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Wohlbekannt, doch interessant

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In nichts unterscheiden sich die Menschen vielleicht so sehr als in dem, worüber sie lachen, was sie komisch und lustig finden . .. Der aufmerksame Leser unserer literarischen Beilage „Der Krystall" wird bemerkt haben, daß wir dort gern, neben dem unvergleichlichen Sigismund von Radecki, Skizzen und Humoresken zweier Schriftsteller brachten, die einen ganz spezifischen Humor besitzen: Godfried Bomans und Michael Sostschenko. In der Reihe „M e i s t e r des Feuilletons“ hat der Verlag Langen-Müller, München, drei schmucke Bändchen mit den schönsten Humoresken der oben-

erwähnten Satiriker herausgegeben. Von Bomans übersetzte Marga Thierfelder 28 Stücke „I c h liebe meine Gartenzwerge", 84 Seiten, von Sostschenko erschienen, in der Ueber- tragung Grete Willinskys, „Der redliche Zeitgenosse“ und „Der Rettungsanker“, mit Zeichnungen von Rudolf Rhomberg 105 Seiten und 107 Seiten. Bereits 1939 war in deutscher Sprache ein Auswahlband mit Arbeiten Sostschenkos unter dem Titel „Schlaf schneller, Genosse“ erschienen, und als man erfuhr, daß alle diese boshaften und melancholischen, so gar nicht fortschrittlichen und linientreuen Histörchen vorher in sowjetischen Zeitungen „unter dem Strich" gedruckt worden waren, wunderte man sich sehr. In der Zeit, als man noch mit geradezu flagellantischer Lust in Sowjetrußland Selbstkritik übte, war Sostschenko ein hochangesehener Schriftsteller, der 1939 für seine Verdienste auf dem Gebiet der Literatur mit dem Orden des Roten Arbeiterbanners ausgezeichnet wurde. In seinen Gestalten erkannte der Sowjetmensch sich selbst, denn Sostschenko kannte seine Pappenheimer wie kaum ein anderer unter den Zeitgenossen. War er doch selbst Postmeister, Milizionär, Kriminalist und Telegraphist, Kaninchenzüchter, Schuster und Rechnungsführer gewesen. Aber nach dem Ende des „großen vaterländischen Krieges" verstand man „oben" plötzlich keinen Spaß mehr, und Sostschenko wurde wegen zersetzender und defai- tistischer Lebensauffassung streng getadelt. Er schrieb dann positiver, aber bei weitem weniger interessant, und zur Belohnung wurde ihm 1957, kurz vor seinem Tod, verziehen. Difficile est satiram scribere …

Wenn einmal die Geschichte der ersten 20 Jahre des Sowjetlandes geschrieben wird „Schön ist, für Sozialismus , kämpfen, schwer ist, in Sozialismus leben", dann wird man Sostschenko als Sprecher und Anwalt der kleinen Leute oft zitieren müssen.

In der gleichen Reihe des Langen-Müller-Verlages erschien auch ein Bändchen von Thilo Koch mit dem Titel „Berliner Luftballons“ 92 Seiten. Es enthält 45 Feuilletons, die in den Jahren 1952 bis 1957 im Nordwestdeutschen Rundfunk gesprochen wurden. Also eine Art Tagebuch, sehr berlinerisch, witzig, kühl, aber nicht ohne Gefühl. „Die schlimme deutsche Vergangenheit vor fünfundvierzig und die schlimme deutsche Gegenwart nach fünfundvierzig sind einem hier näher; das hält die Luft frisch und den Kopf klar.“ Diese Gegenwart ist auf eine erregende Art in all den kleinen Skizzen und Plaudereien gegenwärtig. Zwei Episoden bleiben vor allem im Gedächtnis: die Begegnung mit Strawinsky im Konzertsaal und das Begräbnis Gottfried Benns auf dem neuen Waldfriedhof in Dahlem. Jedes der genannten Bändchen, in mehrfarbigem Einband und mit Glanzfolie kaschiert, also in netter Geschenkausstattung, kostet 5.80 DM.

GIB ACHT IN DOMOKOSCH. Erzählungen. Von Gerd G a i s e r. Die Bücher der Neunzehn. Carl- Hanser-Verlag, München. 338 Seiten.

Von Gerd Gaiser, auf dessen letzten Roman „Schlußball“ wir unsere Leser eindringlich hinwiesen, liegt inzwischen in der Reihe der Bücher der Neunzehn ein Band von Erzählungen vor. Eine repräsentative Auswahl aus den kleinen Prosastücken des Autors, die, neben besonders charakteristischen Geschichten aus den früheren Bänden „Zwischenland“ und „Einmal und oft“ auch einige bisher ungedruckte Erzählungen enthält:

Simple Alltagsgeschehnisse, denen doch exemplarische Bedeutung zukommt, schicksalhafte Begebenheiten und Verstrickungen, scheinbare Zufälle, die sich schließlich als Bestimmung enthüllen und Sinn im Unsinn offenbaren — das sind in immer neuen Abwandlungen die Themen dieser Geschichten. Sie handeln von Menschen unserer Zeit, aber das, was diesen Menschen geschieht, ist an keine Zeit gebunden, sondern von allgemeiner Gültigkeit — „einmal und oft", man könnte es nicht genauer sagen.

Es scheint zunächst, als bleibe für die freie Entscheidung des Menschen kein Raum in Gaisers Weitsicht. Seine Gestalten wirken oft wie in einem Netz verfangen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Der Mensch, ein Spielball von Kräften und Mächten, denen er nicht zu entkommen vermag! Aber, wenn man näher hinsieht, sind da auch Angebote, die manche Verkettung lösen könnten, Angebote, die anzunehmen oder auszuschlagen in des einzelnen Hand gegeben ist. Nur werden sie von den meisten nicht mehr gesehen. Gaiser scheint nicht zu glauben, daß sich daran viel ändern läßt. Der Zugang zum wahren, zum eigentlichen Leben, ist weitgehend verstellt, freilich nicht ohne Schuld des Menschen, der sich im Unwesentlichen verliert.

Eine tragische Welthaltung also, die uns mit dem preisgegebenen, ungeborgenen Menschen unserer Zeit konfrontiert. Und doch bricht da immer wieder ein Hoffnungsschimmer durch. Eine der Erzählungen, „Kahle Weihnacht", endet mit den Worten: „Die Welt war nackt geworden, die Zeit der alten Bäume vorbei, die Menschen zerrissen einander, schon hatten wir kein eigenes Land, keine Heimat mehr; wir sehnten uns nach dem Ende, dem furchtbaren Ende, weil das Ende ein Anfang war.“

Noch deutlicher fast als in seinen Romanen erweist sich in Gaisers kleiner Prosa sein ganz ursprüngliches Erzählertalent. Welch Thema immer er aufgreift, der Leser ist in seinem Bann, ist beteiligt, als gehe es um ihn selbst. Ein Labsal ist die zuchtvolle und doch so kräftige, unverbrauchte Sprache. Gaiser beherrscht nicht nur alle ihre Register; was viel mehr ist: er geht ehrfürchtig mit dem Wort um.

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