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Dämmerung des Nationalmasodiismus?

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DER MODERNE MACHIAVELISMIS.- Von Erwin FauI- Verla8 Kiepenheuer & Witsch, Köln. 256 Seiten. Preis 19.80 DM. DIE URSPRÜNGE DER TOTALITÄREN DEMOKRATIE. Von J. L. Talmon. Westdeutscher Verlag, Köln-Opladen. 352 Seiten. Preis 24 DM.

INSUL DER HEILIGEN UND REBELLEN

wird Irland, das „grüne“ Eiland am Ende Europas genannt. Hier hatte der Katholizismus in der Zeit zwischen dem 6. und 12. Jahrhundert, „im goldenen Zeitalter“ der Insel, seine Hochblüte erlangt. Im Verlauf der Geschichte wurde hier gegen die anglikanische Kirche und den neuen, aufgezwungenen Glauben mit bewundernswerter Ausdauer rebelliert. Erst das 19. Jahrhundert brachte Irland die heiß erkämpfte religiöse Freiheit. Der jüngst erschienene Bildband „Irland, Insel unter dem Kreuz“ von Bruno Geuter (B.-Kühlen-V erlag, Mönchengladbach, 1961. 114 Seiten, Preis 24— DM) schildert in feuilletonistischem Stil die Geschichte, die Mentalität und das tägliche Leben der Inselbewohner. Zahlreiche ausdrucksstarke Schwarzweißphotos illustrieren das Werk und wollen das Land mit seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart dem Nicht-Iren näherbringen. So ist auch das obenstehende Bild des Hochkreuzes des Königs Flann (914) in den Ruinen von Clonmacnois ein stummer Zeuge tief religiösen künstlerischen Schaffens. Olinda P aw ek

Die Deutschen haben seit 1945 viel über ihre Vergangenheit hören müssen, von Landsleuten und von anderen. Besonders einheitlich war es nicht, was ihnen da vorgetragen wurde. Aber ein Leitmotiv war doch stärker als die anderen. Nach ihm mußten sich die Deutschen als verkörperter Anachronismus in dei europäischen, ja in der Weltgeschichte vorkommen. Sie waren in dieser Beleuchtung die Spielverderber, die bockig an Atavismen festhielten und damit ihre geschlossen in eine bessere Zukunft marschierende Umwelt empfindlich störten. Das Dritte Reich vollends war ein einziger Atavismus: trotz Autobahn, Industriekonzentration und sich steigerndem Sozialstaat erschienen seine Träger als Leute, die sich hinter Zinnen verschanzten und in der Rüstung gar noch weit primitivere Seelenzustände konservierten.

Man braucht kein Anhänger des Dritten Reiches zu sein, um es trotz so manchem romantischen Aufputz wesentlich anders zu sehen — nämlich als ein unter besonders günstigen Umständen besonders kraß entwickeltes Produkt von durchaus zentralen Strömungen, die breit und folgerichtig durch die verflossenen vier Jahrhunderte auf es zuführen und sich bei den Nachbarn ebenso, wenn auch (mit Ausnahme Rußlands) weniger konsequent, ausgewirkt haben. Die Diskussion dieser These ist jedoch bisher durch Einwände blockiert worden, die nicht leicht zu nehmen sind. Verwischt die Berufung auf die historische Entwicklung, das „die andern sind auch nicht besser“, nicht die persönliche Verantwortlichkeit? Uber diesen Einwänden hat man jedoch die Frage vernachlässigt, ob nicht auch die geschilderte Art der „Umerziehung“ ihre bedenklichen Folgen haben könnte.

