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Belletristik aus fünf Ländern

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Die Fundgrube. 150 Geschichten aus unserer Zeit. Von Herbert Kranz. Verlag Josef Knecht. Carolus-Druckerei, Frankfurt am Main. 252 Seiten. Preis 10.80 DM.

Wahre Geschichten, Begebenheiten, von denen man während der bewegten letzten 2 5 Jahre in den Zeitungen las, tragische und heitere Vorkommnisse, erschütternde und ergötzliche, hat Herbert Kranz gesammelt, wiedererzählt und, etwa in der Art Johann Peter Hebels, moralisch pointiert. Wie er das tut, ist sympathisch und erfreulich: ohne dick aufzutragen und ohne Scheu vor schwierigen Gegenständen, aber immer „für solide Leute“. Der Bearbeiter schreibt ein gutes, anschauliches, zuweilen etwas altvaterisches Deutsch, wie man es nicht oft mehr findet. — Ein Sammelwerk, das ein Hausbuch werden kann — darüber hinaus eine Fundgrube für Dramatiker, Novellisten und Librettisten.

Renee und Rajner. Erzählung. Von Ina Seidel. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 140 Seiten. Preis

,7.80 DM.

Wer Ina Seidels „Unser Freund Peregrin“ kennt, wird erwartungsvoll auch zu dieser Erzählung greifen. Sie wurde 1924 geschrieben und seit 193 8 nicht mehr neu aufgelegt, also ein Frühwerk: sehr romantisch und auch ein wenig preziös-literarisch, von Menschen aus der Welt der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts handelnd, die inzwischen in einen größeren Roman übergegangen sind, an dem die Dichterin zur Zeit arbeitet.

Was dir nicht angehört. Erzählung von Manfred Haussmann. S.-Fischer-Verlag. 78 Seiten. Preis 4.80 DM.

Die bittersüße Geschichte der Liebe eines jungen Herrn aus gutem Hause zu einem Mädchen aus dem Volk, genauer aus der Vorstadt. Diese rothaarige Melitta rnit .der. üb kleinen Nase und dein zu großen Mund und den leicht einwärts gedrehten Beinen merkt man sich. Aber die Dialektik der Geschichte ist so stark von Thomas Manns „Tonio Kröger“ abhängig, daß der Reiz der Spannung, des Neuen, der von einer Originalerfindung ausgeht und der nun einmal zu dieser Gattung gehört, stark gemindert ist.

Munderloh. Fünf Erzählungen. Von Peter S u h r-k a m p. Bibliothek Suhrkamp, Berlin und Frankfurt. 179 Seiten. Preis 4.80 DM.

Wer es nicht wußte, daß der bekannte deutsche Verleger Peter Suhrkamp auch ein Dichter — nicht etwa nur ein „Schriftsteller“ — ist, erfährt es mit Freude bei der Lektüre dieses Bändchens. „Munderloh“, wonach das Büchlein heißt, ist der Titel eines Romanfragments, das 1944/45 in einem Gestapogefängnis geschrieben wurde. In einer Nachbemerkung heißt es lakonisch, daß dieser Roman nicht mehr vollendet werden wird. Der Grund: man weiß, daß Peter Suhrkamps Gesundheit seit jenen Tagen nicht mehr die beste ist. Und bedauert dies: aus menschlichen, allgemein kulturellen und künstlerischen Gründen. Merkwürdige Erzählungen stehen in diesem Band, merkwürdig, weil in ihnen von Großstadt, Literatur und Kulturbetrieb so gar keine Spur ist. Sie handeln vom einfachen, schweren Leben, das freilich mit den Augen eines Menschen gesehen ist, der nicht mehr „dazu gehört“. — Auch der Rezensent reicht die Palme dem „Besuch“, einer vollkommen schönen Prosadichtung, die Hermann Hesse mit seinem Lob ausgezeichnet hat.

Der verdammte Hof. Erzählung; Von Jivo A n d r i e. Bibliothek Suhrkamp. Berlin und Frankfurt. 173 Seiten. Preis 4.80 DM.

Vom Autor erfahren wir (auf der Umschlagklappe) nicht mehr, wie daß er „als der bedeutendste Romancier der Gegenwart in Jugoslawien gilt“. Man möchte mehr von diesem Mann wissen, der so spannend und natürlich zu erzählen versteht, etwa in der Art des aus Braila stammenden Rumänen griechischer Abstammung Panait Istrati, der von Romain Rolland in die westliche Literatur eingeführt wurde. Man findet bei Andric die gleiche märchenhafte Fülle von Typen und Schicksalen und Begebnissen. Sie werden im „verdammten Hof aufgerollt und zur Sprache gebracht, dem Gefängnis von Istanbul, wo alle „durch mußten“, Schuldige und Unschuldige: ein einzigartiger Treffpunkt der gemischten Gesellschaft. Als Erzähler figuriert der mit offensichtlicher Sympathie dargestellte weise und bescheidene „Bruder Petar“, was gewisse Schlüsse auf die weltanschauliche Einstellung des Autors nahelegt. Milo Dor und Reinhard Federmann muß man für die gut lesbare Uebersetzung (und Bearbeitung?) alle Anerkennung zollen.

