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VON NEUEN BUCHERN

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Gedanken zu Felix Brauns „Der Stachel in der Seele“. — Gesammelte Werke, 1. Band, Amandus-Edition, Wien 1948, 430 Seiten.

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Gedanken zu Felix Brauns „Der Stachel in der Seele“. — Gesammelte Werke, 1. Band, Amandus-Edition, Wien 1948, 430 Seiten.

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Die Lektüre dieses Buches sollte sich auf viele Tage erstrecken. Einmal, weil es Türen zu neuen Einsichten auftut: durch kühne Spekulationen und fremdartige, geheimnisvolle Bilder wie durch lang angesammelte Erfahrungsaussagen; zum anderen, weil es in menschliche Tiefen hinabgreift, die erschrecken und zur Besinnung mahnen.

Die phantastische Wanderung, die Läuterungsfahrt eines Menschen durch ein qualvolles, modern gesehenes Fegefeuer, bildet den Vorwurf dieses seltsamen „Romanes“. Der Erzähler — das Buch ist in Ichform geschrieben — muß seinen Weg, der oftmals zur Flucht wird, in dem Sühnehaus einer raucherfüllten Stadt ohne Himmel beginnen. Dort trifft er sechs Mitbewohner, von denen jeder, an seiner einstigen Hauptsünde leidend, büßen muß. Diese wie der ehemalige Bewohner der Kammer des Erzählers, der „Vorgänger“, begegnen einander immer wieder zu Gesprächen und Erlebnissen in vielen Szenen’ der Handlung. Besonders der „Vorgänger“ läßt dem Erzähler das eigene Laster der Mißgunst und des Neides scharf erkennen; „Oh, was ist die Seele des Menschen zu fühlen fähig! Welch ein Schlangenknäuel nistet verhehlt in ihr!" Das erste Grundthema des Buches, die Ichproblematik des in sich selbst verstrickten und vergrübelten Menschen, hebt damit an.

In wilden, packenden Bildern tauchen Fabelgestalten, Hieronymus-Bosch-Unholde, Honore- Daumier-Politiker und verhetzte Volksmengen im düsteren Licht der Unterwelt auf. Ein Schattenparlament fordert in furchtbarer Überheblichkeit: „Die Liebe Gottes wird sich zu manifestieren haben, wenn der Glaube an sie noch diskutiert werden soll.“ In einem geheimnisvollen Museum wird der Baum der Erkenntnis gezeigt und schwerelose, goldene Federn aus Luzifers Flügeln. „Ist nicht alles Luziferische zu Heilzwecken dienlich?“ fragte der Kustos und tönt damit das zweite Hauptthema des Buches an: das der Sünde und Schuld. Theologische Diskussionen schieben sich in die farbensatt gemalten Schauplätze, deren Symbole, verschlüsselten Allegorien und bannenden Traumimpressionen die dichterische Deutung bergen.

Durch öde Steinhalden und überfüllte Städte wird der Erzähler getrieben, in einem psycho- analytisch-chemischen Seelenlaboratorium untersucht, auf dem „Feuerschiff“ durch das Flammenmeer getragen. Und doch gelingt es ihm nicht, sich ganz zu überwunden. Der „Stachel in der Seele" bleibt: „Was wir denken und fühlen, was wir nicht begehen, was wir verheimlichen in uns selber, das, das, das ist es! Das gilt! Das richtet uns!" Er entzieht sich auch dem Bekenntnis der eigenen Schuld. „Denn es scheint leichter zu sein, ohne Fallschirm abzuspringen, als die kleinste Beschönigung aufzugeben.“

Traumhafte Jugenderinnerungsbilder des Erzählers verweben sich in die Probleme der Läuterung; die Konturen von Wien am Ausgang des vorigen Jahrhunderts zeichnen sich ab. Dann beginnt der letzte Weg der furchtbaren Fahrten. Sieben Brücken müssen überquert werden. An den ersten sechs wartet je einer der Gefährten des Erzählers. Alle setzen über ihre Brücken, sind geläutert, von ihren Lastern und bösen Begierden geheilt. Zitternd, verzweifelt steht der Erzähler an der letzten, vom Krieg zerstörten. Immer noch ist es ihm nicht gelungen, sein „Ich zu vergessen“ und über sich hinaus zu lieben. Aber die Gnade ergänzt und erfüllt seine Bemühung. Er schwebt über die Brücke.

