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Die christliche Sinndeutung der Geschichte

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Der moderne Atheismus nährt sich weniger von den Fragen um Kraft und Stoff noch von der Entwicklungslehre; vielmehr ist es die Massennot und da« erbarmungslose Weltgeschehen, was den flacheren Geistern ein Achselzucken angesichts der Gottesfrage auslöst, während die nachdenklichen Köpfe von schmerzlichem Zweifel gepeinigt werden. Diesem sozialpsychologischen „Gefälle“ entsprach die Axiomatik im Aufbau der Salzburger Hochschulwochen 1948. Auf die beiden Wochen, die der Kosmologie und Anthropologie gewidmet waren, folgte eine geschichtsphilosophische Woche, die ins Herz der quälenden Sinnfrage des Ge- schichtsvcrlaufs vorstieß.

I.

Kein Geringerer als Dietrich von Hildebrand (New York), der bekannte katholische Wertphilosoph, behandelte die sjttlichenVoraussetzungender geschichtlichen Existenz. Das Fehlen dieser Voraussetzungen ist die Passivbilanz der modernen Geschichte. Das auf den Einzelmenschen eingeschworene neunzehnte und das der Vergesellschaftung zuneigende zwanzigste Jahrhundert haben in ihrem führenden Lebensstil den Menschen aus der Grundbeziehung zu Gott und Natur herausgelöst. Das Ich oder der Staat werden die letzte Instanz. Das Menschenatom oder das Kollektiv entscheiden. Die Vorsehung wird durch Planung und Versicherung ersetzt. Der Fortschrittsaberglaube beflügelt eine solche rechenhafte Welt. Erst die schreckhaften Folgen haben die Selbstsicherheit erschüttert. Manche Staaten wurden ein einziges Konzentrationslager, und der neuzeitliche Mensch, der nur noch produziert, aber nichts mehr zu empfangen weiß von einer höheren Macht, wird unglücklich. Denn das Glück ist kein Leistungsprodukt, sondern wesentlich ein Geschenk. Auch dämmert es, daß die schrankenlose Willkürlichkeit die menschliche Substanz zersetzt. Darum beispielsweise die unabsehbare Misere der modernen Ehe. Willensfreiheit ist eben nicht Willkür, sondern das eigene, spontane Ja zur voy- gegebcnep Grundordnung. Des weiteren nimmt die Entkernung des Lebens, die Abschnürung der sittlich-sozialen Grundwurzeln, unserem Dasein den natürlichen Glanz. Alles wird aufs Nützliche oder allenfalls Genießerische abgerichtet. Damit verliert das Leben seinen Schmelz. Alle Kultur kommt aber aus einem inneren Überfluß. Das abgefallene Leben hingegen ist ohne Poesie, denn die Schönheit ist wie das Glück wesentlich Geschenk. Eine metaphysische Langeweile befällt uns.

Kern der sozialethischen Besinnung und geschichtlichen Wiedereinfügung ist der rechte Freiheitsbegriff. Etwas Gedachtes ins Dasein rufen, ist nur ein Teilstück der vollen Freiheit. Diese bewegt sich nicht bloß in der Immanenz, so wie auch die Liebe nicht im natürlichen Begehren verharrt. Die eigentliche Freiheit verwirklicht sich erst da, wo der Mensch über die Schwelle tritt, wo er die Inhalte seines Ichs transzendiert; so wie die reine Liebe den anderen um seiner selbst willen umfängt. Wenn unser Leben als Einzelmensch wie als Gemeinschaft nur in der Stillung der Bedürfnisse aufgeht und wenn unsere soziale Grundbeziehung im bloßen Interessenaus-c gleich verkümmert, bleiben wir unfrei und ungeschichtlich. Dann wird die massenhafte Verfassung, die unserer Zeit aufgedrückt ist, unser Los bleiben. Frei werden wir erst, wenn wir aus unserer Ichwelt heraustreten und uns mit vollem Bewußtsein in „freier Wertantwort“ dem größeren Ganzen anheimgeben, das uns in Natur, Welt und Gott umgibt. Wir müssen unsere Blindheit ablegen und unsere Taubheit sprengen. Das ist der spontane Teil der Freiheit. Der andere, der rezeptive Teil ist das Eingehen in das alte Koordinatensystem der geschöpf- lichen Seinsordnung. Die Größe der Freiheit und die Tiefe des Geschichtsbewußtseins ist wesentlich Empfängnis. Keine ärgere Mißdeutung der Freiheit gibt es, als sie in der Willkür zu suchen. Der freie, das ist der die Schranken der Ichbezogenheit sprengende Mensch, ist die personale Antwort auf die transzendente Welt der Werte. Wahre Freiheit ist somit echte Bindung und steht hiemit in Grundverwandtschaft zur Religion als der Urbindung alles bewußten Seins zum absoluten Weltgrund. Die Transzendierung des naturverhafteten, ichbezogenen Menschentums ist wesentlich erst im Christentum gelungen. Dort erst erhalten auch jene sozialethischen Werte, wie Liebe, Opfer, Leid, Geduld, ihren Rang und Platz, den ihnen andere geschichtsphilosophische Betrachtungsweisen nicht einräumen, ja mit denen sie nichts anzufangen wissen. Eine Deutung der dunklen Welträtsel im oft so wertfreien Geschichtsverlauf ist darum außerhalb des Christentums nicht mög-

