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Literatur, Literatur, Literatur...

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Die Lehrlinge zu Sais. Von Novalis. Mit 51 Zeichnungen von Paul Klee. Benteli-Verlag. Bern. 112 Seiten.

Das ist eines der kostbarsten Liebhaberbücher, das je gedruckt worden ist — vielleicht ist es ein wenig esoterisch und sehr wahrscheinlich wird es nur wenige geben, die den vollen Reiz dieses sauberen Längsbandes auskosten werden, den Reiz, der in dieser fast kühnen Zusammenstellung eines; roman-tisch-hermeneutischen Prosagedichtes mit den klaren Zeichnungen. Klees, des Modernen, liegt. Und doch „stimmt“ diese Kombination. „Hätte man ... nur erst einige Bewegungen, als Buchstaben der Natur, herausgebracht, so würde das Dechiffrieren immer leichter vonstatten gehen und die Macht über die Gedankenerzeugung und Bewegung den Beobachter in Stand setzen, auch ohne vorhergegangenen wirklichen Eindruck, Naturgedanken hervorzubringen und Naturkompositionen zu entwerfen, und dann wäre der Endzweck erreicht.“ Das ist nicht von Klee, sondern von Novalis. Aber es beschreibt Klees Kunst besser als er selbst, der leidenschaftliche, aber schwache Theoretiker es je gekonnt hat. — Schade, daß der Name des ingeniösen Zusammenstellers in dem Buch nicht zu finden ist.

Shakespeare und Mikes. Von George Mikes. Mit Zeichnungen von David L a n g d o n. Paul Zsolnay Verlag, Hamburg. 164 Seiten.

George Mikes alias Mikos hat etliche sehr lustige, witzige und amüsante Bücher geschrieben, zum Beispiel „Komische Leute“ oder „Ueber alles“. Aber bekanntlich hat auch Homer manchmal geschlafen, warum nicht auch Mikes? Shakespeare verschließt (auf dem Umschlag) mit Recht seinen Mund. Tun wir dasselbe. Es ist das beste, was diesem Buch widerfahren kann.

Egon und Emilie. Von Christian Morgenstern. Verlag R. Piper & Co., München. 125 Seiten.

Eine leicht veränderte Ausgabe des „Böhmischen Jahrmarkts“. Enthält eine Reihe von Kostbarkeiten, unter denen der Titelsketch nicht der beste ist; dafür gibt es aber zum Beispiel die unbeschreiblich schöne d'Annunzio-Parodie, die unvergeßlicher als das Original ist, das sinnige Märchen von der „Versammlung der Nägel“ und einige Dutzend Nachtragsverse zu den Galgenliedern. Das Buch sollte gekauft . werden, dem häßlichen Einband zum Trotz. *

Der Vikar von Wakefield. Von Oliver Goldsmith. — Der Sturz des Blinden. Von Linus K e f e r. — Beide Bücher illustriert von Alfred K u b i n. Eduard Wancura Verlag, Wien.

Die Innenklappe des Kefer-Buches ziert ein Kubin-scher Autograph: „Herrn Kefers .Sturz des Blinden' schließt meine illustrative Tätigkeit nach fast fünfzig Jahren ab!.'! Alfred Kubin.“ Wir fürchteten schon, als wir dies lasen, daß Kubin nicht mehr illustrieren würde — wir fürchteten es um so mehr, als die Illustrationen zu dieser bescheiden-unheimlichen Geschichte wieder einmal die volle reife Kunst des alten Meisters in höchster Vollendung zeigten. Glücklicherweise dementierte der Verlag diese Vermutung mit seiner Goldsmith-Ausgabe; denn auch diese (etwas zu sehr gekürzte) Geschichte vom geduldigen neuen Hiob hat, wiewohl mit späterem Editionsdatum versehen, die schönsten Kubin-Illustrationen ... Ein Lob in jedem Falle dem ambitionier-ten Verlag.

Das Christkind aus den großen Wäldern. Erzählung. Von Edzard S c h a p e r. Mit Zeichnungen von Richard S e e w a 1 d. Verlag lakob Hegner, Köln. 101 Seiten.