Das vorliegende Alterswerk Felix Brauns ist besonders in den Einzelheiten sehr schwer deut- bar. Befrachtet mit Theologie und Spekulationen — „ .Befassen Sie sich jetzt mit Theologie?’ fragte ich. ,Was wäre des Dichters würdiger?’ “ S. 27 — tritt der Roman in geistige Gemeinschaft zu den späten Aphorismen- und Dialogbüchern Franz Werfels und Alfred Döblins. Auch lebt das Erbe H. v. Hofmannsthals und Rainer Maria Rilkes, deren Freund und bedeutender Nachfahre Felix Braun ist, in der österreichischen Selbstanklage und Grübelei wie in den kalt-prächtigen, „schrecklichen“ Engelwächtern seiner Unterwelt. Die überreife Stimmung der Wiener Atmosphäre in der Zeit nach H. Makart wird dichterisch geschildert und überhöht. Die Tradition der Tiefenpsychologie setzt Felix Braun fort: „Unsere Wurzel ist er auch der Mund, bevor die große Wurzelverwandlung in das Geschlecht sich vollzieht“ S. 97. Aber der Dichter sagt dies alles in der klaren und einfachen Sprache seiner meisterhaften Prosa.

Welcher Vergleich erschließt also das Verständnis des Buches?

So wie einst Dante Alighieris „Divina Commedia" Politik wie Mystik, Physik und Philosophie der Zeit umgriff und einbezog, so ist auch in Brauns lyrisch-phantastischem Epos unsere späte Kultur enthalten. Jedoch: Dante noch schritt an der Wende vom objektiven Denken zum Subjektivismus, von Vergil und Beatrice geleitet, durch einen geordneten Kosmos selbst des Inferno und Purgatorio. Der Erzähler von Brauns Buch wird allein durch schwelende, zerborstene Städte und Schutthalden umgetrieben. In den Wirbeln des versinkenden subjektivistischen Denkens und Lebens stachelt das selbstherrlich gewordene Ich zu ahasverischer Unrast an: „… Los des Menschen in der Welt … bleibt Verfolgung und Flucht“ S. 339. Daher kann man sich auch nicht mehr dem Bösen durch einen neuplatonischen Stufengang und Aufstieg von der Materie zum Geist entziehen. Der Böse lauert überall: vor allem im Geistigen und im Innersten des Menschen.

Die Fülle der Probleme, die Brauns Buch aufwirft, bedürfte vieler Kommentare von den verschiedensten Seiten. Da theologische Inhalte zu Dichtung geformt werden, ergeben sich Deutungsmöglichkeiten, die den Patnpassionismus Gott Vater habe in Christus gelitten, der Apokatastasislehre des Origenes und anderen Tendenzen nahekommen, die in diesem Rahmen nicht näher erörtert werden können. Auch beziehen sich manche Forderungen und Formulierungen, wie etwa die, daß man das Übel nicht bekämpfen, sondern „ermatten lassen“ solle, auf das Sühneleben im Fegefeuer und nicht auf das irdische.

Das Werk ist trotz der alttestamentarischen Herbheit ein christliches, reiht sich ein in die große Dichtung der Kirche, weil die Möglichkeit der Verwandlung des Sündhaften als tiefste Gewißheit feststeht. Hinter den technisch-psychologischen Schrecken des Fegefeuers, die Dantes Purgatorio als idyllisch und ruhsam erscheinen lassen, harrt die reine Seligkeit, deren Deutung der Dichter in seinem nächsten Buch versuchen wird.

