Entwürdigung des göttlichen Ebenbildes im Menschen ein Ende findet, ist Grillparzers aktuelle Botschaft an die friedlose Gegenwart.

So macht Schneider in diesen höchstbeachtlichen Essays den Anruf großer Geister hörbacr,

deren neuverstandenes Vermächtnis Wegweisung und Kraft für die Wiedergeburt Europas sein solL

Wenn ich du wäre. Roman. Von Julien Green. Amandus-Edition, Wien.

Die so oft gestellte Frage, ob der Mensch sein Ich zu wechseln vermag, um das Wunschbild seines Lebens zu erreichen, erfährt eine originelle Behandlung. Dem kleinen, unbedeutenden Büroangestellten Fabien Especel wird um den Preis seiner Seele vom Teufel die Macht zuteil, sich in jede Person zu verwandeln, die zu werden er begehrt. Verschiedene Male gelingt ihm der Versuch, aber nie wird ihm dabei die ersehnte innere Befriedigung zuteiL Reichtum, Ansehen, menschliche Freuden, scheinbare Erfüllung aller Wünsche können Fabien nicht über die innere Leere so vieler begehrter Positionen in der Öffentlichkeit hinwegtäuschen. Sein vielfach geübter Versuch mißlingt in jenem Augenblick, als er sich der Gestalt eines unschuldigen Kindes zu bemächtigen trachtet. An diesem ist die satanische Gewalt machtlos, denn hier beginnt das Reich Gottes selbst. Wer aber an diesem nicht teilhat, bleibt ein gehetztes Wesen, und auch Fabien muß trotz aller ihm zur Verfügung stehenden Gewalt ruhelos bleiben. Die wahre Erfüllung seines Lebens findet der Rastlose erst, als er in das ärmliche Heim seiner Mutter zurückkehrt und, wieder zu beten versuchend, sein eigenes Ich wieder findet. Von einer geheimnisvollen Freude ergriffen, kann er nun sein Leben vollenden im Tod. — Die phantastische Gestaltung eines uralten Themas läßt niemals den wahren Kern der Fabel vergessen. Sie hat hier eine meisterhafte Prägung erfahren. Dr. Leopold L e n t n e r österreichische Lebensweisheit. Von K. H. Dworczak. Progreß-Verlag Dr. Micolini, Graz, 101 Seiten.

Erfreulich ist die auf dieses Bändchen angewandte Mühe, eine Aphorismensammlung von Österreichern und Wahlösterreichern zusammen- zustellen, glücklich auch der Gedanke, kurze Lebensbilder der Autoren ihren Aussprüchen jeweils voranzustellen. Ein Redaktor aber, der 46 Autoren aufnimmt — von F. Raimund bis K. Kraus, von F. Stelzhamer bis F. Werfel und F. Grillparzer bis P. Altenberg —, dürfte, selbst wenn er „keine Vollständigkeit erstrebt“, entscheidende Persönlichkeiten unseres Geisteslebens und unserer Wesensart nicht übersehen Warum die Humanisten Anea Silvio und Conrad Celtes, warum Philipp Hafner und Abraham a Sancta Clara (!), die Philosophen Anton Günther, Karl Werner und Bernhard Bolzano fehlen, warum gar Ferdinand Ebner nicht aufgenommen wurde, obwohl verhältnismäßig viel (teils vielleicht entbehrliche) Moderne und Lebende vertreten sind, ist kaum zu recht- fertigen. Auch die oft mehr „schmissigen“ als sachlichen biographischen Skizzen (zum Beispiel Seite 13) und besonders die konventionellen Wendungen der einleitenden, anpreisenden Charakteristik des Österreichers als „geborenen Lebenskünstler ... in seinem Unbekümmertsein“ und in „wehmütiger Heiterkeit“ (Seite 7) usw.... kann man 1949 nicht mehr vertragen. Die überaus schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe einer kritischen und umfassenden Spruch- und Aphorismensammlung bleibt weiterhin bestehen, wenn auch das Büchlein von Dworczak manch schönen und trefflichen Satz ans Licht bringt.

Revue Internationale du Cinema. 1/1949,

französische Ausgabe, OCIC, Brüssel. — Filmspiegel. Gutachten der Katholischen Filmkom- mission für Österreich, Verlag der Filmkommission, Wien I, Stephansplatz 3. 101 Seiten, S 7.50.

Die religiöse Filmfestwoche hat mit zwei bedeutenden Fachpublikationen bekanntgemacht. Die „Revue“, von deren drei Ausgaben (französisch, englisch und spanisch) dem Verfasser die französische vorlag, ist eine offizielle Ausgabe des OCIC (Office oatholique international du Cinema) und bezeichnet sich selbst als „L'organ mondial des catholiques dans le domaine du film". Die Beiträge anerkannter Fachleute umfassen tatsächlich die sakrale und profane Filmsituation des ganzen Erdkreises und sind von einem Niveau und einer Weltweite, die auch den Nichtkatholiken beeindrucken müssen. Dem Inhalt entspricht die äußere Ausstattung (sehenswerter Bildteil auf holzfreiem Papier). Eine deutschsprachige Ausgabe (in Wien?) täte dringend not. — Der „Filmspiegel“ bringt die Begutachtung sämtlicher in Österreich vom 1. Oktober 1947 bis 31. Dezember 1948 aufgeführten 234 Filme, alphabetisch fortschreitend und mit Index nach Wertung, mit deutschem und eventuellem Originaltitel, Filmgattung, Sprache, Verleihfirma, Regisseur, Hauptdarstellern, Inhalt, weit- anschaulicher und künstlerischer Bewertung und Klassifizierung nach dem bekannten Vorgang der Kommission. Eine fleißige, gründlich Arbeit (Vorwort Kan. Dr. Rudolf, Redaktion Dr. Erika Reimer-Haala), ein Nachschlagewerk für jeden Filmfreund und ein Hilfsmittel für Erziehung, Seelsorge und Untenricht, das unbedingt fortgesetzt werden muß.