Es war weit weniger frivol, als c; den Anschein hatte, wenn jene totale Verketzerung der deutschen Tradition einmal als Versuch bezeichnet wurde, „die Deutschen zu Juden zu machen“. Ein solches Strafgericht über eine ganze nationale Überlieferung vermag zumindest formal ähnliche Reaktionen zur Folge zu haben, wie sie jahrtausendealte Verfolgung und das Leben in feindseliger Umwelt bei den Juden hatte: wir meinen sowohl jenen verzweifelten Versuch, aus dem eigenen Volk „auszutreten“, wie er gerade in der deutschen Jugend der letzten Jahre so deutlich zu verspüren war, wie auch das um so hartnäckigere Festhalten am Eigenen. Mancher ausländische Beobachter wird einwenden, daß von dem letzteren im Deutschland von heute überraschend wenig zu spüren sei, wenn man von einigen verbitterten Sekten absehe. Sie übersehen dabei, daß es auch einen „umgedrehten Messianismus“ gibt, zu dem die Deutschen auf Grund ihrer Labilität eine besondere Veranlagung haben. Wir erinnern uns gut der Wirkung, die gewisse Wortführer des „anderen Deutschland“ gleich nach dem letzten Krieg in der Schweiz hatten. Mit ihren Litaneien „Wir sind schuldig — wir sind an allem schuldig — wir sind allein schuldig — niemand ist so schuldig wie wir!“ preßten sie recht bald ihren nervös werdenden Gastgebern den Stoßseufzer ab: „Das ist ja genau das gleiche wie vorher — bloß mit umgekehrten Vorzeichen!“ Man tue dies nicht mit dem Einwurf ab, daß die Deutschen es eben niemandem — insbesondere den Schweizern nicht — je[ recht machen könnten. In unserer verkehrten Welt wird das deutsche Sendungsbewußtsein nun einmal von jenen sattsam bekannten jungen Leuten verkörpert, die mit seltsamem Ingrimm beweisen, daß alles Deutsche verwerflich sei. Der Natio-nalmasochismus ist nur eine andere Erscheinungsform dessen, was man zusam-menfassend Nationalsozialismus nennt. Darum kann er auch jederzeit wieder umschlagen.

Aus diesem Grunde ist jeder ernsthafte Versuch zu begrüßen, die jüngste deutsche Vergangenheit nicht durch „Reeducation“-Schablonen zu verdrängen, sondern objektiv darzustellen. Und das heißt neben allem anderen auch: ihre Verwurzelung in der gesamteuropäischen Geschichte aufzuzeigen. Zwei soeben erschienene Bücher tun das in exemplarischer Weise: „D e r moderne Machiavellismus“ von Erwin Faul und „Die Ursprünge der totalitären Demokratie“ von J. L. Talmon. Auf beide Bücher hat man lange gewartet: das erste, von einem prominenten jüngeren Vertreter der „politischen Wissenschaft“ von heute geschrieben, ist aus einer Heidelberger Dissertation von 1951 erwachsen: das Buch des amerikanischen Professors ist auf englisch schon 1952 in Boston herausgekommen und hat außerhalb Deutschlands viel Aufsehen erregt.

Der moderne Totalitarismus hat vielfache Wurzeln. Zwei der wichtigsten davon stellen Faul und Talmon dar. Die eine ist die Tradition des „Machiavellismus“, den Faul (S. 19) definiert als „technisches Wissen von den menschlichen Trieben, Leidenschaften und Gefühlen, das

in einem Wechselspiel von Entschleierung (für sich selbst) und Verschleierung (für die andern) politisch nutzbar wird“. Die andere, diejenige Talmons, ist bei Rousseau zu suchen — bei dessen fataler Konstruktion eines „Gesamtwillens“ (volonte generale) der Gesellschaft, der dem einzelnen Menschen verborgen sein kann und zu dem man diesen zu seinem Heil zwingen darf. Hier ist die „totalitäre“, im Kommunismus gipfe\de Linie der Demokratie entsprungen, die von Anfang an der „liberalen“ Demokratie mit ihrer Anerkennung des Wechselspiels von „trial and error“ (Experiment und Irrtum) parallel läuft. Als Gegensatz von Absolutismus und Empirismus definiert der Amerikaner die beiden Arten von Demokratie. Das sind freilich nicht die einzigen Wurzeln des Totalitären.