Felix Brauns „Der Stachel in der Seele" wird bleiben, weil in diesem Werk die mannigfaltige und irrende Spätzeit hereingeholt, heimgeholt wird in dij christliche Liebe, die das Zwielicht der Zeitenwende erhellt.

Amerikanische Ideale. Puritanism and Demo- cracy. Von R. B. Perry, Danubia-Verlag, Wien 1948.

Hier liegt ein bedeutendes und umfangreiches Werk mit vielen Licht- und Schattenseiten vor, dessen Übersetzung begrüßt werden kann. Der Nachteil dieser Bände liegt in ihrem diffusen, kantenlosen und verschwommenen Aufbau, bei dem das Wesentliche nicht scharf genug herausgearbeitet ist. Immer hat der Leser das Gefühl, eine Serie freier Vorträge vor sich zu haben, die mehr aus dem Herzen als aus dem Intellekt kommen. Auch der Umstand, daß dieses Werk ursprünglich ein Jahr vor Kriegsende drüben in Amerika erschienen ist, läßt eine Skepsis und „Distanz“ ermangeln, die bei einer derartigen Studie mehr am Platz gewesen wäre. Der deutsche Titel ist etwas irreführend, denn hier wird tatsächlich nur eine amerikanische Tradition unter die Lupe genommen — die puritanische Deszendenz der amerikanischen Demokratie. Hier vermißt der kritische Leser ganz besonders die scharfe und so bitter notwendige Unterscheidung zwischen Demokratie und Liberalismus wie auch die unumgängliche Analyse der antidemokratischen amerikanischen Tradition, die von den britischen Whigs über John Adams, James Marshall und Alexander Hamilton zu modernen amerikanischen Denkern wie Senator Vandenberg, Irving Babbit, R. A. Cram, Richard Weaver und Hoffman Nickersqn führt. Eine traurige Entgleisung finden wir auf S. 46 II. Band, wo der Autor vom Faschismus spricht, der die „extremsten Ansprüche des Kapitalismus vertritt“. Hier sieht man deutlich wie selbst originelle amerikanische Köpfe die Auslegung modern politischer Phänomene von der europäischen Linksemigration gedankenlos übernommen hatten. Auch von der energischen Ablehnung der Demokratie durch die puritanische Majorität John Cotton usw. hören wir nichts. — Dennoch ist diese stilistisch äußerst gelungene Übersetzung ein wertvoller Behelf. Der Quellennachweis kann geradezu als vorbildlich gelten und das Material zu diesen Bänden scheint in langen Zeitläuften fleißig gesammelt worden zu sein. Es wäre aber zu wünschen, daß die Endnoten durchgehend nummeriert werden würden, denn beim vorliegenden System macht sich ein zweifaches Nachsuchen des Kapitels notwendig.

Die Freiheit der Schule. Von F. F r o d 1. Verlag Offenes Wort. Wien 1948. S 1.—.

In der Diskussion um das gegenwärtige Schulproblem zeigt die vorliegende Broschüre, daß weniger die Rechte und Ansprüche des Staates im Vordergrund stehen dürfen, sondern die Heranbildung von Persönlichkeiten durch den Unterricht die höchste Verpflichtung bedeutet. Die Schule soll jene Möglichkeit darbieten, die zur Entfaltung der jugendlichen Persönlichkeit dem Wunsche und den Absichten der Eltern entsprechend beizutragen hat. Die Hauptverantwortung kommt dabei den Eltern zu, während dem Staat nur das Recht der Mithilfe zusteht. Eine solche Gestaltung der Schule setzt ein hohes Ethos und klare Gewissensentscheidungen von Seiten der Elternschaft und der verantwortlichen Erzieher voraus. Es ist wertvoll, dies so ausdrücklich festzustellen, und die ernsten Worte des Verfassers mögen dazu beitragen, in allen an diesem Problem interessiertren Kreisen Verständnis und Einsicht für das Elternrecht und die Forderungen des christlichen Gewissens zu wecken.