lieh; es kommt dort höchstens zu einer Verbrämung oder Verkehrung der Weltnacht, in die wir geraten sind. Licht, Freiheit und Geschichtsmäßigkeit gewinnen wir nur in Christus zurück.

In solchen Gedankengängen bewegten sich die Salzburger Gespräche, die sich im Anschluß an die Vorträge ergaben.

II.

Mit feinsinniger Diktion wußte vor allem Oskar Bauhofer (Zürich) auf solchem Hintergrund über die Möglichkeiten und Formen einer christlichen Kultur zu sprechen. Gesdüchte ist immer Kampf der guten und bösen Kräfte. Wir Heutigen wissen wieder, daß wir nicht bloße Figuranten eines endlosen Fortsdiritts sind, sondern verantwortliche Träger eines Dramas mit ungewissem Ausgang. Die Kirche als Fels mag vielen jetzt als eine Schutzinsel im wirren Geschichtsstrom erscheinen. Aber ihr Kulturamt ist wesentlich tiefer geartet. Das Urchristentum war ein Atemholen im Ewigen, während der mittelalterliche Mensch die gefallene Welt wieder an die Ursprünge knüpfte und vor allem die Gesamtheit der Kultur heimholte ins Gottesreich. Die Grenzen für die Verchrist- lichung der Welt zeigten sich deutlich und schmerzlich in den nachfolgenden Epochen. Das 19. Jahrhundert brachte, zumal in seiner zweiten Hälfte, einen Katholizismus mit „kulturellem Fähigkeitsausweis“, gewiß achtbar und verdienstlich, aber es gebrach an der schöpferischen Kraft der Entfaltung nach eigenem Gesetz. Heute überwiegt die Trennung zwischen Priesteramt und Königsaufgabe: der mündige Einzelchrist erscheint als der Brennpunkt gläubigen Wirkens in die Welt hinein.

Bauhofer behandelte dann noch besonders die Dialektik der Geschichte. Demnach ist die Geschichte nicht progressiv, sondern epochal. Es gibt keine notwendige Ent-

widclung; Aufbrüche und Abstürze sind die bestimmende geschichtliche Wirklichkeit; der abrollende Faden der Zeit ist etwas Neutrales. Jeder geschichtliche Augenblick ist irgendwie ein letzter Tag — und ein letztes Glück. Auch jede Epoche ist gleichsam die erste und die letzte. Was für die eine Gene-