Talmon betont ausdrücklich, daß er bloß den Ursprüngen des „linken Totalitarismus“ nachgehe — der „rechte Totalitarismus“ sei von völlig anderer Herkunft. Für die Herkunft mag das stimmen; im ausgebildeten totalitären System jedoch vermischen sich die genannten Antriebe mit weiteren, hier nicht berührten zu einem fast unentwirrbaren Geflecht. Der heute in München lehrende Eric Voegelin hat sich bei unserer Intelligentsia recht unbeliebt gemacht mit dem Nachweis der Stilgleichheit der Nachkommenschaft von Hegel und Marx mit der von Nietzsche. Darüber hinaus bleibt dem mit der politischen Physiognomik Vertrauten nicht verborgen, wieviel Rousseau im Nationalsozialismus steckt und wieviel Rassismus im Bolschewismus. Gibt es etwas, was all diese Antriebe verbindet? Vielleicht ist ihnen das gemeinsam, was Faul in seiner — bei diesem Thema! — erstaunlich objektiven Entwicklungsgeschichte des Machiavellismus von der Renaissance ab als Grundzug dieser politischen Haltung nennt: daß sie „sub specie mortis“, im Angesicht des Todes, entstanden ist. Das Zerbröckeln der antiken wie der christlichen Weltsinndeutungen hinterließ einen Zustand der absoluten „Garantielosigkeit“ nach außen wie nach innen; die damit geschaffene „totale Kampfzone“ ist das Feld, auf dem der Totalitarismus wächst.

Talmon zeigt nur den Beginn dieses Wachstums. Sein Buch hört mit Babeuf, also in der Französischen Revolution, auf (eine Fortsetzung über die „romantische Phase“ des „politischen Messianismus“ bis 1S48 wird angekündigt). Faul führt bis in die unmittelbare Gegenwart, über Marx, Nietzsche, Sorel, Pareto bis zum Nationalsozialismus und zum Bolschewismus. Da er wohl der erste Autor ist, der seit 1945 ohne voreiliges Moralisieren vom Machiavellismus handelt, bleibt ihm auch nicht verborgen, was den „modernen Machiavellismus“ von seinen Formen vor 1789 unterscheidet. Es ist auch von anderen schon festgestellt worden, daß „im Umkreis des modernen Nihilismus der Gedanke auftaucht, die Hervorbringung der Gesamtwirklichkeit des Menschen selber in den Plan zu nehmen“ (S. 355). Aber

Faul nennt auch ebenso entschieden die Tatsache, die solche Versuche überhaupt erst ermöglicht — nämlich „die Tatsache, daß nun auch die breiten Volksmassen an der machiavellistischen .Enthüllung' teilhaben“ (S. 167), auch wenn „immer noch ein gewaltiger Unterschied zwischen dem reaktiven Zynismus der Massen und dem aktiven ihrer Führer“ besteht (S. 169).

Was Fauls Buch von der in ihrer moralisierenden Voreiligkeit so gefährlichen (weil den Leser verstockenden) Reedu-cations-Literatur unterscheidet, ist, daß er gerade das tut, was der Historiker nach heutiger Ubereinkunft bei diesen explosiven Themata nicht mehr tun soll: nämlich verstehen. Er wagt die Feststellung, daß die Heraufkunft dieses neuen Machiavellismus sich „nicht nur aus De-kompositionserscheinungen, sondern auch aus mächtig vorantreibenden Impulsen, wie der technischen Weltorientierung, herleitet. Sie- ist in einem weit höheren Maße als gemeinhin angenommen mit dem Experiment des modernen Menschseins, seiner aufständischen Größe und seiner großen Angst verbunden“ (S. 339). Er kann darum auch sagen: „Wie bei der unmittelbaren Kampfraumerweiterung durch revolutionäre Mittel, geschieht auch bei der geistigen durch Demaskierung der Durchbruch keineswegs allein aus aggressiver Willkür, sondern auch in der Erkenntnis vorweg

ersichtlicher Brüchigkeit. Mit allem Machiavellismus ist somit eine Wahrheit“ (S. 361).