Die Entzauberung der Politik. Von W. R i n g s. Europa-Verlag, Zürich, Wien.

Wenn einmal behauptet wurde, Soziologie sei „Wortmaskenverleihinstitut“, zeigt W. Rings das Gegenteil davon. Und mit Recht! Soziologie, soll sie eine Aufgabe haben, ist laufende Demaskierung jener sozialen Begriffe und Beziehungen, die zu Hypostasen im Sprach- und Machtgebrauch der Politik, besonders der totalitären, verdickt worden sind. Ihrer heute eminent wichtigen Auflösung, der „Entzauberung der Politik“, der Vernichtung des „gesellschaftsmystischen Animis- mus", dient das ausgezeichnete, überzeugende Buch. Religionssoziologisch meisterhaft ist hiebei herausgearbeitet die Wiedergeburt der Magie primitiver Völker inmitten der modernen Gesellschaft. Eindrucksvoll wird gezeigt, wie diese an Stelle der „Ahnen" monströse Sozialzustände und Sozialvorgänge, zum Beispiel Staaten, Nationen, Revolutionen usw., als sinngebende Götzen zelebriert. Univ.-Prof. Dr. August M; Knoll

Sonnwend. Von M. V. Rubatscher. Verlag Albrecht Dürer, Wien 1948.

Ein Mädchen, dessen Vater wegen Totschlages eingekerkert wurde, stellt sich reinen Herzens und voll ungebrochenen Lebensmutes der alltäglichen grauen Arbeit, diese mit der Sonne des Gemüts durchleuchtend und überwindend, nur dem Drang des Herzens folgend. Eine einfache Fabel. Was aber diesen Roman der Tiroler Dichterin, der erstmals 1932 erschien, über die Flut der Bauerndichtung hebt, ist die Verbindung des religiösen Pulsschlages und der Versinnlichung der Landschaft mit den holzschnittartig knapp gezeichneten Charakteren. Das Brauchtum der Sarner Bauern und ihre bedrängte Lage sind dabei unaufdringlich mitverwoben. Die Sprache weiß sich glücklich altertümelnder Wendungen zu bedienen, und die Plastik der Darstellung gewinnt durch den weitgehenden Gebrauch des Mundartlichen Worterklärungen sind am Schlüsse beigegeben. Man wird schwerlich Szenen vergessen wie die geheimnisumwitterte „Klöckel- nacht“ oder die Bergpredigt. Da weht die freie Luft eines ungebrochenen Landes, und die Wände und Türme des Rosengartens, des Sehlems und der Marmolata stehen, so sonnüberglüht oder nebelumwallt, da wie die Festen der Zukunft, an die ein kleines Mädchen so tapfer geglaubt, und an die alle anderen auch glauben sollen,

Im All verschollen. Von Scheiber- Saurer. Innverlag, Innsbruck 1947. 228 Seiten.

Eine Raumrakete von der Venus stürzt in Amerika ab. Von der Absturzstelle breitet sich über die ganze Welt eine bisher unbekannte Art von Lungenpest aus, gegen die es auf der Erde kein Mittel gibt. Die Aufnahme des Bildfunkverkehrs mit der Venus ergibt, daß dort ein solches Serum existiert. Ein begabter junger Ingenieur setzt sich über alle Schwierigkeiten hinweg, fliegt mit der selbstgebauten Rakete zur Venus und holt das Serum. Ein Zukunftsroman, in welchem man versucht, hinter technischen und physikalischen Sensationssch’lde- rungen inhaltliche und stilistische Mittelmäßigkeiten zu verbergen. Der strahlende Held, der skrupellose Bösewicht und die übliche Liebesgeschichte, Motive, die sich sonst in den Romanheften finden.

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