Eine unwahrscheinliche, aber schöne Geschichte von der Front auf dem finnischen Kriegsschauplatz: Eine Patrouille findet in einem verlassenen Dorfe ein einjähriges Kind, das einer der Soldaten durch Wälder und Schnee bis hinter die Front mitnimmt. Durch diesen Fund und die barmherzige Menschlichkeit werden in diesen Männern Instinktkräfte wach, die den Zusammenhang von Leben und Tod, von unbeholfenem Lebensbeginn und gewaltsamem Lebensende offenbaren. Die Geschichte spielt um die Weihnachtszeit, wodurch das Findelkind zu einem Christuskinde wird, an dem sich zeigt, „daß wir füreinander verloren und füreinander gefunden werden, bis wir vereinigt werden in der einen Hand“.

Der christliche Protest. Von Reinhold Schneider. Mit einem Geleitwort von Werner Bergen-gruen. Verlag der Arche, Zürich. 148 Seiten.

Eine „Summula“ des dichterischen und schriftstellerischen Anliegens Reinhold Schneiders hat „Die Arche“ herausgebracht. „Die Macht“, „das Böse“, die „Gnade“ und immer wieder die unausweichliche, mit dem gefallenen Menschtum erwirkte „Tragik“. Wie ein Kommentar zum Werke Schneiders soll dieses kleine Buch gelesen werden. — Was Werner Bergengruen über „Reinhold Schneider und die Tragik Gottes“ in einer Ansprache im Essener Opernhaus sagte, ist als Geleitwort abgedruckt. Diese wenigen Seiten sind die beste und deutlichste Deutung, die ein Dichter über einen Dichter geben kann. — Angefügt ist eine vollständige Bibliographie der Schriften Schneiders.

Die böse Macht. Roman. Von C. S. Lewis. Uebersetzt von Friedrich Schnack und Alfred Günther. Verlag Jakob Hegner, Köln. 372 Seiten.

„Haben Sie nie bemerkt, wir bestehen eigentlich aus zwei Ländern. Nach jedem Arthur ein Mordred, hinter jedem Milton ein Cromwell. Wir sind eine Nation von Dichtern und eine von Krämern, die Heimat von Sidney und von Cecil Rhodes. Ist es ein Wunder, wenn man uns scheinheilig nennt? Aber das Scheinheilige ist in Wahrheit der Kampf zwischen Britannien und Logres.“ — „Logres“ ist der Name für jene Macht, die das Magisch-Eigentliche „Englands“ meint, so wie die „göttliche Klarheit“ das Französische an Frankreich und „die Ordnung des Himmels“ das Chinesische an China. König Arthur und die Miltons und die Sidneys und die Dichter sind das Englische an England, jenes Wesentliche, das sich gegen die Krämer und Cromwells durchsetzen muß, um England vor der „bösen Macht“ zu erretten. — In jedem Grashalm, in jeder Nation, in jedem Menschen und jedem Engel gibt es dies Magisch-Eigentliche (das nicht gleichzusetzen ist mit dem abstrakten „Guten“, sondern die lebendig vollzogene „Gültigkeit“ meint). — Wie sich in England das „Logres“ gegen „Britannien“ wieder einmal in einer (fiktiven) Geschichtszeit siegreich erweist, erzählt dieser spannende Roman — ebenso real wie phantastisch: in „einer Art ungelenker Grazie“, mit einer „bescheidenen, heiteren Unvoll-kommenheit“. So gibt dieses Buch zu bedenken: was wohl die Hintergründe und Tragkräfte der Einzelgeschichte und der Weltgeschichte sind. Auf die angenehmste Weise wird der Leser hellhörig für die großen Räume und die geheimen Zusammenhänge des Alls und jedes einzelnen.

Das Mädchen von Saigon. Roman. Von Jean Hougron. Deutsch von Stefanie Neum ann. Paul Zsolnay Verlag, Hamburg. 416 Seiten. 89 S.