ration Werk ist, bedeutet für die nächstfolgende mehr nur noch Material. Wir selber sind jeweilig die Mitte des Geschehens, umgeben vom lautlosen Fluß der Zeit, der in den unendlichen Ozean der Ewigkeit einmündet. — In solchermaßen diskontinuierliche, wenn auch epochale Geschichte hinein wirkt der sittlich handelnde Mensch die Fäden der großen Sinnzusammenhänge und Ordnungsgefüge ein. Einer untergehenden Welt entschwinden zuerst Maß und Ordnung. Die wahren Ordnungen gründen im Ursprung. Es gehört zum mysterium iniquitatis, daß wir uns mühsam eine Ordnung wieder ertasten müssen, die uns doch ursprünglicher Besitz sein sollte. Selbst eine böse Zeit vermag die Ordnungen letztlich nicht aufzuheben, sie sitzt zu tief in den Dingen, und noch die Pseudoordnung legt Zeugnis ab für das unentstellte Grundgefüge. Unsere heutigen Ordnungen sind weithin gespenstisch, wie alles, was aus der Angst kommt. Es sind ausgeklügelte Sicherungen und Versicherungen. Wir müssen aus christlicher Ge-

sammeltheit wieder die echten Ordnungen heraufführen. Nur so entspringen wieder große Taten und bedeutende Werke. Die große Tat heischt die große Seele. Das echte Werk sammelt sich um einen personalen Kreis, der dann vorstößt in die großen Konstellationen der geschichtlichen Bedürfnisse. Auch das Christentum kennt die Spannung zwischen Tat und Gestalt, zwischen hochpersönlicher Lebensform und sachlichem Werk. Der Glaube ohne die Werke ist tot. Die Zeit braucht Menschen, die sich in ihrem Werk darstellen, die in ihrer Person die Sache lebendig ausdrücken. Das Kriterium der großen gläubigen Persönlichkeit ist die Größe des Werl«.

III.

Noch eine dritte Komponente christlicher Geschichts- und Kulturbetrachtung schien in Salzburg auf: der theologische Aspekt, wie er vor allem aus dem „alten heiligen Völkerbuch“, der Bibel, entspringt. Demnach ist die Geschichte keine bloße innerweltliche Ereignisfolge, sie hat vielmehr „offene Stellen“, durch welche die Offenbarung durchbricht. Dozent DDr. Claus Schedl legte die alttestament- liche Sinndeutung der Geschichte dar. Die Bibel, deren Menschenbild den Primat des Willens vor dem Intellekt betont, legt den Ort der Geschichte ins menschliche Herz. Gott spricht den Menschen im Geist an, der auf die Führer der Völker, die Könige und Propheten, fällt. Gottes Geist treibt an und führt in die Mitte und an das Ende des Zeitenlaufs. Das Ziel der Geschichte ist der Messias, den Isaias als Geistträger zeichnet. Die tiefste Wandlung, die der Erlöser hervorruft, ist die Geistsendung. Wahre Geschichte vollzieht sich für den gläubigen Menschen im waltenden und heiligenden Geist. Der Sinn der Geschichte ist die Erschaffung einer „neuen, geistigen Menschheit“.

Das Sprechen Gottes in die Welt steigerte sich bis zur Erscheinung des fleischgewor-

denen Wortes. Aber auch dabei blieb Gottes Sprache nicht stehen. Das Wort drängt dem Ende zu. So mancher apokalyptische Reiter ist über die Felder der Geschichte gerast. Das Wort ist das Gericht der Geschichte. Von der Stellung zum Wort hängt das Heil der Völker ab. Ezechiel schaut die abgründige Verkommenheit und Bosheit, die sich angestaut hat im Bechen der Geschichte. Die Schrift aber verharrt nicht bei’den Untergängen; «ie kennt auch nicht Weltschmerz, Existenzpathos und Untergangstrotz, sie schaut vielmehr aus zu den Bergen hinauf, von wannen uns die Hilfe kommt.

IV.