Guy de Maupassant. Werke. Im Verlag Kurt Desch. Wien-München-Basel. 1131 Seiten. Preis 14.80 DM.

„Ich bin in das literarische Leben eingetreten wie ein Meteor, und mein Ende wird sein wie ein Donnerschlag.“ — Zwar: so großartig war weder das eine noch das andere. Aber eine blendende Erscheinung ist er, auch heute noch, dieser Schüler Flauberts, der mit Maupassants Mutter befreundet war. Und das Attribut eines Klassikers der französischen Prosa kommt ihm ebenso zu wie seinem großen Lehrer. — 1850 geboren, zehn Jahre lang Supernumerar im Marineministerium, dann in der Unterrichtsverwaltung, ein „wüster R*uderer“ auf der geliebten Seine, dann gesuchter und hochbezahlter Autor literarischer Zeitschriften, bald darnach Erfolgsautor mit hohen Auflagen, Snob mit eigener Jacht — und ein Ende im Wahnsinn ... Es gibt in der uns bekannten europäischen Literatur nur noch einen, den man ihm im Rang und in seiner speziellen Begabung vergleichen kann: den Russen Tschechow. Maupassant war Psycholog, Realist und Impressionist. Man hat ihn wegen seiner Illusionslosigkeit, seines Zynismus oft verurteilt, aber man kritisiert in ihm auch seine Zeit, und Franz Blei mag recht haben, wenn er schreibt: „Maupassants Menschen- und Lebenskenntnis reicht bis zu jener Tiefe, die man um 18 80 in Paris erloten konnte.“ — Und vergessen wir den Künstler nicht: fast alles, was er schrieb, ist meisterhaft. Von seinen Typen und Geschichten lebt eine ganze Filmindustrie. Seine Landsleute aber finden ihn sehr französisch.

Dieses nationale Urteil soll man respektieren. Der solid ausgestattete Sammelband enthält den Roman „Bei Ami“ und — nach Themenkreisen geordnet — über 80 Meistererzählungen. „Bei Ami“ wurde von Erich Marx, die Novellen von Herbert Bartuschek und Karl Friese übersetzt. Den gelegentlich verwendeten Argot versuchte man durch ein berlinerischnorddeutsch gefärbtes Idiom wiederzugeben. Es geschah mit Maß.

Kampf mit dem Engel. Roman. Von Jean Giraudoux. Luckmann-Verlag. 310 Seiten. Preis 72 Schilling.

Ein sehr verspieltes, sehr preziöses Buch, dessen Uebersetzung ins Deutsche (Ilse und Karl Strobl) Mühe, aber auch ästhetisches Vergnügen bereitet haben mag. Der äußere Anlaß für die vielen geistvollen Apercus und Plaudereien: die Liebe der jungen Südamerikanerin Malena zu einem Mann, der die Welt kennt. — Giraudoux — Normalien und Germanist, Pädagoge und Diplomat, zuletzt im Informa-tionsministerium (1944 vereinsamt gestorben) — liebt es, seine „Tiefe“ an der Oberfläche zu verstecken. Er treibt eine Art philosophisches „Understatement“. Freilich darf man ihn nicht immer beim Wort nehmen. Das wäre für ihn und für den Leser ärgerlich.

Amerika erzählt. Siebzehn Short Stories. Ausgewählt und eingeleitet von Heinz Politzer. S.-Fischer-Bücherei. 243 Seiten. Preis 1.90 DM.

Der Herausgeber, als Lyriker in Wien nicht unbekannt, seit vielen Jahren Collegeprofessor in den USA, hat dem Bändchen eine lesenswerte Einführung vorausgeschickt. Für die zeitgenössische amerikanische Literatur, insbesondere für die Erzähler, sind die „expatriates“, die amerikamüden Amerikaner, wichtig, die das geistige Europa entdeckten und ihre eigene Literatur weltreif gemacht haben. Diesseits von Romantik und Biedermeierei begann drüben eine neue Richtung in der Literatur: die „harten Erzähler“ mit ihren Helden der Hilflosigkeit (wie sie uns auch immer wieder der anspruchsvollere amerikanische Film vorführt), mit ihrem Realismus und ihrer bohrenden Psychologie, ihrer für uns manchmal unerträglichen Mischung von Wüstheit und Ueberfeine-rung. Politzer betont auch die positive Seite der amerikanischen Erzähler, das humanistische Element, die Sehnsucht nach voller Menschlichkeit. Aber es bleibt in dieser Auswahl meist bei der Sehnsucht. Gewiß: diese Amerikaner begnügen sich nicht mit der rein ästhetischen Wirkung, sie zielen auf das „existentielle Bewußtsein“ des Lesers. Aber es geschieht dies mit Hilfe einer raffinierten Erzähltechnik, einer oft oberflächlichen Brillanz und beunruhigenden Fingerfertigkeit. Kein Wunder: die Kunst der Short Story, der Novelle, wird ja drüben in zahlreichen Seminaren gelehrt. — Neben bekannten Autoren wie Hemingway, Wolfe, Faulkner, Fitzgerald, Porter, Williams und Capote finden sich auch uns weniger geläufige Namen. Etwa William Goyen mit einem Schulbeispiel für das eben Gesagte („Der Brief in der Truhe“) oder Jean Stafford („Les enfants s'en-nuyent le Dimanche“).

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