Der Autor entnahm den Stoff seines Romans, für den er einen Literaturpreis erhielt, der Geschichte der jüngsten Vergangenheit. Schauplatz ist Indo-china. Ein junger Franzose, Georges Lastin, der aus nicht recht klaren Gründen aus seiner Heimat geflohen ist und in Saigon als Autounternehmer arbeitet, gerät während eines Transportes in die Gefangenschaft der Vietminh. Er kommt dabei mit einem anderen Franzosen und dessen Frau My-Diem, einer Eingeborenen, zusammen. Ein Angriff französischer Truppen ermöglicht ihm, nach längerem Aufenthalt in einem Lager die Flucht, nachdem das Ehepaar bereits früher gegen Lösegeld freigelassen wurde. In Saigon trifft er später die beiden wieder und verfällt der erotischen Anziehungskraft My-Diems, einer Frau von rätselhaftem, gegensätzlichem Wesen. Sie ist kindlich und raffiniert, rein und verdorben, zurückhaltend und triebhaft, offen und verschlagen und ihrem Gatten mehr durch Dankbarkeit als durch Liebe verbunden. Den größten Teil des Romans bildet die oft kraß realistische Darstellung der wechselvollen Liebesbeziehung Lastins zu dieser Frau. My-Diem verläßt schließlich ihren Mann, geht aber noch einmal zu ihm nach Saigon zurück, als er im Sterben liegt. Doch Lastin weiß, daß sie eines Tages wieder zu ihm kommen wird. — Hougron versteht es, besonders in den ersten Kapiteln, packend zu erzählen. Am meisten vermag die Schilderung des fremdartigen Milieus zu interessieren, doch an den Gestalten, die psychologisch recht gut erfaßt werden, nimmt man keinen inneren Anteil.

Michael, der Bruder Jerrys. Roman eines Hundes. Von Jack London. Uebertragung von Erwin Magnus. Büchergilde Gutenberg. 290 Seiten. Preis 24 S.

Eine — bis auf den häßlichen Holzschnitt des Titelblattes — ansprechende Neuausgabe einer der weniger bekannten Tiergeschichten Londons, in der ausgezeichneten Uebersetzung von Erwin Magnus. Vor dem Hintergrund eines heiteren Südseehimmels und der dunklen Hafenviertel von San Franzisko begibt sich das Geschick Michaels, eines irischen Terriers, an dem London die Grausamkeit der Tierdressur zeigt. In einem Nachwort forderte der Autor seine Leser zum Tierschutz auf; tatsächlich bildete sich bald nach Erscheinen des Buches ein Jack-London-KIub, der sich scharf gegen die Zirkusvorführung dressierter Tiere wandte.

Onkel Doktor wird Papa. Von Evelyn B a r k i n s. Forum-Verlag, Frankfurt-Wien. 222 Seiten.

„Ein Vater und eine Mutter sind zwei Leute, die sozusagen auf ein Inserat antworten, das da lautet: .Gesucht wird ein junges, gesundes, kräftiges Paar, das bereit ist, nötigenfalls Tag und Nacht zu arbeiten, Kinderliebe Bedingung. Kein Ausgang, kein Entgelt, nur Befriedigung. Referenzen unnötig.'“ Das ist Stil und Methodik des höchst 'amüsanten Buches der Amerikanerin Evelyn Barkins. Mit einer Unmenge von Logik und Erfahrung, Herz und Humor erzählt die Doktorsgattin, was sie und ihr Mann als Eltern ihres Erstgeborenen erlebt haben. Die witzigen Bilder passen gut zu den Berichten. Ein ganz reizendes Buch.

Der silberne Leuchter. Von Ernst Vasovet. Europäischer Verlag, Wien.

Zum ersten Male legt Vasovec, vor zwei Jahren Träger des Staats-Förderungspreises, einen Band Lyrik vor. Man möchte sie beinahe noch höher einschätzen als seine Prosa. Vasovec ist Lyriker. Während er im Epischen gezwungen wird, zum Kernpunkt seiner Aussage Umwege zu gehen, erfassen die Gedichte unmittelbar das Essentielle. Sie unterscheiden sich voneinander im Wechsel der Form (die Vasovec immer beherrscht) und sind auch nicht gleich an Gewicht. Jedenfalls: Hier hat sich ein neuer großer Lyriker angemeldet Wir verzeichnen mit Genugtuung, daß die Herausgabe des Bandes die finanzielle Unterstützung der steier-märkischen Landesregierung gefunden hat.

Einer Einzigen gehören. Roman. Von Fink-Töbich. Stocker-Verlag, Graz. 648 Seiten.