Im Zeichen der (eben gerade „machiavellistischen“) Allentlarverei wird es nun nicht an Leuten fehlen, die im Schreiber solcher Sätze einen insgeheimen Machia-vellisten argwöhnen. Fauls Buch ist jedoch im Gegenteil eine Warnung, die verhindern soll, daß man vom Machiavellismus aus einer Richtung her überrumpelt wird, in der man ihn nicht vermutet. Darum zeigt er das Gefährliche jedes Versuches, den Machiavellismus an eine bestimmte soziale oder ethnische Gruppe zu fixieren. Jene „Kampfzone“ ist wirklich total. „Die bloße Behauptung, die Sache der .Vernunft', des .Menschen' oder der .Menschheit' zu vertreten, bleibt viel zu sehr im Unverbindlichen, besonders wenn sie erlaubt, den Gegner als die viel konkretere Gestalt des .Unmenschen' zu konstruieren“ (S. 345). Seine eigene Position macht der mutige Autor gleich anschließend klar: „Umgekehrt aber zeigt sich der Wille zur Legitimität nirgends entschiedener als in der Bereitschaft, sich innerhalb eines politisch sinnvollen Rahmens auch für den Gegner verantwortlich zu fühlen.“

Das Erscheinen der Bücher von Faul und Talmon ist eines der Symptome dafür, daß der Nationalmasochismus, der doch nur die andere Seite des Nationalsozialismus ist, seinen Höhepunkt überschritten hat. Und daß die wirkliche Bewältigung der Vergangenheit doch an einzelnen Orten von mutigen Einzelnen schon begonnen worden ist.

Armin Möhler / München

Deutsche Prosa zur Zeitbewältigung

NACH DEM LETZTEN AUFSTAND. Ein Bericht von Hans Erich Nossack. 368 Seiten. Leinen. Preis 18.80 DM. — DER UNTERGANG. Ein Bericht von Hans Erich Nossack. 60 Seiten. Broschiert. Preis 1.60 DM. — NEBENAN. Ein Roman von Johanna Moosdorf. 368 Seiten. Leinen. Preis 16.80 DM. Sämtliche im Suhr-kamp-Verlag, Frankfurt am Main. - GEFANGENE DER NACHT. Roman von Geno Hartlaub. Claasen-Verlag, Hamburg. 256 Seiten. Leinen. Preis 14.80 DM.

Nossack ist ein unbequemer Mann, ist keiner jener Literaten, die es aus Servili-tät gegenüber der Zeitmode nicht wagen, sich dem Absoluten zu stellen. Er umkreist es in Ellipsen und Spiralen, gebannt Kunde gebend, soweit seine ehrliche Einsicht reicht. Diesmal sucht er es im Labyrinth einer selbsterrichteten Fiktion, in den geheimen Gängen einer gegenwärtigen Utopie, eines geistigen Modellbildes, das er verwendet, in sich, in der Zeit, Abstand von der Zeit, von sich, zu gewinnen. In gelassener, wort- und ausdrucksmächtiger Sprache, die um so gekonnter, künstlicher ist, je ungeheuerlicher die zu bändigenden Inhalte sind, läßt er die Vision eines Religionsversuchs erstehen, teils synchron, teils antithetisch zu christlichen Aspekten.

Er nimmt eine umständliche Vorbemerkung und eine ein Drittel des Werkes ausfüllende monströse Exposition in Kauf und zu Hilfe, den Leser in den sachlichen Berichtscharakter des spröden Buches einzuführen und gibt sodann Kunde von der Erschaffung „eines Gottes“ durch eine Organisation. Jeweils ein Jüngling, dem zuletzt das Herz aus dem Leibe gerissen wird, wird als „der Gott“ ausgegeben und

führt zwecks geistiger Orientierung der Massen eine Pseudoherrschaft in vorge-aeichneten Bahnen. Dies spielt ohne laumzeitliche Umgrenzung in real-irrealer Gegenwart, von tiefen' Einsichten in die geistigen Gefüge allen religiösen Strebens zeugend.