Auf diesen Grundvorlesungen, welche eine ethische, kulturphilosophische und biblische Sinndeutung der Geschichte gaben, gründeten dann nicht weniger als neun Sondervortragsreihen, deren gedankliche Fülle und literarische Prägnanz den Rahmen 1 des Berichts sprengt. Wir müssen uns mit aufzählenden Hinweisen begnügen. Professor P. Dr. Ildefons B e t- schart O. S. B., Salzburg, sprach über Weltvorsehung und Weltvertrauen. Es gibt keinen Zufall. Alle Dinge sind miteinander verbunden. Nichts kfinn sich dem Wirken des Allerhalters entziehen. Nur, daß uns die übergreifende Ordnung oft nicht bewußt wird, oft auch nicht durchschaubar ist. Selbst das Böse hat seinen läuternden und offenbarenden Sinn. Die seinsmäßige Grundsituation ist die große Gottesordnung. Wenn wir das ichbezogene Denken, dies Erbe der Neuzeit, überwinden, gewinnen wir auch das Vertrauen in die geschöpfliche Ordnung zurück. Dies Vertrauen ist ein unersetzbares Glück, das der ganzen neuzeitlichen Odyssee fehlt.

Die große christliche Weltzeit des heiligen Reiches behandelte Professor DDr. Karl Eder, Linz. Die hohe ' Konzeption des Gottesstaats in der erhabenen Schau St. Augustins stand den germanischen und romanischen Nachfahren der Antike Pate, als sie die Spannungseinheit von sacerdotium und imperium verwirklichten, von der die Kathedralen des Abendlandes bis zur Stunde zeugen. Die europäische Reichskultur ist die bedeutendste Darstellung gläubiger Kultur. Auch als die Christenheit sich in die fünf großen Nationen aufgliederte, bljeb die krönende Kraft der abendländischen Reichsidee weithin erhalten. Eine ihrer letzten Fackeln erlosch im Jahre 1918 in Wien und ist bis jetzt nicht wieder angezündet worden. Was an abendländischer Gesittung die seitherigen Katastrophen zu überleben vermochte, ist ein Rest aus dem gläubigen Reichserbe der europäischen, vom Christentum begründeten Völkerfamilie.

Noch weiter spannte DDr. Willy Lorenz, Wien, den Bogen und zeichnete in geradezu ehernen Linien die Konvergenz von Universalgeschichte und Weltkirche, während Professor Dr. Johann Aufhauser, München, dem stummen Ringen zwischen Christentum und asiatischen Hochreligionen kenntnisreiche Stunden widmete. In drei Aufgipfelungen der Thematik erschien die weltverwandelnde Kraft der christlichen Seinsausstrahlung: Himmel, Erde und Hölle als Grundkategorien christlicher Kunst (Professor Dr. H. Sedlmayr, Wien), Sakralität als Mitte und Krönupg der Kultur (Professor Dr. Michael Pflieg- 1 e r, Wien) und die Heimholung der Welt durch den erhöhten Herrn der Völker (Professor Dr. P. V i r g i 1 Redlich O. S. B., Seckau). Wesentlich war noch die Unter- bauung der natürlichen Heiligkeit des Gemeinwesens durch den wohlfundierten Erweis der kultischen Ursprünge der politisdien Form (Professor Dr. Otto Höfler). Aus dem Ganzen wurde dann die Bilanz gezogen, die Dr. Wilhelm Reinermann, Salzburg, der für den verhinderten Dr. Ignaz Zangerle, Innsbruck, supplierte, in sieben Thesen aufstellte: 1. Die alte Einheit von Glauben und Kultur ist verlorengegangen, und in dieser Entgötterung der Gesellschaft liegt die eigentliche Wurzel für die totale Lebenskriois unserer Zeit. 2. Die bedeutenden Versuche und gesammelten Anstrengungen, Religion und öffentliches Leben wieder zu vermählen (Pietismus, Romantik, soziales Christentum), konnten ihr Ziel nicht erreichen. 3. Die weltanschaulichen Surrogate für die alte Bindekraft des christlichen Glaubens sind schal geworden; das Zeitalter des Freisinns geht zu Ende. 4. Lebendige Religion ist die Voraussetzung für die geistige Ge sundheit und das soziale Ethos der Staaten- und Völkerwelt. 5. Die Sittlichkeit des Evangeliums ist die beste Hüterin des staatlichen Gemeinwohls. 6. Volk und Vaterland sind Wesensteile einer religiösen Lebensordnung, 7. Die Kirche ist der barmherzige Samariter am Krankenbett der Völker. — In eine kulturpolitische Schlußformel gebracht, mündet dieser Aufriß in dem Satz: Religion ist öffentliche Sache.

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