„Lida! Glück der nächsten Nähe!“ hatte Goethe um 1776 Charlotte von Stein poetisch verklärt und Shakespeare gleich danach genannt; noch 1820, in den Heften „Kunst und Altertum“, tauchten die Verse mit dem bezeichnenden Zusatz auf: „Tag und lahre sind verschwunden, urd doch ruht auf ienen Stunden meines Wertes Vollgewinn.“

Die Wissenschaft lieferte genug Ergebnisse der Forschung. Vor allem Bode, dann die bedeutenden Goethe-Biographen, schließlich noch Monographisten wie Höfer, Seilliere und Kühn — aber einig konnten sie kaum werden. Raum genug für den Romancier. Sonderbarerweis aber hat gerade Charlotte weniger als andere Frauen um Goethe für echte Könner des biographischen Romans anziehend gewirkt. Zuletzt ist von Janetschek (Berlin 1932) ein Roman über die älteste Tochter des Hofmarschalls von Schardt erschienen, jetzt plötzlich, in einem Jahre gleich zwei Bücher. Das eine von einer routinierten Schriftstellerin; das andere, hier anzuzeigende, auch von einer Frau: Grete Fink-Töbich, eine gebürtige Kärntnerin, im Lavanttale lebend, hat mit ihrem Erstlingswerk vor allem der überspitzten Psychologie abgesagt, den Worten Novalis folgend: „Die sogenannte Psychologie gehört auch zu den Larven, welche die Stelle im Heiligtum eingenommen haben, wo echte Götterbilder stehen sollten.“ Gefühl wirkte hier, echte weibliches Empfinden und Verstehen, dazu eine Kunst kulturgeschichtlicher Ueberschau, die nur kleinliche Kritik (wie das geschehen ist) als Sam-melstudiumergebnis beurteilen kann.

Romeo und Julia in Wien. Von Milo D o r und Reinhard Federmann. Roman. Kindler- und Schiermeyer-Verlag, München. 224 Seiten.

Milo Dor und Reinhard Federmann — in Wiener literarischen Kreisen als siamesische Zwillinge der Feder bekannt — legen ein neues Opus vor. Schauplatz ihrer Erzählung ist wieder Wien; das Wien, aus dessen Kanälen zwar nicht mehr der „Dritte Mann“ steigt, durch dessen Straßen aber als Symbol noch immer „Die Vier im Jeep“ fahren. Der Korrespondent einer amerikanischen Zeitung, Romeo Wilson, lernt auf einer Pressekonferenz die TASS-Ueber-setzerih Julia Mischkin kennen. Romeo und Julia in Wien! Es kann nicht gut ausgehen ...

Die beiden Verfasser liefern wieder eine Talentprobe dafür, wie man sich durch 224 Seiten die Spannung der Leser erhält. Daß es dabei Tote gibt wie bei den Pradler Ritterspielen, daß manche unwahrscheinliche Situationen entstehen — niemals wird zum Beispiel ein von der sowjetischen Militärpolizei gesuchter Amerikaner nichts Besseres zü tun haben, als ein Schäferstündchen in der Höhle des Löwen zu verbringen —, sei nebenbei bemerkt. Das beste: eine von einem abgründigen Humor durchtränkte Persiflage über eine Wiener Pressekonferenz. (Dor oder Federmann — das ist hier die Frage.) ' Ein Thriller, mit dem man- wohl eine Stange Geld verdienen, nicht aber literarische Lorbeeren ernten kann. Eigentlich ein typischer Fortsetzungsroman für eine der zahllosen deutschen Illustrierten. Halt, da steht es ja: „Dieser Roman erschien zuerst in der illustrierten Zeitschrift .Revue'.“

Schalom (Theaterstück). Von Heinz Flügel. Verlag Chr. Kaiser, München. 66 Seiten. Preis 3 DM.

Die Protestanten sind seit eh und je bemüht, eine bestimmte Form der Verkündigung auf dem Theater zu finden, die, anders als Mysterienspiel und Jesuitendrama, nicht das Schaustück, sondern die persönliche Anrede, das „Du bist gemeint“ als Ziel hat. Die Bemühungen Thornton Wilders, Rutenborns und mancher anderer, so etwa der deutschen Theater-grnppe „Die Vaganten“, haben hier bereits Beachtliches und auch im katholischen Raum (siehe das „Bonifatiusspiel 1954“ Wehners) Aufgenommenes vollbracht. Heinz Flügel wählt die Perikope vom Blindgeborenen (Jo. 9,1—38), um vor allen im Verhör des am Sabbath Geheilten mit der formalen Obrigkeit unser eigenes Versagen vor dem Wunder und dem absoluten Walten des Herrn vor Gericht zu stellen. Wir sind von der Wirkung dieses Werks, vor allem in einer aufnahmebereiten Gemeinde, zutiefst überzeugt.

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