Der Kerngehalt der aufgerollten Probleme, die Nossack übervorsichtig in das allzu ausgedehnte Labyrinth seiner Erzählung bettet, wäre von einem Essayisten kl etlichen Dutzend Seiten zu fassen gewesen und stellt ein von barmherzigem Mitleiden gelenktes Fragen nach Sinn und Folge von Gehalt und Form abendländischer Religiosität dar, exerziert an alt-moderner Hybris. Ein Fragen aus dem Geist der Zeit, der jenem der Epoche zwischen der Mitte des 16. bis zur Mitte des darauffolgenden Jahrhunderts überraschend ähnelt — auch darin, daß jene Periode an ebensolchen Ur-Daseinsängsten litt wie unsere Gegenwart, von ebensolchen allseitigen existentiellen Zweifeln geplagt war und sich mit Vorliebe oder als Wirkung inneren Zwanges stark mit allen denkbaren Gestaltungen labyrinthischer Problematik beschäftigte. Gerade solche Bücher geben Signale darüber, wie weit wir wieder einmal von der Integration des Absoluten entfernt sind. Zugleich lassen sie die enormen seelischen Spannungen sichtbar werden, aus denen wir neue Variationen des Urthemas erwarten dürfen.

In Nossacks zweitgenanntem Werk, das 1943 nach dem vernichtenden Bombardement Hamburgs geschrieben wurde, erweist er sich bereits als humaner Gestalter von solcher Geräumigkeit, daß man von seinen folgenden Arbeiten nachhaltige Wirkungen erwarten konnte, die, zum Lob seiner ständig wachsenden Leserschaft sei es gesagt, auch eingetreten sind und bereits zu einem starken Echo in mehreren Ländern führten.

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Johanna Moosdorf hat mit ihrem Roman, in dem zur Bewältigung der jüngsten Vergangenheit angesetzt wird, ein Buch geliefert, in das man sich zunächst mit gemischten Gefühlen, dann aber mit steigender Teilnahme vertieft. Sie verwendet banale Alltagsgeschehnisse kontrastierend zu tiefangelegten Erinnerungsbildern, wobei eines das andere steigert und verwandelt, zu einem feingewobenen Gespinst, worin Zeit und Raum aufgehoben erscheinen, dafür aber die tieferen Bewegkräfte zu allgegenwärtiger Präsenz sich erheben. Eine Autorin, die man sich merken sollte. *

Im Niemandsland zwischen Roman und Reportage bewegt sich Geno Hartlaub mit ihren Schilderungen aus der Kriegszeit. Ihr gelingen manche glaubhafte Gestalten, kluge Einsichten, einprägsame Szenen, dennoch bleibt vieles klischeehaft, leer, unbefriedigend. Sie ringt ersichtlich mit der von ihr gewählten Dimension des Ausdrucks, innerhalb welcher der heutige Mensch die Fragen, die zwangsweise aufstehen, kaum richtig zu stellen, geschweige denn zu beantworten weiß. Trotzdem steht ihr Buch über dem Durchschnitt gegenwärtiger Literatur zum Thema, da sich trotz allen Einwänden, die sachlich

zu erheben sind, eine reife und integre Persönlichkeit ausspricht.

Drei Versuche zur Zeitbewältigung, drei im letzten gescheiterte Unternehmen, Phänomenen unseres Jahrhunderts Antworten abzuzwingen. Gerade seine Niederlage macht Seine Größe aus, darf man zu Nossacks paraepischem Werk sagen, einem säkularisierten Gegenstück zu Kubins magisch-prophetischem Roman „Die andere Seite“, denn in diesem Stollen, den er kühn in unsere Geistwirklichkeit treibt, wären Antworten' Pyrrhussiege gewesen. Was ihm aber, und auf andere Weise durch Ausbreitung psychischer Sachverhalte auch Johanna Moosdorf, gelungen ist, ist die Bereitstellung umfangreichen Materials, aus dem kommende Lösungen und Integrationen werden schöpfen können. Johann A. Bo eck

In Schrift und Wort

SPONSA VERBI. Skizzen zur Theologie* II. Band. Von Hans Urs von Balthasar. Johannes-Verlag, Einsiedeln, 1961* 526 Seiten. Preis 32 sfr.