Liberals“ in der Kommunistischen Partei mit ihrer straffen Disziplin kein Platz war.

Es ist nun bezeichnend, daß nur ein Teil dieser linksradikalen Intellektuellen — darunter James Burnham, der bekannte Soziologe ( Die Revolution der Manager“), der Romanschriftsteller John Dos Passos, der Journalist Whittacker Chamber , dessen Enthüllungen über die kommunistische Spionageorganisation im State-Department in der letzten Zeit viel Staub aufwirbelten, Louis Budenz, der ehemalige Herausgeber des kommunistischen Parteiblattes „Daily Worker“, der nach der Browder-Krise 1945 zum Katholizismus konvertierte, und vor allem der bedeutendste Kopf dieser Gruppe in der ganzen Welt, Arthur Köstler, also alles Männer, welche die Parteimaschinerie von innen kennenlernten — einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und der Kommunistischen Partei zogen, während eine andere Gruppe, Vorwiegend aus bürgerlich- humanitären Kreisen stammender Intellektueller, die der Partei gar nicht angehör- ten, bereit blieb, den Kommunisten Schützenhilfe zu leisten. Henry Wallaces „Fortschrittspartei“ und der linksradikale „National Council of the Arts, Sciences and Pro- fessons“ sind die hauptsächlichen Sammelpunkte dieser Richtung. Und so unbarmherzig die Kommunisten selbst in ihren

Reihen jede Abweichung von der Parteilinie verfolgen, 60 gut wissen sie bei richtiger Gelegenheit — wie eben jetzt wieder — diese „Intellektuellen“ zu benützen. Allerdings, sobald sie ihre Aufgabe erfüllt haben, erhalten diese „sentimentalen Bourgeois" den Abschied.

Ein Beispiel dafür bietet das Schicksal der 63jährigen amerikanischen Journalistin Anna Louise Strong, die im Februar dieses Jahres nach dreißigjährigen treuen Diensten für die Sache des Weltkommunismus in Moskau plötzlich verhaftet und nach drei Tagen als „notorische USA-Spionin“ aus Rußland ausgewiesen wurde. Ihre Biographie ist bezeichnend für Herkunft und Atmosphäre vieler „fellow-travellers“. Tochter eines „fortschrittlichen“, mehr Darwin als der Bibel vertrauenden kongregationali- stischen Geistlichen au9 Ohio, promovierte sie mit 22 Jahren mit einer Dissertation „Eine Studie über das Gebet vom Standpunkt der Sozialpsychologie“. Die russisdie Revolution brachte ihr schließlich die große „Idee“, der sie von da an ihre ganze Energie widmete. „Die Partei verbindet für mich alle früheren Götter meiner Jugend“, erklärte sie, obwohl es ihr nie gelang, dieser Partei selbst beizutreten. 1930 gründete sie die „Moscow News“, die erste Zeitung Sowjetrußlands in englischer Sprache, und heiratete schließlich, sechsundvierzigjährig,

einen Sowjetbeamten. Obwohl 9ie einst Leo Trotzki Englischstunden gegeben hatte, blieb sie, da sie den um die Mitte der dreißiger Jahre einsetzenden nationalistischen Kurs mitmachte, auch weiterhin in Gnade. Am Beispiel des jugoslawischen und des chinesischen Kommunismus demonstrierte sie ihren amerikanischen Lesern die Vereinbarkeit von nationalem Patriotismus und Kommunismus — bis eben die neuerliche Wendung der Kominformpolitik sie plötzlich in Ungnade fallen ließ. Nach ihrer Rückkehr nach New York hat sie in einer Artikelserie in der „New Herald Tribüne“ ihre Erlebnisse im Moskauer Gefängnis erzählt. Obwohl sie ich in diesen Aufsätzen erneut als überzeugte Kommunistin bekannte, ersparte ihr der kommunistische „Daily Worker“ nicht den in solchen Fällen üblichen Vorwurf de „Trotzkismus“.

Es ist um alle jene unter diesen „fellow- travellers“ und unglücklichen Liebhabern des Kommunismus, die an die von ihnen verkündeten Ideale glaubten oder noch glauben, im Grunde eine tiefe menschliche Tragik: die Tragik des mißbrauchten Idealismus, ewiges tragisches Schicksal der Menschen, die alle ihre ursprünglich religiöse Glaubenskraft einem innerweltlichen ideologischen Religion ersatz zur Verfügung stellen.

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