Nach dem ersten Band der theologischen Skizzen „Verbum Caro“ (1960) ist der Band „Sponsa Verbi“ erschienen, der sich mit Fragen der Kirche beschäftigt. Allzu bescheiden nennt der Verfasser seine Abhandlungen Bausteine zu einer künftigen Ekklesiologie. Im ersten Teil wird aus Bibel und Patrologie behutsam „Was? Und Wer?“ der Kirche, die Elemente der Erfahrung, des Glaubens und der Tradition von Altem und Neuem Bund, von Übergeschichtlichkeit und menschlichem Un-genügen geschrieben. (Das Kapitel „Nachfolge und Amt“ dürfte über das rein wissenschaftliche Interesse hinaus wichtig sein!) Im zweiten Teil wird die Existenzform des Kirchenvolkes untersucht: Laie, Mönchtum, Priester, Säkularinstitute. (Das Kapitel Charis und Charisma ist ein Meisterwerk, das die grundsätzliche Sicht „von der Mitte her“ fundiert und die für den Christen gültige Form der Aktivität und des vielzerredeten „Apostolats“ aufzeigt.) Im dritten Teil wird die liturgisch-sakramentale Struktur der Kirche von jener Seite betreut, die meistens unterschätzt wird: Ehrfurcht, Sehen, Hören, Lesen, Glauben, Schauen, Essen. Den Schluß bildet die Fernsehansprache, die der Autor anläßlich des Eucharisti-schen Kongresses 1961 in München gehalten hat. Einige der Abhandlungen sind hier erstmals gedruckt, andere aus Beiträgen und Zeitschriften gesammmelt. Wer sich zum Neubedenken der Offenbarung heute entschließen kann, wird in diesem Buch Anregung und an seinem Verfasser einen Lehrmeister finden.

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DER ABFALL VOM MENSCHEN. Von

Edzard S c h a p e r. Walter-Verlag, Ölten, 1961. 78 Seiten.

Der Abfall vom Menschen: Weil der Mensch dem Menschen Leid zufügt. Es gibt eine unumgängliche Art, daß wir einander weh tun müssen, da wir eine Gemeinschaft vieler Einzelschicksale, vieler Einzelbegabungen und Charaktere sind; davon ist hier nicht die Rede. Die beiden Reden Schapers, die hier gedruckt wurden, meinen das unmenschliche, das verantwortliche Leidantun, das entmenschte, barbarische Vergnügen oder ideologischverblendete Diktat, Menschen quälen zu müssen. Gemeint ist „Das Martyrium der Lüge“, wie Schaper es nennt: durch Drogen und Tortur einen Menschen so weit zu bringen, daß er seine Persönlichkeit und Überzeugungseinsamkeit verliert, um als ein „anderer“ überzeugte „neue Wahrheiten“ auszusagen. Ein echtes Martyrium, das der „Vater der Lüge“ ersonnen hat, um nicht nur Verwirrung unter den Wahrheiten zu stiften, sondern die Person selbst und in sich selbst zu verwirren. Schapers Mahnruf liest man nur mit Erschütterung und Grauen — vor dem Menschen und für den Menschen.

Die andere hier gedruckte Rede meint den Abfall vom Menschen durch das ständig unter uns wachsende Alleinsein. Sechs kurze Betrachtungen über die Weisen des Alleinseins in unseren Tagen wollen den göttlichen Trost vermitteln: „Du bist nicht allein“ — wenn du es recht bedenkst; nicht einmal darin bist zu einzig, daß du allein bist; solcher wie du gibt es viele; und über allen ist Gott.

Diese beiden Reden sind sehr ernst. Sie sind mit viel Güte, mit großer Aufrichtigkeit für jeden von uns geschrieben. *

EIN MÖNCH DER OSTKIRCHE: AUFBLICK ZUM HERRN. Zwiegespräch mit dem Erlöser. Räber-Verlag, Luzem, 1961, 150 Seiten. Preis 9.80 sfr.

Das Original ist französisch unter dem Titel „Jesus. Simples regards Sur le Sau-veur“ erschienen; die vorliegende Ausgabe ist eine Übersetzung, die ein Mönch der Abtei Chevetogne besorgte. 46 kurze Betrachtungen über Worte aus der Heiligen Schrift lassen hinter den Worten den Meister lebendig werden. Keine Gelehrsamkeit stört; die wohltuende Absichts-losigkeit dieser Meditationen allein verführt, selbst so zu denken, zu schreiben, zu beten, dem Herrn zu begegnen.

Diego Hanns Gottz OP.

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